Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2005
Aktenzeichen: 9 W (pat) 310/03

(BPatG: Beschluss v. 11.07.2005, Az.: 9 W (pat) 310/03)

Tenor

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

- Patentansprüche 1 bis 5,

- Beschreibung Spalten 1 bis 4 mit Einschub Spalte 1 und Bezugszeichenliste Spalte 4 f.,

- Zeichnungen Figuren 1 bis 6, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2005.

Gründe

I.

Gegen das am 04. August 2001 angemeldete und am 31. Oktober 2002 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz"

ist von der B... GmbH & Co. KG Einspruch erhoben worden.

Die Patentinhaberin verteidigt ihr Patent in beschränktem Umfang. Sie ist der Meinung, das beschränkte Patentbegehren sei zulässig und auch gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik patentfähig.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

" Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz, mit einem gelenkigen Sitzgestell (103), der unter Bewegung des Sitzgestells (103) von einer Sitzstellung in eine Bodenstellung überführbar ist, wobei das Sitzgestell (103) einen Sitzrahmenbereich (109, 111, 113), einen Bodenbereich (117) und wenigstens eine Vorderbein-Baugruppe (115, 131) aufweist, welche in der Sitzstellung mittels einer Verriegelungsvorrichtung (139) mit dem Bodenbereich (117) lösbar verriegelt ist, wobei in der Bodenstellung die Verriegelungsvorrichtung (139) den Sitzrahmenbereich (109, 111, 113) mit dem Bodenbereich (117) verriegelt, und wobei die Vorderbein-Baugruppe (115, 131) eine am Sitzrahmenbereich (109, 111, 113) und am Bodenbereich (117) angelenkte Schwinge (115) und zur Verriegelung mit dem Bodenbereich (117) eine gesondert ausgebildete Strebe (131) aufweist, welche in der Sitzstellung schräg angeordnet und mit dem Bodenbereich (117) lösbar verriegelt ist und beim Übergang von der Sitzstellung in die Bodenstellung wenigstens zeitweise an einem Anschlag (146) des Sitzgestells (103) anliegt, welcher an der Schwinge (115) vorgesehen ist."

Diesem Patentanspruch 1 schließen sich Patentansprüche 2 bis 5 rückbezogen an.

Die Patentinhaberin stellt entsprechend den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

- Patentansprüche 1 bis 5,

- Beschreibung Spalten 1 bis 4 mit Bezugszeichenliste Spalte 4 f. und Einschub Spalte 1,

- Zeichnungen Figuren 1 bis 6, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2005.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Sie ist der Meinung, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beruhe gegenüber dem Stand der Technik nach der EP 0 364 145 A2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Schriftsätzlich hat die Einsprechende noch auf die Druckschriften - DE 101 01 117 A1

- DE 197 25 365 A1,

- DE 199 11 015 C1

- EP 0 365 175 B1.

verwiesen.

Im Prüfungsverfahren ist noch die WO 97/36 765 A1 in Betracht gezogen worden.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 Abs. 3 Satz 1 begründet.

Der Einspruch ist zulässig. Er hat teilweise Erfolg durch eine das Patent beschränkende Änderung der Patentansprüche.

1. Die Patentansprüche 1 bis 5 sind zulässig.

Das Patentbegehren ist der Patentschrift zu entnehmen und in den ursprünglichen Unterlagen offenbart.

Der Fahrzeugsitz nach dem geltenden Patentanspruch 1 ergibt sich aus einer Zusammenfassung der erteilten Patentansprüche 1 und 5 unter Hinzunahme von Merkmalen aus der Beschreibung (Spalte 2, Zeilen 56-63; Spalte 3, Zeilen 7-9 und 26-32). Die Merkmale nach dem geltenden Patentanspruch 1 finden sich auch in den ursprünglichen Patentansprüchen 1 und 5 sowie in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 4, 2. Absatz; Seite 5, Zeilen 1, 2 und 16-20.)

Die Merkmale nach den geltenden Patentansprüchen 2, 3, 4 und 5 finden sich in den erteilten und ursprünglichen Patentansprüchen 6, 8, 4 und 2.

2. Das Patent betrifft einen Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz, mit einem gelenkigen Sitzgestell.

In der Beschreibungseinleitung der Patentschrift ist sinngemäß ausgeführt, dass bei einem bekannten Fahrzeugsitz, der in eine flache Bodenstellung gedrückt werden könne, in der Praxis noch Wünsche offen blieben.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin, einen Fahrzeugsitz der genannten Art zu verbessern.

Dieses Problem wird durch den Fahrzeugsitz mit den im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen gelöst.

3. Der ohne Zweifel gewerblich anwendbare Fahrzeugsitz nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist neu.

Aus keiner der in Betracht gezogenen Druckschriften ist ein Fahrzeugsitz mit allen im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen bekannt. Insbesondere ist es nicht bekannt, bei einer eine Schwinge und eine Strebe aufweisenden Sitzbeinbaugruppe, bei der die Strebe beim Übergang von der Sitzstellung in die Bodenstellung an einem Anschlag anliegt, den Anschlag an der Schwinge vorzusehen.

Mangelnde Neuheit hat die Einsprechende auch nicht geltend gemacht.

4. Der Fahrzeugsitz nach dem geltenden Patentanspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Durchschnittsfachmann nimmt der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau an, der bei einem Kfz-Hersteller/-Zulieferer mit der Konstruktion von Fahrzeugsitzen befasst ist und über mehrjährige Berufserfahrung auf diesem Gebiet verfügt.

Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hat die DE 101 01 117 A1 als nachveröffentlichte Druckschrift außer Betracht zu bleiben.

Ein Fahrzeugsitz für ein Kraftfahrzeug mit einem gelenkigen Sitzgestell geht aus der EP 0 364 145 A2 hervor. Der Sitz ist unter Bewegung des Sitzgestells von einer Sitzstellung (Figuren 1,3) in eine Bodenstellung (Figur 4) überführbar. Das Sitzgestell weist einen Sitzrahmenbereich 28, einen Bodenbereich 16/32/34 und eine Vorderbein-Baugruppe 48 auf. In der Sitzstellung ist die Vorderbeinbaugruppe mittels einer Verriegelungsvorrichtung 20 - indirekt über den Sitzrahmenbereich - mit dem Bodenbereich lösbar verriegelt, und in der Bodenstellung verriegelt die Verriegelungsvorrichtung den Sitzrahmenbereich - unmittelbar - mit dem Bodenbereich. Eine hintere Schwinge 50 ist an dem Sitzrahmenbereich schwenkbar mittels eines Zapfens 56 befestigt, an dem eine Strebe 60 ebenfalls schwenkbar angeordnet ist. In der Sitzstellung ist die Strebe schräg angeordnet und mit dem Bodenbereich lösbar verriegelt. Beim Übergang von der Sitzstellung in die Bodenstellung gleitet ein stabförmiger Riegel 66 der Strebe auf einer Führungskante 40 einer Seitenwange 34 des Bodenbereichs und wird so in Rastausnehmungen 42/44/46 der Seitenwange geführt. Hintere Schwinge und Strebe bilden dabei eine Hinterbein-Baugruppe zur Abstützung des Sitzes im hinteren Bereich.

Die Einsprechende ist der Meinung, stattdessen der vorderen Schwinge eine Strebe im Sinne der EP 0 364 145 A2 zuzuordnen und so zu der Vorderbein-Baugruppe nach dem geltenden Patentanspruch 1 zu kommen, sei äquivalent zur Hinterbein-Baugruppe des vorbekannten Sitzes. Dabei habe tatsächlich auch Anlass zur Abänderung des Bekannten bestanden, weil der Fahrzeugsitz nach dem Streitpatent nur zwischen der flachen Bodenstellung und der Sitzstellung verstellt werden müsse und auf eine Verriegelung in einer gegenüber dem Bodenbereich erhöhten Position zum Erhalt von Zwischenpositionen der Sitzstellung, wie es bei dem Sitz nach der EP 0 364 145 A2 vorgesehen sei, deshalb verzichtet werden könne. Dann sei die einer flachen Gestalt des Sitzes in der Bodenstellung an sich entgegenstehende hochgezogene Seitenwange nach Art der EP 0 364 145 A2 ohne weiteres erkennbar unnötig. Bei einer solchen Abänderung den Anschlag für die Strebe dann von dem Bodenbereich an die Schwinge der Vorderbein-Baugruppe zu verlegen, übersteige nicht das handwerkliche Können des Fachmanns. Dieser habe somit mit dem aus der EP 0 364 145 A2 Entnehmbaren ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 kommen können.

Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Selbst wenn der Fachmann ausgehend von der EP 0 346 145 A2 sich veranlasst sehen sollte, die an sich bekannte Strebe an das Vorderbein des Sitzes zu verlegen, ergäbe sich daraus nicht zugleich eine Verlegung des Anschlags an die Schwinge der Vorderbein-Baugruppe. Bei konsequenter Übertragung der bekannten Hinterbein-Konstruktion auf das Vorderbein böte es sich vielmehr an, am Bodenbereich vorn eine Führungskante als Anschlag für die Strebe vorzusehen derart, dass der stabförmige Riegel in entsprechende Ausnehmungen am Bodenbereich geführt und verrastet würde. Einen Anschlag nach Art der EP 0 364 145 A2 an die Schwinge zu verlegen würde - unter Beibehalt der Verriegelungspaarungen nach der EP 0 364 145 A2 - auch keinen Sinn ergeben, weil ein Anschlag an dieser Stelle keine führende Funktion auf den Riegel ausübt und diesen bzw. die Strebe nicht in eine weitere Riegelausnehmung des Bodenbereichs führen könnte. Die aus der EP 0 364 145 A2 bekannte direkte Verriegelung für beide Stellungen des Fahrzeugsitzes zwischen Strebe und Bodenbereich wäre dabei nicht mehr möglich. Um zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 zu kommen, war demnach eine Änderung des Funktionsprinzips der Verriegelung notwendig dahingehend, dass zumindest in einer der beiden Stellungen des Sitzes eine andere Paarung der verriegelten Glieder vorgesehen werden musste. Die Verlegung des Anschlags an die Schwinge zieht damit weitere Abänderungen grundsätzlicher Art nach sich und übersteigt damit das handwerkliche Können des Fachmanns.

Auch die übrigen Druckschriften können eine Anregung zu der konstruktiven Gestaltung des Fahrzeugsitzes nach dem geltenden Patentanspruch 1 nicht geben.

Der Fahrzeugsitz nach der EP 0 365 175 B1 weist ein gelenkiges Sitzgestell 54/64/524/550 auf. Sowohl in der Sitzstellung als auch in der Bodenstellung ist der Sitz mittels einer Verriegelungsvorrichtung 520 arretierbar, wobei am Sitzrahmenbereich 524 angebrachte stabförmige Riegelelemente 586/588 (Figur 5) mit Rastausnehmungen in hochgezogenen Seitenwangen 550 des Bodenbereichs in Eingriff bringbar sind. An den Schwingen 54/64 der Sitzbein-Baugruppen sind Streben nicht vorgesehen.

Der Kraftfahrzeugsitz nach der DE 199 11 015 C1 hat ebenfalls ein gelenkiges Sitzgestell 12/13/16/19, das zwischen einer Sitzstellung (Figur 1) und einer Bodenstellung (Figur 4) verstellbar ist. Dabei bilden zwei jeweils an dem Sitzrahmen 16 einerseits und an dem Bodenbereich 19 andererseits angelenkte Schwingen 12/13 die Sitzbein-Baugruppen. Zusätzliche Streben für eine derartige Sitzbein-Baugruppe sind auch hier nicht vorhanden.

Bei dem Fahrzeugsitz nach der DE 197 25 365 A1 ist ein Sitzgestell 22/28/24/26 vorgesehen, das ebenfalls zwei jeweils an dem Sitzrahmen 28 einerseits und an dem Bodenbereich 22 andererseits angelenkte Schwingen 24,26 als Sitzbein-Baugruppen enthält. Dieser Fahrzeugsitz weist keine der streitpatentgemäßen Bodenstellung entsprechende Stellung auf, sondern nur eine "vorgelagerte Position" zur Erleichterung des Zugangs zu den Fondsitzen. In der vorgelagerten Position ist dieser Sitz nicht einmal verriegelt.

Die lediglich im Prüfungsverfahren in Betracht gezogene und von der Einsprechenden nicht mehr aufgegriffene WO 97/ 36 765 A1 zeigt ein auswechselbares Sitzsystem für Fahrzeuge mit mehreren Sitzreihen. Weitergebildet sind die Einrichtungen zum Halten bzw. Lösen sowie zum Einsetzen und Ausbringen der auszuwechselnden Sitze. Eine Verstellbarkeit der Sitze als solche in verschiedene Stellungen ist nicht Gegenstand dieser Druckschrift.

Nachdem keine der bei diesen Sitzen sowohl am Sitzrahmenbereich als auch am Bodenbereich angelenkten Sitzbein-Baugruppen zusätzlich eine Strebe aufweisen, kann auch keine Anregung entnommen werden, wie eine solche Strebe beim Wechsel zwischen den beiden Sitzstellungen zu führen wäre.

Aus alledem ergibt sich, dass eine wie auch immer geartete Zusammenschau des in Betracht gezogenen Standes der Technik nicht zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 führt und der Senat auch kein Indiz dafür hat sehen können, dass der verteidigte Fahrzeugsitz für den Durchschnittsfachmann auf der Hand gelegen hätte.

Mit dem Fahrzeugsitz nach dem Patentanspruch 1 sind auch die Gegenstände der rückbezogenen Unteransprüche patentfähig, die vorteilhafte Weiterbildungen des Fahrzeugsitzes nach dem Patentanspruch 1 betreffen und zumindest keine Selbstverständlichkeiten darstellen.

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Küstner Reinhardt Bb






BPatG:
Beschluss v. 11.07.2005
Az: 9 W (pat) 310/03


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