Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 12. Juni 2006
Aktenzeichen: 2 Ws 9 - 11/06

(OLG Hamm: Beschluss v. 12.06.2006, Az.: 2 Ws 9 - 11/06)

Tenor

Die Beschwerden werden - jeweils auf Kosten der Beschwerdeführer - zurückgewiesen.

Gründe

I.

Gegen den Angeklagten ist bei der Strafkammer ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung anhängig. Die Staatsanwaltschaft Bochum wirft dem Angeklagten, der sich in Untersuchungshaft befindet, mit der Anklage vom 16. September 2005 Steuerhinterziehung und Untreue in mehreren Fällen und in erheblichem Umfang vor. Dem Angeklagten ist von der Strafkammer ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Außerdem hat sich inzwischen Rechtsanwalt T als Wahlverteidiger bestellt. Mit Schreiben vom 25. November 2005 hat der am 29. Januar 1957 geborene Antragsteller Q beantragt, gemäß § 138 Abs. 2 StPO als Wahlverteidiger zugelassen zu werden.

Die Strafkammer hat dies im angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat sie u.a. darauf abgestellt, dass die gemäß § 138 Abs. 2 StPO beizuordnende Person in besonderer Weise die Befähigung zur Führung der Verteidigung besitzen müsse. Der Antragsteller habe aber nicht nachgewiesen, dass er diese Befähigung besitze. Das Strafverfahren gegen den Angeklagten habe spezielle und komplizierte Fragestellungen auf dem Gebiet des Körperschafts-, Einkommens- und Umsatzsteuerrecht zum Inhalt. Der Antragsteller könne weder eine abgeschlossene juristische noch eine steuerrechtliche Ausbildung vorweisen. Es könne dahinstehen, ob er das Rechtswissenschaftsstudium aufgenommen bzw. über 52 Semester betrieben habe. Jedenfalls habe er das erste juristische Staatsexamen nicht abgelegt. Eine Ausbildung in einem steuerberatenden Beruf könne er ebenfalls nicht nachweisen. Er sei zwar geschäftsführender Gesellschafter und "leitender Seminardirektor" einer Institution, die gemäß § 15 FAO Fortbildungsveranstaltungen für Fachanwälte für Steuerrecht anbiete. Allein das besage über seine fachliche Qualifikation jedoch nichts.

Die Strafkammer hat im angefochtenen Beschluss zudem die persönliche Eignung des Antragstellers zur Vertretung des Angeklagten verneint. Dies hat sie wie folgt begründet:

"Überdies fehlt Herrn Q nach Auffassung der Kammer die persönliche Eignung zur Vertretung des Angeklagten. Seine Stellungnahmen und seine weiteren Veröffentlichungen lassen befürchten, dass er aufgrund seiner persönlichen Einstellung zu den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten nicht die erforderliche Distanz und Objektivität aufzubringen vermag, die ein komplexes und schwieriges Strafverfahren verlangt. Herr Q fühlt sich offensichtlich von dem Land Nordrhein-Westfalen im allgemeinen und der Polizei und Justiz im Besonderen verfolgt. Wie sich aus Seite 2 des "Memorandums" vom 09.12.2005 ergibt, sieht er sich einem permanenten Rufmord durch teils kriminelle und teils politische Gegner ausgesetzt. Die gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren sieht er von der Polizei als einer "Bande von staatlich alimentierten Straftätern" initiiert. Die Polizei betitelt er weiter als "Mitglieder des Blaulicht-Milieus", den von dem zuständigen Staatsanwalt C gefertigten inhaltlich nicht zu beanstandenden Vermerk vom 06.12.2005 bezeichnet er als "rufmörderisch" und "mies". Einer weiteren Äußerung ist zu entnehmen, dass er die Richterschaft für "im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen versklavt" hält. Auch die Internetpräsenzen www.internetadresse.de und www.internetadresse.de bestätigen das negative Bild des Herrn Q von Polizei und Justiz. Die hier zu findende Äußerung

"Wenn ich die blauen Kittel der simplen Verwaltungsrichter sehe, könnte ich kotzen, aber wenn ich die pavianarschroten Uniformen der Richter am Oberverwaltungsgericht in N sehe, erheitert mich das mehr als der Kölner Karneval. So eine Stunksitzung der Blutrichter kitzelt zwar die juristische Phantasie ihrer Opfer, aber jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht."

(Q, 19. Juli 2005)

zeigt deutlich, dass Herr Q der Justiz keinerlei Wertschätzung entgegenbringt.

Die vorgenannten Äußerungen lassen sich mit der unabhängigen Stellung eines Verteidigers als Organ der Rechtspflege nicht vereinbaren. Der Verteidiger hat einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, der nicht nur im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in dem einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege liegt (vgl. BGHSt. 29, 99 (106)). Auch ihn trifft daher die Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird (BGHSt. 38, 111 (115)). Es ist vor dem Hintergrund der bereits in diesem Verfahren getätigten Äußerungen nicht zu erwarten, dass Herr Q zu der Mitwirkung in einer objektiv und sachlich geführten Hauptverhandlung und zu einem interessengerechten Verteidigungsverhalten in der Lage sein wird".

Gegen die Ablehnung der Zulassung wenden sich der Angeklagte, der Antragsteller selbst und der Wahlverteidiger in eigenem Namen. Es wird (nun) u.a. darauf hingewiesen, dass der Antragsteller seit Herbst 2000 an insgesamt 16 ganztägigen Fortbildungsveranstaltungen seines eigenen Instituts teilgenommen habe, die sich mit steuerrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Fragen beschäftigt haben. Der Antragsteller sei auch noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zu den Äußerungen des Antragstellers tragen der Angeklagte und sein Wahlverteidiger vor: "Die teilweise wortgewaltigen Äußerungen des Herrn Q dürften den Leser im Übrigen mehr erheitern, als dass diese ernst zu nehmen wären, da es offensichtlich ist, dass Herr Q seine diesbezügliche Kritik durch den gezielten Gebrauch literarischer Stilmittel wie Humor, Provokation, Ironie, Satire, Zynismus und Sarkasmus zum Ausdruck bringt."

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerden zu verwerfen.

II.

Die Rechtsmittel waren zu verwerfen.

1.

Die Beschwerde von Rechtsanwalt T ist unzulässig. Ein (eigenes) Beschwerderecht des Rechtsanwalt, mit dem der gewählte Antragsteller nur in Gemeinschaft als Wahlverteidiger zugelassen werden kann, ist nicht vorgesehen (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 2005, § 138 Rn. 23). Es ist für den Senat auch nicht ersichtlich, in welchen eigenen Rechten, die mit der Beschwerde (weiter) verfolgt werden könnten, der Wahlverteidiger, der mit dem Antragsteller zusammen verteidigen soll, betroffen sein könnte.

2.

a) Die Beschwerden des Antragstellers und des Angeklagten sind hingegen zulässig, aber unbegründet. Das würde im Übrigen auch für die Beschwerde des Wahlverteidigers gelten, wenn man diese - entgegen der dargelegten Ansicht des Senats - als zulässig ansehen würde. Den Beschwerden steht nicht die Vorschrift des § 305 Satz 1 StPO entgegen. Bei der Entscheidung über die Zulassung als Verteidiger handelt es sich nämlich nicht um eine Entscheidung, die in einem inneren Zusammenhang mit dem zu erlassenden Urteil steht. Sie dient auch nicht lediglich dessen Vorbereitung, sondern der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und der sachgerechten Verteidigung des Angeklagten (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1988, 91 und NStZ 1999, 586, jeweils mit weiteren Nachweisen; Meyer-Goßner, a.a.O., § 138 Rn. 23).

b) Nach § 138 Abs. 2 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung andere als die in § 138 Abs. 1 StPO genannten Personen mit Genehmigung des Gerichts in Gemeinschaft mit einem Verteidiger - Rechtsanwalt oder Hochschullehrer - als Wahlverteidiger zugelassen werden. Das mit der Sache befasste Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob eine solche Genehmigung zu erteilen ist (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Karlsruhe NJW 1988 2550; Meyer-Goßner, a.a.O., § 138 Rn. 13; Hilla NJW 1988, 2525, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dabei ist nach allgemeiner Meinung eine Abwägung im Einzelfall zwischen dem Interesse des Beschuldigten bzw. Angeklagten an der Verteidigung durch eine Person seines Vertrauens und den Erfordernissen der Rechtspflege vorzunehmen. Das Gericht, das über die Zulassung befindet, muss prüfen, ob einerseits die Belange des Beschuldigten oder Angeklagten die Zulassung des von ihm Bevollmächtigten als Wahlverteidiger rechtfertigen und ob andererseits die Belange der Rechtspflege der Zulassung nicht entgegenstehen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.). Dabei ist von Belang, dass § 138 Abs. 2 StPO zwar aufgrund seiner Entstehungsgeschichte zutreffend als Ausnahmebestimmung angesehen wird (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1988, 91), die Genehmigung aber gleichwohl nicht nur auf besondere Ausnahmefälle beschränkt werden darf (OLG Düsseldorf NStZ 1999, 586; wohl auch OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Zweibrücken NZV 1993, 493 [für das Bußgeldverfahren]; vgl. auch Meyer/Goßner, a.a.O., jeweils mit weiteren Nachweisen). Das bedeutet, dass die Zulassung erfolgen muss, wenn die gewählte Person das Vertrauen des Beschuldigten/Angeklagten hat, sie genügend sachkundig und vertrauenswürdig erscheint und sonst keine Bedenken gegen ihr Auftreten als Verteidiger bestehen (OLG Düsseldorf und OLG Zweibrücken, jeweils a.a.O.; vgl. auch Meyer-Goßner, a.a.O.).

c) Auf der Grundlage dieses rechtlichen Ansatzes ist die Entscheidung der Kammer im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem Senat steht allerdings nur ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab zur Verfügung. Er kann (so auch OLG Düsseldorf, a.a.O., und OLG Karlsruhe, a.a.O., a.A. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 2005, § 138 Rn. 23 mit weiteren Nachweisen auf ältere Rechtsprechung) die getroffenen Zulassungsentscheidung nur auf Ermessensfehler überprüfen. Solche können sich ergeben, wenn das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt worden ist, insbesondere wenn die Entscheidung auf Willkür oder einem sonstigen Ermessensfehlgebrauch beruht. Das ist vorliegend jedoch nicht festzustellen.

aa) Dahinstehen kann nach Auffassung des Senats die Frage, ob der Antragsteller überhaupt fachlich geeignet ist, den Angeklagten als Wahlverteidiger zu verteidigen.

Zur Frage, welche "Sachkunde" der Antragsteller, der nach § 138 Abs. 2 StPO als Wahlverteidiger zugelassen werden möchte, aufweisen muss, merkt der Senat allerdings an: Soweit sich aus dem angefochtenen Beschluss und der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 15. Juli 1999 (NStZ 1999, 586) entnehmen lassen könnte, dass etwa die erfolgreiche Ablegung des ersten bzw. sogar auch des zweiten juristischen Staatsexamen Voraussetzung für die Zulassung nach § 138 Abs. 2 StPO sein soll, überspannt das nach Ansicht des Senats die Voraussetzungen an die Zulassung. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Ausdehnung der zur Übernahme der Verteidigung befähigten Personen, um dem Angeklagten eine möglichst freie Wahl und die Wahl einer Person, welcher er sein Vertrauen zugewendet hat, zu sichern (vgl. Hilla NJW 1999, 2525 mit weiteren Nachweisen zur Entstehungsgeschichte des § 138 Abs. 2 StPO). Diesem Sinn und Zweck würde es aber entgegenstehen, wenn man die Anforderungen an die Sachkunde so hoch ansetzt, dass der Zuzulassende die Befähigung zum Richteramt haben muss (zu streng daher auch OLG Karlruhe, a.a.O.; wie hier Julius in Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Aufl. 2001, § 138 Rn. 8; siehe auch OLG Zweibrücken NZV 1993, 493 für das Bußgeldverfahren).

Damit ist es ohne Belang, ob der Umstand, dass der Antragsteller nach Angaben der Staatsanwaltschaft 52 Semester Jura studiert haben soll, ohne das erste juristische Staatsexamen abgelegt bzw. sich zum ersten juristischen Staatsexamen gemeldet zu haben, für oder möglicherweise sogar eher gegen die ausreichende Fach- und Sachkunde des Antragstellers spricht. Es ist auch ohne Belang, ob sich der Antragsteller nachträglich ggf. inzwischen ausreichende Fachkunde erworben hat durch die erst im Beschwerdeverfahren dargelegte Teilnahme an den von seinem Institut angebotenen Fortbildungsveranstaltungen, wobei der Senat darauf hinweist, dass es sich um Fortbildungsveranstaltungen handelt, die also ein gewisses Grundlagenwissen voraussetzen, dass der Antragsteller aber möglicherweise nicht aufweist.

bb) Der Zulassungsantrag ist aus anderen Gründen zu Recht abgelehnt worden. Nach allgemeiner Meinung ist - wie dargelegt - die Zulassung als Verteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO auch dann abzulehnen, wenn die Belange der Rechtspflege der Zulassung entgegenstehen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1999, 586; Meyer-Goßner, § 138 Rn. 13, der formuliert, dass auch sonst keine Bedenken gegen das Auftreten des Gewählten als Verteidiger bestehen dürfen). Nach Auffassung des Senats hat die Strafkammer insoweit das ihr bei der Entscheidung über die Zulassung des Antragstellers eingeräumte Ermessen im Ergebnis zutreffend ausgeübt. Jedenfalls sind die Erwägungen der Strafkammer über die Zulassung insoweit weder willkürlich noch beruhen sie auf einem sonstigen Ermessensfehlgebrauch.

Die Strafkammer hat in den oben wörtlich zitierten Ausführungen aus der angefochtenen Entscheidung in dem Zusammenhang darauf abgestellt, dass der Antragsteller nicht die persönliche Eignung zur Vertretung des Angeklagten hat, weil seine Stellungnahmen und seine weiteren Veröffentlichungen befürchten ließen, dass er aufgrund seiner persönlichen Einstellung zu den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten nicht die erforderliche Distanz und Objektivität aufzubringen vermöge, die ein komplexes und schwieriges Strafverfahren verlange. Die vorgenannten Äußerungen ließen sich auch nicht mit der unabhängigen Stellung eines Verteidigers als Organ der Rechtspflege vereinbaren.

Dem tritt der Senat bei. Allerdings kommt es nicht darauf an, ob, wie die Strafkammer an anderer Stelle meint, der Antragsteller den Justizbehörden "Wertschätzung" entgegen bringt. Auch ist das Schwergewicht der Argumentation nicht allein auf die von der Strafkammer zitierten Entscheidungen des BGH in BGHSt 29, 99 und BGHSt 38, 111 zu legen, da in diesen Handlungsweisen des Verteidigers bzw. von ihm geforderte Tätigkeiten Gegenstand der Darlegungen und Anknüpfungspunkt für die Annahme/Forderung des BGH waren, dass auch den Verteidiger die Pflicht treffe, dafür zu sorgen, dass das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt werde (BGHSt 38, 111, 115; vgl. dazu auch BGHSt 38, 214). Inwieweit das in der Allgemeinheit zutreffend ist, kann dahinstehen. Denn die Beschwerdeführer übersehen: Der nach § 138 Abs. 2 StPO gewählte und zugelassene Verteidiger darf zwar nach seiner Zulassung nur in Gemeinschaft mit einem Wahlverteidiger verteidigen und er muss auch bestimmte Einschränkungen hinsichtlich der ihm zustehenden Rechte hinnehmen (vgl. Meyer-Goßner, § 138 Rn. 18), ihm steht aber andererseits ein eigenes Akteneinsichtsrecht und in der Hauptverhandlung ein Fragerecht zu und er kann auch Erklärungen abgeben und Beweisanträge stellen (Meyer-Goßner, a.a.O.). Auch kann er sogar Anträge des Wahlverteidigers zurücknehmen bzw. diesem widersprechen. Letztlich ist er in seiner verfahrensrechtlichen Stellung nur insoweit beschränkt, als bei widersprüchlichen Erklärungen die des Wahlverteidigers, der Rechtsanwalt ist, vorgehen. Diese starke Stellung des Beistands erfordert es nach Auffassung des Senats, dass die für einen Rechtsanwalt geltenden (berufsrechtlichen) Vorschriften auf den gewählten und ggf. nach § 138 Abs. 2 StPO zugelassenen Verteidiger wenn auch nicht unmittelbar, da er kein Rechtsanwalt ist, so jedoch zumindest mittelbar nach Sinn und Zweck anzuwenden sind. In dem Zusammenhang hat der Umstand, dass es sich bei § 138 Abs. 2 StPO um eine Ausnahmevorschrift handelt, besondere Bedeutung. Wenn ein "Nichtrechtsanwalt" als Verteidiger am Verfahren teilnehmen soll, was - wie die gesetzliche Regelung des Stufenverhältnisses der § 138 Abs. 1 und 2 StPO zeigt - die Ausnahme ist, dann muss wegen des Ausnahmecharakters dieser Konstellation von diesem eine besondere Beachtung der für Rechtsanwälte geltenden Vorschriften gefordert werden. Ist vorab schon absehbar, dass der Gewählte dem nicht gerecht werden will bzw. sogar kaum gerecht werden wird, dann ist es zumindest nicht ermessensfehlerhaft, wenn das Gericht im Interesse eines objektiv und sachlich zu führenden Verfahrens und damit letztlich auch im Interesse des Angeklagten die Zulassung des Gewählten ablehnt. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass dieser im Fall der notwendigen Verteidigung nur in Gemeinschaft mit dem Wahlverteidiger verteidigen kann. Denn es ist - worauf die Strafkammer in anderem Zusammenhang und auch das OLG Düsseldorf (NStZ 1999, 586) zutreffend hingewiesen haben - nicht Aufgabe des Wahlverteidigers, den Gewählten zu überwachen. Er muss sich mit seiner Arbeitskraft vielmehr voll auf die Verteidigung des Beschuldigten/Angeklagten im Verfahren konzentrieren.

Den für Rechtsanwälte geltenden (berufsrechtlichen) Maßstäben wird der Antragsteller nicht gerecht. Nach § 43a Abs. 2 Satz 3 BRAO unterliegen diese einem (besonderen) Sachlichkeitsgebot. Der Rechtsanwalt muss so vortragen und argumentieren, dass er sachlich und professionell vorträgt, es aber andererseits unterlässt, emotionalisierende und zumindest in der Nähe von Beleidigungen anzusiedelnde Äußerungen tätigt (vgl. dazu u.a. AGH Saarbrücken MDR 2003, 189; MDR 2002, 787; siehe vor allem aber auch BGH NJW 2004, 690 zu Unsachlichkeit in einer anwaltlichen Revisionsbegründung). Insoweit kann offen bleiben, ob das Sachlichkeitsgebot bei einem Rechtsanwalt nur verletzt ist, wenn seine Äußerung nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigung zu bewerten ist (so AGH Saarbrücken, a.a.O.). Das mag für einen Rechtsanwalt zutreffen. Darauf kann jedoch bei einem gewählten Verteidiger, der nach § 138 Abs. 2 StPO ausnahmsweise zur Verteidigung zugelassen werden soll, wegen des Ausnahmecharakters des Vorgangs nicht abgestellt werden.

Die im angefochtenen Beschluss angeführten, oben wörtlich wieder gegebenen Äußerungen des Antragstellers verletzen das Sachlichkeitsgebot in eklatanter Weise. Das bedarf keiner näheren Darlegungen, die Äußerungen und auch der weitere Inhalt der vom Antragsteller betriebenen Internetpräsenzen sprechen für sich. Es handelt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers, die offenbar vom Wahlverteidiger geteilt wird, auch nicht mehr nur um "Kritik", die "durch den gezielten Gebrauch literarischer Stilmittel wie Humor, Provokation, Ironie, Satire, Zynismus und Sarkasmus zum Ausdruck" gebracht wird." Insbesondere im Hinblick auf die vom Antragsteller den Justizbehörden entgegengebrachte, schon jetzt deutlich erkennbar Abneigung ist auch schon jetzt zu befürchten, dass sich diese Vorgehensweise des Antragstellers in der Hauptverhandlung fortsetzen und damit der geordnete Ablauf der Hauptverhandlung durch dauernde Ermahnungen des Vorsitzenden zur Sachlichkeit erheblich gestört werden wird.

Zu dieser Annahme berechtigt den Senat das Verhalten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren. Er hat nämlich, obwohl seine Zulassung von der Strafkammer letztlich auch wegen mangelnder Sachlichkeit abgelehnt worden ist, sich nicht etwa nun um Sachlichkeit in seinen Äußerungen bemüht, sondern die unsachlich und fast beleidigende Art der Argumentation und Formulierungen fortgesetzt. So wird u.a. ausgeführt bzw. aus früheren Eingaben wiederholt (Kursivsetzungen jeweils vom Senat):

"Wenn der StA C die von ihm herangezogenen Gerichtsakten nicht nur gelesen, sondern auch richtig verstanden hätte ...." (vgl. dazu AGH Saarbrücken MDR 2003, 180),

"... um auf diesen Seiten alles Wissenswerte über die Polizei und das NRW-Regime zu publizieren.....",

"Der Antragsteller empfindet zwar herzliches Mitleid für alle Sklaven auf dieser Welt, denn Sklaverei ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, er wollte mit der in Rede stehenden Äußerung aber nur erklären, dass es für ihn aus weltanschaulichen Gründen absolut unmöglich ist, jemals in den Referendardienst eines Landes einzutreten, dass er zwar als seine Rheinische Heimat immer lieben wird, aber durch den erlittenen Justiz-Terror der Verwaltungsgerichte in E und N so abgrundtief hasst, dass ihm heute alle Worte fehlen, seinen Ekel, seine Abscheu und sein gerechten Zorn zu artikulieren .......

"Wäre die Kammer hingen nicht von dem falschen Ausgangspunkt, " dass Herr Q der Justiz keinerlei Wertschätzung entgegenbringt", an die Sache herangegangen, hätte sie erkennen müssen, dass die berechtigte Justizkritik nur jenen am Herzen liegt, die auf das Funktionieren der Justiz - als notwendiger Bestandteil des gewaltengeteilten Rechtsstaates - vertrauen wollen, und enttäuscht sind, wenn sie "durch die Bank" auf feige und unredliche Richter stoßen, die in liebedienerischer Perversion mit der Politik und der Verwaltung kooperieren......".

"Und auch die berechtigte Kritik des Antragstellers an der Verwaltungsgerichtsbarkeit des NRW-Regimes sollte die Kammer nicht unbedingt auf die ordentliche Gerichtsbarkeit übertragen, schließlich ist auch der Antragsteller immer noch bereit, der Kammer vollkommen vorurteilsfrei zu begegnen. Die ordentlichen Richter würden schließlich auch nicht die bunten Kleider der Verwaltungsrichter anziehen, und anschließend aussehen wie die Transvestiten .......

In den "..." (Jahrsprüche von Q) heißt es

zu 1993 "Aus der Tatsache, dass Nordrhein-Westfalen zufällig in Westdeutschland liegt, darf nun niemand schlussfolgern, dass hier auch rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen" und

zu 1994 "Nach meiner unwiderlegbar richtigen Meinung muss man zwischen bekennenden und praktizierenden Rechtsstaaten unterscheiden. In diesem Sinne ist auch das Land Nordrhein-Westfalen ein Rechtsstaat." sowie schließlich

zu 1998: "Das Ermessen und die Willkür sind die Nutten des Rechtsstaats, und die Willkür ist schon volljährig".

Nach allem ist damit insgesamt davon auszugehen, dass der Antragsteller wegen mangelnder Sachlichkeit nicht die persönliche Eignung zur Verteidigung des Angeklagten hat. Damit ist die die Zulassung des Antragstellers ablehnende Ermessensentscheidung - vor allem auch im Hinblick auf die die Strafkammer gegenüber dem Angeklagten, dem ein erheblicher Tatvorwurf gemacht wird, treffende Fürsorgepflicht - nicht zu beanstanden. Die Beschwerden waren daher mit der sich jeweils aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.






OLG Hamm:
Beschluss v. 12.06.2006
Az: 2 Ws 9 - 11/06


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