Landgericht München I:
Urteil vom 20. März 2008
Aktenzeichen: 7 O 12954/05

(LG München I: Urteil v. 20.03.2008, Az.: 7 O 12954/05)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Ausstrahlung der Sendung mit dem Titel "..." im Sender ... am ... um ... Uhr entstanden ist und künftig entstehen wird.

II. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger Euro 30.000,€ zu zahlen.

III. Die Beklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

IV. Das Urteil ist in den Ziffern II. und III. gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

sowie folgenden

BESCHLUSS

Der Streitwert wird bis zum 20.3.2008 auf Euro 25.000,€ und für die Zeit danach auf Euro 35.000,€ festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Verbreitung von Filmaufnahmen des Klägers im Privatfernsehen.

Der private TV-Sender ... strahlte am ... um ... Uhr bundesweit die 45-minütige Dokumentation "..." in seinem Programm aus (vgl. Kassette gem. Anlage zu Bl. 13).

Der Beklagte zu 1 ist der verantwortliche Regisseur des Films, die Beklagte zu 2 die Produzentin. Die Beklagte zu 3 ist der über ... im Rahmen der Drittsenderlizenz (§ 31 RSTV) ausstrahlende Sender. Der Beklagte zu 4 ist der ärztliche Direktor des ... Er hat u.a. zugelassen, dass am 27.4.2004 in der dortigen ... von den Beklagten zu 1 und 2 die streitgegenständlichen Filmaufnahmen, die u.a. auch den Kläger zeigen und als Patienten identifizieren, angefertigt und anschließend von der Beklagten zu 3 gesendet wurden.

Der am 9.9.1982 geborene Kläger, der sich seit Anfang 2002 in ständiger ambulanter und stationärer psychiatrischer Behandlung befindet, war zum Zeitpunkt der Aufnahmen in der geschlossenen ... des ... aufgrund eines erneuten, akuten und schwerwiegenden Ausbruchs einer Psychose untergebracht. Die Einlieferung des Klägers erfolgte am 25.4.2005. In einer Szene des Films ist er im Gang der ... zusammen mit anderen Personen zu sehen. Es wird deutlich, dass der Kläger ein dort untergebrachter Patient ist und aus unerfindlichen Gründen, wohl um den Beklagten zu 4 oder einen Mitpatienten zu provozieren, ein selbstgemaltes Glasbild zerstört hat, das dem Beklagten zu 4 zuvor von einer anderen Patientin als Geschenk überreicht worden war (vgl. Prot. v. 16.2.2006 S. 4 = Bl. 79).

Mit Beschluss des Amtsgerichts München € Vormundschaftsgericht € vom 7.6.2004 (Anlage K 1) wurde dem Kläger wegen einer diagnostizieren Schizophrenie ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Vertretung gegenüber Dritten bestellt.

Der Kläger trägt vor, dass er nach mehreren weiteren Aufenthalten in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen am 27.7.2004 entlassen worden sei. Als er ab dem 10.1.2005 erstmals wieder seine Klasse in der Fachoberschule besucht habe, sei er € insoweit unstreitig € von mehreren Mitschülern, die den TV-Beitrag vom ... gesehen hatten, als derjenige erkannt worden, der in einer geschlossenen Abteilung untergebracht gewesen sei. Mittlerweile wisse die gesamte Schule über seine psychische Erkrankung Bescheid. Er habe weder in die Anfertigung der Aufnahmen noch in deren Verbreitung eingewilligt, weder ausdrücklich, noch konkludent. Er sei hierzu aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie der zu deren Behandlung verabreichten starken Psychopharmaka auch gar nicht in der Lage gewesen. Da die Beklagten mithin rechtswidrig und schuldhaft seine Persönlichkeitsrechte, insbesondere sein Recht am eigenen Bild, verletzt hätten, schuldeten sie Schadensersatzfeststellung bezüglich etwaiger materieller Schäden sowie Zahlung einer angemessenen Geldentschädigung in Höhe von mindestens Euro 20.000,€.

Der Klägerbeantragt:

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Ausstrahlung der Sendung mit dem Titel ... in ... am ... um ... Uhr entstanden ist und künftig entstehen wird.

II. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zum Ausgleich des durch die bundesweite Ausstrahlung und Verbreitung der in Ziffer 1 genannten Sendung entstandenen immateriellen Schadens einen Betrag zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch Euro 20.000,€.

Die Beklagtenbeantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten machen geltend, dass der Kläger durch schlüssiges Verhalten konkludent und wirksam in die Filmaufnahmen und deren Ausstrahlung eingewilligt habe.

Sie seien sich im Vorfeld der Aufnahmen sehr wohl der Problematik der Erlangung von rechtwirksamen Einwilligungen der Psychiatrie-Patienten bewusst gewesen seien. Die vom Beklagten zu 4 erteilte Drehgenehmigung vom 25.11.2003 (Anlage B 4 - 8) habe daher folgenden Passus vorgesehen:

"Bei Aufnahmen von Patient/inn/en bedarf es deren vor Zeugen (in der Krankenakte dokumentiert) oder schriftlich vorgebrachter Einwilligung nach Prüfung durch die behandelnden Ärzte, ob Einwilligungsfähigkeit vorliegt.

Bei nicht einwilligungsfähigen Patient/innen/en bedarf es neben der Zustimmung der Betroffenen auch der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter/innen."

Am Tag der Aufnahmen in der ... habe sich der Beklagte zu 4 vor deren Beginn mit folgenden Worten an die Gruppe von Patienten, darunter den Kläger, gewandt:

"Darf ich kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Wir machen hier Aufnahmen mit der Kamera für das Fernsehen. Wer nicht gefilmt werden möchte, geht bitte auf sein Zimmer. Das ist Herr ... von ..., der die Dreharbeiten leitet."

Anschließend habe sich der Beklagte zu 1 mit folgenden Worten an die Patienten gewandt:

"Mein Name ist ... Ich erstelle im Auftrag des Fernsehsenders ... eine Reportage über den Alltag in der Psychiatrie. Wer von Ihnen ist bereit mitzuwirken€ Selbstverständlich werden nur die Personen gefilmt, die damit einverstanden sind und selbstverständlich können Sie Ihr Einverständnis jederzeit zurückziehen. Dafür hinterlege ich hier auf dem Stationsstützpunkt meinen Namen, meine Adresse und meine Rufnummer. Sie können mich auch später jederzeit anrufen oder anrufen lassen, wenn Sie nicht im Fernsehen gezeigt werden wollen."

Daraufhin hätten Patienten, die nicht vor der Kamera agieren wollten, den Flur der Station verlassen. Der Kläger sei jedoch mit anderen Patienten geblieben. Im Laufe der weiteren Filmaufnahmen habe der Kläger mehrmals versucht, ins Bild zu kommen. Bei den streitgegenständlichen Aufnahmen habe sich die Kamera nur 2 Meter vom Kläger entfernt befunden. Hierbei sei der Kläger bei laufender, auf ihn und den Beklagten zu 4 gerichteter Kamera an letzteren herangetreten und habe ihn um Aushändigung des Glasbildes gebeten, damit er es sich von der Nähe anschauen könne. Der Beklagte zu 4 habe dem Kläger das Bild übergeben, woraufhin der Kläger dieses bewusst zu Boden fallen gelassen und provokativ behauptet habe, er hätte es dem Beklagten zu 4 zurückgeben wollen, dieser hätte es aber fallen gelassen, da er keine Reflexe habe. Der Beklagte zu 4 habe dann zum Kläger gesagt "Das war eine Provokation, mein Lieber." Den Kläger habe dann sein Verhalten bereut und habe gesagt "Ist ja gut, ich mach's dann weg.". Anschließend habe er beim Wegräumen der Scherben geholfen. Anschließend sei der Kläger von einer Pflegerin auf sein Zimmer geschickt worden.

In diesem Verhalten sei eine konkludente Einwilligung des Klägers in die Anfertigung der Filmaufnahmen und deren bundesweite Ausstrahlung zu sehen. Der Kläger sei an diesem Tag auch zur Abgabe einer wirksamen Einwilligung fähig gewesen, schließlich habe er sich auch am 25.4.2004 im Rahmen des Aufnahmegesprächs durch Unterzeichnung des Krankenhausaufnahmevertrages (Anlage B 4 - 2) schriftlich damit einverstanden erklärt, freiwillig auf der geschlossenen Station zu bleiben.

Die aufnehmende Ärztin sei damals davon überzeugt gewesen, dass der Kläger sowohl intellektuell die Bedeutung des Aufnahmevertrages und seines freiwilligen Aufenthalts auf der Station begriffen habe, als auch in der Lage gewesen sei, einen freien Willen zu bilden. Aus dem von der Aufnahmeärztin diagnostizierten Krankheitszustand könne somit keine Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Abs. 2 BGB abgeleitet werden. Auch die verabreichten Medikamente seien nicht so stark gewesen, dass sich eine andere Beurteilung ergebe. Insoweit müsse der Kläger nach allgemeinen Grundsätzen darlegen und beweisen, dass er geschäfts- bzw. einwilligungsunfähig gewesen sei.

Schließlich sei dem Beklagten zu 4 die Krankengeschichte des Klägers bekannt gewesen. Wäre er damals der Meinung gewesen, dass der Kläger nicht einwilligungsfähig gewesen sei, hätte er ihn sofort weggeschickt. Die Beklagten zu 1 bis 3 hätten sich auf diese Einschätzung des Beklagten zu 4 verlassen dürfen.

Den Beklagten zu 1-3 könne nun nicht angelastet werden, dass der Kläger damals insofern wenig weitsichtig gewesen sei, als er die bewusste Verdeckung seiner Erkrankung zum Zeitpunkt der Dreharbeiten problemlos hätte fortführen können, wenn er den Flur für 20 Minuten verlassen hätte (Schriftsatz der Beklagten zu 1-3 vom 29.8.2005 S. 22 = Bl. 39).

Der Feststellungsantrag gem. Ziffer I. sei unzulässig, da nicht ausreichend dargetan sei, welche materiellen Schäden dem Kläger entstanden seien könnten. Der Zahlungsantrag gem. Ziffer II. sei nicht € allenfalls aber nur in Höhe von Euro 2.000,€ begründet.

Der Kläger tritt diesem Vortrag entgegen. Er habe keineswegs ständig aktiv versucht, ins Bild zu kommen. Vielmehr hätte die Kamera aufgrund des Klirrens des Glasbildes plötzlich auf ihn geschwenkt und ihn somit "kalt erwischt". Er könne sich daran erinnern, dass damals ein Kamerateam auf seine Station gekommen sei. Er habe allerdings gedacht, dass ein Geheimdienst oder so was ähnliches zugegen sei. Er sei zwar neugierig gewesen, habe aber darauf geachtet, in keinem Fall irgendwie vor die Kamera zu geraten. An die Erläuterungen der Beklagten zu 1 und 4 könne er sich nicht mehr erinnern. Im Falle eines Patienten, der in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht sei und dort gefilmt werde, trage jedoch derjenige, der behaupte, dass der Patient dennoch geschäfts- und einsichtsfähig gewesen sei, die Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagten zu 1-3 könnten sich nicht mit Verweis auf den Beklagten zu 4 exkulpieren, denn sie hätten sich in Bezug auf den Kläger nicht an die Handhabung gem. der Drehgenehmigung gehalten.

Der Geldentschädigungsanspruch sei auch in der geltend gemachten Höhe gerechtfertigt, da die Beklagten, insbesondere der Beklagte zu 4 als Garant, die schutzwürdigen Persönlichkeitsrechte des Kläger als Patient in einer geschlossenen Abteilung in einem psychiatrischen Krankenhaus in eklatanter Weise missachten hätten.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Betrachten von Teilen der vorgelegten Videokassette im Termin vom 16.2.2006 (Prot. S. 3 = Bl. 78), durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen ... vom 26.4.2007 (Bl. 101/152) und Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 15.11.2007 (Prot. S. 2 ff. = Bl. 166 ff.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die angegebenen Fundstellen verwiesen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 16.2.2006 (Bl. 75/82) und 15.11.2007 (Bl. 164/179) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

A.

Keine Geschäfts- oder Einwilligungsfähigkeit beim Kläger

I. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat eindeutig ergeben, dass der Kläger am 27.4.2004 aufgrund einer akuten schizophrenen Psychose weder geschäfts- noch einwilligungsfähig war.

Der gerichtliche Sachverständige hat insoweit in seiner schriftlichen Ausarbeitung folgendes zusammenfassend festgestellt (Gutachten S. 50 f. = Bl. 150 f.):

"Herr ... war am 27.4.2004 in der Lage zu erkennen, dass sich auf dem Gang in der Abteilung ... ein Kamerateam aufhielt. Es war ihm nicht möglich, die an eine Patientengruppe, unter der sich der Proband befand, gegebene Informationen, dass es sich dabei um ein Fernsehteam handelt, zu verarbeiten. Unter den gegebenen Umständen war Herr ... nicht in der Lage zu erkennen, dass damit zu rechnen war, dass die gedrehten Aufnahmen deutschlandweit ausgestrahlt würden und er im Rahmen einer Ausstrahlung als Patient der geschlossenen Abteilung erkennbar sein könnte. Die Dokumentation in der Krankenakte belegt, dass Herr ... in seinem Verhalten durch äußere Reize leicht zu beeinflussen war. Es war ihm daher nicht möglich, dem Angebot, den Drehort zu verlassen und sich auf sein Zimmer zu begeben, nachzukommen. Das sich in das Bild bzw. in die laufende Kamera Drängen des Probanden folgte nicht einer bewussten Entscheidung, sondern ist Ausdruck des impulshaften, immer wieder als provokant beschriebenen Verhaltens, welches der Probant in den ersten Tagen des stationären Aufenthalts im ... zeigte. Es kann daher nicht als stillschweigendes Einverständnis aufgefasst werden. Herr ... bot zum Zeitpunkt der Beendigung des stationären Aufenthalts im ... weiterhin eine florid psychotische Symptomatik. Das Widerrufen eines stillschweigenden Einverständnisses wäre ihm nur möglich gewesen, wenn er direkt, z.B. vor seiner Verlegung in das ..., auf die angefertigten Filmaufnahmen angesprochen worden wäre und mit ihm die Situation und die Konsequenzen diskutiert worden wären. Aufgrund der Akutheit seines Krankheitsbildes war ihm ein aktiver Widerruf der Einverständniserklärung nicht möglich."

Auch nach der stundenlangen und in jeder Hinsicht ausführlichen Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 15.11.2007 ergibt sich für die Kammer kein anderes Ergebnis:

1. Die beim Kläger diagnostizierte schizophrene Psychose zeichne sich nach den Bekundungen des Sachverständigen (Prot. S. 6 = Bl. 170) gerade dadurch aus, dass sich der Patient nicht entscheiden könne; sich einmal so, einmal anders oder gar nicht entscheide. Dieser Zustand der psychotischen Ambivalenz habe beim Kläger im Zeitraum 26.4. bis 3.5.2004 vorgelegen. Seine Äußerungen und Handlungen hätten daher hinterfragt werden müssen, da sie wohlmöglich nicht seinem wirklichen Willen entsprochen haben. Der Kläger sei daher nicht im Sinne des § 105 BGB in der Lage gewesen, einen durchgehenden Willen zu bilden.

2. An diesem Ergebnis ändere auch die Einwilligung des Klägers in seine Unterbringung auf der geschlossenen Station nichts, da sich die Sachverhalte ganz maßgeblich unterschieden. Bei der Einwilligung zur Aufnahme in ein Krankenhaus handele es sich um einen dem Betroffenen bekannten Vorgang und nicht um etwas Fremdes (Prot. S. 7 = Bl. 171).

Die Kammer hat keine Veranlassungen, an der Richtigkeit dieser schlüssig vorgetragenen und gut nachvollziehbaren Bekundungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige konnte insoweit auf eine Vielzahl von Krankenakten zurückgreifen und hat sich auch ein persönliches Bild vom Kläger verschafft. Auf die Feststellungen seines wissenschaftlichen Assistenten, ... durfte er hierbei zurückgreifen, da er dessen Tätigkeit und Feststellungen selbst überwacht hat.

Auf die von den Beklagten ins Feld geführten weiteren Videoaufnahmen, die den Kläger bei weiteren Gelegenheiten vor der Kamera zeigen und auch belegen sollen, dass er von einem möglichen Sendetermin gesprochen habe, kam es nicht mehr entscheidend an, da der Sachverständige bei der Begutachtung bereits davon ausgegangen ist, dass sich der Kläger mehrmals ins Bild gedrängt und sich dahingehend geäußert hat (vgl. Prot. S. 11 = Bl. 175).

II. Die Fragen, ob der Kläger durch sein Verhalten Anlass gegeben hat, von einer konkludenten Einwilligung auszugehen; ob die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit in einem derartigen Fall umgekehrt ist und ob für die Gestattung von Filmaufnahmen und deren späterer Sendung im Fernsehen Geschäftsfähigkeit oder lediglich Einwilligungsfähigkeit zu fordern ist, können somit dahinstehen.

B.

Rechtsfolgen

I. Der Kläger hat daher gem. §§ 823 Abs. 1, 842 BGB i.V.m. § 22 Abs. 1 KUG, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG einen Schadensersatz- und Geldentschädigungsanspruch gegen die Beklagten, die gem. § 840 Abs. 1 BGB wegen Mittäterschaft als Gesamtschuldner haften.

1. Den Beklagten zu 1 und 4 bzw. den für die Beklagten zu 2 und 3 tätigen Mitarbeitern oder Organen ist jeweils grobe Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) vorzuwerfen, da sie sich im Fall des Klägers nicht an die Handlungsanweisung gem. der schriftlichen Drehgenehmigung gehalten haben. Die Beklagten zu 1-3 können sich insoweit auch nicht unter Hinweis auf den Beklagten zu 4 exkulpieren, da ihnen das Abweichen von dem von diesem angeordneten Verfahren zur Einholung der notwendigen Patienteneinwilligung hätte auffallen müssen. Insoweit tragen sie nicht einmal vor, dass sie den Beklagten zu 4 im Falle des Klägers auf die Nichteinhaltung dieses Verfahrens angesprochen haben.

2. Insbesondere der Beklagte zu 4 hätte aufgrund seiner Fachkenntnisse erkennen können und müssen, dass das impulshafte sich ins Bild Drängen des Klägers, das die Kammer zugunsten der Beklagten unterstellt, Ausdruck seiner akuten schizophrenen Psychose war und nicht als Einwilligung in die Filmaufnahmen und bundesweite Ausstrahlung derselben gedeutet werden konnte. Jedenfalls wäre der Beklagte zu 4 als Direktor des ... verpflichtet gewesen, sich im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit dem Kläger davon zu überzeugen, dass dieser sich darüber bewusst war, dass seine Handlungen als konkludente Einwilligung verstanden werden und er dieselbe widerrufen könne. Hierzu wäre er aufgrund seiner zweifachen Garantenpflicht auch verpflichtet gewesen. Denn durch die Aufnahme des Klägers in die geschlossene Abteilung hat der Beklagte zu 4 vertraglich und tatsächlich die volle Verantwortung für das Wohl und Wehe des kranken Klägers übernommen. Diese Verantwortung wurde noch dadurch gesteigert, dass der Beklagte zu 4 den in einer geschlossenen Station untergebrachten Kläger, der die Station alleine nicht verlassen durfte, dem "Zugriff" eines Fernsehteams ausgesetzt hat.

3. Da sich die Ersatzpflicht der Beklagten gem. § 842 BGB auch auf die Nachteile erstreckt, die die unerlaubte Handlung für den Erwerb und das Fortkommen des Klägers in der Zukunft zeitigen wird und es nicht fernliegt, dass sich solche Nachteile z.B. dadurch einstellen können, dass der Kläger bei einer Bewerbung von einem ehemaligen Mitschüler erkannt wird und daher die begehrte Stelle nicht bekommt, besteht auch das gem. § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse für Antrag I.

II. Der Kläger hat ferner gem. § 253 BGB analog, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 GG Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens gem. Antrag II.

1. Voraussetzung für diesen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Geldentschädigungsanspruch ist, dass ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt und die schlichte Unterlassung weiterer Bildnisveröffentlichungen bzw. ein möglicher Widerruf nicht die erforderliche Genugtuungs- und Abschreckungswirkung entfalten (vgl. Dreier/Schulze, UrhG, §§ 33 ff KUG Rdn. 21 ff mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor:

a. Die Beklagten haben die psychische Erkrankung des in einer geschlossenen Station untergebrachten Klägers im gesamten Bundesgebiet durch einen TV-Beitrag an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Dies stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar.

b. Den Beklagten liegt auch ein grobes Verschulden zur Last. Insoweit hätte es bereits jedermann einleuchten müssen, dass erstens davon auszugehen ist, dass Patienten, die sich auf einer geschlossenen Abteilung eines Bezirkskrankenhauses aufhalten, geistig nicht gesund sind, und zweitens, dass deswegen nicht ohne weiteres von einer konkludenten Einwilligung dieser Patienten ausgegangen werden kann, wenn sie sich nicht entfernen bzw. wenn sie sich augenscheinlich bewusst vor die Kamera drängen. Aufgrund der fachkundigen Beratung durch den Beklagten zu 4 gilt dies hier erst recht. Dass sich die Beklagten im Fall des Klägers nicht an die selbst verordnete Vorgehensweise zur Einholung der notwendigen Einwilligung gehalten haben, begründet die Annahme eines groben Verschuldens.

c. Insoweit reichen auch eine Unterlassungserklärung bzw. ein Widerruf ersichtlich nicht aus, um die erforderliche Genugtuungs- und Abschreckungswirkung zu entfalten.

2. Vorliegend bemisst die Kammer die Höhe der dem Kläger zustehenden Geldentschädigung gem. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf Euro 30.000,€. Dabei waren folgende Gesichtspunkte entscheidend:

a. Der Kläger befand sich im Zeitpunkt der Aufnahmen in einer geschlossenen Station eines Bezirkskrankenhauses und daher in einem von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Raum, in dem er besonderen Schutz und Fürsorge erwarten konnte. Entgegen dieser Erwartung wurde er dort von den Beklagten mit der Tatsache der Fernsehaufnahmen überrascht. Seine Erkrankung wurde an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt.

b. Da der Kläger im Zeitpunkt der Ausstrahlung erst 22 Jahre alt war muss er noch eine lange Zeit damit rechnen, von ehemaligen Mitschülern oder TV-Zuschauern als ehemaliger Patient erkannt zu werden.

c. Den Beklagten, insbesondere dem Beklagten zu 4, ist grobes Verschulden vorzuwerfen. Der Beklagte zu 4 hat darüber hinaus die vom ... vertraglich übernommene Garantenpflichten sowie die ärztliche Schweigepflicht gröblich verletzt.

d. Von der Höhe der Geldentschädigung soll auch eine generalpräventive Wirkung ausgehen.

C.

Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 20.03.2008
Az: 7 O 12954/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/574603720d34/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_20-Maerz-2008_Az_7-O-12954-05




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