Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. September 2008
Aktenzeichen: 10 W (pat) 7/06
(BPatG: Beschluss v. 11.09.2008, Az.: 10 W (pat) 7/06)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Auf die am 30. Oktober 1987 eingereichte Anmeldung wurde der Patentinhaberin mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland das europäische Patent 0 266 216 mit der Bezeichnung "Kontroll- oder Kalibrierungslösungen für Flüssigkeitsanalyse" erteilt, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen P 37 88 501.4 geführt wird.
Das Patentamt wies mit Bescheid vom 2. März 2004 ("Wichtige Mitteilung!") darauf hin, dass die 17. Jahresgebühr nicht innerhalb der zuschlagfreien Zahlungsfrist entrichtet worden und mit Ablauf der Frist ein Verspätungszuschlag fällig geworden sei. Die 17. Jahresgebühr (1410,- €) mit Verspätungszuschlag (50,- €), insgesamt 1460,- €, sei bis zum 30. April 2004 zu entrichten, anderenfalls erlösche das Patent. Das Patentamt vermerkte im Juni 2004 in der Akte, dass das Patent seit 1. Mai 2004 wegen Nichtzahlung der Jahresgebühr erloschen sei.
Am 29. April 2005 hat die Patentinhaberin unter gleichzeitiger Zahlung der 17. Jahresgebühr Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und zur Begründung folgendes vorgetragen: Mit der Überwachung und Einzahlung der Jahresgebühren sei das Patent A... Corporation in T..., Japan, befasst gewesen. Am 21. Februar 2003 habe die Patentinhaberin dieser Firma irrtümlich die Mitteilung übersandt, für das fragliche Patent keine weiteren Jahresgebühren einzuzahlen, da eine Aufrechterhaltung des Patents, bedingt durch ein Versehen, nicht gewünscht gewesen sei. Diese irrtümliche Anweisung der Patentinhaberin sei durch eine Verkettung unglücklicher und nicht vermeidbarer Umstände zustande gekommen. Die Abteilung für gewerblichen Rechtsschutz im Hauptquartier der Patentinhaberin in T... übersende Schutzrechtslisten an regionale mit Schutz- rechtsangelegenheiten befasste Büros, damit von diesen Büros entschieden werde, ob ein Schutzrecht aufrechterhalten oder fallengelassen werden solle. Eine solche Schutzrechtsliste, die auch das vorliegende Patent enthalten habe, sei an das A... Laboratorium in A..., S..., Japan übersandt worden. Mit der Bewertung seien dort u. a. die in der Forschungsabteilung des A... Laboratori- ums beschäftigten Herren T... und S... befasst gewe- sen. Deren Bewertung der auf der Schutzrechtsliste aufgeführten Schutzrechte sei durch den Hauptgeschäftsführer des A... Laboratoriums, Herrn M... überprüft worden. Danach sei die Schutzrechtsliste wieder an das Hauptquartier der Patentinhaberin in T... übersandt worden und dort nochmals, u. a. von Herrn I..., einem Mitarbeiter der I... Division, überprüft worden. Bei dieser mehrmaligen Überprüfung sei übersehen worden, dass neben rund 1000 Schutzrechten, die tatsächlich fallengelassen werden sollten, versehentlich auch das vorliegende Patent als nicht aufrechtzuerhalten beurteilt worden sei. Angesichts der sehr großen Anzahl an überprüften Schutzrechten lasse sich leider nicht mehr exakt nachvollziehen, weshalb und von welcher Person letztendlich die versehentlich falsche Entscheidung zum Fallenlassen des Schutzrechts getroffen worden sei. Erst bei einer weiteren Schutzrechtsüberprüfung im März 2005 sei Herrn I... am 17. März 2005 aufgefallen, dass das fragli- che Patent, für das eine Erinnerung zur Zahlung der 18. Jahresgebühr angestanden habe, nicht mehr in Kraft befindlich sei. Daraufhin habe eine Überprüfung ergeben, dass es versehentlich fallengelassen worden sei.
Auf einen Zwischenbescheid des Patentamts hat die Patentinhaberin im September 2005 unter nochmaliger Schilderung des organisatorischen Ablaufs vorgetragen, ein Fallenlassen des Patents sei seitens der Patentinhaberin zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen. Allein im Oktober 2002 habe die zu beurteilende Schutzrechtsliste ca. 280 Schutzrechtsdokumente umfasst, für einen 6-Monats-Zeitraum ergäben sich 1700 Schutzrechtsdokumente. Allein schon die schiere Anzahl der zu sichtenden Schutzrechte bringe daher nach der Lebenserfahrung eine gewisse Fehlerwahrscheinlichkeit mit sich. Aus diesem Grunde seien im A... Laboratorium auch die Herren T... und S... damit beauftragt, da die- se mit der Bewertung von Schutzrechten vertraut und zudem als äußerst gewissenhaft bekannt seien. Dementsprechend seien auch sämtliche von ihnen gesichteten Schutzrechte korrekt beurteilt worden, wobei das fragliche Patent als aufrechtzuerhalten eingestuft worden sei. Dies werde allein schon dadurch gestützt, dass im März 2005 die Einzahlung der 18. Jahresgebühr beabsichtigt gewesen sei. Leider könne nicht mehr exakt nachvollzogen werden, an welcher Stelle des Überprüfungsprozesses der Schutzrechte im Jahr 2003 der Fehler passiert sei. Möglich sei ein "Zeilenrutscher", möglich sei auch ein Fehler im Verlauf der Übertragung der Schutzrechtsnummer auf die einzelnen Listen aufrechtzuerhaltender und fallenzulassender Schutzrechte. Dass dies bei der Überprüfung der Schutzrechtslisten durch vorgesetzte Mitarbeiter übersehen worden sei, liege daran, dass sowohl der Hauptgeschäftsführer des A... Laboratoriums, Herr M... als auch Herr I... im Hauptquartier der Patentinhaberin lediglich noch eine stichpro- benartige Überprüfung der Schutzrechtslisten durchführten, zumal die mit der Überprüfung betrauten Mitarbeiter T... und S... bisher fehlerfrei ge- arbeitet hätten und eine versehentliche Falschnotierung bislang noch nicht passiert sei.
Das deutsche Patent- und Markenamt - Patentabteilung 55 - hat durch Beschluss vom 19. Oktober 2005 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Patentinhaberin habe nicht schlüssig darlegen können, dass sie die Frist zur Zahlung der 17. Jahresgebühr ohne Verschulden versäumt habe. Die Patentinhaberin habe mit Schreiben vom 21. Februar 2003 die Anweisung gegeben, das Patent fallen zu lassen, wobei diese Anweisung das Resultat einer firmeninternen Bewertung der vorhandenen Schutzrechte gewesen sei, nämlich von zwei Mitarbeitern des A... Laboratoriums, deren Bewertung von dem Hauptgeschäftsführer des A... Labo- ratoriums und anschließend nochmals vom zuständigen Mitarbeiter im Hauptquartier der Patentinhaberin überprüft worden sei. Der auf den Zwischenbescheid der Patentabteilung erfolgte neue Sachvortrag, wonach das Patent als aufrechtzuerhalten bewertet worden und nur versehentlich aufgrund einer Falschmarkierung oder Falschübertragung irrtümlich den fallenzulassenden Schutzrechten zugeordnet worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Seitens der Patentinhaberin habe nicht nachgewiesen werden können, dass es ihr damaliger Wille gewesen sei, das Patent aufrechtzuerhalten. Selbst wenn die zwei Mitarbeiter des A... Laborato- riums nicht im damaligen Sinne der Patentinhaberin entschieden hätten, wäre es die Aufgabe der speziell dafür vorgesehenen Kontrollinstanzen gewesen, diese Fehlentscheidung sofort aufzuheben. Dass sowohl der Hauptgeschäftsführer des A... Laboratoriums, Herr M... als auch Herr I... im Hauptquartier der Patentinhaberin lediglich noch eine stichprobenartige Überprüfung durchgeführt hätten, könnte allenfalls auf mangelnde Sorgfalt, also ein Organisationsverschulden hindeuten. Da jedoch nach den Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag das Patent als nicht aufrechtzuerhalten eingestuft worden sei, sei davon auszugehen, dass sich jede der mit der Angelegenheit befassten Entscheidungsstellen für ein Fallenlassen des Patents ausgesprochen habe und dies zu dem Zeitpunkt der Entscheidungsfindung der uneingeschränkte Wille der Patentinhaberin gewesen sei.
Hiergegen wendet sich die Patentinhaberin mit der Beschwerde, mit der sie beantragt, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Oktober 2005 aufzuheben und die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, im angefochtenen Beschluss sei eine wirklichkeitsfremde und auch unter objektiven Gesichtspunkten übertriebene Kontroll- und Überprüfungstätigkeit gefordert worden. Da die Herren T... und S... als äußerst zuverlässig und vertraut mit dem Umgang und der Be- wertung von Schutzrechten bekannt seien und frühere Überprüfungen ihrer Arbeit bislang nie einen Grund zur Beanstandung gegeben hätten, seien deren Arbeitsergebnisse entsprechend einer effizienten und auf Sorgfalt bedachten Arbeitsweise von deren Vorgesetzten nicht vollumfänglich, sondern nur stichprobenartig überprüft worden. Es könne daher nicht von einem Organisationsverschulden ausgegangen werden.
In der mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin ein Affidavit von Herrn S... eingereicht, in dem dieser angibt, das fragliche Patent als auf- rechtzuerhalten eingestuft zu haben. Die Patentinhaberin hat ihren schriftsätzlichen Vortrag weiter vertieft und nochmals hervorgehoben, es habe in der Firma der Patentinhaberin die Regel bestanden, dass bei Patenten, an denen Lizenzen vergeben worden seien, immer die gesamte Patentfamilie aufrechterhalten werde. Die Information, dass hier eine Lizenz erteilt worden und das Patent deshalb aufrechtzuerhalten sei, sei im Verlauf der Bewertung irgendwo auf der Strecke geblieben. Sie sehe auch keinen Widerspruch zwischen dem im Wiedereinsetzungsantrag gemachten und den späteren zur Begründung der Wiedereinsetzung gemachten Angaben.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Patentamt hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Zahlung der 17. Jahresgebühr mit Zuschlag zu Recht zurückgewiesen.
1. Die Patentinhaberin hat die Frist zur Zahlung der 17. Jahresgebühr mit Zuschlag versäumt. Die 17. Jahresgebühr, die hier nach Art. II § 7 IntPatÜG i. V. m. § 17 Abs. 1 PatG zu zahlen ist, ist gemäß § 3 Abs. 2 PatKostG am 31. Oktober 2003 fällig gewesen und konnte gemäß § 7 Abs. 1 PatKostG bis zum 31. Dezember 2003 zuschlagfrei, bis zum 30. April 2004 mit Verspätungszuschlag gezahlt werden. Die erst mit Stellung des Wiedereinsetzungsantrags am 29. April 2005 geleistete Zahlung ist verspätet gewesen. Das Patent ist damit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 PatG erloschen.
2. Der wegen Versäumung der Zahlungsfrist gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung ist zwar zulässig, insbesondere ist er auch noch rechtzeitig vor Ablauf der einjährigen Ausschlussfrist des § 123 Abs. 2 Satz 4 PatG gestellt worden. Er hat aber in der Sache keinen Erfolg. Ausgehend von dem im Wiedereinsetzungsantrag vom 29. April 2005 enthaltenen, maßgeblichen Vortrag kann nämlich ein Verschulden der Patentinhaberin an der Versäumung der Zahlungsfrist nicht ausgeschlossen werden.
Die Patentinhaberin hat nach ihrem Vortrag bezüglich des streitgegenständlichen Patents ihrer Gebührenzahlungszahlungsfirma die Weisung erteilt, keine weiteren Jahresgebühren mehr einzuzahlen. Diese Weisung beruhte auf einem firmeninternen Willensbildungs- bzw. Bewertungsverfahren, das die Patentinhaberin arbeitsteilig gestaltet hat, wonach die Bewertung zur Aufrechterhaltung von Schutzrechten nicht von der Abteilung für gewerblichen Rechtsschutz im Hauptquartier der Patentinhaberin in T... getroffen wird, sondern von regionalen Büros in Japan, die mit dem Gegenstand der betreffenden Schutzrechte vertraut sind. Im konkreten Fall, so die Patentinhaberin, sei eine Schutzrechtsliste an das A... Labora- torium übersandt worden, wo u. a. die Herren T... und S... mit der Bewertung befasst gewesen seien. Deren Bewertung der auf der Schutzrechtsliste aufgeführten Schutzrechte sei von ihren Vorgesetzten, nämlich vom Hauptgeschäftsgeschäftsführer des A... Laboratoriums, Herrn M..., sowie an- schließend im Hauptquartier der Patentinhaberin von Herrn I... überprüft wor- den. Bei dieser Vorgehensweise sei versehentlich auch das vorliegende Patent als nicht aufrechtzuerhalten eingestuft, eine falsche Entscheidung getroffen worden, es lasse sich aber nicht mehr nachvollziehen, weshalb und von welcher Person diese versehentlich falsche Entscheidung zum Fallenlassen des Schutzrechts getroffen worden sei.
Dieser Vortrag, wonach eine - wenn auch falsche - Entscheidung zum Fallenlassen getroffen worden ist, beinhaltet die Möglichkeit, dass das Patent aufgrund einer entsprechenden Bewertung durch die Mitarbeiter und/oder Vorgesetzten als fallenzulassen eingestuft worden ist, also nicht bloß ein "Zeilenrutscher" beim Erstellen von Schutzrechtslisten oder dergleichen (wie im späteren Schriftsatz vom September 2005 geltend gemacht wird) vorgelegen hat, sondern das Fallenlassen des Schutzrechts zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigt war (mag es sich auch im nachhinein als falsch herausgestellt haben, weil es den firmeninternen Richtlinien zu Patenten, an denen Lizenzen vergeben waren, widersprach). Damit liegt aber ein Fall eines bewussten Verstreichenlassens einer Frist vor, der nicht geeignet ist, eine Fristversäumung zu entschuldigen (vgl. auch Schulte, PatG, 8. Aufl. § 123 Rdn. 70).
Die späteren, auf den Zwischenbescheid des Patentamts hin gemachten weiteren Angaben der Patentinhaberin könnten dagegen eine andere Beurteilung nahelegen, insbesondere wenn vorgetragen wird, dass das fragliche Patent als aufrechtzuerhalten eingestuft worden sei und lediglich ein Versehen wie etwa ein "Zeilenrutscher" vorgelegen habe, wobei es sich bei den tätig gewordenen Mitarbeitern um stets zuverlässig arbeitende Angestellte gehandelt habe. Ein Verschulden von Hilfspersonen wäre der Patentinhaberin nicht anzulasten. Dieser weitere, neue Vortrag kann aber nicht berücksichtigt werden. Die Tatsachen, die die Wiedereinsetzung begründen, müssen grundsätzlich innerhalb der zweimonatigen Antragsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG vorgetragen werden (vgl. Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 34). Werden Tatsachen nachgebracht, müssen sie sich im Rahmen des bisherigen Tatsachenvortrags halten, indem sie etwa unklare Angaben erläutern oder unvollständige Angaben ergänzen (vgl. Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 41). Dies ist hier nicht der Fall, denn die nachgebrachten Angaben stellen hier den Ablauf teilweise anders dar. Insbesondere steht die spätere Angabe, dass das Patent firmenintern als aufrechtzuerhalten eingestuft worden sei, es also eine Entscheidung für seine Aufrechterhaltung gegeben habe und das Patent nur aufgrund eines "Zeilenrutschers" oder dergleichen auf die Liste der fallenzulassenden Schutzrechte geraten sei, im Widerspruch zu der Angabe im Wiedereinsetzungsantrag vom April 2005, wonach eine Entscheidung zum Fallenlassen des Schutzrechts getroffen worden sei. Damit handelt es sich um unzulässiges Nachschieben von Gründen, das nicht berücksichtigt werden kann. Da die innerhalb der Antragsfrist gemachten Angaben die Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen können, war der Wiedereinsetzungsantrag und damit die Beschwerde zurückzuweisen.
Schülke Rauch Püschel Ko
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Beschluss v. 11.09.2008
Az: 10 W (pat) 7/06
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