Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. Oktober 2000
Aktenzeichen: 19 W (pat) 32/99
(BPatG: Beschluss v. 30.10.2000, Az.: 19 W (pat) 32/99)
Tenor
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse B 61 L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Mai 1999 aufgehoben.
Die Sache wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Von der Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird abgesehen.
Gründe
I.
Der Anmelder hat am 1. August 1995 die dem Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts zugrundeliegende Patentanmeldung eingereicht, für die die Unionspriorität der Anmeldung beim Europäischen Patentamt vom 2. August 1994 (Aktenzeichen 94250196.6) in Anspruch genommen ist. Die Deutsche Bahn Aktiengesellschaft hat am 10. Juli 1996 wirksam Prüfungsantrag gestellt. Mit Bescheid vom 11. Juli 1997 teilte die Prüfungsstelle für Klasse B 61 L des Deutschen Patent- und Markenamts dem Anmelder die Gründe mit, weshalb mit den vorliegenden Unterlagen noch nicht mit einer Patenterteilung zu rechnen sei. Sie verwies auf die mangelnde Einheitlichkeit der Anmeldung, die sich insbesondere durch die Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche 5, 8 und 16 ergebe. Ferner verwies sie auf fehlende Neuheit des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 hinsichtlich der Patentanmeldung DE 43 02 377 des Anmelders, die gemäß PatG § 3 Abs 2 als ältere Anmeldung zum Stand der Technik gehöre. Weiterhin nannte die Prüfungsstelle Mängel in den Patentansprüchen 1, 5, 8, 16 sowie in den Unteransprüchen und der Beschreibung. Abschließend zeigte sie auf, wie erteilungsreife Unterlagen zu erhalten seien, da angesichts des im Bescheid weiterhin genannten Standes der Technik möglicherweise noch etwas Erfinderisches zu erkennen sei.
Mit Schreiben vom 5. Februar 1998 legte der Anmelder neue Patentansprüche 1 bis 20, überarbeitete Beschreibungsteile und eine geänderte Zeichnung Figur 2 vor. Ohne sachliche Stellungnahme hierzu forderte die Prüfungsstelle mit Bescheid vom 12. Februar 1998 den Anmelder gemäß PatG § 35 auf, den Stand der Technik anzugeben, der von ausländischen Patentämtern in Parallelverfahren entgegengehalten worden sei. Der Anmelder nannte mit Eingabe vom 19. März 1998 diesen Stand der Technik und nahm hierzu Stellung.
Die Prüfungsstelle lud mit Schreiben vom 26. April 1999 den Anmelder zu einer Anhörung im Deutschen Patent- und Markenamt auf den 19. Mai 1999. Die Ladung wurde mit Postzustellungsurkunde zugestellt; ausweislich dieser Urkunde erfolgte die Zustellung durch Niederlegung im Postamt Filiale Paderborn 33102 Paderborn am 3. Mai 1999, wobei eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung am gleichen Tag in den Hausbriefkasten des Anmelders eingelegt wurde. Der Anmelder ist zur Anhörung am 19. Mai 1999 nicht erschienen.
Durch Beschluß vom 19. Mai 1999 hat die Prüfungsstelle die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, daß im geltenden Patentanspruch 1 dem Begriff "Steuereinheit" nach wie vor verschiedene Bezugszeichen (2 und 48) zugeordnet seien. Der im Bescheid vom 11. Juli 1997 aufgezeigte Mangel bestehe somit weiter, so daß erteilungsreife Unterlagen nicht vorlägen.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1999 (eingegangen im Deutschen Patent- und Markenamt am 2. Juli 1999) legte der Anmelder Beschwerde ein und stellte "Antrag auf Wiedereinsetzung" (in den ursprünglichen Verfahrensstand vor der anberaumten Anhörung). Zur Begründung führte der Anmelder aus, daß ihn die Ladung zur Anhörung "definitiv nicht erreicht habe". Denn die Briefkastenanlage seines Hauses sei in einem sehr unsicheren Zustand und einige Briefkästen seien bereits mit Gewalt aufgebrochen worden. Zur Glaubhaftmachung legte er eine Bestätigung des Hauswarts J. Roß vor. Im Hinblick auf den im Zurückweisungsbeschluß angezogenen Mangel im Patentanspruch 1 ersetzte der Anmelder das Bezugszeichen "2" durch das Bezugszeichen "Figur 2".
Der Anmelder beantragt sinngemäß, 1. den angefochtenen Beschluß aufzuheben und - falls erforderlich - das Prüfungsverfahren im Stand vor der mündlichen Verhandlung fortzusetzen.
2. die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet unter Berücksichtigung der vom Anmelder beantragten Bezugszeichenänderung:
"Verfahren zum Automatisieren des Rangierbetriebes von schienengebundenen, Güterwagen, ausgestattet mit einer Steuereinheit (Fig. 2) und einer Bremseinrichtung (12) zur Verwendung auf Rangieranlagen mit Ablaufanlage und Richtungsgleisen (Fig. 3) wobei die Wagen beim Durchlaufen der Ablaufzone (41) auf eine vorprogrammierbare und für alle Abteilungen möglichst gleichmäßige Ablaufgeschwindigkeit (vabl) abgebremst werden, dadurch gekennzeichnet, a) daß die vorgebbare Ablaufgeschwindigkeit (vabl) dem Geschwindigkeitsverlauf eines frei und ungebremst ablaufenden Wagens mit einem erhöhten Laufwiderstand (Schlechtläufer) möglichst angenähert ist, wobei anstelle der Soll-Ablaufgeschwindigkeit (vabl) auch eine Soll-Beschleunigung (asoll) verwendbar ist, b) daß bei einer Annäherung der Wagen in der Ablaufzone (41) eine Abstandregelung (28) die Einhaltung eines Mindestabstandes für das ungehinderte Umstellen der Weichen zwischen den Wagen bewirkt, wobei der Wagenabstand durch einen Abstandssensor (5) erfaßt und die Abstandsregelung (28) auf die Bremseinrichtung (12) einwirkt, c) daß die einzelnen Wagen oder Abteilung beim Erreichen oder Durchlaufen der Richtungsgleise (42) durch eine Steuereinheit (Fig. 48) auf eine zulässige Geschwindigkeit abgebremst werden, die so bemessen ist, daß die Abteilungen unter Berücksichtigung der erreichbaren Bremsverzögerung innerhalb der Reichweite eines Abstandssensors (5) auf eine sichere Kuppelgeschwindigkeit abgebremst werden können, wobeid) die zulässige Geschwindigkeit der Wagen um so höher zu wählen ist, je größer die erreichbare Bremsverzögerung ist, e) die zulässige Geschwindigkeit um so höher zu wählen ist, je größer die Reichweite des Abstandsensors (5) ist undf) die zulässige Geschwindigkeit um so niedriger zu wählen ist, je größer die Verzögerungszeit der Wagenbremsen ist."
Der Anmelder vertritt die Ansicht, durch die vorgenommenen Änderungen sei der von der Prüfungsstelle in ihrem Beschluß beanstandete Mangel behoben.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat mit dem geänderten Patentbegehren insoweit Erfolg, als der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse B 61 L des Deutschen Patent- und Markenamts ohne Sachentscheidung aufzuheben war, da das Patent- und Markenamt in der Sache selbst noch nicht entschieden hat (PatG § 79 Abs 3 S 1).
Durch die vom Anmelder vorgenommene Änderung im Patentanspruch 1 ist der im Zurückweisungsbeschluß des Deutschen Patent- und Markenamts angezogene Mangel behoben.
Da die Prüfungsstelle zu den vom Anmelder mit Schreiben vom 5. Februar 1998 eingereichten Unterlagen bisher sachlich nicht Stellung genommen hat und das Prüfungsverfahren nach der erfolglosen Ladung zur Anhörung abgebrochen hat, ist das Prüfungsverfahren aufgrund der Beschwerde des Anmelders fortzusetzen. Die sachkundige und hierfür zuständige Stelle ist das Deutsche Patent- und Markenamt.
Der Senat sieht sich jedoch nicht veranlaßt, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen (PatG § 80 Abs 3). Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr erfolgt nach ständiger Rechtsprechung, wenn dies der Billigkeit entspricht (vgl Busse, PatG, 5. Aufl, § 80 Rdn 95 mwN, Schulte, PatG, 5. Aufl, § 80, Rdn 28 mwN). Das ist der Fall, wenn die Beschwerde bei sachgemäßer Behandlung durch das DPMA vermeidbar gewesen wäre (vgl Busse, aaO).
Die Sachbehandlung durch das DPMA ist jedoch sachgerecht erfolgt. Die Ladung zur mündlichen Anhörung (PatG § 46 ist ordnungsgemäß durch (Ersatz-)Zustellung (PatG § 127, VwZG § 1 Abs 3, Hausverfügung des Präsidenten DPMA Nr 10 vom 25. Oktober 1972) in Form der Niederlegung bei der Postanstalt erfolgt. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist die Benachrichtigung "in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise" (vgl ZPO § 182) abgegeben, also in den Briefkasten eingeworfen worden. Daß dies wegen der Unsicherheit des Hausbriefkastens "untunlich" gewesen und daher eine andere Form der Benachrichtigung veranlaßt gewesen sei (vgl ZPO § 182 aE), hat der Anmelder erst nachträglich mitgeteilt.
Wenn, wie die Bestätigung des Hauswartes ausweist, in der außerhalb des Hauses angebrachten und frei zugänglichen Briefkastenanlage wiederholt Briefkästen aufgebrochen oder Postsendungen aus den Briefkästen entwendet worden waren, konnten vom Anmelder Maßnahmen erwartet werden, die geeignet waren, die Sicherheit des Empfangs von Postsendungen zu gewährleisten, sei es durch Maßnahmen über die Hausverwaltung oder durch frühzeitige Mitteilung an den jeweiligen Absender. Bei genügender Sorgfalt (ordnungsgemäßer Briefkasten, vgl dazu Schulte, aaO, § 123 Rdn 34 mwN zum Fall der Wiedereinsetzung) hätte der mögliche Verlust der Ladung vermieden werden können. Der Grundsatz der Billigkeit vermag die Erfüllung der Sorgfaltspflicht nicht zu ersetzen, selbst wenn die Billigkeitsgründe "in der Sphäre des Anmelders liegen" können (vgl Schulte, aaO, § 73 Rdn 37 ohne nähere Begründung). Denn nicht der Absender, hier das DPMA, sondern nur der Empfänger konnte dafür sorgen, daß den Mängeln der Briefkastenanlage abgeholfen wurde.
Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Dr. Kaminskiprö
BPatG:
Beschluss v. 30.10.2000
Az: 19 W (pat) 32/99
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