Landgericht Köln:
Urteil vom 11. September 2008
Aktenzeichen: 31 O 209/08

(LG Köln: Urteil v. 11.09.2008, Az.: 31 O 209/08)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wird abgelehnt.

Tatbestand

Die Klägerin zu 1. bietet im Internet die Teilnahme an Sportwetten, Casinospielen und Lotterien an. Für jenes Geschäft sind ihr seitens der Regierung von Gibraltar diverse Lizenzen erteilt worden. Über die Genehmigung einer deutschen Behörde für das auch in Deutschland abrufbare Glücksspiel- und Wettangebot verfügt die Klägerin zu 1. nicht. Der Kläger zu 2. war Direktor der Klägerin zu 1., bis er im Dezember 2007 zurückgetreten und aus dem Unternehmen letzterer ausgeschieden ist. Mit der vorliegenden Klage wenden sich die Kläger gegen die Zwangsvollstreckung aus gegen sie ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, mit denen ihnen die glücksspielwirtschaftliche Betätigung in Deutschland untersagt worden ist.

Auf die Klage der Beklagten ist den Klägern mit Urteil des Landgerichts Köln vom 02. 02.2006 - 31 O 605/04 - unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt worden, in der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Glücksspiele und/oder Sportwetten ohne behördliche Erlaubnis anzubieten und/ oder zu bewerben. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Kläger verstießen gegen die §§ 284, 287 StGB, indem sie in Deutschland ohne die Erlaubnis einer zuständigen inländischen Behörde öffentlich Glücksspiele veranstalteten. Da der in jenen Strafvorschriften vorgesehene Vorbehalt einer inländischen Erlaubnis als solcher aus dem übergeordneten Interesse der Allgemeinheit, den Gefahren der Spielleidenschaft und - sucht entgegen zu wirken, gerechtfertigt sei, könne dahinstehen, ob die zur Zeit der landgerichtlichen Entscheidung gültigen bundes- und landesrechtlichen Regelungen zur konkreten Ausgestaltung der Erlaubniserteilung und verfassungs- und/ oder europarechtswidrig seien. Die Gewährung des von den Klägern beantragten Vollstreckungsschutzes hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, die Kläger hätten keine unersetzlichen Nachteile aus der Vollstreckung dargetan; zudem habe die Beklagte ein die Klägerbelange überwiegendes Vollstreckungsinteresse.

Nach Verkündung des - von den Klägern nachfolgend mit der Berufung angefochtenen - Urteils des Landgerichts Köln hat das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde mit Urteil vom 28.03.2006 - 1 BvR 1054/01 - (GRUR 2006, 688 ff. - "Oddset") ein im bayerischen Staatslotteriegesetz geregeltes staatliches Monopol für Sportwetten für unvereinbar mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit erklärt. Die Entscheidung ist damit begründet worden, dass die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte gewerbliche Veranstaltung von Sportwetten durch private Wettunternehmen unverhältnismäßig beschränkt werde, da das in Bayern bestehende staatliche Wettmonopol in seiner gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung nicht konsequent und tatsächlich an dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet sei. Nichts desto trotz hat das Bundesverfassungsgericht die angegriffene gesetzliche Regelung nicht für nichtig erklärt, sondern dem Gesetzgeber für die Neuregelung eines konsequent an der Spielsuchtbekämpfung ausgerichteten Wettmonopols eine Frist bis zum 31.12.2007 eingeräumt. Für die Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bleibe die bisherige Rechtslage, so das Bundesverfassungsgericht, mit der Maßgabe anwendbar, dass der Freistaat Bayern unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft sowie der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herzustellen habe. Ergänzend hat das Bundesverfassungsgericht sodann mit Beschluss vom 02.08.2006 - 1 BvR 2677/04 - (WM 2006, 1646 f.) entschieden, dass die im vorgenannten Urteil vorgenommene Beurteilung auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen wegen der dort vergleichbaren damaligen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols gleichermaßen zutreffe.

In der Folgezeit hat das Oberlandesgericht Köln die Berufung der Kläger gegen die Unterlassungsentscheidung des Landgerichts Köln vom 02.02.2006 mit Urteil vom 14.09. 2007 - 6 U 63/06 - mit der Begründung zurückgewiesen, das Angebot und die Bewerbung von Sportwetten verstoße gegen § 284 StGB in Verbindung mit § 1 SportwettenG NW. Dabei hat das Berufungsgericht die Ansicht vertreten, das in den §§ 1, 2 SportwettenG NW normierte staatliche Wettmonopol sei bis zum Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht bis Ende 2007 eingeräumten Übergangsfrist anwendbar. Angesichts des der Beklagten vom Land NRW im April 2006 aufgegebenen Maßnahmen sei nicht erkennbar, dass die in der Vergangenheit verfassungs- und europarechtswidrigen tatsächlichen Verhältnisse fortbestünden. Die Kläger haben gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Das OLG Köln hatte den Klägern in seinem Urteil vom 14.09.2007 gestattet, die Vollstreckung des für vorläufig vollstreckbar erklärten Unterlassungstenors durch Sicherheitsleistung abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leiste. Der abermals gestellte Vollstreckungsschutzantrag der Kläger ist vom Berufungsgericht mit der Begründung abgelehnt worden, zu erwartende wirtschaftliche Einbußen der Kläger lägen in der Natur der Sache und könnten allein kein Anlass sein, diesen das Recht einzuräumen, ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der - ein überwiegendes Interesse an der Unterbindung der rechtswidrigen Wettangebote besitzenden - Beklagten die Zwangsvollstreckung abzuwenden. Nachdem die Kläger in der Folgezeit von der Abwendungsbefugnis Gebrauch gemacht haben, hat die Beklagte die Gegensicherheit gestellt. Den daraufhin von den Klägern gestellten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 13.03.2008 - I ZR 156/07 - unter Verweis darauf abgelehnt, dass die Kläger es versäumt hätten, den im Berufungsrechtszug gestellten Vollstreckungsschutzantrag substanziiert zu begründen.

Nach Verkündung des Berufungsurteils des Oberlandesgerichts Köln hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.11.2007 - 1 BvR 2218/06 - (NVwZ 2008, 301 ff.) seine Rechtsprechung in einem weiteren Verfassungsbeschwerdeverfahren dahin ergänzt, dass jedenfalls bis zu seinem Urteil vom 28.03.2006 eine ordnungsbehördliche Untersagungsverfügung nicht auf einen Verstoß gegen die verfassungswidrigen Vorschriften über das staatliche Wettmonopol in Verbindung mit dem mit jenen Regelungen zusammen wirkenden Repressivverbot nach § 284 StGB gestützt werden dürfe. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 14.02.2008 - I ZR 13/06 - (GRUR 2008, 438 ff. - "ODDSET") entschieden, dass die private Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten vor dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 nicht wegen Verstoßes gegen § 284 StGB als unlautere Wettbewerbshandlungen zu bewerten sei. Da die gesetzlichen Regelungen zum staatlichen Wettmonopol mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar gewesen seien und die Niederlassungsfreiheit sowie den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 43, 49 EGV) ungerechtfertigt beschränkt hätten, könne die Strafvorschrift des § 284 StGB, die zumindest in der Vergangenheit Teil der Gesamtregelung des staatlichen Wettmonopols gewesen sei, nicht zur Anwendung gelangen.

Seit dem 01.01.2008 ist ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft getreten, den die Bundesländer - auch Nordrhein-Westfalen - ratifiziert haben.

Die Klägerin meint, die Zwangsvollstreckung aus dem vom LG Köln ausgesprochenen und vom OLG Köln bestätigten Unterlassungsgebot sei gemäß den - auch auf anfechtbare Entscheidungen anwendbaren - §§ 79 Abs. 2 S. 2, 3 BVerfGG, 767 Abs. 2 ZPO analog unzulässig. Die vom OLG Köln in seinem Berufungsurteil herangezogene Strafvorschrift des § 284 StGB sei nach dem später ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.11.2007 unanwendbar, soweit sie der Durchsetzung des verfassungswidrigen staatlichen Wettmonopols diene. Im Übrigen sei die vom BVerfG eingeräumte und vom OLG Köln argumentativ aufgegriffene Geltungsdauer der bisherigen Rechtslage Ende des Jahres 2007 abgelaufen.

Deshalb sei die Vollstreckung jedenfalls bei unmittelbarer Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil das OLG Köln seiner Entscheidung eine Rechtslage zu Grunde gelegt habe, die nun keine Gültigkeit mehr habe. Nach der neuen Rechtslage existiere keine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG, die den Ausspruch eines bundesweiten Unterlassungsgebots rechtfertigen könne. § 284 StGB komme angesichts der von den obersten Gerichten betonten Abhängigkeit von den landesrechtlichen Verwaltungsrechtsnormen kein eigenständiger Verbotsgehalt mehr zu. Demgegenüber verfolgten der neue Glücksspielstaatsvertrag sowie die Ausführungsgesetze der Länder - die den dortigen Landeslottogesellschaften eine wirtschaftliche Betätigung ausschließlich auf dem Territorium des jeweiligen Landes einräumten - das außerhalb des Wettbewerbsrechts liegende sozialstaatliche Ziel der Suchtbekämpfung im jeweiligen Bundesland. Im Übrigen verstießen auch die Regelungen des neuen Glücksspielstaatsvertrags gegen die Berufsfreiheit privater Wettanbieter aus Art. 12 Abs. 1 GG und gegen die in den Art. 43, 49 EGV geregelte gemeinschaftsrechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.

Jedenfalls aber sei das Gericht aus Art. 10 EGV gehalten, zur Vermeidung der Verletzung der vorgenannten Grundfreiheiten des EG-Vertrags die Vollstreckung notfalls unter Außerachtlassung nationaler Vorschriften auszusetzen.

Der Kläger zu 2. meint weiter, gegen ihn gerichtete Vollstreckungsmaßnahmen seien auch deshalb unzulässig, weil in Folge seines Ausscheidens aus dem Unternehmen der Klägerin zu 1. wettbewerbsrechtliche Unterlassungsverbindlichkeiten entfallen seien.

Die Kläger beantragen,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 14.09.2007 - 6 U 63/06 - und aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 02.02.2006 - 31 O 605/ 04 - für unzulässig zu erklären,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 14.09.2007 - 6 U 63/06 - und aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 02.02.2006 - 31 O 605/ 04 - einstweilen, notfalls gegen Sicherheitsleistung, einzustellen.

Die Beklagte beantragt,

wie erkannt.

Sie meint, der Zulässigkeit eines durch entsprechende Vollstreckungsgegenklage durchsetzbaren Vollstreckungsverbots aus § 79 Abs. 2 S. 2, 3 BVerfGG stehe entgegen, dass das Urteil des OLG Köln angefochten und noch nicht rechtskräftig sei. Auch in der Sache sei das Berufungsurteil nicht zu beanstanden, da die herangezogene Rechtslage in der Übergangszeit bis zum 31.12.2007 wegen der zwischenzeitlichen faktischen Ausrichtung des staatlichen Glücksspielmonopols am Ziel der Suchtbekämpfung und Begrenzung der Wettleidenschaft verfassungs- und europarechtskonform gewesen sei. Gleiches gelte für den danach in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag und die zugehörigen Ausführungsgesetze der Länder.

Für die Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage unmittelbar aus § 767 ZPO fehle den Klägern schon das Rechtsschutzbedürfnis, da der geltend gemachte Wandel der Rechtsprechung ebenso wie die Änderung der Gesetzeslage auch im anhängigen weiterreichenden Revisionsverfahren zu beachten seien. Durch die begehrte Erklärung der Zwangsvollstreckung für unzulässig würde die rechtliche Prüfung des Revisionsgerichts indes vorweggenommen und dem vom BGH auf seine Richtigkeit zu überprüfenden Vollstreckungstitel im vorhinein - selbst bei Zurückweisung der Revision - jegliche Bedeutung genommen. Abgesehen davon sei der ihr, der Beklagten, vom OLG Köln zugesprochene Unterlassungsanspruch in der Sache auch nach der neuen Rechtslage unter Geltung des Glücksspielstaatsvertrags begründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Vollstreckungsabwehrklagen bleiben ohne Erfolg.

Soweit sich die Kläger darauf berufen, das OLG Köln habe in seinem Berufungsurteil die Strafvorschrift des § 284 StGB in einer Weise ausgelegt, die das BVerfG in seinem Beschluss vom 22.11.2007 für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt habe, sind ihre Klagen unzulässig.

Die Regelungen der §§ 79 Abs. 2, 95 Abs. 3 S. 3 BVerfGG sehen die Möglichkeit einer Vollstreckungsabwehrklage analog § 767 ZPO bei Entscheidungen vor, die auf einer Norm beruhen, welche das BVerfG auf eine Verfassungsbeschwerde hin für nichtig erklärt hat. Entsprechendes gilt nach Sinn und Zweck des § 79 BVerfGG, wenn die in Rede stehende Entscheidung auf der Auslegung einer vom BVerfG für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Norm beruht (vgl. BVerfGE 115, 51, 65 f.). Ein Vollstreckungsschutz aus § 79 BVerfGG kommt allerdings durchweg nur in Betracht, wenn die in Rede stehende Entscheidung unanfechtbar ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben, da die Kläger gegen das Berufungsurteil des OLG Köln vom 14.09.2007 Revision eingelegt haben.

Entgegen der Ansicht der Kläger ist § 79 BVerfGG auf nicht rechtskräftige Urteile wie die vorliegenden des LG Köln und OLG Köln unanwendbar. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, der mit der Formulierung "aus einer solchen Entscheidung" auf die in § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG angeführten "nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen" Bezug nimmt. Auf die Erfassung ausschließlich rechtskräftiger Entscheidungen in § 79 Abs. 2 BVerfGG deutet weiter § 79 Abs. 1 BVerfGG hin, der die Wiederaufnahme des Verfahrens bei rechtskräftigen Strafurteilen auf der Basis grundgesetzwidriger oder verfassungswidrig ausgelegter Normen regelt. Nach ihrer Gesamtsystematik befasst sich die Vorschrift des § 79 BVerfGG demnach mit der Rechtsbeständigkeit von Normvollzugsakten, die bei mangelnder vollständiger Durchsetzung nicht mehr vollstreckt werden sollen. § 79 BVerfGG ist insoweit der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass eine Entscheidung des BVerfG grundsätzlich keine Auswirkungen auf unanfechtbar gewordene fehlerhafte Entscheidungen der öffentlichen Gewalt haben soll, dass aber für die Zukunft die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung der verfassungswidrigen Entscheidungen ergebenden Folgen abgewendet werden sollen (vgl. BVerfGE 115, 51, 62 f.; 20, 230, 236; Lechner/Zuck, 5. Auflage, § 79 BVerfGG Rn. 3).

Demgegenüber besteht für denjenigen, der - wie vorliegend die Kläger - den Eintritt der Rechtsbeständigkeit erfolgreich verhindert hat, das Primat des Primärrechtsschutzes (vgl. Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 51, 57). Eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 S. 2, 3 BVerfGG auf jene Sachlage ist auch zur Vermeidung verfassungswidriger Ungleichbehandlungen nicht geboten. Das Vorliegen eines anfechtbaren Urteils schafft nach der Gesetzeslage keine mit der Existenz eines rechtskräftigen Urteils vergleichbare Situation, die nach Normzweck und Interessenlage des Betroffenen die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 79 BVerfGG auch in ersterem Fall angezeigt erscheinen lassen könnte. Dem durch ein noch nicht rechtskräftiges Urteil Beschwerten stehen - anders als im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung - diverse zivilprozessuale Möglichkeiten zur Verfügung, um die Vollstreckung des aus seiner Sicht auf einer grundgesetzwidrigen Norm(auslegung) beruhenden Titels zu verhindern oder die damit verbundenen Nachteile jedenfalls abzumildern. So hat er die Möglichkeit, sich gegen den ergangenen Titel unter Berufung auf die Verfassungswidrigkeit der herangezogenen Norm(auslegung) mit den Rechtsmitteln der Berufung sowie der Revision zur Wehr zu setzen und den Vollstreckungstitel auf diese Weise selbst zu beseitigen. Zudem sind die Nachteile aus einer ungerechtfertigten Vollstreckung eines nur für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils durch die vom Gläubiger regelmäßig nach den §§ 709, 711 ZPO zu leistende Sicherheit verringert. Darüber hinaus sieht die Zivilprozessordnung in den §§ 712, 719 ZPO die Möglichkeit von Vollstreckungsschutzanträgen vor. Schließlich sind in § 717 Abs. 2, 3 ZPO Schadensersatzansprüche und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung für den Fall geregelt, dass ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird.

Dann aber steht den Klägern mit der eingelegten Revision eine hinreichende prozessuale Möglichkeit zur Verfügung, die Verfassungswidrigkeit der vom OLG Köln gewählten Auslegung des § 284 StGB geltend zu machen und die Aufhebung des vollstreckbaren Unterlassungstitels zu erreichen. Dass sie den in der Berufungsinstanz gestellten Vollstreckungsschutzantrag nicht hinreichend substanziiert begründet haben und ihnen vom BGH deshalb kein Vollstreckungsschutz gewährt worden ist, fällt in den alleinigen Verantwortungsbereich der Kläger.

Soweit die Kläger ihre Vollstreckungsabwehrklagen unter dem Gesichtspunkt einer zwischenzeitlich neuen Gesetzeslage unmittelbar auf § 767 ZPO stützen, sind die Klagen ebenfalls unzulässig.

Die Kläger haben in Anbetracht der eingelegten Revisionen kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Rechtmäßigkeit des Unterlassungstitels nach nunmehr geltendem Recht in einem gesonderten Klageverfahren gegen die Vollstreckbarkeit jenes Titels überprüft wird. Sie leiten eine geänderte Situation daraus her, dass die dem Urteil des OLG Köln zu Grunde liegende Rechtslage entfallen und an ihre Stelle der - nach Einschätzung der Klägerin ebenfalls verfassungs- und europarechtswidrige - neue Glücksspielstaatsvertrag getreten ist. Eben jene neue Gesetzeslage (und ihre Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtskonformität) muss der BGH im Revisionsverfahren von Amts wegen bei der Frage zu prüfen, ob das ausgesprochene Verbot des Angebots und der Bewerbung von Glücksspielen durch die - im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 28.03.2006 nach wie vor in Deutschland gewerblich tätigen - Kläger aufrecht zu erhalten ist. Ein geltend gemachter wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch besteht bei einer Änderung der Rechtslage nur, wenn das beanstandete Verhalten nicht nur nach dem damals gültigen Recht, sondern auch nach dem im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung gültigen Recht wettbewerbswidrig ist (vgl. BGH GRUR 2008, 438, 439/441 - "ODDSET"). Insoweit deckt sich der Prüfungsmaßstab im Rahmen der vorliegenden Vollstreckungsabwehrklage mit demjenigen im anhängigen Revisionsverfahren, wobei in letzterem der Vollstreckungstitel selbst bekämpft und damit ein weitergehendes Ziel verfolgt wird. In einem solchen Fall fehlt dem das Urteil mit Rechtsmitteln Anfechtenden das Rechtsschutzinteresse an einer Vollstreckungsabwehrklage (vgl. Münzberg in: Stein/Jonas, 22. Auflage, § 767 ZPO Rn. 41; Schmidt in: Münchener Kommentar, 3. Auflage, § 767 ZPO Rn. 14). Soweit teilweise angenommen wird, dass eine Vollstreckungsabwehrklage auch während eines anhängigen Revisionsverfahrens durchgeführt werden kann (vgl. Kindl in: Saenger, 2. Auflage, § 767 ZPO Rn. 7; Schmidt a.a.O. Rn. 17; Herget in: Zöller, 26. Auflage, § 767 ZPO Rn. 16), beruht dies auf der Erwägung, dass mit der Revision nur die Verletzung von Rechtsvorschriften gerügt werden kann, während die Vollstreckungsabwehrklage auf der Entstehung neuer Tatsachen basiert (vgl. Schmidt a.a.O.). Im vorliegenden Fall unterscheiden sich die prozessualen Einwendungen nach Art, Inhalt und Umfang jedoch gerade nicht.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Der BGH hat es in seiner Entscheidung vom 09.07.1998 - IX ZR 272/96 (NJW 1998, 2972) unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO zwar zugelassen, dass der Beklagte des Erkenntnisverfahrens die Einrede der Verjährung (die in prozessual relevanter Weise noch im Revisionsverfahren hätte erhoben werden können) erstmals im Rahmen der dem Revisionsverfahren nachfolgenden Vollstreckungsabwehrklage erhoben hat. Im dortigen Fall war ein gleicher Prüfungsumfang von Revisions- und erstinstanzlichem Prozessgericht (anders als vorliegend) mangels Erhebung der Einrede der Verjährung im Revisionsverfahren aber gerade nicht gewährleistet.

Ebenso bleibt der Vollstreckungsabwehrklage des Klägers zu 2. gemäß § 767 ZPO der Erfolg versagt, soweit er diese darauf stützt, dass er als Direktor der Klägerin zu 1. zurückgetreten und aus deren Unternehmen ausgeschieden ist. Auch diesbezüglich fehlt dem Kläger zu 2. das Rechtsschutzinteresse, da er jenen (als solchen bislang unstreitigen) Umstand in prozessual zulässiger Weise noch in das laufende Revisionsverfahren einführen kann (vgl. dazu Gummer in: Zöller, § 559 ZPO Rn. 7).

Jedenfalls aber ist die Einwendung des Klägers zu 2. unbegründet. Die für den Unterlassungsanspruch der Beklagten erforderliche Wiederholungsgefahr ist nicht dadurch entfallen, dass der Kläger zu 2. derzeit nicht mehr Organ der Klägerin zu 1. ist und sich zwischenzeitlich nicht mehr mit der Bewerbung und dem Angebot von deren Glücksspielen befasst. Dieser Umstand schließt nicht aus, dass sich der Kläger zu 2. künftig wieder vergleichbaren geschäftlichen Aktivitäten widmet. So erfasst ein gegen einen gesetzlichen Vertreter ergangenes gerichtliches Unterlassungsgebot grundsätzlich auch spätere Handlungen, die dieser als Einzelkaufmann oder Mitarbeiter eines anderen Unternehmens begeht (vgl. Spätgens in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, 5. Auflage, Kap. 67 Rn. 29). Im Übrigen erscheint es ohne Weiteres denkbar, dass der Kläger zu 2. in Zukunft wieder in verantwortlicher Position bei der Klägerin zu 1. mitarbeitet.

Schließlich können die Kläger ein Vollstreckungshindernis auch nicht aus Art. 10 EGV herleiten. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die innerstaatlichen Gerichte den Rechtsschutz gewährleisten, um dem Gemeinschaftsrecht volle Wirksamkeit zu verschaffen (vgl. EuGH NJW 2271, 2272). Den Klägern steht in dem anhängigen Revisionsverfahren jedoch hinreichend Gelegenheit zur Verfügung, die Vereinbarkeit des Glücksspielstaatsvertrags und des Ausführungsgesetzes NRW mit den Art. 43, 49 EGV zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Darüber hinaus hatten sie die Möglichkeit, sich im Rahmen eines hinreichend begründeten Vollstreckungsschutzantrags auf die Europarechtswidrigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Unterlassungsurteil zu berufen. Dementsprechend hat sich auch der BGH nicht durch europarechtliche Vorgaben gehindert gesehen, den Vollstreckungsschutzantrag der Kläger mangels hinreichender Substanziierung der Schutzvoraussetzungen im Berufungsverfahren abzulehnen.

Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach den §§ 770, 769 ZPO kam nicht in Betracht. Voraussetzung dafür ist, dass bei Abwägung der wirtschaftlichen Interessen diejenigen der Antragsteller überwiegen (vgl. Herget in: Zöller, § 769 ZPO Rn. 6, § 707 ZPO Rn. 9 f.). Darlegungen der Kläger zu ihnen aus der Vollstreckung des Unterlassungstitels drohenden Nachteilen fehlen im vorliegenden Rechtsstreit. Soweit sie in dem an den BGH gerichteten Vollstreckungsschutzantrag auf die getätigten Investitionen und den mit einer Vollstreckung verbundenen Imageschaden abstellen, können diese Gesichtspunkte nicht mehr als schutzwürdige Belange der Kläger Berücksichtigung finden. Denn andernfalls würden die vom BGH an den Vollstreckungsschutzantrag gestellten Anforderungen an eine rechtzeitige Substanziierung ausgehebelt. Im Übrigen verdienen nach der gesetzlichen Regellage die Interessen der Beklagten, die zur Fortführung der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 400.000,00 EUR geleistet hat, den Vorrang.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert: 400.000,00 EUR






LG Köln:
Urteil v. 11.09.2008
Az: 31 O 209/08


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