Sozialgericht Marburg:
Beschluss vom 5. August 2011
Aktenzeichen: S 12 SF 69/11 E

(SG Marburg: Beschluss v. 05.08.2011, Az.: S 12 SF 69/11 E)

Die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG fällt dann nicht an, wenn sich der Vergleich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt. Dies ist auch der Fall, wenn ein Anerkenntnis in Form eines Vergleichs geschlossen wird und sich die "Mitwirkung" des klägerischen Rechtsanwalts auf die Frage beschränkt, ob Rechtsmittelfähigkeit bei der anerkannten Neubescheidung gegeben sei. Die Beratung im Hinblick auf die Annahme eines Anerkenntnisses löst aber keinen weiteren Gebührentatbestand aus bzw. ist bereits mit der Terminsgebühr abgegolten.

Tenor

Die Erinnerung vom 25.05.2011 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der zu erstattendenRechtsanwaltskosten und hierbei insbesondere um den Ansatz derEinigungsgebühr.

Die Klägerin und Antragstellerin erhob mit Schriftsatz ihresProzessbevollmächtigten vom 24.08.2010 Klage gegen dieHonorarbescheide für die Quartale II und III/05 und beantragte dieNeubescheidung. Auf Anfrage der Kammer erklärte die Klägerin mitSchriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.09.2010, die Klagewerde auf die vom Bewertungsausschuss abweichende Einbeziehung vonLeistungen in das Regelleistungsvolumen begrenzt.

Die Beklagte und Antragsgegnerin bot mit Schriftsatz vom24.09.2010 den Abschluss folgenden Vergleichs an:

1. Die Beklagte wird mit den Verbänden der Krankenkassen inHessen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung desBundessozialgerichts (Urteil vom 18. August 2010, Az.: B 6 KA 25/09R) eine Neuregelung im Honorarverteilungsvertrag vereinbaren unddie Klägerin auf Basis dieser Regelung insoweit neu bescheiden.

2. Die Beklagte trägt die Kosten dieses Rechtsstreits.

3. Der Rechtsstreit wird übereinstimmend für erledigterklärt.

Hierauf erwiderte die Klägerin mit Schriftsatz ihresProzessbevollmächtigten vom 07.10.2010, nur für den Fall, dass dieNeubescheidung rechtsmittelfähig sei, der Klageweg also eröffnetsei, sei sie mit dem Abschluss des Vergleichs einverstanden. Soferndie Neubescheidung nicht rechtsmittelfähig sei, rege sie an, dassVerfahren ruhend zu stellen, bis das entsprechende Zahlenwerkvorliegt. Hierauf erwiderte die Beklagte mit Schriftsatz vom01.11.2010, die im Vergleichsangebot genannte Neubescheidung werderechtsbehelfsfähig sein.

Die Klägerin erklärte daraufhin mit Schriftsatz ihresProzessbevollmächtigten vom 16.11.2010 die Annahme des Vergleichs.Auf Antrag der Klägerin stellte die Kammer mit Beschluss vom19.11.2010 den Vergleich fest.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 25.11.2010beantragte die Klägerin die Kostenfestsetzung. Der Urkundsbeamtesetzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.05.2011 die zuerstattenden Kosten 1.469,65 € fest. Die beantragteEinigungsgebühr nach Ziff. 1000 VV RVG wurde nicht festgesetzt. ImBeschluss heißt es hierzu unter Hinweis auf die Entscheidung desLSG Bayern € L 15 SF 169/10 B E €, diese Gebühr wäredann angefallen, wenn der Erledigung des Rechtsstreits durch dieanwaltliche Mitwirkung eine besondere Tätigkeit des Rechtsanwaltsim Sinne einer qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung bei derErledigung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidungvorausgegangen wäre. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habeunter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG vom 18.08.2010 diezum Ruhen verfügten Akten wieder aufgerufen, um sie einerabschließenden Erledigung zuzuführen. Die Beklagte habe sodannunverzüglich unter Beachtung der neuerlichen Rechtsprechung des BSGein Vergleichsangebot unterbreitet. Eine nicht unwesentlicheanwaltliche Mitwirkung im Sinne einer qualifizierten Tätigkeit zurBeilegung im nicht förmlichen Verfahren könne hierin jedoch nichtgesehen werden, die eine zusätzliche Gebühr auslöse.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz ihresProzessbevollmächtigten vom 23.05.2011 Erinnerung eingelegt. Sieträgt vor, der Vergleich habe erst durch eine qualifizierteMitwirkung ihres Prozessbevollmächtigten geschlossen werden können.Erst nach intensiver Rücksprache des Prozessbevollmächtigten mitihr sei die schriftliche Stellungnahme mit Schreiben vom 07.10.2010erfolgt. Sie habe die Sorge gehabt, dass sie im Rahmen derNeubescheidung eine Entscheidung akzeptieren müsse, deren Inhaltsie im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht kenne. Würde keinerechtsmittelfähige Neubescheidung erfolgen, hätte sie den Vergleichin keinem Fall abgeschlossen. Erst nach Klärung dieser Frage seider Vergleich zustande gekommen. Dies sei erst aufgrund deranwaltlichen Mitwirkung erfolgt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß

unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom05.05.2011 die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattendennotwendigen außergerichtlichen Kosten auf insgesamt 2.047,99 €festzusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss fürzutreffend. Nach den vom LSG Bayern festgelegten Anforderungen seidie Einigungsgebühr nicht angefallen.

II.

Die Beteiligten streiten allein noch um die Erstattung derEinigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG, 1,0-fach. Diese beträgt beidem hier maßgeblichen Streitwert von 10.000,00 € 486,00 €zzgl. 19 % Umsatzsteuer.

Die Gebühren werden im vorliegenden Verfahren nach dem Wertberechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat(Gegenstandswert). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach demVergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz (§ 2 Abs. 1 undAbs. 2 Satz 1 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen undRechtsanwälte <Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG>).

Eine Einigungsgebühr entsteht nach Nr. 1000 VV RVG u. a. für dieMitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oderdie Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es seidenn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf einAnerkenntnis oder einen Verzicht. Sie beträgt den Faktor 1,0anstatt 1,5, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtlichesVerfahren anhängig ist (Nr. 1003 VV RVG). Für die Festsetzbarkeiteiner Einigungsgebühr ist die Protokollierung eines alsVollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nicht erforderlich (vgl.BGH, Beschl. v. 15.03.2011 - VI ZB 45/09 - NJW 2011, 1680, jurisRdnr. 9 m.w.N.).

Diese Regelung weicht von der entsprechenden Regelung in § 23Abs. 1 der bei Erlass des RVG aufgehobenen BRAGO ab. Die in Abs. 1Satz 1 der aufgehobenen Bestimmung geregelte Vergleichsgebührverlangte die Mitwirkung beim Abschluss eines Vergleichs i.S.d. §779 BGB. Nach dieser Regelung liegt ein Vergleich nur vor, wenn derStreit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis€im Wege des gegenseitigen Nachgebens€ beseitig wird.Auf dieses Tatbestandsmerkmal kommt es für den Anfall derEinigungsgebühr nach dem RVG nicht mehr an. Durch diese Änderungwollte der Gesetzgeber die streitvermeidende oder -beendendeTätigkeit des Rechtsanwalts weiter fördern und damitgerichtsentlastend wirken. Es sollten zudem die bisher häufigenkostenrechtlichen Auseinandersetzungen über die Frage, ob einVergleich i.S.v. § 779 BGB vorliegt, vermieden werden. Allerdingsreicht es auch nach der Änderung nicht aus, wenn sich der Vertrag,an dessen Zustandekommen der Anwalt mitgewirkt hat,€ausschließlich€ auf ein Anerkenntnis oder einenVerzicht beschränkt. Das RVG nimmt damit Begriffe auf, wie sie inden §§ 306, 307 ZPO, die das Anerkenntnis- und das Verzichtsurteilregeln, verwendet werden. Daraus ist zu schließen, dass einevertragliche Regelung, die materiell-rechtlich keine weitergehendenWirkungen hat, als sie an ein Anerkenntnis- oder Verzichtsurteilgeknüpft werden, keine Einigungsgebühr auslöst. SonstigeVereinbarungen, durch die der Streit oder die Ungewissheit derParteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden, sollen jedochden Gebührentatbestand erfüllen (so BAG, Beschl. v. 29.03.2006 - 3AZB 69/05 - NJW 2006, 1997, juris Rdnr. 14 bis 16, jeweilsm.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Nr. 1002 VVRVG, die ähnlich eine Erledigung €durch die anwaltlicheMitwirkung€ verlangt und daher auch für die Auslegung der Nr.1000 VV RVG gilt, muss die anwaltliche Mitwirkung gerade kausal fürdie Erledigung der Rechtssache sein. Bereits das Wort€Mitwirkung€ bedeutet nach dem Sprachgebrauch in diesemZusammenhang mehr als die bloße €Anwesenheit€,€Einschaltung€ oder €Hinzuziehung€ einesRechtsanwalts und erfordert deshalb ein auf die Erledigung derRechtssache gerichtetes Tätigwerden, das über die reineWiderspruchseinlegung und -begründung hinausgeht (so BSG, Urt.07.11.2006 - B 1 KR 23/06 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 8 = NZS 2007,612 = JurBüro 2007, 584, juris Rdnr. 21; BSG, Urt. v. 05.05.2009 -B 13 R 137/08 R - JurBüro 2009, 481, juris Rdnr. 16 m.w.N.). DieErledigung des Rechtsstreits €durch die anwaltlicheMitwirkung€ setzt regelmäßig eine besondere Tätigkeit desRechtsanwalts voraus, die über die normale Prozessführunghinausgeht. Die Erledigungsgebühr ist eine Erfolgsgebühr, die dieEntlastung des Gerichts und das erfolgreiche anwaltliche Bemühen umdie Herstellung des Rechtsfriedens ohne Sachentscheidung desGerichts honoriert. Die €anwaltliche Mitwirkung€erfordert daher einen besonderen, nicht ganz unwesentlichen Beitragdes Rechtsanwalts zur Erledigung des Rechtsstreits ohne einegerichtliche Entscheidung. Dabei reichen für das Entstehen derErledigungsgebühr nicht schon Tätigkeiten aus, die durch andereGebühren wie etwa die Verfahrensgebühr oder die Terminsgebührhonoriert werden (so LSG Bayern, Beschl. v. 26.01.2011 - L 15 SF169/10 B E - Breith 2011, 588, juris Rdnr. 14 m.w.N.; s. a. LSGNordrhein-Westfalen, Beschl. v. 30.11.2009 - L 20 B 36/09 SO -juris Rdnr. 14). Dabei gehört es im Rahmen eines Gerichtsverfahrenszu den vom allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltlicheAuftreten im gerichtlichen Verfahren ohne Weiteres erfasstenAufgaben eines Rechtsanwalts, den Standpunkt seiner Parteibestmöglich vorzutragen und seinen Mandanten zu einemverfahrensmäßig angemessenen Vorgehen zu raten. Das bloße Einlenkender Behörde aufgrund schriftlicher oder mündlicher Ausführungen desAnwalts im Verfahren ist ebenso wenig für das Entstehen derErledigungsgebühr ausreichend wie die bloße Vornahme vonVerfahrenshandlungen. Dies gilt sowohl für die Erledigungserklärungeines Prozessbevollmächtigten, als auch für die Klageerhebung und-begründung, ungeachtet dessen ob es sich um eine Anfechtungs- oderVerpflichtungsklage handelt. Danach muss das Zutun des Anwalts aufdie materiell-rechtliche Erledigung des Rechtsstreits gerichtetsein; die bloße Mitwirkung an der formellen Beendigung desVerfahrens genügt in kostenrechtlicher Hinsicht nicht, um eineErledigungsgebühr zum Entstehen zu bringen (vgl. OVGMecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 05.05.2010 - 1 O 27/10 - jurisRdnr. 4 m.w.N.).

Die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV Ziff. 3. RVG entsteht auch,wenn das Verfahren vor dem Sozialgericht nach angenommenemAnerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Erinnerungzurückzuweisen.

Die Einigungsgebühr fällt dann nicht an, wenn sich der Vergleichausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt.Nach dem Regelwerk der Gebührenordnungsposition fällt stattdessendie Terminsgebühr an, auch dann, wenn keine mündliche Verhandlungstattgefunden hat und sich das Verfahren im schriftlichen Verfahrenerledigt hat. Die Terminsgebühr entsteht nicht nur dann, wenn ineinem Verfahren die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist unddieses Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird oderin einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossenwird oder durch Gerichtsbescheid entschieden wird, sondern auchdann, wenn das Verfahren durch angenommenes Anerkenntnis ohnemündliche Verhandlung endet. Der Gesetzgeber bringt damithinreichend zum Ausdruck, dass ein Vergleich, der lediglich einAnerkenntnis beinhaltet, nur zusätzlich mit der Terminsgebühr zuhonorieren ist, nicht jedoch weitergehend mit der Einigungsgebühr.Dies ist offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass aufgrund dermitursächlichen Mitwirkung an einem Vergleich der Gesetzgeber davonausgeht, dass ein weiterer Arbeitsanfall entsteht, der entsprechendzu honorieren ist. Die bloße Beratung hinsichtlich der Annahmeeines Anerkenntnisses löst damit keinen weiteren Gebührentatbestandaus.

Vorliegend handelt es sich aber bei dem Vergleichsangebotseitens der Beklagten materiell um ein Anerkenntnis. Die Klage warbereits vor Abgabe des Vergleichsangebots auf eine Neubescheidungausschließlich im Hinblick auf die Nichtbeachtung der Vorgaben desBewertungsausschusses begrenzt. Entsprechend verpflichtete sich dieBeklagte zur Neubescheidung. Die im Vergleichsangebot enthalteneEntscheidung des Bundessozialgerichts betrifft gerade die Frage derBeachtung der Vorgaben des Bewertungsausschusses. Die Beklagte hatdann mit dem Vergleichsangebot das anerkannt, was die Klägerindurch die Klage erreichen wollte. Ungeachtet der Formulierung alsVergleich ist dies ein Anerkenntnis, dem die Beklagte auch durchdie volle Übernahme der Kosten Rechnung getragen hat. Die einfacheNachfrage der Klägerin durch Schriftsatz ihresProzessbevollmächtigten hinsichtlich der Bestandskraft hatlediglich der Klarheit bzw. des Verständnisses desVergleichsangebots gedient und hat auch nicht zu einerentsprechenden Änderung geführt. Von daher handelt es sich hierbeilediglich um eine Rückfrage zum Verständnis des Vergleichs undnicht um eine Mitwirkung am Abschluss dieser Einigung. DieseKlarstellung diente auch der Einschätzung der Klägerin, ob sie dasVergleichsangebot annehmen würde. Die Beratung im Hinblick auf dieAnnahme eines Anerkenntnisses löst aber keinen weiterenGebührentatbestand aus bzw. ist bereits mit der Terminsgebührabgegolten.

Nach allem war der Erinnerung der Klägerin undErinnerungsführerin nicht stattzugeben und der Antragabzuweisen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).






SG Marburg:
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Az: S 12 SF 69/11 E


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