Bundespatentgericht:
Urteil vom 8. Juli 2004
Aktenzeichen: 2 Ni 27/03
(BPatG: Urteil v. 08.07.2004, Az.: 2 Ni 27/03)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 655 543 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass in der deutschen Fassung von Anspruch 1 in der Wortfolge "1. Aufbau zur mechanischen Verbindung einer Platte" das Wort "Platte" ersetzt wird durch das Wort "Gebäudefassadenplatte".
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 9/10, die Beklagte trägt 1/10.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar, jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand
Die Beklagte, die früher als Ç S... È firmierte, ist eingetragene In- haberin des am 25. November 1994 unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom 30. November 1993 (FR 93 14 338) angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 655 543 (Streitpatent). Das Schutzrecht dessen Erteilung am 2. Juli 1997 in der Verfahrenssprache Französisch veröffentlicht wurde und dessen deutscher Teil beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. DE 694 04 016 geführt wird, betrifft eine "mechanische Verbindung zwischen einer Glasscheibe und einer Tragestruktur". Es umfasst 20 Ansprüche, wobei der allein angegriffene Anspruch 1 in der maßgeblichen französischen Fassung folgenden Wortlaut hat:
Ç 1. Ensemble de liaison mecanique, notamment par accrochage selon un plan substantiellement vertical, d'une plaque, notamment d'un element vitre (1, 4, 18, 19, 40, 41, 42) sur une structure porteuse, ladite liaison autorisant un mouvement de flexion d'amplitude contrlee de ladite plaque à l'aide d'un système de fixation articulee comportant:
- au moins un element (6, 20, 43, 53) definissant une cavite receptrice (9, 24) munie d'une zone arrondie,
- un element porteur comportant une tige (11, 31, 45) susceptible d'être reliee à structure porteuse, ladite tige s'achevant à l'une de ses extremites en une tête elargie (10, 25, 46) comportant une surface laterale globalement arrondie, tête apte à se loger dans la cavite, caracterise en ce qu'il est prevu un jeu entre la tête elargie et sa cavite receptrice, autorisant le basculement de la plaque autour de son point d'appui (P) sur ledit système par mouvement pendulaire et avec peu de frottements entre les pièces mecaniques du système. È
Die Streitpatentschrift gibt die deutsche Übersetzung von Anspruch 1 wie folgt an:
"1. Aufbau zur mechanischen Verbindung einer Platte, speziell einer Verglasung (1, 4, 18, 19, 40, 41, 42), mit einer Tragstruktur insbesondere durch Verankerung in einer im wesentlichen vertikalen Ebene, wobei diese Verbindung eine Biegebewegung mit kontrollierter Amplitude der Platte mittels eines gelenkigen Befestigungssystems zuläßt, welches - mindestens ein Element (6, 20, 43, 53), das einen mit einem abgerundeten Bereich versehenen Aufnahmehohlraum (9, 24) bildet, und - ein Tragelement umfaßt, das eine Stange (11, 31, 45) enthält, die mit der Tragstruktur verbunden werden kann und an einem Ende in einen verdickten Kopf (10, 25, 46) ausläuft, der eine insgesamt abgerundete Seitenfläche besitzt und in der Lage ist, vom Hohlraum aufgenommen zu werden, dadurch gekennzeichnet, daß zwischen dem verdickten Kopf und seinem Aufnahmehohlraum ein Spiel vorgesehen ist, welches das Schwenken der Platte um ihren Auflagepunkt (P) auf dem System durch eine Pendelbewegung und mit geringer Reibung zwischen den mechanischen Bauteilen des Systems ermöglicht."
Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 20 in französischer und deutscher Sprache wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
Mit ihrer Teilnichtigkeitsklage macht die Klägerin den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit geltend. Sie führt aus, der Gegenstand der vermeintlichen Erfindung sei mit Rücksicht auf nachfolgenden Stand der Technik - EP 0 201 212 (D1)
- Artikel "Hinterschnittanker für verdeckte Fassadenbefestigung" aus der Zeitschrift Naturstein, Ausgabe 2/92, Ebner Verlag GmbH, Seiten 17 bis 19 (D2)
- Zulassungsbescheid des Instituts für Bautechnik, Berlin, vom 12. November 1992 (D3)
- DE 35 20 778 A1 (D4)
nicht schutzfähig, da er gegenüber dem in D2 bzw D3 offenbarten Hinterschnittanker, der ebenfalls ein Spiel zwischen dem einen Ende des Spreizdübels und seinem Aufnahmehohlraum erlaube, nicht neu sei. Zumindest beruhe er nicht auf erfinderischer Tätigkeit, insofern er dem Fachmann durch die genannten Entgegenhaltungen nahegelegt gewesen sei.
Die Klägerin beantragt daher, das europäische Patent 0 655 543 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seines Anspruchs 1 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte verteidigt den Anspruch 1 in beschränkter Fassung dahingehend, dass es anstelle von "1. Aufbau zur mechanischen Verbindung einer Platte," heißen solle "1. Aufbau zur mechanischen Verbindung einer Gebäudefassadenplatte," und beantragt, die Klage im Umfang des verteidigten Anspruchs 1 abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin insoweit in allen Punkten entgegen und meint, das erfindungsgemäße Spiel zwischen Kopf und Aufnahmehohlraum, das eine Pendelbewegung der Platte um ihren Auflagepunkt erlaube, sei in D2/D3 weder neuheitsschädlich getroffen noch habe der Fachmann daraus Anregungen für die spezielle Verbindung von Platte und Trägerstruktur erhalten. Die Ansicht der Klägerin beruhe auf einer unzulässigen retrospektiven Betrachtung.
Wegen des Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit nach Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52-56 EPÜ iVm Art. 2 § 6 Abs. 1 Ziff. 1 IntPatÜG geltend gemacht wird, hat nur insoweit Erfolg, als das Streitpatent über die von der Beklagten in zulässiger Weise nur noch beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht. Insoweit ist das Streitpatent ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (vgl Benkard, PatG 9. Aufl, § 22 Rn 33 mit Rechtsprechungsnachweisen). Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
I Das Streitpatent betrifft ein mechanisches Verbindungssystem zur Befestigung von Gebäudefassadenplatten, insbesondere Verglasungen, an einer Tragstruktur, wie sie als lichtdurchlässige oder lichtundurchlässige Verkleidungen von Gebäudefassaden bekannt sind. Diese Befestigungen müssen einerseits auf nichtsichtbare Weise das Gewicht der Platten durch üblicherweise nahe den Plattenecken angeordnete Befestigungspunkte aufnehmen, andererseits in den Befestigungspunkten eine Schwenkbewegung zum Ausgleich von bei Witterungseinflüssen wie zB Wind auftretenden, auf die Platten einwirkenden Biegekräften ermöglichen. Auch sind bei über Dichtungen miteinander verbundenen Mehrfachverglasungen die zwischen den Platten auftretenden Scherkräfte zu begrenzen.
In der Streitpatentschrift (im Folgenden wird auf die deutsche Übersetzung DE 694 04 016 T2 Bezug genommen) abgehandelte Befestigungen zeigen für Glasscheibenverbindungen starre Senkkopfschrauben (S 2: EP 0 192 472) oder starre Hohlschrauben (S 19: EP 0 340 089) bzw. Kugelköpfe in einem kugelförmigen Hohlraum (S 3: EP 0 506 522 und EP 0 201 212 (D1)) oder für allgemeine Gelenkverbindungen einen Kugelkopf im teils zylindrischen, teils kegeligen Aufnahmehohlraum (S 3: US 4 666 330).
Nachteilig an den Verbindungen mit starren Schrauben ist ihre unflexible und bei Mehrfachverglasungen hinsichtlich der inneren Glasscheibe auch schwer kontrollierbare Befestigung. Die Verbindungen mit spielfrei in Hohlräumen gelagerten Kugelköpfen sind aufwendig in der Herstellung. Diejenigen mit auch kugelförmigem Aufnahmehohlraum weisen außerdem wegen der großen Fläche zwischen der Kugel und dem kugelförmigen Hohlraum hohe Reibkräfte auf, die sogar zum Festfressen neigen können.
Die erfindungsgemäße Aufgabe besteht somit darin, diese Nachteile zu vermeiden, indem ein neuer Typ einer mechanischen Verbindung zwischen den Verglasungen der punktgehaltenen Glasfassade und ihrer Tragstruktur vorgeschlagen wird, der es ermöglicht, die Verglasung an ihrer Konstruktion sicher zu "verankern", wobei ihr gleichzeitig ein gewisses dauerhaftes, kontrolliertes Biegevermögen erhalten bleibt, das nicht zu Lasten der Kosten und Einfachheit der Herstellung geht.
Die Lösung dieser Aufgabe besteht - ausgehend von der den Oberbegriff des Anspruchs 1 bildenden EP 0 201 212 (D1) - darin, ein Spiel zwischen dem verdickten Kopf der Stange des Befestigungssystems und dem Aufnahmehohlraum in der Platte derart vorzusehen, dass ein Schwenken der Platte um ihren Auflagepunkt auf dem Stangenkopf durch eine Pendelbewegung bei geringer Reibung ermöglicht ist. Da durch das erfindungsgemäße Spiel statt einer vollflächigen eine Linien- oder Punkt-Berührung zwischen Stangenkopf und Hohlraum im Auflagepunkt vorliegt, ist eine dauerhafte Beweglichkeit der Verbindung ohne die Gefahr des Festfressens gegeben.
Fachmann ist zumindest ein Fachhochschulingenieur für Bautechnik mit einschlägigen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Befestigungselemente, insbesondere für Verbindungen von Glasplatten an Tragstrukturen.
II 1. Offenbarung Der verteidigte Anspruch 1 ist gegenüber der erteilten Fassung dadurch beschränkend geändert, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nun ein mechanisches Verbindungssystem zur Befestigung von "Gebäudefassadenplatten" statt von "Platten" nach der erteilten Fassung betrifft. Offenbart sind Platten von Gebäudefassaden in der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift, Seite 1, 4. Absatz bzw in der Streitpatentschrift, Spalte 1, Zeile 17 ("faades de btiment").
Auch die übrigen Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 sind ausreichend deutlich und vollständig offenbart.
Nach den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung soll mit dem fakultativen Einschub im Anspruch 1 "insbesondere durch Verankerung in einer im wesentlichen vertikalen Ebene" auch eine von der Vertikalen abweichende, schräge Gebäudefassade umfasst sein - für den Fachmann jedoch einsichtig nur bis zu einem Winkel, bei dem der Auflagepunkt P durch die Gewichtskraft der Platte noch auf der abgerundeten Seitenfläche des verdickten Stangenkopfes 10, 25, 46 liegt.
Unter Berücksichtigung der Beschreibung in Verbindung mit den Figuren der Streitpatentschrift versteht der Fachmann ferner unter dem Begriff im Anspruch 1 "Biegebewegung mit kontrollierter Amplitude" eine kontrollierte Pendelbewegung der Platte um den Stangenkopf 10, 25, 46 bei Biegebeanspruchung. Für den Fachmann bedeuten außerdem im Anspruch 1 der "abgerundete Bereich" des Aufnahmehohlraums 9, 24 eine Abrundung in Umfangsrichtung des beispielsweise als Bohrung ausgeführten Hohlraums in der Platte und die "abgerundete Seitenfläche" des Stangenkopfes 10, 25, 46 eine Abrundung in Umfangsrichtung des zum Beispiel als Drehteil ausgeführten Kopfes, auf dem durch die Gewichtskraft der Platte eine - je nach Länge des Kopfes in Stangenrichtung - Punkt- oder Linienberührung entsteht.
Als "Spiel" zwischen Aufnahmehohlraum und Stangenkopf sieht der Fachmann einen Abstand der Oberflächen von Hohlraum und Kopf, wobei kein Spiel durch die Gewichtskraft der Platte nur im - an oberster Stelle des Kopfes bzw des Hohlraums liegenden - Auflagepunkt P vorhanden ist. Dadurch erfolgt das "Schwenken der Platte durch eine Pendelbewegung" um diesen Auflagepunkt P (wogegen bei völliger Spielfreiheit zwischen Platte und Kopf gemäß dem bekannten Stand der Technik der Schwerpunkt im Mittelpunkt des Kopfes liegt).
2. Patentfähigkeit 2.1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von den im Wesentlichen übereinstimmenden Gegenständen gemäß dem Artikel "Hinterschnittanker für verdeckte Fassadenbefestigung" aus der Zeitschrift Naturstein, Ausgabe 2/92, Ebner Verlag GmbH, Seiten 17 bis 19 (D2) und gemäß dem Zulassungsbescheid des Instituts für Bautechnik Berlin vom 12. November 1992 (D3) schon dadurch, dass als Tragelement eine Stange mit einem verdickten Kopf vorhanden ist, wogegen aus der D2 bzw D3 als Tragelement ein mehrteiliges Befestigungssystem bestehend aus Spreizdübel und Schraube bekannt ist.
Von der Befestigung nach der den Oberbegriff des Anspruchs 1 bildenden EP 0 201 212 (D1) unterscheidet sich der Streitgegenstand schon durch das Spiel zwischen dem Stangenkopf und dem Aufnahmehohlraum, wogegen die bekannte Verbindung spielfrei ist. Gleiches trifft auf die Verbindungen nach den übrigen im Streitpatent abgehandelten Druckschriften zu.
Die DE 35 20 778 A1 (D4) betrifft einen gattungsfremden Stand der Technik und stellt schon deshalb die Neuheit nicht in Frage.
Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 als neu anzusehen.
2.2 Die Klägerin konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass der Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelegt.
Der nächstkommende Gegenstand nach der Zeitschrift Naturstein (D2) bzw. dem Zulassungsbescheid (D3) besteht aus einem Befestigungssystem für Fassadenplatten mit einer die Tragstruktur (Plattenhalter) durchgreifenden Schraube, die in einen Spreizdübel (Keil-Hinterschnittanker bzw. -dübel) diesen aufweitend eingeschraubt ist.
Die Fassadenplatte besitzt zu ihrer Befestigung eine Hinterschnittbohrung bestehend aus einem ersten Zylinderbohrungsabschnitt, der an der gebäudezugewandten Fassadenplattenoberfläche beginnend sich in die Platte erstreckt und ausläuft in eine endseitige Bohrungserweiterung, die innerhalb der Fassadenplattenstärke liegt. Dabei ist diese Bohrungserweiterung gebildet von einem sich im Durchmesser zum Platteninneren hin kegelig erweiternden Abschnitt bis auf einen endseitigen durchmessergrößeren zweiten Zylinderbohrungsabschnitt.
Der zunächst radial zusammengedrückte, ungespreizte Dübel ist mit seinem endseitigen Dübelkopf und seinem mittigen Dübelschaft in das Bohrloch der Fassadenplatte geschoben, bis sein im Durchmesser erweiterter zylindrischer Dübelbund in kleinem Abstand vor der Fassadenplattenbohrung an der gebäudezugewandten Fassadenplatteninnenfläche vorsteht und in eine fassadenplattenzugewandte erweiterte zylindrische Bohrungsausnehmung im Plattenhalter der Tragstruktur ragt. Der Dübelkopf ist gebildet durch eine Umfangsvergrößerung gegenüber dem mittigen Dübelschaft, die vom mittigen Dübelschaft aus in Richtung zum Dübelende in gespreiztem Zustand des Spreizdübels kegelig verläuft bis zu einer durchmessergrößeren endseitigen Zylinderaußenfläche. Der Dübelkopf ist in Form und Abmessungen angepasst an die Bohrungserweiterung in der Fassadenplatte.
Nach dem Einstecken des Schraubenschaftgewindes durch die durchmessergrößere Plattenhalterbohrung wird durch dessen Eindrehen in das ihm zugewandte, den Spreizdübel längs durchdringende zentrale Spreizdübel-Gewindeloch, beginnend am erweiterten Dübelbund, der Spreizdübel radial aufgeweitet, mit fortschreitendem Eindrehen dessen mittiger Dübelschaft bis zum Erreichen dessen zylindrischer Umfangsfläche innerhalb des abmessungsangepassten ersten Zylinderbohrungsabschnitts der Fassadenplatte. Gleichzeitig zwangsweise verbunden mit der radialen Aufweitung des Spreizdübels durch das Eindrehen des Schraubengewindes wird die Dübelkopfaußenfläche radial auswärts in die Bohrungserweiterung der Fassadenplatte verlagert und von dieser maßlich abgestimmt formschlüssig umschlossen, sobald das Schraubengewinde das Spreizdübel-Gewindeloch weitgehend durchgreift und damit die radial aufweitende Dübelspreizung ihr Ende findet mit dem Erreichen der zylindrischen Umfangsfläche des mittigen Dübelschaftes im ersten Zylinderbohrungsabschnitt der Fassadenplatte.
Entscheidend ist nun einerseits, dass diese Keil - Hinterschnittverankerung des Spreizdübels in Folge des eingedrehten Schraubengewindeschafts zwar formschlüssig, aber zur Vermeidung von Spannungen in der Fassadenplatte vor allem völlig spreizdruckfrei in der Fassadenplatte verankert ist, was bei angepasster Form eine genaue Abstimmung der Abmessungen zur Voraussetzung hat.
Diese bekannte Spreizankerverbindung erfüllt wesentliche Merkmale aus dem Oberbegriff des Anspruchs 1 wie mechanische Platten-Tragstrukturverbindung, mit abgerundetem Bereich versehener Aufnahmehohlraum und Tragelement, das ein Bauteil enthält, das mit der Tragstruktur verbunden werden kann und an einem Ende in einem verdickten Kopf ausläuft, der eine insgesamt abgerundete Seitenfläche besitzt und in der Lage ist, vom Hohlraum aufgenommen zu werden.
In Bezug zum angegriffenen Streitpatent ist andererseits aber weiterhin entscheidend, ob die Verbindung im bekannten Fall eine Biegebewegung mit kontrollierter Amplitude der Platte mittels gelenkigem Befestigungssystem zulässt, in dem zwischen dem verdickten Kopf und seinem Aufnahmehohlraum Spiel vorgesehen ist, welches das Schwenken der Platte um ihren Auflagepunkt auf dem System durch Pendelbewegung und mit geringer Reibung zwischen den mechanischen Bauteilen des Systems ermöglicht.
Diese Frage entscheidet sich durch die aus der Zusammenbau-Zeichnung von (D2), Seite 17 festgelegte Wirkung der Schraubeneindrehbegrenzung einerseits sowie durch die beim Keil-Hinterschnittanker zur Abstimmung festgelegten Abmessungen. Wie von der Klägerin anhand des Zulassungsbescheides (D3), Anlage 3 mit den Zeichnungen Bohrlochgeometrie und Keil-Hinterschnittdübel M6 nachvollziehbar dargelegt, geben darauf die dort angegebenen Abmessungen mit ihren jeweiligen Toleranzbereichen die entscheidende Antwort.
Nach der Zeichnung aus (D2) findet das Schraubeneindrehen dann sein Ende, wenn die gewindeschaftzugewandte Schraubenkopfstirnfläche kraftschlüssig an der spreizdübelabgewandten Bohrungsringbundstirnfläche des Plattenhalters anliegt und gleichzeitig die endseitige Stirnfläche des Spreizdübelbundes an der Stirnfläche der spreizdübelzugewandten Plattenhalterbohrungserweiterung kraftschlüssig anliegt. Damit sind Schraube und Spreizdübel fest gegeneinander und beide mit dem Plattenhalter verspannt. Ein Verspannen des Spreizdübels und des Plattenhalters gegen die Fassadenplatte ist deshalb mittels der Schraube nicht möglich.
Die Haltewirkung zwischen Spreizdübel und Fassadenplatte wird ausschließlich durch die aufeinander abgestimmten Abmessungen und Toleranzen der formschlüssigen Verbindung von Spreizdübel und Fassadenplattenhinterschnittbohrung sowie die elastische Unterlage zwischen Fassadenplatte und Plattenhalter bestimmt.
Die Konturabmessungen und Toleranzen von Spreizdübel und Hinterschnittbohrung der Platte aus (D3) ergeben, dass die beiden Konturoberflächen mit einer sogenannten Gleitsitz-Spielpassung mit sich berührenden Toleranzfeldern beim oberen Abmaß des Hinterschnittankers (Größtmaß) und beim unteren Abmaß der Hinterschnittbohrung (Kleinstmaß) wie bei einer H / h Passungspaarung ineinandergefügt sind. Lediglich das Kleinstmaß der Länge des mittigen Dübelschaftes ist gleich dem Größtmaß der Länge des zugeordneten Zylinderbohrungsabschnitts in der Fassadenplatte.
Somit besteht zwischen Spreizdübel und Hinterschnittbohrung in der Regel zwar ein Gleitreibungsspiel, das aber ein Schwenken der Platte um ihren Auflagepunkt durch eine Pendelbewegung mit geringer Reibung - wie das patentgemäß gefordert ist - gerade nicht sicherstellt, so dass in der bekannten Hinterschnittankerverbindung die patentgemäße Erkenntnis und Lehre gerade nicht vorliegt. Belegt ist das insbesondere dadurch, dass die Grenzen der Toleranzbereiche sich so berühren, dass nach (D2), (D3) Ausführungen möglich sind, die keinerlei Spiel mehr aufweisen.
Dabei kann der Einfluss der dargestellten Unterlage dahingestellt bleiben. Es ist davon auszugehen, dass die Elastizität und Dicke der Unterlage an die Abmessungen des Spreizdübels angepasst und damit abgestimmt sind, was die Länge von dessen Mittelschaft und dessen Aufnahmebohrung betrifft. Wenn die Dicke der Unterlage größer gewählt ist als das Spiel zwischen den einander zugewandten benachbarten Stirnflächen von Platte und Spreizzylinderbund, wird die Unterlage beim Spreizen des Spreizdübelkopfes, der sich dann mit seiner kegeligen Erweiterung gegen die kegelige Erweiterung der Hinterschnittbohrung kraftschlüssig abstützt, mehr oder weniger verspannt. Auch dies spricht dagegen, dass der Erfindungsgedanke des Streitpatents bereits bei der bekannten Hinterschnittverbindung vorgelegen hat und verwirklicht ist.
Mag demnach auch die bekannte Verbindung in bestimmten Konstellationen der gewählten Abmessungen innerhalb der festgelegten Toleranzbereiche ein Gleitspiel noch zulassen, so steht nach den obigen Ausführungen gleichwohl fest, dass sie in anderen Abmessungskonstellationen innerhalb der zugelassenen Toleranzen kein Spiel mehr besitzt und somit das von dem angegriffenen Schutzrecht gelehrte, eine Pendelbewegung der Platte erlaubende Spiel nicht zuverlässig im Sinne eines Prinzips verwirklicht. Bei dieser Sachlage vermochte sich der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon zu überzeugen, dass der - nicht mit der erfindungsgemäßen Lehr ausgerüstete - Fachmann im Prioritätszeitpunkt den Entgegenhaltungen D2 und D3 einen Hinweis auf ebendieses, ein Schwenken der Platte um ihren Auflagepunkt auf dem Tragelement ermöglichende Spiel entnehmen konnte. Diese Ungewissheit geht zu Lasten der die materielle Beweislast tragenden Klägerin (vgl Busse, Patentrecht, 6. Aufl, § 83 Rdnr 32), so dass die begehrte Nichtigerklärung nicht auf die Entgegenhaltungen D2 und D3 gestützt werden kann.
Noch weniger legen die Verbindungen zwischen Platte und Befestigungssystem mit einem spielfrei gelagerten Kugelkopf den Streitgegenstand nahe, wie sie aus der D1 sowie den übrigen, im Streitpatent bereits abgehandelten Druckschriften bekannt sind, da sie wegen der Spielfreiheit eben keinen Hinweis auf das erfindungsgemäße, ein Schwenken der Platte um ihren Auflagepunkt auf dem Tragelement ermöglichende Spiel geben.
Die DE 35 20 778 A1 (D4) zeigt ein spezielles Drehgelenk, das aber in erster Linie, wie bei Spurstangen an Kraftfahrzeug-Vorderachsen üblich, Schubkräfte in Richtung der Stange zu übertragen hat. Schon deshalb wird der Fachmann zur Lösung der Aufgabe nicht auf diesen gattungsfremden Gegenstand zurückgreifen. Er weist auch kein Spiel im erfindungsgemäßen Sinn auf, da kein Auflagepunkt zur Aufnahme einer Gewichtskraft vorhanden ist. Vielmehr ergeben sich beim bekannten Gelenk durch die abgeflachte Hohlraum-Stirnwand zwei von der Auslenkrichtung abhängige, nach außen und in Stangenrichtung wandernde Schwenkpunkte A und B (Fig 1, 3 und 4).
Somit legt auch das Gelenk nach der D4 weder für sich noch in Verbindung mit einem Befestigungssystem nach D1 oder nach D2 bzw D3 den Streitgegenstand nahe.
III Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs. 2 PatG iVm § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 99 Abs. 1 PatG iVm § 709 ZPO.
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BPatG:
Urteil v. 08.07.2004
Az: 2 Ni 27/03
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