Bundespatentgericht:
Urteil vom 29. Oktober 2007
Aktenzeichen: 2 Ni 38/05
(BPatG: Urteil v. 29.10.2007, Az.: 2 Ni 38/05)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 361 155 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 6. September 1989 in der Verfahrenssprache Deutsch angemeldeten europäischen Patents EP 0 361 155 (Streitpatent), für das die deutschen Prioritäten DE 3830422 vom 7. September 1988 und DE 3913471 vom 24. April 1989 in Anspruch genommen wurden. Das Patent mit der Bezeichnung "Halterung für ein Langbügelschloss" umfasst 19 Patentansprüche.
Der erteilte Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"1. Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, dass an der Halterung (60) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78) vorgesehen sind, daß das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist unddass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48) durch Reibschluss oder durch Anlage des Riegelstücks (52) an einer weiteren Anschlagfläche (bei 49) der Halterung (60) und/oder durch Verrastung gesichert ist."
Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 19, jeweils unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen, wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig, weil sein Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Begründung beruft sie sich auf die Druckschriften:
D1 = DE 87 17 397 U1 D2 = DE 33 35 662 A1 bzw. C2 D3 = DE 30 18 544 A1 Weiterhin macht sie eine Vorbenutzung in der Öffentlichkeit geltend, wozu sie den Prospekt der Firma ABUS Nr. 54/HB/150-230, sowie die DE 43 21 635 C2 vorlegt.
Außerdem beruft sie sich in der mündlichen Verhandlung auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung.
Nachdem die Klägerin beantragt hat, das europäische Patent 0 361 155 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eine neue Fassung des angegriffenen Patentanspruchs 1 als Hauptantrag sowie zwei Hilfsanträge vorgelegt und erklärt, dass sie das Streitpatent nur noch im Umfang dieser Anspruchsfassungen verteidigt.
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:
"1. Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, dass an der Halterung (60) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78) vorgesehen sind, die sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (51, 52), nämlich das Schließwerk (51), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position befindet, unddass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48) durch Reibschluss oder durch Anlage des Riegelstücks (52) an einer weiteren Anschlagfläche (bei 49) der Halterung (60) und/oder durch Verrastung gesichert ist."
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I hat folgenden Wortlaut:
"1. Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, dass an der Halterung (60) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78) vorgesehen sind, die sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (51, 52), nämlich das Schließwerk (51), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position befindet und die Bohrungsachse der Einführungsbohrung (67) mit der Kanalachse des Steckführungskanals (57) fluchtet, unddass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48) durch Reibschluss oder durch Anlage des Riegelstücks (52) an einer weiteren Anschlagfläche (bei 49) der Halterung (60) und/oder durch Verrastung gesichert ist."
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II hat folgenden Wortlaut:
"1. Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, dass an der Halterung (60) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78) vorgesehen sind, die sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (51, 52), nämlich das Schließwerk (51), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position befindet und die Bohrungsachse der Einführungsbohrung (67) mit der Kanalachse des Steckführungskanals (57) fluchtet, unddass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48) durch Reibschluss und durch Verrastung gesichert ist."
Wegen der jeweiligen Unteransprüche 2 bis 19, unmittelbar oder mittelbar auf die jeweiligen Patentansprüche 1 rückbezogen, wird auf die Streitpatentanschrift verwiesen.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 361 155 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in dem verteidigten Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält ihr Patent im verteidigten Umfang für patentfähig, und wendet sich gegen den neu eingeführten Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung.
Gründe
Die zulässige Klage hat Erfolg, denn dem Streitpatent steht der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ) entgegen.
I.
1. Patentgegenstand Das Streitpatent betrifft eine Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss, wobei an dem einen Ende eines Schließkabels des Kabelschlosses ein in einem Schließwerksgehäuse untergebrachtes Schließwerk angeordnet ist und am anderen Ende des Schließkabels ein mit dem Schließwerk kuppelbares Riegelstück angebracht ist und wobei Schließwerk und Riegelstück im gekuppelten Zustand an der Halterung im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind. (Oberbegriff).
Die Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 14 bis 18) führt hierzu aus, dass eine solche Halterung für Ringschlösser aus der Deutschen Patentschrift 33 35 662 bekannt sei. Darüber hinaus sei die Verwendung einer Halterung auch bei sogenannten Langbügelschlössern durch offenkundige Vorbenutzung bekannt geworden.
Weiterhin ist in der Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 19 bis 35) angegeben, dass das Handhaben von Kabelschlössern verhältnismäßig schwierig sei, insbesondere bei unzureichenden Beleuchtungsverhältnissen. Dies rühre daher, dass die Kabelschlösser einerseits in nächster Nähe ihrer Schließteile exakt gehalten und geführt werden müssten, um die Schließteile in gegenseitigen Eingriff bringen und miteinander verrasten zu können, und dass andererseits der exakten relativen Positionierung der Schließteile die exzentrische Gewichtsverteilung des Kabelschlosses mit einem in der Regel weit außerhalb der die Schließteile erfassenden Hände liegendem Schwerpunkt und regelmäßig auch die elastischen Rückstellkräfte entgegenwirkten, welche versuchten, das Schließkabel in eine Konfiguration zu bringen, die nicht der bei Verbindung der Schließteile miteinander erzwungenen Konfiguration entspreche.
Schließlich weist die Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 36 bis 43) auf die aus der DE 33 35 662 A1 bekannten Kombination hin, gemäß der ein Führungsweg der Halterung für die beiden Schließteile nur äußerst kurz bemessen sei. Deshalb könnten diese Schließteile beim Zusammenstecken kippen, wodurch die beiden Schließteile nicht mehr miteinander verrastbar seien. Insbesondere bei Dunkelheit könne deshalb das Zweiradschloss nur schwer in der Halterung fixiert werden.
Ausgehend von den geschilderten Unzulänglichkeiten gibt die Streitpatentschrift die Aufgabe an, die Herstellung der Verbindung zwischen Kabelschloss und Kabelschlosshalterung zu vereinfachen (Sp. 1 Z. 44 bis 46 der Streit-PS).
Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 (mit einer Gliederung entsprechend einer Merkmalsanalyse der Klägerin) nach neuem Hauptantrag vor, eine
"Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), 1) wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und 2) am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und 3) wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, 4) dass an der Halterung (60)
4a) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und 4b) eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78)
vorgesehen sind, 5) die sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (51, 52), nämlich das Schließwerk (51), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position befindet, und 6) dass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48)
6a) durch Reibschluss oder 6b) durch Anlage des Riegelstücks (52) an einer weiteren Anschlagfläche (bei 49) der Halterung (60) und/oder 6c) durch Verrastunggesichert ist."
Diese Aufgabe soll gemäß Patentanspruch 1 (mit einer Gliederung entsprechend einer Merkmalsanalyse der Klägerin) nach Hilfsantrag I auch gelöst werden, durch eine
"Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), 1) wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und 2) am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und 3) wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, 5) dass an der Halterung (60)
4a) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und 4b) eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78)
vorgesehen sind, 5) die sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (51, 52), nämlich das Schließwerk (51), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position befindet und 5a) die Bohrungsachse der Einführungsbohrung (67) mit der Kanalachse des Steckführungskanals (57) fluchtet, und 6) dass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48)
6a) durch Reibschluss oder 6b) durch Anlage des Riegelstücks (52) an einer weiteren Anschlagfläche (bei 49) der Halterung (60) und/oder 6c) durch Verrastunggesichert ist."
Schließlich soll die Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 (mit einer Gliederung entsprechend einer Merkmalsanalyse der Klägerin) nach Hilfsantrag II gelöst werden, durch eine:
"Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (60) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (50), 1) wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (53) des Kabelschlosses (50) ein in einem Schließwerksgehäuse (54) untergebrachtes Schließwerk (51) angeordnet ist und 2) am anderen Ende des Schließkabels (53) ein mit dem Schließwerk (51) kuppelbares Riegelstück (52) angebracht ist und 3) wobei Schließwerk (51) und Riegelstück (52) im gekuppelten Zustand an der Halterung (60) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind, dadurch gekennzeichnet, 4) dass an der Halterung (60)
4a) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (48) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (55) des Schließwerksgehäuses (54) und 4b) eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses (54) begrenzende Anschlagfläche (78)
vorgesehen sind, 5) die sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (51, 52), nämlich das Schließwerk (51), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (52) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk (51) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position befindet und 5a) die Bohrungsachse der Einführungsbohrung (67) mit der Kanalachse des Steckführungskanals (57) fluchtet, und 6) dass das Schließwerksgehäuse (54) in der Linearführung (48)
6a) durch Reibschluss und 6c) durch Verrastunggesichert ist."
2. Fachmann Sowohl Beklagte als auch Klägerin sehen als den hier zuständigen Fachmann einen FH-Ingenieur des Maschinenbaus an, der mit der Konstruktion von Fahrradschlössern betraut ist. Dem Fachwissen eines solchen Fachmanns ist nach Überzeugung des Senats auch zuzurechnen, dass er weiß, mit welchen mechanischen Mitteln es möglich ist, in zwei verschiedenen, linear geführten Bauteilen gelegene Löcher zur Deckung zu bringen bzw eine Justierung herbeizuführen. Beispielsweise kennt er zum einen aus seiner alltäglichen Berufspraxis einen Schlüssel, der in einem Schloss - zwecks Justierung von Schließbart und Schließzylinder - bis zu seinem Anschlag linear geführt ist und zum anderen ist ihm aus der auf seinem Fachgebiet gelegenen DE 87 17 397 U1 (Fig. 2 i. V. m. S. 3 Abs. 3) bekannt, ein in einem Schließwerk 1 mittels einer Keilnut 14 linear geführtes Schloss 3 derart zu justieren, dass das im Schließwerksgehäuse 1 befindliche Loch 13 mit dem im Schloss 3 befindlichen Loch 32 zur Deckung gebracht wird (Fig. 3). Dies geschieht dadurch, dass das Schloss 3 an einem Anschlag in Form einer Anschlagsfläche im Schließwerksgehäuse 1 anschlägt (Fig. 3: 1, 3).
Dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns ist sonach zuzurechnen, dass er weiß, dass sich mittels einer Anschlagfläche an dem einen Bauteil das andere Bauteil so justieren lässt, dass sich die in den beiden linear geführten Bauteilen befindlichen Löcher konzentrisch überdecken.
3. Zum Verständnis des jeweiligen Patentanspruchs 1 nach allen Anträgen 3.1 Eine Verrastung entsteht nach Einführung des Riegelstückes durch Einkuppeln (Merkmal 5)), wie dies auch die Patentinhaberin vorträgt. Durch eine solche Verrastung ist das Schließwerksgehäuse in der Linearführung gesichert (Merkmal 6) und 6c)).
3.2 Unter einer Sicherung des Schließwerksgehäuses in der Linearführung durch Reibschluss (Merkmal 6a)) versteht der Fachmann eine Reibung derart, dass das Schloss in der Linearführung noch verschieblich gelagert ist. Denn besondere Bauteile, mit denen sich eine spezielle Art von Reibschluss herstellen ließe sind im Streitpatent nicht offenbart.
3.3 Im Merkmal 5) ist angegeben, dass unter einem Verrasten zu verstehen ist, dass das Riegelstück in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung in das Schließwerk einkuppelbar ist und im Merkmal 6c) ist angegeben, dass das Schließwerksgehäuse durch Verrastung gesichert ist. Demnach kann das Merkmal 6c) nicht losgelöst vom Merkmal 5) und von den anderen Anspruchsmerkmalen gesehen oder weggelassen werden, d. h. das Merkmal 6c) kann nur mit "und" verknüpft sein; eine eigenständige Alternative zu den Merkmalen 6a) und 6b) stellt es nicht dar.
4. Hauptantrag Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.
Aus der DE 87 17 397 U1 ist bekannt eine Kombination einer zweiradrahmenseitigen Kabelschlosshalterung (6) mit einem von dieser betriebsmäßig trennbaren Kabelschloss (1, 3, 2, 4, 7), 1) wobei an dem einen Ende eines Schließkabels (7) des Kabelschlosses (1, 3, 2, 4, 7) ein in einem Schließwerksgehäuse (1) untergebrachtes Schließwerk (3) angeordnet ist und 2) am anderen Ende des Schließkabels (7) ein mit dem Schließwerk (3) kuppelbares Riegelstück (2, 4) angebracht ist und 3) wobei Schließwerk (3) und Riegelstück (2, 4) im gekuppelten Zustand an der Halterung (6) im Wesentlichen unbeweglich festgelegt sind (Fig. 1), wobei 4) an der Halterung (6)
4a) eine drehsichernde und kippsichernde Linearführung (61) zum Zusammenwirken mit einer Linearführungsfläche (an 1) des Schließwerksgehäuses (1) (Aus S. 5 Abs. 2 2. Satz i. V. m. Fig. 2 und 4 ergibt sich: Der "Champignonfuß" der Mulde 61 wirkt mit dem Rand am Loch 13 des Schließwerksgehäuses 1 drehsichernd; der zylindrische "Champignonkopf" wirkt mit dem zylindrischen Schließwerksgehäuse 1 kippsichernd)
vorgesehen ist, und 6) das Schließwerksgehäuse (1) in der Linearführung (61)
6a) durch Reibschluss (Fig. 1, 4: Schließwerksgehäuse 1 liegt reibschlüssig in der Linearführung 61, da eine Reibung stets gegeben ist, wodurch für sich schon eine Sicherung des Schließwerksgehäuses 1 in der Linearführung 61 erreicht ist) oder 6b) durch Anlage des Riegelstücks (2, 4) an einer weiteren Anschlagfläche (62 in Fig. 4) der Halterung (6) (Fig. 1: Auch durch die Anlage des Riegelstücks 2, 4 an der als Loch 62 ausgebildeten Anschlagfläche ist für sich eine Sicherung des Schließwerksgehäuses 1 in der Linearführung erreicht) und 6c) durch Verrastung (Aus S. 4, le. Abs. i. V. m. Fig. 1 oder 5 ergibt sich: Riegelstück 2, 4 rastet im Schließwerk 3 ein, damit ist auch das Schließwerksgehäuse (1) in der Linearführung 61 verrastet)
gesichert ist.
Ausgehend von der Kombination, wie sie in der DE 87 17 397 U1 beschrieben ist, stellt sich dem Fachmann nunmehr die patentgemäße Aufgabe, die Herstellung der Verbindung zwischen Kabelschloss und Kabelschlosshalterung zu vereinfachen (Sp. 1 Z. 44 bis 46 der Streit-PS) in der Praxis von selbst. Denn es ist für einen Benutzer der Kombination etwa bei Dunkelheit oder mit klammen Fingern problematisch, das Loch 32 des Schließwerks 3 mit dem Loch 62 der Halterung 6 bzw. Linearführung 61 in Deckung zu bringen, um das Riegelstück 2, 4 in das Schließwerk 3 einführen zu können.
Ein vor diese Problematik gestellter Fachmann ist nach Überzeugung des Senats aufgrund seines Fachwissens in der Lage zu erkennen, dass es hier eines Anschlags bedarf, um zu erreichen, dass die angesprochenen Löcher 32 und 62 in Deckung gebracht werden können. Es liegt für ihn demnach auf der Hand, an der Halterung 6 eine den Einführungsweg des Schließwerksgehäuses begrenzende Anschlagfläche - z. B. im "Champignonstiel" (bei 61) - vorzusehen (Merkmal 4b)).
Durch das Vorsehen einer Anschlagfläche an der Halterung 6 ergibt sich dann die Wirkung, dass diese Anschlagfläche sicherstellt, dass eines der beiden Schließteile (1, 2), nämlich das Schließwerk (3), beim Verrasten, bei dem das Riegelstück (2) in einer die Linearführungsrichtung querenden Richtung (Fig. 1: Richtung des Riegelstücks 2 quer zur Richtung der Linearführung 61) in das Schließwerk (3) einkuppelbar ist, sich in einer vorbestimmten Position - d. h. in einer solchen Position, in der sich das Loch 32 des Schließwerks 3 mit dem Loch 62 der Halterung 6 bzw. Linearführung 61 konzentrisch überdeckt - befindet (Merkmal 5)).
5. Hilfsantrag I Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag I beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.
Gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag unterscheidet sich der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I dadurch, dass die Anschlagsfläche sicherstellt, dass
"5a) die Bohrungsachse der Einführungsbohrung (67) mit der Kanalachse des Steckführungskanals (57) fluchtet."
Dieses Merkmal ergibt sich automatisch mit der Einführung des Anschlags, denn wie vorstehend dargelegt, stellt der Anschlag auch sicher, dass sich die Bohrungsachse der Einführungsbohrung mit der Kanalachse des Steckführungskanals konzentrisch überdeckt, d. h. damit fluchtet.
Somit gelten die zum Patentanspruch 1 nach Hauptantrag gemachten Ausführungen auch für den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I.
6. Hilfsantrag II Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I durch das Fehlen des Merkmals 6b) und die Verknüpfung der Merkmale 6a) und 6b) lediglich durch "und".
Damit ist der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I umfasst (vgl. Punkt 3.3: Ausführungen zu 6c)) und beruht aus den dort genannten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
7. Patentansprüche 2 bis 19 In den von der Patentinhaberin nicht als erfinderisch verteidigten Patentansprüchen 2 bis 19 ist kein erfinderischer Gedanke zu erkennen, so dass diese das Schicksal des jeweiligen Patentanspruchs 1 nach allen Anträgen teilen.
8. Unzulässige Erweiterung Ausführungen zu dem in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit c EPÜ) können insofern dahinstehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Klante Dr. Mayer Hock Groß
Dr. Scholz Be
BPatG:
Urteil v. 29.10.2007
Az: 2 Ni 38/05
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