Oberlandesgericht Stuttgart:
Urteil vom 18. Januar 2006
Aktenzeichen: 4 U 189/05
(OLG Stuttgart: Urteil v. 18.01.2006, Az.: 4 U 189/05)
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels - das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 08.08.2005 (34 O 138/04 KfH) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a) Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 511.634,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2004 zu zahlen.
b) Den Beklagten wird vorbehalten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Masse ihre Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen als Gesamtschuldner mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts Kempten verursachten Kosten, die der Kläger zu tragen hat.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 511.634,18 EUR
Gründe
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der I. B. B- und E. GmbH & Co. KG (I-B) und nimmt die Beklagten, die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin waren, auf Erstattung von Zahlungen an Gläubiger im Überschuldungsstatus in Anspruch.
Unternehmensgegenstand der insolventen Gesellschaft war die Errichtung eines Biomasse-Heizkraftwerks bei I.-T., in dem Klärschlamm und behandeltes Altholz verschiedener Belastungsstufen verbrannt werden sollte. Nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stand eine garantierte und rentable Vergütung in Aussicht, wenn die Anlage bis spätestens Ende Juni 2004 genehmigt worden wäre. Einer Bürgerinitiative gelang es durch Eintragungen von Grunddienstbarkeiten auf Schlüsselgrundstücken die Zufahrtsmöglichkeit zu der geplanten Anlage zu blockieren. Die notwendigen Enteignungen wären nicht mehr rechtzeitig bis Ende Juni 2004 erfolgt. Außerdem stand dem Projekt eine von der Stadt I. verhängte Veränderungssperre entgegen. Zum Zeitpunkt des Jahresabschlusses am 31.12.2003 war das Eigenkapital nach der Handelsbilanz der Insolvenzschuldnerin aufgezehrt und ein Verlust in Höhe von ca. 96.000,- EUR aufgelaufen. In der Bilanz waren Zahlungen für die Ingangsetzung und Planung des Heizkraftwerkes in Höhe von ca. 3,3 Mio. EUR aktiviert. Aufgrund eines Kredits der Landesbank B.-W. (LB), die Anteile an der Gesellschaft hielt, konnte die Insolvenzschuldnerin aber nach wie vor über den Kreditrahmen von insgesamt 23 Mio. EUR verfügen. Am 12.01.2004 fand eine Beiratssitzung der beteiligten Gesellschaften über die Situation statt. Am 15.01.2004 wurde die Lage auch auf der Verbandsversammlung des Abwasserverbandes O. I. (AOI) erörtert. Mit Schreiben vom 19.01.2004 wurde die Insolvenzschuldnerin vom Verbandsvorsitzenden der AOI aufgefordert, keine Kosten mehr zu verursachen. Sie wurde von der Errichtungsverpflichtung hinsichtlich des Kraftwerks vorsorglich freigestellt. Eine Mitteilung gegenüber der LBBW, dass für die Ausreichung weiterer Kreditmittel keine Notwendigkeit mehr besteht, sowie eine Kostenprüfung wurden angekündigt. Bis zur Kündigung des Kredits durch die L-B im März 2004 zahlte die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin im Zeitraum vom 20.01.2004 bis 05.03.2004 insgesamt 511.634,18 EUR an Gläubiger, insbesondere an andere an dem Projekt beteiligte Gesellschaften, für verschiedene Leistungen aus.
Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner wegen der Zahlungen trotz Überschuldung zur Erstattung verurteilt.
Mit ihrer Berufung wenden die Beklagten ein, die IB-Bau sei am 19.01.2004 nicht überschuldet gewesen. Das Landgericht habe das Vermögen unzutreffend nach Zerschlagungswerten bemessen. Die Bewertung müsse nach Fortführungswerten erfolgen, da die Fortführungsprognose für das Unternehmen positiv gewesen sei. Alle Beteiligten seien von einer Genehmigungsfähigkeit der Anlage ausgegangen. Von den Beklagten seien umfangreiche Bemühungen ergriffen worden, die Fortführung des Projekts zu sichern. Insbesondere sei ein wirtschaftlicher Betrieb des Biomasse-Heizkraftwerks unter Einsatz von Waldhackschnitzeln möglich gewesen, womit die Bedenken der Bürgerinitiative ausgeräumt gewesen seien. Hinsichtlich der bestehenden Veränderungssperre habe vom Erreichen einer Ausnahme ausgegangen werden können. Außerdem sei für die Fortführungsprognose allein entscheidend, ob die Finanzierung für das laufende und das folgende Geschäftsjahr gesichert gewesen ist. Nach der noch freien Kreditlinie von ca. 21 Mio. EUR und zu erwartenden Herstellungskosten sowie sonstigen Kosten von insgesamt ca. 16,5 Mio. EUR seien sämtliche anfallenden Verbindlichkeiten vollständig gedeckt gewesen. Bei einem Ansatz von Fortführungswerten im Überschuldungsstatus habe die vom Kläger nachzuweisende Überschuldung nicht vorgelegen. Es seien zukünftige mietvertragliche Ansprüche der IB-Bau gegenüber der Betriebsgesellschaft als stille Reserve in Höhe von 19,5 Mio. EUR zu berücksichtigen. Auch habe bei den Beklagten keine positive Kenntnis von der Überschuldung bestanden. Die geleisteten Zahlungen seien mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.
Das erstinstanzliche Gericht habe es versäumt, im Urteil den gebotenen Vorbehalt hinsichtlich des Verfolgungsrechts der Beklagten gegen den Insolvenzverwalter in das Urteil aufzunehmen. Überdies sei zusätzlich aussprechen, dass die Beklagten nur Zug um Zug gegen Abtretung der Anfechtungsansprüche des Klägers gegen die Empfänger der streitgegenständlichen Zahlungen zur Zahlung verpflichtet sind.
Die Beklagten beantragen:
1. Das am 08.08.2005 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart, AZ: 34 O 138/04 KfH, wird aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Das Landgericht sei von einer zweistufigen Prüfung der Überschuldung ausgegangen und habe richtigerweise zunächst die rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten festgestellt und erst danach die Fortbestehensprognose der Beklagten beurteilt. Eine rechnerische Überschuldung liege auch unter Berücksichtigung stiller Reserven vor. Eine positive Fortbestehensprognose sei von der Beklagten nicht dargelegt und nachgewiesen worden. Es fehle insbesondere ein plausibles Unternehmenskonzept für die Zeit ab dem 19.01.2004. Die ursprüngliche Planung sei gescheitert gewesen, die Waldhackschnitzelvariante habe sich aus der Perspektive Januar 2004 als völlig unwirtschaftlich dargestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf das landgerichtliche Urteil sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat - bis auf den in die Entscheidung aufzunehmenden Vorbehalt - keinen Erfolg. Dem Insolvenzverwalter steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Ersatz der an verschiedene Gläubiger vom 20.01.2004 bis 05.03.2004 geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 511.634,18 EUR nach § 130 a Abs. 3 Satz 1 HGB zu.
1. Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen des § 130 a Abs. 1 HGB i.V. mit der Verweisungsnorm § 177 a HGB liegen vor. Gesellschafter der I-B. GmbH & Co. KG waren lediglich andere Gesellschaften, keine natürlichen Personen. Komplementärinnen waren die I. B. B.- und E.- GmbH und die K. G. mbH, letztere wurde von der L-B beherrscht. Einzige Kommanditistin war die Fa. G. GmbH & Co. KG. Es handelt sich bei der GmbH & Co. KG um die Gesellschaftsform, auf die die genannten Vorschriften - in Ergänzung der §§ 64 GmbHG und 92 Abs. 2 AktG - abzielen (MüKomm/HGB-K.Schmidt [2004], § 130 a, Rn. 2).
2. Von den Geschäftsführern der Gesellschaft wurden Zahlungen geleistet, obwohl bereits eine Überschuldung der Gesellschaft im Sinne von § 19 InsO vorlag (§ 130 a Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 HGB).
a) Die Vorgehensweise des Landgerichts, zunächst eine rechnerische Überschuldung basierend auf Liquidationswerten und erst dann die Fortbestehensprognose zu prüfen, ist nicht zu beanstanden.
aa) Für die Feststellung der Überschuldung hat § 19 Abs. 2 InsO den zweistufigen Überschuldungsbegriff übernommen. Der Überschuldungstatbestand setzt sich aus einem exekutorischen Element (rechnerische Überschuldung) und einem prognostischen Element (Lebens- oder Fortbestehensfähigkeit) zusammen. Maßgeblich für die Frage der Überschuldung ist der Überschuldungsstatus. Die Fortbestehensprognose gibt die Antwort auf die Frage, ob dieser Status nach Fortführungswerten (Going-Concern) oder nach Liquidationswerten (Zerschlagungswerten) zu erstellen ist (Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 19, Rn. 13 u. 19 ff.; MüKomm/InsO-Drukarczyk/Schüler [2001], § 19, Rn. 42 ff.).
bb) Eine bestimmte Prüfungsreihenfolge sieht § 19 Abs. 2 InsO nicht vor, die Prüfungsreihenfolge bestimmt sich nach der Zeckmäßigkeit im Einzelfall (Uhlenbruck, a.a.O., § 19 Rn. 33; HK-InsO/Kirchhof, 3. Auflage, § 19, Rn. 16; a. A. FK-InsO/Schmerbach, 3. Auflage, § 19, Rn. 6 b). Die verschiedenen Möglichkeiten der Prüfung führen bei richtiger Anwendung jedenfalls zum gleichen Ergebnis.
Es kann zunächst die Fortbestehensprognose und erst dann - abhängig vom Ergebnis - die Überschuldungsbilanz basierend auf Fortführungswerten oder auf Liquidationswerten geprüft werden. Eine andere Möglichkeit, die zu einer dreistufigen Prüfung führen kann, besteht darin, zunächst eine Überschuldungsbilanz basierend auf Liquidationswerten zu erstellen und daran, wenn sich eine rechnerische Überschuldung ergibt, eine Fortbestehensprognose anzuschließen. Fällt die Prognose negativ aus, liegt Überschuldung vor. Bei positivem Ausgang wäre eine zusätzliche Überschuldungsbilanz basierend auf Fortführungswerten zu erstellen (Uhlenbruck, a.a.O., Rn. 33; MüKomm/InsO-Drukarczyk/Schüler, a.a.O., Rn. 44; HK-InsO/Kirchhof, a.a.O., Rn. 16). Nachdem sich die rechnerische Überschuldung auf die Darlegungslast bei der Fortbestehensprognose auswirken kann (BGHZ 126, 181), wird in der Regel diese zweite Prüfungsreihenfolge zweckmäßig sein.
b) Eine rechnerische Überschuldung unter Zugrundelegung von Liquidationswerten war gegeben.
aa) Allerdings kann die Jahresbilanz, die nach dem Abschluss für 2003 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von ca. 96.000 EUR aufwies, für die Überschuldung nur Indizwirkung haben und muss Ausgangspunkt für die weitere Ermittlungen des wahren Wertes des Gesellschaftsvermögens sein (BGH ZIP 2001, 242; BGH ZIP 2001, 839; BGH ZIP 2005, 807). Dies ergibt sich aus der eigenständigen Funktion des Überschuldungsstatus: Nicht alle Aktivposten der Bilanz, sondern alle verwertbaren Vermögensgegenstände - aber auch nur sie - gehören auf die Aktivseite. Nicht alle Passivposten der Bilanz, sondern nur die im Insolvenzfall zu bedienenden Verbindlichkeiten gehören auf die Passivseite (Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 24).
Entscheidend bei der Prüfung ist das Prinzip der Verwertbarkeit (Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 25; MüKomm/InsO-Drukarczyk/Schüler, a.a.O., Rn. 87; HK-InsO/Kirchhof, a.a.O., Rn. 16). Es muss daher entweder ein Überschuldungsstatus mit Aufdeckung etwaiger stiller Reserven und Ansatz der Wirtschaftsgüter zu Veräußerungswerten aufgestellt oder dargelegt werden, dass stille Reserven und sonstige aus der Handelsbilanz nicht ersichtliche Veräußerungswerte nicht vorhanden sind. Dabei muss der Insolvenzverwalter nicht jede denkbare Möglichkeit ausschließen, sondern nur nahe liegende Anhaltspunkte und die insoweit von den Beklagten aufgestellten Behauptungen widerlegen (BGH ZIP 2005, 807).
bb) Der im Jahresabschluss ausgewiesene Fehlbetrag wird vorliegend nicht durch vorhandenes Vermögen neutralisiert. Die von den Beklagten geltend gemachten Forderungen in Höhe von 19,5 Mio EUR können nicht als stille Reserven berücksichtigt werden. Forderungen sind im Überschuldungsstatus nur zu aktivieren, soweit sie durchsetzbar und vollwertig sind (Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 45; HK-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 19, Rn. 19; FK-InsO/Schmerbach, a.a.O, § 19, Rn. 11; Scholz/K.Schmidt, GmbH-Gesetz, 9. Aufl. [2002], vor § 64, Rn. 23).
(1) Die Heranziehung zukünftiger Mieteinkünfte ist danach vorliegend ausgeschlossen. Geltend gemacht werden Mieteinkünfte, die im Zusammenhang mit der Durchführung des Projekts erzielt werden sollten. Geplant war, die Investitionen in die Anlage dadurch wieder hereinzuholen und an die Kreditgeberin zurückzuführen, dass durch die Insolvenzschuldnerin die Anlage an eine dafür geschaffene Betriebsgesellschaft (B. B. GmbH & Co. KG) vermietet wird. Dabei kann die Kündigung des Mietvertrags mit der B. (B 7), der sich auf ein Biomasseheizkraftwerk mit Klärschlammvergasung bezieht, dahinstehen. Wird das Projekt nicht durchgeführt, sind Mieteinnahmen jedenfalls nicht mehr zu erzielen. Dass dies anzunehmen war, zeigt auch das Schreiben der Insolvenzschuldnerin vom 20.01.2004, mit dem die Betriebsgesellschaft - unter Hinweis, dass keine Verbindlichkeiten mehr eingegangen werden dürfen - bereits von anderen Verpflichtungen freigestellt wurde (K 21).
(2) Die Beklagten und die von ihnen beauftragten Wirtschaftsprüfer in ihrer Stellungnahme vom 18.01.2005 (B 17) gehen bei ihren Erwägungen von der Prämisse aus, dass das Unternehmen mit der Erstellung eines Biomasse-Heizkraftwerks fortgeführt wird. Es handelt sich um eine Berechnung der Überschuldung, die sich von vornherein an Fortführungswerten orientiert. Unter Berücksichtigung von Liquidationswerten kommt den geplanten Mieteinnahmen, die dann nicht mehr zu realisieren sind, ein aktivierbarer Vermögenswert aber nicht zu. Der Erstellung einer ins Einzelne gehenden Überschuldungsbilanz oder der Einholung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens bedarf es zu dieser Feststellung nicht.
cc) Außerdem ist die rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten wesentlich höher als der im Jahresabschluss für 2003 ausgewiesene Fehlbetrag. Bei der Bewertung der Aktiva sind Ingangsetzungskosten, insbesondere Aufwendungen in der Anfangsphase eines Unternehmens für den Aufbau der gesamten Organisation, nicht zu berücksichtigen (Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 37). Damit sind die in der Bilanz ausgewiesenen Anlagekosten für das Biomasse-Heizkraftwerk in Höhe von ca. 3,3 Mio. EUR (Anlagen im Bau), insbesondere die darin enthaltenen Planungskosten in Höhe von ca. 1,5 Mio. EUR, jedenfalls zu einem großen Teil nicht mehr werthaltig. Ein entwickeltes Projekt, dessen Veräußerungswert berücksichtigt werden könnte (BGHZ 119, 201), liegt nicht vor. Dagegen bleiben aber die Verbindlichkeiten gegenüber der LBBW bestehen. Bei der Verbandsversammlung der AOI am 15.01.2004 (K 28) wurde dementsprechend bei einem Abbruch des Projekts von Kosten in Höhe von ca. 3,5 Mio. EUR ausgegangen.
c) Eine positive Fortbestehensprognose, die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens, bestand zum relevanten Zeitpunkt nicht.
aa) Für die Fortbestehensprognose ist darauf abzustellen, ob die Finanzkraft des Unternehmens objektiv mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Fortführung zumindest mittelfristig ausreicht (BGHZ 119, 201). Es handelt sich damit zwar um eine Zahlungsfähigkeitsprognose (MüKomm/InsO-Drukarczyk/Schüler, § 19, Rn. 53; Bork, Wie erstellt man eine Fortbestehensprognose€, ZIP 2000, 1709/1710). Dies gibt aber lediglich den Gegenstand der Prognose wieder. Um insoweit eine positive Prognose abgeben zu können, sind ein Fortführungswille und die Fortführungsmöglichkeit erforderlich (HK-InsO/Kirchhof, a.a.O., § 19, Rn. 9 und 10; FK-InsO/Schmerbach, a.a.O, § 19, Rn. 20 a und 21).
(1) Zur Konkretisierung ist die Fortbestehensprognose in drei Stufen aufzustellen: Zunächst muss ein aussagekräftiges und plausibles Unternehmenskonzept erstellt werden. Sodann ist einem zweiten Schritt auf der Grundlage des Unternehmenskonzepts ein Finanzplan aufzustellen, in dem die finanzielle Entwicklung des Unternehmens für den Prognosezeitraum dargestellt wird. Auf der dritten Stufe ist aus dem Ergebnis des Finanzplans die Fortbestehensprognose abzuleiten (Empfehlungen des Fachausschusses Recht des Instituts deutscher Wirtschaftsprüfer [FAR/IDW], WPg 1997, 22 ff.; Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 28; Bork, a.a.O., S. 1709/1711).
(2) Den Prognosezeitraum konkretisiert die herrschende Auffassung in der Literatur dahin, dass sich die Fortbestehensprognose und damit die Finanzplanung auf die Zeit bis zum Ablauf des nächsten Geschäftsjahres zu erstrecken hat (Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 30 m.w.N.; MüKomm/InsO-Drukarczyk/Schüler, § 19, Rn. 56; Bork, a.a.O., S. 1709/1710).
bb) Damit erschöpft sich die Prognose entgegen der Auffassung der Berufung nicht in einer Kostendeckungsrechnung, diese ist lediglich Teil der Prognose. Es genügt daher nicht, die freie Kreditlinie von ca. 21 Mio. EUR den Herstellungskosten des Kraftwerks und sonstigen Kosten in Höhe von 16,5 Mio. EUR gegenüberzustellen. Erforderlich ist auch ein aussagekräftiges und tragfähiges Unternehmenskonzept. Insbesondere ist darzulegen, welcher Gestaltungsrahmen besteht, welche Zielvorstellungen und Strategien verfolgt werden und wie der Soll-Verlauf des Unternehmens geplant ist (Bork, ZIP 2000, S. 1709/1711).
cc) Hinsichtlich der Überschuldung liegt die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich bei der Gesellschaft bzw. dem für sie tätigen Insolvenzverwalter (BGHZ 126, 181; BGH ZIP 2005, 807). Ist eine rechnerische Überschuldung unter Zugrundelegung von Liquidationswerten festgestellt, wird die Auffassung vertreten, dass ein in Anspruch genommener Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast für die positive Fortbestehensprognose trägt (OLG Stuttgart, ZinsO 2004, 1150; OLG Koblenz, ZIP 2003, 571; Uhlenbruck, a.a.O., § 19, Rn. 80; Scholz/K.Schmidt, a.a.O, § 64, Rn. 50), oder dass aus der rechnerischen Überschuldung die widerlegliche Vermutung einer fehlenden günstigen Fortbestehensprognose abzuleiten ist (OLGR Naumburg 2001, 215). Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob der Geschäftsführer die Beweislast in diesen Fällen trägt (BGHZ 126, 181). Steht fest, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war, so ist es aber jedenfalls Sache der Geschäftsführer, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen (BGHZ, a.a.O.; OLGR Celle, 2000, 267; OLG Köln, NZG 2001, 411; OLG Düsseldorf, NZG 1999, 944).
dd) Umstände, die es rechtfertigten, das Unternehmen fortzuführen, sind indessen nicht dargelegt.
(1) Das ursprüngliche Unternehmenskonzept basierend auf der Erstellung eines Biomasse-Heizkraftwerks war spätestens ab dem 19.01.2004 gescheitert. Bereits im September 2003 war die Realisierung des Projekts fraglich. Das Bundesministerium für Umwelt teilte einem Landtagsabgeordneten bereits mit Schreiben vom 12.09.2003 mit (K 25), dass aufgrund einer inzwischen von der Stadt I. verhängten Veränderungssperre mit einer Verschiebung des Vorhabensbeginns gerechnet werden müsse, weshalb die Zuwendung von Fördermitteln aufzuheben sei. Außerdem war die Erschließung des Grundstücks der Anlage nicht mehr gesichert, nachdem sich Mitglieder einer Bürgerinitiative Grunddienstbarkeiten in Nachbargrundstücken eintragen ließen. Langwierige Enteignungsverfahren wären notwendig geworden. Wegen der nicht gesicherten Erschließung bat die Regierung Sch. mit Schreiben vom 27.11.2003 um Überprüfung, ob das immissionsrechtliche Genehmigungsverfahren weiter betrieben werden soll (K 27). Spätestens bei der Beiratssitzung der am Projekt Beteiligten am 12.01.2004 wurde klar, dass sich das Projekt nicht mehr unter Einhaltung der nach dem EEG bestehenden Frist bis Ende 2004 realisieren ließ (B 2). Die damit verbundene rentable Vergütungsgarantie war damit nicht mehr zu erreichen. In der Verbandssitzung der AOI am 15.01.2004 wurde festgestellt, dass das Projekt rechtlich und wirtschaftlich keine Basis mehr hat (K 28). Dies hat der erstinstanzlich vernommene Verbandsvorsitzende Buhl bestätigt. Der Beklagten wurde von der AOI mit Schreiben vom 19.01.2004 mitgeteilt, dass der Betrieb des Kraftwerks nicht mehr realisierbar sei und ab sofort keine weiteren Kosten mehr verursacht werden dürfen.
(2) Ein ernst zu nehmendes Fortführungskonzept wurde nicht erstellt. Die in dem Projekt enthaltene Klärschlammtrocknung war zwar noch möglich, dieser beschränkte Bereich stellte aber kein Konzept für die Fortführung einer Gesellschaft dar, die zur Errichtung eines Kraftwerks mit hohen Investitionen gegründet worden war. Auch der mit der Berufung geltend gemachte Vorschlag einer der beteiligten Firmen, wonach das Kraftwerk mit Waldhackschnitzeln betrieben werden könne, war nicht realistisch. Dieser Vorschlag stand unter der Prämisse, dass die Bürgerinitiative das Kraftwerk toleriert. Davon konnte aber nicht ausgegangen werden, da diese in jedem Fall gegen die Planung eines Biomasse-Heizkraftwerks war (K 39, K 40). Auch der AOI sah ausweislich des Protokolls der Versammlung vom 15.01.2004 (K 28) in der ausschließlichen Verwertung von Klärschlamm und Waldhackschnitzeln keine wirtschaftlich praktikable Möglichkeit. Außerdem lässt auch das späte Antwortschreiben der IB-Bau vom 08.03.2004 (B 12) auf das Schreiben der AOI vom 19.01.2004 erkennen, dass eine derartige Konzeption mit Waldhackschnitzeln nicht ernsthaft diskutiert wurde.
d) Auf den Überschuldungsstatus im Falle einer positiven Fortführungsprognose kommt es demnach vorliegend nicht an.
3. Der Erstattungsanspruch setzt ein Verschulden voraus, wobei einfache Fahrlässigkeit genügt (BGHZ 126, 181; MüKomm/HGB - K.Schmidt, a.a.O., § 130 a, Rn. 37; Staub-Habersack [2004], HGB, § 136, Rn. 29). Nach § 130 a Abs. 3 Satz 2 HGB wird das Verschulden vermutet (Staub-Habersack, a.a.O.). Dies entspricht der Rechtslage bei § 64 Abs. 2 GmbHG (BGHZ 126, 181; BGHZ 143, 184; BGHZ 163, 134).
a) Demnach ist ein Verschulden gegeben, zumal die Geschäftsführer verpflichtet sind, die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens laufend zu überprüfen (BGHZ 126, 181). Auf die positive Kenntnis der Überschuldung knüpfen die gegenständlichen Vorschriften - entgegen der Berufung - nicht an. Im Übrigen legt das spätere Schreiben der IB-Bau vom 08.03.2004 (B 12) nahe, dass das Problem der Überschuldung im Falle des Scheiterns des Projekts erkannt worden war.
b) Dass Zahlungen vorliegen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 130 a Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 HGB) haben die Beklagten nicht dargelegt und nachgewiesen.
In welchem Umfang Zahlungen zulässig sind, hängt von den Insolvenz- und Sanierungserwartungen ab. Zahlungen, die auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 22 InsO vornehmen dürfte, sind erlaubt (Scholz/K.Schmidt, a.a.O., § 64, Rn. 27). Demnach können Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sein, wenn es sich um laufende Zahlungen aus Dauerschuldverhältnissen handelt (Lohn- und Mietzinszahlungen, Strom- und Wasserrechnung) oder wenn die Zahlung geeignet ist, Schaden abzuwenden (Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 64, Rn. 30). Die bevorzugte Befriedigung von Gläubigern gehört hierzu aber eindeutig nicht (OLG Schleswig, ZIP 2003, 856).
III.
Den Beklagten ist in dem Urteil vorzubehalten, ihre Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag decken, den die begünstigten Gläubiger aus der Insolvenzmasse erhielten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrags an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen.
1. Die Anspruchsgrundlage nach § 130 a Abs. 3 HGB enthält - wie § 64 Abs. 2 GmbH - einen Ersatzanspruch eigener Art, der darauf gerichtet ist, das Gesellschaftsvermögen wieder aufzufüllen. Diesem Zweck widerspräche es, den Erstattungsanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs im Voraus um den feststellbaren Betrag zu kürzen, den die durch die verbotenen Zahlungen begünstigten Gläubiger erhalten hätten. Damit es dennoch nicht zu einer Bereicherung der Masse kommt, ist den Beklagten in dem Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse ihre Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen. Dabei deckt sich der ihnen zustehende Anspruch nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten (BGHZ 146, 264; BGH BB 2005, 1869; OLG Karlsruhe NZG 2002, 917).
2. Eines ausdrücklichen Antrags der Beklagten auf Vorbehalt ihrer Rechte bedurfte es nicht. Es liegt dem Anspruch nach § 130 a Abs. 3 HGB stets die Konstellation zu Grunde, dass das auch für diesen Ersatzanspruch eigener Art sinngemäß geltende schadensrechtliche Bereicherungsverbot letztlich eine Reduzierung der Haftung um die Insolvenzquote erfordert (BGH BB 2005, 1869).
IV.
Eine Verurteilung Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Anfechtungsansprüche nach § 143 InsO ist demgegenüber nicht auszusprechen.
1. Soweit dem Ersatzberechtigten Ansprüche auf Rückzahlung gegenüber den begünstigten Gläubigern zustehen, können die Beklagten zwar Abtretung dieser Forderungen Zug um Zug gegen Erfüllung des geltend gemachten Ersatzanspruchs verlangen (BGHZ 146, 264; OLG Hamm, 8 U 22/03).
2. Mit der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts sind die Beklagten aber nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Danach sind neue Angriffsmittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
a) Zu den neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln in diesem Sinne gehört auch die Einrede des Zurückbehaltungsrechts (Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 531, Rn. 23 und § 533, Rn. 17). Das Zurückbehaltungsrecht ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, sondern muss als Einrede vom Schuldner ausdrücklich oder stillschweigend geltend gemacht werden, sofern der Gläubiger bestehenden Zurückbehaltungsrechten nicht von sich aus Rechnung trägt und Leistung Zug um Zug verlangt (Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 273, Rn. 19).
b) Die unterbliebene Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts in erster Instanz beruht auf einer Nachlässigkeit der Beklagten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die dem Zurückbehaltungsrecht zu Grunde liegenden Tatsachen erst später bekannt wurden. Dahin stehen kann im Übrigen, dass der Insolvenzanfechtung unterliegende Handlungen auch nicht ausreichend dargelegt sind.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.
OLG Stuttgart:
Urteil v. 18.01.2006
Az: 4 U 189/05
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