Verwaltungsgericht Karlsruhe:
Urteil vom 19. September 2007
Aktenzeichen: 7 K 851/04
(VG Karlsruhe: Urteil v. 19.09.2007, Az.: 7 K 851/04)
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Verfügung des Dekans der Fakultät für Informatik vom 24.10.20037 K 851/04 sowie die im Zeitraum vom 24.10.2003 bis 18.11.2004 von der Fakultät für Informatik vorgenommene Filterung von E-Mails des Klägers rechtswidrig waren.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Filterung seiner bei der Fakultät für Informatik der Beklagten eingehenden E-Mails.
Der Kläger war im Wintersemester 2003/2004 - wie auch in den Folgesemestern - bei der Beklagten wegen seines nicht abgeschlossenen Promotionsverfahrens immatrikuliert. Mit Schreiben vom 24.10.2003 entzog ihm der Dekan der Fakultät für Informatik "aus gegebenem Anlass" ab sofort das Privileg, auf Rechner und Rechnernetze der Informatikfakultät an der Universität Karlsruhe zuzugreifen. Er untersage ihm jegliche Benutzung, auch über die Telekommunikationseinrichtung, sämtlicher Rechner, mobil oder stationär, und Rechnernetze, drahtlos oder leitungsgebunden, die an der Fakultät vorhanden seien oder in Zukunft eingerichtet würden. Zu dem Verbot gehöre insbesondere die Nutzung über das Internet, einschließlich, aber nicht limitiert auf die Nutzung von TCP/IP, http, FTP, Telnet, E-Post und durchtunneln. Ebenso untersagt sei ihre Nutzung über Dritte oder unter sonstiger Tarnung.
Ab diesem Zeitpunkt (24.10.2003) wurden die über den zentralen Mailserver der Fakultät für Informatik eingehenden E-Mails des Klägers gefiltert. Die Filterung betraf u.a. auch die an die Informatik-Hochschulgruppe XXX gerichteten E-Mails, deren Mail-System bis 11.11.2004 in das Datennetz der Fakultät integriert war. In der Zeit vom 24.10.2003 bis 11.11.2003 (erste Phase) erfolgte die Filterung in der Form, dass der IP-Adressbereich gesperrt wurde, zu dem auch der vom Kläger für den Mailversand benutzte Rechner gehörte. Damit war weder eine Mailkommunikation von noch zu diesem Rechner möglich. Der Absender einer Nachricht erhielt jeweils eine Fehlermeldung darüber, dass seine Mail nicht zugestellt werden konnte. Der Empfänger erhielt über den Vorgang keine Nachricht.
Im Zeitraum vom 12.11.2003 bis 30.06.2004 (zweite Phase) erfolgte die Filterung in der Form, dass E-Mails, die im Header (from, cc, bcc oder subject) die Zeichenkette "XXX" beinhalteten, blockiert wurden. Sie wurden also vom Mailserver abgewiesen, mit der Folge, dass der Absender diese mit einer Fehlermeldung zurückerhalten hat. Der Empfänger erhielt darüber keine Nachricht. Die Kommunikation per E-Mail von der Universität nach außen war von einer Filterung nicht betroffen.
Im Zeitraum vom 01.07.2004 bis 18.11.2004 (dritte Phase) erfolgte die Filterung derart, dass die bisherige Filterregel nach der Zeichenkette "XXX" im Header verfeinert wurde und die Mails nunmehr in "Quarantäne" gelegt wurden. Der Absender erhielt darüber keine Nachricht, der Empfänger wurde unverzüglich mit dem Eingang der Mail benachrichtigt, dass für ihn eine E-Mail zur Abholung bereit liege.
Am 18.11.2004 ordnete die neue Dekanin der Fakultät für Informatik mit sofortiger Wirkung an, dass keinerlei Filterung bestimmter Absender mehr erfolge.
Gegen die Verfügung vom 24.10.2003 hatte der Kläger am 30.10.2003 Widerspruch und am 21.03.2004 Klage erhoben. Zuletzt beantragt er,
1. festzustellen, dass die Verfügung des Dekans für Informatik vom 24.10.20037 K 851/04 sowie die im Zeitraum vom 24.10.2003 bis 18.11.2004 von der Fakultät für Informatik vorgenommener Filterung von E-Mails des Klägers rechtswidrig war.
2. die Beklagte zu verurteilen, eine erneute Filterung seiner E-Mails zu unterlassen.
Zur Begründung führt er aus, sein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr und des Rehabilitationsinteresses. Für die Verbotsverfügung und die E-Mail-Filterung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Eine solche stelle die von der Beklagten vorgelegte Benutzerordnung für die zentralen Rechenanlagen und das Datennetz der Fakultät für Informatik nicht dar. Das Unterdrücken von E-Mails sei eine Straftat nach § 206 StGB. Auf das Hausrecht könne die Maßnahme nicht gestützt werden. Ob er ein Nutzungsrecht an Einrichtungen der Fakultät habe, sei unerheblich. Die Beklagte sei Erbringer von Telekommunikationsdienstleistungen. Aufgrund von § 85 Abs. 3 TKG a. F. sei ihr die vorgenommene Filterung deshalb verboten. Mit den Maßnahmen greife die Beklagte auch unverhältnismäßig in seine Grundrechte aus Art. 10 sowie Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG ein.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem Kläger stehe aufgrund des durch die Immatrikulation begründeten Mitgliedschaftsverhältnisses zur Universität nicht das Recht zu, die Einrichtungen der Fakultät für Informatik zu benutzen. Das Nutzungsrecht eines Doktoranden sei auf den Zeitraum bis zur Erstellung der Dissertation beschränkt. Selbst wenn ein Nutzungsrecht bestehe, seien die ergriffenen Maßnahmen rechtmäßig. Aus dem Organisations- und Direktivrecht der Verantwortlichen der Beklagten ergebe sich das Recht, E-Mails von bestimmten Personen, von denen eine massive Störung der geordneten Abläufe zu erwarten sei, gesondert zu behandeln. Ein solches Verfahren sei in der seit dem 01.07.2004 geltenden Benutzungsordnung der ATIS (Mailinfrastruktur der Fakultät für Informatik) ausdrücklich vorgesehen: Nach § 8 Abs. 7 könnten E-Mails in Quarantäne gelegt werden, wenn der begründete Verdacht bestehe, dass diese den ordnungsgemäßen Betriebsablauf der Fakultät für Informatik stören könnten. Von dem Zugriff des Klägers auf die Einrichtungen der Fakultät sei eine konkrete Gefahr für diese ausgegangen. Die ungewöhnliche verbale Aggressivität des Klägers, wie sie auch in den Gerichtsschriftsätzen zum Ausdruck komme, begründe eine hohe potenzielle Gefährlichkeit des Klägers. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass diese verbale Aggressivität aus Enttäuschung oder Wut über die Ablehnung der Dissertation in tatsächliche Aggression umschlage und der Kläger, etwa durch Einschleusung von Viren, Trojanern und das Ausspähen von Mail-Adressen, in die Systeme der Fakultät eingreife. Entgegen der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe in seinem Beschluss vom 10.01.2005 - 1 Ws 152/04 - sei die Beklagte bei Erlass des Nutzungsverbots davon ausgegangen, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts kein Unternehmen i. S. des Telekommunikationsrechts sein könne.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der weiteren Einzelheiten auf die von der Beklagten vorgelegten Akten (2 Bände) Bezug genommen.
Gründe
Die Klage hat teilweise Erfolg. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren (Antrag Nr. 1) ist zulässig und begründet (1.). Demgegenüber ist das mit dem Antrag Nr. 2 verfolgte Unterlassungsbegehren bereits unzulässig (2.).
1. Der Antrag Nr. 1 ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in unmittelbarer Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Der Antrag bezieht sich auf die Verfügung vom 24.10.2003, die die Kammer im Sinne einer Anordnung der Filterung der E-Mails des Klägers versteht, wie sie seitens der Fakultät für Informatik der Beklagten in der Zeit vom 24.10.2003 bis 18.11.2004 vorgenommen wurde. Die Anordnung beeinträchtigte den Kläger jedenfalls in seinem grundrechtlich verankerten Recht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG, im Einzelnen dazu unten S. 8 ff.) und betraf ihn somit in seiner persönlichen Rechtsstellung. Sie war deshalb als Verwaltungsakt i. S. d. § 35 Satz 1 LVwVfG zu qualifizieren, gegen den der Kläger am 30.10.2003 Widerspruch und am 21.03.2004 Klage erhoben hatte. Das ursprüngliche Anfechtungsbegehren hat sich nach Klageerhebung erledigt, nachdem die damalige Dekanin der Fakultät für Informatik am 18.11.2004 angeordnet hatte, dass keinerlei Filterung bestimmter Absender mehr erfolge. Der Übergang von der ursprünglichen Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage stellt keine Klageänderung i. S. d. § 91 VwGO dar (vgl. Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 12. Aufl., § 113 Rd. Nr. 65).
Ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung kann dem Kläger nicht abgesprochen werden. Es ist in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte anerkannt, dass ein berechtigtes Feststellungsinteresse i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO u. a. dann besteht, wenn die Maßnahme diskriminierende Wirkung hatte und der Kläger ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteresse besitzt. Dabei kann sich die Diskriminierung des Betroffenen auch aus den Gründen der Entscheidung oder den Umständen ihrer Umsetzung ergeben (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 113 Rn. 143).
Nach Auffassung der Kammer ist hier von einer diskriminierenden Wirkung der Maßnahme auszugehen. Die angeordnete E-Mail-Filterung hat bewirkt, dass in der ersten Phase jegliche Mail-Kommunikation von und zu dem Rechner des Klägers unterbunden war. In der dritten Phase wurden eingehende E-Mails des Klägers in "Quarantäne" gelegt in der Weise, dass der Empfänger unverzüglich nach dem Eingang davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass für ihn eine E-Mail des Klägers zur Abholung bereit liegt. Sowohl die völlige Unterbindung der E-Mail-Kommunikation wie auch die "Sonderbehandlung" eingehender E-Mails des Klägers sind den potenziellen Kommunikationspartnern des Klägers nicht verborgen geblieben (vgl. das E-Mail des 1. Vorsitzenden des Vereins "XXX." an den damaligen Dekan vom 05.11.2003 sowie die Antwort des Dekans vom 11.11.2003, wonach "die Behinderung der Mitglieder ihres Vereins beseitigt" sei, die "E-Post-Sperrung von Herrn XXX" "zunächst beibehalten" würde, jeweils in den Verwaltungsakten der Fakultät für Informatik). Demgemäß hat auch der Landesbeauftragte für den Datenschutz Baden-Württemberg in seinem Schreiben an den Kläger vom 15.02.2005 von einer "deutlichen Stigmatisierungswirkung" der "Quarantäne-Lösung" gesprochen, da die Empfänger der vom Kläger abgesandten Mails erkennen konnten, dass im Hinblick auf diese offensichtlich "der begründete Verdacht besteht, dass diese den ordnungsgemäßen Betriebsablauf der Fakultät für Informatik stören könnten", vgl. § 7 der ab 01. Juli 2004 geltenden Benutzerordnung (vgl. AS 127 d. Gerichtsakte). Außerdem brachte es dieses Procedere mit sich, dass die E-Mails des Klägers von einem Administrator aus einem speziellen E-Mail-Postfach entnommen und dem Empfänger zur Verfügung gestellt werden mussten. Insgesamt stellte sich die von Dritten wahrnehmbare und wahrgenommene Sonderbehandlung der E-Mails des Klägers im elektronischen Verkehr mit den über den zentralen Fakultätsserver vernetzten Empfängern der Sache nach als eine € mit dem Vorwurf der Störung des ordnungsgemäßen Betriebsablaufs verbundene - "Ächtung" der Person des Klägers im elektronischen Verkehr dar. Bei dieser Sachlage kann dem Kläger ein Rehabilitationsinteresse nicht abgesprochen werden.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die Anordnung und Anwendung der E-Mail-Sperre in der dargelegten Form war rechtswidrig.
Soweit und solange die Beklagte als Erbringer von Telekommunikationsdiensten im Sinne des § 3 Nr. 5 des Telekommunikationsgesetzes vom 25.07.1996 (BGBl. I S. 1120) - TKG 1996 - bzw. als Diensteanbieter im Sinne des § 3 Nr. 6 des Telekommunikationsgesetzes vom 22.06.2004 (BGBl I S. 1190) - TKG 2004 - fungierte, unterlag sie den speziellen rechtlichen Bindungen des Telekommunikationsrechts und konnte sich deshalb eine Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Maßnahmen (nur) aus den Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes ergeben.
Unstreitig betrieb die Informatik-Hochschulgruppe, die in Form eines eingetragenen Vereins organisiert ist und deren Mitglieder Studierende der Mathematik und Informatik an der Universität Karlsruhe sind, im Datennetz der Fakultät für Informatik u.a. einen eigenständigen Mailserver. E-Mails mit dem Ziel "Name @ XXX.de." wurden vom zentralen Mailserver der ATIS (Abteilung Technische Infrastruktur der Fakultät für Informatik), an dem diese Mails zunächst ankamen, an den eigenen Server von XXX weitergeleitet. Das Mailsystem der XXX war also in das Mailsystem der Fakultät integriert. Ausgehend hiervon war die Beklagte € wie sie in ihrer Stellungnahme an den Landesdatenschutzbeauftragten einräumt € bis zum 11.11.2004, also dem Zeitpunkt, bis zu dem der Web- und Mailserver der Informatik-Hochschulgruppe in das Datennetz der Fakultät eingebunden war, ein Erbringer von Telekommunikationsdiensten i. S. d. § 3 Nr. 5 TKG 1996 bzw. ein Diensteanbieter i.S.d. § 3 Nr. 6 TKG 2004, der die Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes zu beachten hatte (vgl. S. 9 d. Stellungnahme der Beklagten zur Anfrage des Landesdatenschutzbeauftragten v. 23.11.2004). Dem stand die hoheitliche Funktion der Beklagten nicht entgegen. Denn sie hatte die Nutzung ihrer Telekommunikationsanlage zu Zwecken gestattet, die nicht im unmittelbaren oder nur mittelbaren Zusammenhang mit ihren hoheitlichen Aufgaben standen, so dass sie dadurch auch außerhalb ihres hoheitlichen Aufgabengebietes tätig geworden war und sich deshalb nicht mehr auf ihre hoheitliche Stellung zurückziehen konnte (vgl. hierzu im Einzelnen OLG Karlsruhe, B. v. 10.01.2005, - 1 Ws 152/04 -, DuD 2005, 167 m. w. N.). Dass der Beklagten bei der Anordnung der Filterung nicht bewusst war, dass die E-Mails für die Informatik-Hochschulgruppe zunächst über den zentralen Mailserver liefen, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.
Bei dieser Sachlage kam als Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Maßnahmen § 85 Abs. 3 des hier maßgeblichen Telekommunikationsgesetzes in der Fassung 1996 bzw. 2004 in Betracht. Danach ist es den Erbringern von Telekommunikationsdienstleistungen untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Sie dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit das TKG oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht.
Dass im vorliegenden Fall gesetzliche Ausnahmevorschriften die Verwendung von dem Fernmeldegeheimnis unterliegenden Tatsachen außerhalb des in § 85 Abs. 3 Satz 2 TKG verankerten Zweckbindungsgebots erlaubten (zu Beispielsfällen vgl. Beckscher TKG-Komm., 2. Aufl. 2000, § 85 Rd. Nr. 8 ff.), ist nicht erkennbar. In der streitgegenständlichen E-Mail-Filterung kann aber auch keine zulässige Verwendung von Kenntnissen im Rahmen der Zweckbindung im Sinne des § 85 Abs. 3 Satz 2 TKG gesehen werden. Als im Rahmen der Zweckbindung nicht zu beanstanden ist etwa die Überprüfung von Telekommunikationseinrichtungen aus betrieblichen Gründen, insbesondere zur Behebung von Fehlern, die elektronische Erfassung von Telefonaten zum Zweck der Entgeltermittlung und -zuordnung im Falle von Privatgesprächen bei betrieblichen Nebenstellenanlagen sowie die Verarbeitung und Übermittlung von Verkehrsdaten zum Zwecke der Entgeltermittlung und -abrechnung gem. § 97 TKG oder die Überprüfung zum Zweck der Erkennung einer missbräuchlichen Nutzung von Telekommunikationsdiensten (vgl. Bock, in: Beckscher TKG-Komm., 3. Aufl. 2006, § 88 Rd. Nr. 27). Demgemäß geht die Kammer davon aus, dass auch Maßnahmen im Rahmen der Zweckbindung liegen können, die der Abwehr von Gefahren für den bestimmungsgemäßen Betrieb einer Telekommunikationseinrichtung dienen. Danach können Maßnahmen der vorliegenden Art in Betracht kommen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass E-Mails mit Viren behaftet sind, so dass bei deren Verbreitung Störungen oder Schäden der Telekommunikations- und Datenverarbeitungssysteme eintreten (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., S. 11). Bei der Normanwendung ist allerdings dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, da mit derartigen Maßnahmen der "Gefahrenabwehr" in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG eingegriffen wird. Hierzu ist Folgendes auszuführen:
Das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken (vgl. BVerfGE 46, 120 <144>). Die Reichweite des Grundrechts beschränkt sich daher nicht auf die früher von der Deutschen Bundespost angebotenen Fernmeldedienste, sondern erstreckt sich auf jede Übermittlung von Informationen mit Hilfe der verfügbaren Telekommunikationstechniken. Auf die konkrete Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.03.2006 € 2 BvR 2099/04 -, MMR 2006, 217 m.w.N.; BVerfGE 106, 28 <36>).
Zwar schützt das Fernmeldegeheimnis in erster Linie die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und damit den Kommunikationsinhalt gegen unbefugte Kenntniserlangung durch Dritte. In der Abschirmung des Kommunikationsinhalts gegen staatliche Kenntnisnahme erschöpft sich der Grundrechtsschutz jedoch nicht. Er umfasst ebenso die Kommunikationsumstände. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (vgl. BVerfGE 67, 157, 172; 85, 386, 396).
Dabei erstreckt sich die Schutzwirkung des Grundrechts auch auf den Informations- und Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Kenntnisnahme von geschützten Kommunikationsvorgängen anschließt, und den Gebrauch, der von den erlangten Kenntnissen gemacht wird (vgl. zum Ganzen. BVerfGE 100, 313, 358 f.; Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 10 Rn. 10). Als Folge der Digitalisierung hinterlässt jede Nutzung der Telekommunikation personenbezogene Spuren, die gespeichert und ausgewertet werden können. Auch der Zugriff auf diese Daten fällt in den Schutzbereich des Art. 10 GG; das Grundrecht schützt auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.03.2006, a.a.O., m.w.N.).
Post und Telekommunikation bieten die Voraussetzungen für die private Kommunikation zwischen Personen, die nicht am selben Ort sind, und eröffnen so eine neue Dimension der Privatsphäre (vgl. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. <2005>, Art. 10 Rn. 18 f.). Damit verbunden ist ein Verlust an Privatheit; denn die Kommunizierenden müssen sich auf die technischen Besonderheiten eines Kommunikationsmediums einlassen und sich dem eingeschalteten Kommunikationsmittler anvertrauen. Inhalt und Umstände der Nachrichtenübermittlung sind dadurch dem erleichterten Zugriff Dritter ausgesetzt. Die Beteiligten, die ihre Kommunikation mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln über Distanz unter Nutzung fremder Kommunikationsverbindungswege ausüben, haben nicht die Möglichkeit, die Vertraulichkeit der Kommunikation sicherzustellen. Art. 10 Abs. 1 GG soll einen Ausgleich für die technisch bedingte Einbuße an Privatheit schaffen und will den Gefahren begegnen, die sich aus dem Übermittlungsvorgang einschließlich der Einschaltung eines Dritten ergeben (BVerfG, Beschl. v. 02.03.2006, a.a.O., m.w.N.).
An dem dargelegten Maßstab gemessen wurde mit den Maßnahmen der Beklagten in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG eingegriffen. Sie hatte mit der Filterung der E-Mails des Klägers in den drei oben beschriebenen Phasen auf Daten des Klägers zugegriffen, die im Zusammenhang mit dem elektronischen Verkehr mit den über den zentralen Fakultätsserver vernetzten Empfängern angefallen sind. Mit dieser Vorgehensweise hat die Beklagte gerade von der erleichterten Zugriffsmöglichkeit Gebrauch gemacht, die dem bei der Telekommunikation notwendigerweise eingeschalteten Kommunikationsmittler gegeben ist, und gegen deren Gefahren das Grundrecht Schutz bieten will. Für das Vorliegen des Eingriffs kam es auch nicht darauf an, ob dem Kläger nach den Bestimmungen der Benutzerordnung der Fakultät für Informatik ein Recht auf Nutzung deren Rechenanlagen oder Datennetzes zustand.
Vor diesem Hintergrund ist die Bestimmung des § 85 Abs. 3 Satz 2 TKG a.F. grundrechtskonform zu interpretieren. Danach ist zu beachten, dass die Einbußen an grundrechtlich geschützter Freiheit nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Gemeinwohlzwecken stehen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient; dabei sind u.a. der Grad der Gefahr und die Art und das Ausmaß eines möglichen Schadens für das Telekommunikationssystem den Folgen für das Grundrecht des Betroffenen gegenüberzustellen.
In Anwendung dieser Grundsätze waren die Voraussetzungen für die streitgegenständliche Abwehrmaßnahme nicht gegeben. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass eine hinreichend konkrete, den Eingriff in das Grundrecht rechtfertigende Gefahrenlage für das Datennetz der Beklagten bzw. der Fakultät vorlag.
Die Beklagte hat die streitgegenständliche Maßnahme insbesondere damit gerechtfertigt, dass die ständigen E-Mails des Klägers Kapazitäten der Mitglieder der Fakultät, insbesondere Professoren, in hohem Maße gebunden hätten und in den E-Mails wie den Schriftsätzen des Klägers in den verschiedenen gerichtlichen Verfahren eine ungewöhnliche verbale Aggressivität und ein feindschaftlicher Ton zum Ausdruck gebracht worden sei. Mit einem Umschlagen in tatsächliche Aggression und mit Eingriffen in die Systeme der Beklagten sei zu rechnen gewesen.
Dass die Häufung der E-Mails des Klägers ein Ausmaß erreicht hätte, das einen ordnungsgemäßen Betrieb des Datennetzes der Fakultät nicht mehr zugelassen hätte, wird von der Beklagten weder behauptet noch gar substantiiert dargelegt. Auch bei Zugrundelegung des Vorbingens der Beklagten zur verbalen Aggressivität und zum feindschaftlichen Ton des Klägers vor dem Hintergrund der Nichtannahme seiner Dissertation vermag die Kammer nicht festzustellen, dass dieses Verhalten auch die hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür begründete, dass dieser, etwa durch Einschleusung von Viren, Trojanern, durch das Ausspähen von E-Mail-Adressen oder auf vergleichbare Weise störend bzw. schädigend in die Datensysteme der Fakultät der Beklagten einzugreifen beabsichtigte. So ist insbesondere weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass es der Kläger in der Vergangenheit mittels der von ihm versandten E-Mails versucht hätte, über die von ihm an den Tag gelegte verbale Aggressivität hinauszugehen und tatsächlich Störungen des Datensystems zu verursachen. Mit Blick auf die Intensität des Eingriffs in die grundrechtlichen Interessen des Klägers können dabei die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Schäden oder Störungen des Datensystems der Fakultät nicht zu niedrig angesetzt werden. Deshalb konnte es für die Annahme einer hinreichenden Gefahrenlage ersichtlich nicht ausreichen, wenn die Beklagte in ihrer Stellungnahme an den Landesdatenschutzbeauftragten darlegte, dass "aufgrund des Zusammentreffens dieses feindschaftlichen Tons mit seinem unbestrittenen Wissen im Bereich der Sicherheit" "auch nicht ganz auszuschließen" war, dass der Kläger "versuchen würde, an für einen Angriff nützliche Informationen zu kommen und den Kommunikationsweg per Mail dafür auszunutzen."
Durchgreifenden rechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit begegnet ferner, dass der Grundrechtseingriff in der Phase 3 der Filterung zusätzliches Gewicht dadurch erhielt, dass neben Absender und Empfänger regelmäßig eine weitere Person (der Administrator) Kenntnis davon erhielt, wer wann E-Mails vom Kläger erhielt und in Empfang nahm; zudem konnte der Administrator dabei möglicherweise auch den Betreff und ggf. den Inhalt der Nachrichten zur Kenntnis nehmen. Außerdem ist - selbst wenn vorausgesetzt wird, dass sich (einzelne) Empfänger der von dem Kläger versandten E-Mails belästigt fühlten - nicht zu erkennen, aus welchem Grund - unter dem Aspekt eines milderen Mittels - die Möglichkeit der E-Mail-Nutzer nicht hätte ausreichen sollen, Nachrichten eines Absenders, mit dem kein Kontakt gewünscht wird, ohne vorherige Kenntnisnahme zu löschen (vgl. die Stellungnahme des Landesdatenschutzbeauftragten vom 15.02.2005, S. 5, AS 127 der Gerichtsakte). Soweit Angehörige der Fakultät für Informatik Anstoß am Inhalt der schriftlichen Äußerungen des Klägers nahmen, war es ihnen schließlich unbenommen, diese zur Prüfung einer etwaigen strafrechtlichen Relevanz den Strafverfolgungsbehörden zu unterbreiten.
Die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen war aber auch für den Zeitraum nach dem 11.11.2004 (also nach der Beendigung der Nutzung des Datennetzes der ATIS durch die Informatik-Hochschulgruppe, vgl. die Stellungnahme der Beklagten an den Landesdatenschutzbeauftragten S. 9 f.) anzunehmen. Wie dargelegt, wurde durch die Filterung der E-Mails - zu diesem Zeitpunkt in der Phase 3 ("Quarantäne") - in das Fernmeldegeheimnis in seinem datenschutzrechtlichen Gehalt eingegriffen. Zugleich wurden die Zeichenfolge "XXX" und damit personenbezogene Daten des Klägers verarbeitet i. S. d. Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 2 Satz 1 des Landesdatenschutzgesetzes - LDSG €. Nach § 4 Abs. 1 LDSG war eine solche Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Beklagte nur zulässig, wenn das Landesdatenschutzgesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubte oder soweit die Betroffenen eingewilligt haben. Auch diese Voraussetzungen lagen nicht vor.
Die Beklagte beruft sich auf das Recht, E-Mails von bestimmten Personen, von denen eine "massive Störung der geordneten Abläufe zu erwarten ist", gesondert zu behandeln - vergleichbar mit dem Recht der Universität, sich vor E-Mails, von denen eine Gefahr für die Infrastruktur durch Viren und Schadprogramme ausgeht, zu schützen. Als Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Maßnahme bezieht sie sich auf das "Organisations- und Direktivrecht" der Universität bzw. des Dekans der Fakultät für Informatik sowie auf die Benutzerordnung für die zentralen Rechenanlagen und das Datennetz der Fakultät für Informatik an der Universität Karlsruhe. In § 8 Abs. 7 der seit dem 01.07.2004 geltenden Benutzerordnung ist geregelt, dass E-Mails in Quarantäne gelegt werden können, wenn der "begründete Verdacht besteht, dass diese den ordnungsgemäßen Betriebsablauf der Fakultät für Informatik stören könnten". Nach Art. 10 Abs. 2 GG dürfen Beschränkungen des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Als Rechtsgrundlage kommen nur formell-gesetzliche Vorschriften oder andere untergesetzliche Normen in Betracht, wenn diese auf ausreichend bestimmte formell-gesetzliche Vorgaben gestützt werden können (vgl. Hömig, a.a.O., Rn. 11). Ob das genannte "Organisations- bzw. Direktivrecht" bzw. die genannte Benutzerordnung hiernach in formeller Hinsicht eine ausreichende normative Grundlage für den mit streitgegenständlichen Maßnahmen verbundenen Grundrechtseingriff bilden konnten, kann indes dahinstehen. Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass im vorliegenden Fall die von der Beklagten selbst als notwendig erachtete Eingriffsvoraussetzung, nämlich der "begründete Verdacht einer Störung des ordnungsgemäßen Betriebsablaufs der Fakultät für Informatik", tatsächlich bestand. Zur Begründung kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.
2. Der Antrag Ziff. 2 ist bereits unzulässig. Mit ihm begehrt der Kläger die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes, für dessen Zulässigkeit ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse erforderlich ist (vgl. nur BVerwGE 77, 207). Danach ist für eine vorbeugende Unterlassungsklage kein Raum, wenn der Betroffene in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz - auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten vorläufigen Rechtsschutzes - verwiesen werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.09.1993 - 14 S 1946/93 -, NVwZ-RR 1994, 362 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Vorbemerkung § 40 Rd. Nrn. 33 ff.; Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl., Vor § 40 Rn. 25).
An diesem qualifizierten Rechtsschutzinteresse fehlt es hier. Am 18.11.2004 hatte die damalige Dekanin der Fakultät für Informatik mit sofortiger Wirkung angeordnet, dass keinerlei Filterung bestimmter Absender mehr erfolge. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Fakultät bzw. die Beklagte beabsichtigen, von dieser Haltung in absehbarer Zeit wieder abzurücken, sind weder aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich. Für das Gericht ist nicht erkennbar, weshalb es dem Kläger nicht zumutbar sein sollte, sich gegen eine erneute E-Mail-Sperrung mit einer Anfechtungs- bzw. Leistungsklage zur Wehr zu setzen. Im Falle der Eilbedürftigkeit steht ihm die Möglichkeit zur Verfügung, sein Begehren auf Abwehr einer E-Mail-Sperrung zum Gegenstand eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO bzw. § 123 VwGO zu machen. Vor diesem Hintergrund ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass mit einer erneuten E-Mail-Sperre die Schaffung vollendeter Tatsachen verbunden wäre oder sich sonst ein aus der Sicht des Klägers nicht hinnehmbares Rechtsschutzdefizit ergeben könnte. Dies gilt um so mehr, als mit dem Feststellungsausspruch zum Antrag Nr. 1 und der diesbezüglichen Begründung die Voraussetzungen einer E-Mail-Sperre hinreichend geklärt sein dürften. Für ein darüber hinausgehendes Interesse an einer vorbeugenden Unterlassung ist nichts ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
B E S C H L U S S:
Der Streitwert wird gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. i.V.m. § 5 ZPO in entsprechender Anwendung auf Euro 8.000,00 festgesetzt.
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 25 Abs. 3 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG verwiesen.
VG Karlsruhe:
Urteil v. 19.09.2007
Az: 7 K 851/04
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