Bundespatentgericht:
Urteil vom 13. April 2011
Aktenzeichen: 5 Ni 1/10
(BPatG: Urteil v. 13.04.2011, Az.: 5 Ni 1/10)
Tenor
1.
Das europäische Patent 1 425 198 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 und 7, soweit dieser nicht auf Patentanspruch 6 zurückbezogen ist, für nichtig erklärt.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 11. September 2002 unter Inanspruchnahme der Priorität DE 201 151 64 U vom 13. September 2001 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 425 198 (Streitpatent) mit der Bezeichnung
"Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz".
Das in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichte Streitpatent wird beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 502 04 898 geführt.
Das Streitpatent umfasst 7 Patentansprüche, von denen die angegriffenen Ansprüche 1 bis 5 und 7 folgenden Wortlaut haben:
Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Patentverletzung gerichtlich in Anspruch genommen wird, macht als Nichtigkeitsgrund fehlende Patentfähigkeit geltend, weil der Gegenstand des Streitpatents sich gegenüber dem Stand der Technik am Prioritätstag nicht als erfinderisch erweise. Zur Begründung macht die Klägerin u. a. folgenden Stand der Technik geltend:
D1 Offenkundige Vorbenutzung Mercedes E-Klasse und Typ 190, insbesondere einer Sitzführungsschiene in Fahrzeugen der E-Klasse (Baureihe W 124) der Daimler AG, Produktionszeitraum 1984 -1997, ca. 2,6 Mio. Fahrzeuge, und in Fahrzeugen des Typs 190er (Baureihe W 201), Produktionszeitraum 1982 -1993, ca. 1,8 Mio Fahrzeuge D1.1 Schienenführung des W 124, Produktionsjahr 1996 (Vorführung eines Originals in der mündlichen Verhandlung)
D1.2 Photographien von D1.1 D1.3 Zeichnung 9-1280 der Nichtigkeitsklägerin für die ZB Hö
henverstellung mit einer Schienenführung gemäß D1.1; DB-
Nummer 124 910 47 77 li bzw. 124 910 47 77 re mit letztemÄnderungsdatum 17. Dezember 1993 D1.4 kompletter Fahrzeugsitz aus dem Fahrzeug K-AW-7770 mitder Ident-Nr. WDB 1240901 F150717 3, Erstzulassung 22. Juni 1990 mit Schienenführung gemäß D1.3 bzw. D1.1
(Vorführung in der mündlichen Verhandlung)
D3 Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 20. Auflage 2001, S. G5;
D4 DE 43 41 255 C2.
Mit Schriftsatz vom 8. April 2011 hat sie ergänzend ein Gutachten von Prof. Dr.-Ing. R... vorgelegt.
Die Klägerin stellt den Antrag, das europäische Patent 1 425 198 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 und 7, soweit dieser nicht auf Patentanspruch 6 zurückbezogen ist, mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 4 gemäß Schriftsatz vom 10. März 2011.
Dem Vorbringen der Klägerin tritt sie in allen Punkten entgegen. Sie ist der Ansicht, die patentierte Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz, deren Neuheit die Klägerin nicht bestritten habe, beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies gelte zumindest in einer der hilfsweise beantragten Fassungen. Der von der Klägerin angeführte Stand der Technik enthalte für den zuständigen Fachmann keine Anregungen für die Entwicklung der technischen Lehre des Streitpatents. Zur Stützung ihrer Auffassung bezieht sich die Beklagte u. a. auf folgende Unterlagen:
Anlage M&N 1: Radaj u. a., Laserschweissgerechtes Konstruieren. Fachbuchreihe Schweißtechnik, Band 114, 1994 Anlage M&N 2: Stellungnahme der Einspruchsabteilung des EPA vom 4. September 2009, Anlage M&N 4: Auszug aus der Widerspruchsbegründung der Nichtigkeitsklägerin vom 27. Januar 2010, Anlage M&N 5: 4 Fotos von Sitzschienen der Baureihe Mercedes-Benz C-Klasse von 1994 (Baureihe W202), Anlage M&N 6: Gutachten von Prof. Dr. Hoffman vom 2. März 2011. Die Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 1 lauten:
Die Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 2 lauten: Die Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 3 lauten: Die Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 4 lauten:
Nach Auffassung der Klägerin sind auch die hilfsweise beanspruchten Gegenstände nicht patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage, mit der der in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit. a EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist auch begründet.
I.
1. Das Streitpatent betrifft eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung eines Sitzgestells oder eines Sicherheitsgurtes.
In der Beschreibungseinleitung (Abs. [0002] der Streitpatentschrift) wird auf bekannte Kraftfahrzeugsitze Bezug genommen und angegeben, dass zum Anbringen eines Sitzgestells Bauteile verwendet würden, die mittels Schrauben oder Nieten fixiert seien. Derartige Befestigungsstellen müssten die zum Teil extrem hohen Kräfte, die bei einem Crash verursacht werden, quasi punktförmig übertragen, weshalb sie sehr massiv ausgebildet sein müssten. Infolge dessen müsse vergleichsweise viel Material und Bauraum eingesetzt werden.
Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, Mittel zur Anbindung von Anbauteilen an Führungsschienen eines Kraftfahrzeugsitzes zur Verfügung zu stellen, die sich durch eine hohe Belastbarkeit, geringen Materialeinsatz und automatisierte Fertigbarkeit auszeichnen (Abs. [0003] der Streitpatentschrift).
Zur Lösung dieser Aufgabe dienen die im Patentanspruch 1 enthaltenen Merkmale.
2. Die Grundidee des Streitpatents besteht darin, wenigstens ein Anbauteil durch Laserschweißen mit der Führungsschiene zu verbinden (Abs. [0005] der Streitpatentschrift). Laserschweißen habe gegenüber anderen Schweißverfahren den Vorteil, dass die thermische Belastung der zu verbindenden Bauteile vergleichsweise gering sei, sodass ein Wärmeverzug oder eine übermäßige Gefügeveränderung praktisch ausgeschlossen werden könne (Abs. [0006] der Streitpatentschrift).
II.
Die Neuheit der Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 kann dahingestellt bleiben, da die Führungsschiene jedenfalls in allen verteidigten Fassungen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Als maßgeblichen Durchschnittsfachmann legt der Senat in Übereinstimmung mit den Parteien einen Maschinenbauingenieur mit guten, mehrjährig erworbenen Kenntnissen auf dem Gebiet der Konstruktion und Produktion von Kraftfahrzeugsitzen zugrunde. Er verfügt über hinreichende fertigungstechnische Kenntnisse und weiß über Methoden der Verbindungstechnik, ggfls. durch Einbindung in ein Entwicklerteam, in dem Umfang Bescheid, wie es für seine tägliche Arbeit erforderlich ist. Das Laserschweißen ist ihm als Schweißverfahren grundsätzlich bekannt, siehe Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 20. Auflage 2001, Seite G5 (D 3). Eine Stütze für diese vorausgesetzte Fachkenntnis findet sich in dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des Prof. Dr.-Ing. P. Hoffmann (M&N 6). Darin sind Automobilhersteller als Pioniere für den Lasereinsatz in der Produktion vor dem Prioritätstag des Streitpatents ausdrücklich genannt, nämlich BMW ab 1987, Daimler ab 1991 und VW ab 1996, vgl. insb. S. 4 Abs. 5 des Gutachtens. Inhaltlich übereinstimmend ist dieser Sachverhalt auch dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des Prof. Dr.-Ing. R... zu entnehmen, vgl. insb. Fazit des Gutachtens mit Hinweis auf Anlage M&N 1.
1. Zur Patentfähigkeit der erteilten Fassung Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung ist nicht patentfähig, weil er einer erfinderischen Tätigkeit nicht bedurfte.
Die offenkundige Vorbenutzung D1 (Mercedes Baureihe W 124 ) ist nach der Klarstellung durch die Beklagte -vgl. Protokoll S. 3 unten -unbestritten. Durch Inaugenscheinnahme des von der Klägerin zur mündlichen Verhandlung mitgebrachten Sitzes gemäß D 1.4 haben sich der Senat und die Beklagte davon überzeugt, dass die Sitzschienenkonstruktion gemäß D1 in den hier maßgeblichen Details der Verbindung zwischen einem Anbauteil und einer Führungsschiene mit der Zeichnung gemäß D 1.3 übereinstimmen, vgl. nachfolgende abgebildeten Detailausschnitt Gemäß D1 ist somit am Prioritätstag des Streitpatents eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz mit Anbauteilen zur Anbindung eines Sitzgestells oder eines Sicherheitsgurtes bekannt, bei dem wenigstens ein Teil der Anbauteile zumindest mit einem Teilbereich stumpf auf eine Oberfläche der Führungsschiene aufgesetzt und durch Schweißen mit der Führungsschiene verbunden ist, vgl. insb. vorstehenden Ausschnitt mit eingefügten Bezeichnungen sowie Farbmarkierungen aus Zeichnung D 1.3. Daher repräsentiert diese Vorbenutzung den nächstkommenden Stand der Technik.
Der einzige Unterschied gegenüber der streitgegenständlichen Führungsschiene besteht in dem Schweißverfahren, durch welches die Anbauteile mit der Führungsschiene verbunden sind. Während die Verbindung bei der vorbekannten Führungsschiene unbestritten durch ein klassisches Schutzgasschweißverfahren, z. Bsp. MAG/MIG-Verfahren hergestellt worden ist, soll sie nach dem Streitpatent "durch Laserschweißen" erfolgen. Für die Verwendung des Laserschweißens bedurfte es in diesem Fall jedoch keiner erfinderischen Tätigkeit, denn dieses Schweißverfahren war am Prioritätstag bekannt und lag im Griffbereich des Fachmanns.
Wenn sich der eingangs definierte, um ständige Verbesserung des Standes der Technik bemühte Fachmann mit der vorbenutzten Führungsschiene auseinandersetzt, um sie z. Bsp. fertigungstechnisch zu optimieren, muss er auch das Schweißverfahren auf den Prüfstand stellen. Dabei wird er u. a. prüfen, ob das bislang angewendete Schweißverfahren möglicherweise durch ein geeignetes Verfahren oder ein Verfahren mit geringerem Materialeinsatz zu ersetzen ist. Sieht er sich dazu im einschlägigen Stand der Technik um, kann er die DE 4341255C2 (D4) nicht übersehen. Diese Patentschrift der Daimler-Benz AG weist nach, dass Laserschweißen in der Automobilindustrie bereits etwa drei Jahre vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt war. Sie offenbart, insbesondere ausweislich ihres Titels, ein "Verfahren zum Laserstrahlschweißen von Bauteilen". Als Einsatzgebiet für das Laserschweißen sind normale, in der Automobilindustrie verwendete Bleche ausdrücklich genannt, vgl. insb. Sp. 2 Z. 32/33. Fachnotorisch bekannt ist zudem, dass sich Laserschweißen durch die programmierte Führung des Schweißstrahls (Schweißroboter) sehr gut automatisieren lässt und dass Laserschweißen grundsätzlich ohne Schweißzusatzwerkstoff auskommt, weil die Schweißstelle bzw. die Fügeflächen aufgeschmolzen und dabei direkt miteinander verbunden werden, vgl. insb. D3. Der beim Laserschweißen unvermeidbare Wärmeeintrag in die Werkstücke ist ungleich geringer als bei allen anderen Schweißverfahren. Insoweit liegt die grundsätzliche Eignung des Laserschweißens für die zu verbessernde Führungsschiene für den Fachmann auf der Hand. Seiner fachgerechten Betrachtung muss auch auffallen, dass gerade die Fügesituation der Anbauteile an der Führungsschiene des Sitzes besonders vorteilhaft für das Laserschweißen geeignet ist. Denn dabei kann die Laserstrahlachse vorteilhaft in die Fügezone gelegt werden, ohne dass der Strahlkegel und der Laserschweißkopf mit der Führungsschiene oder den Anbauteilen kollidieren, vgl. Gutachten gemäß Anlage M&N 6 auf S. 13 letzter Abs.
Unter Hinweis auf die Anlage M&N 1 wendet die Beklagte ein, gegen den Einsatz von Laserschweißen im Karosseriebereich habe wegen erheblicher Positionierprobleme ein Vorurteil der Fachwelt bestanden. Dieses Vorurteil gelte erst recht und verstärkt für die Schaffung einer hochfesten Verbindung zwischen einer Führungsschiene und einem im Crashfall stark belasteten Anbauteil eines Fahrzeugsitzes.
Diese Schlussfolgerung teilt der Senat nicht. Nach dem fachmännischen Verständnis beziehen sich die in Anlage M&N 1 angesprochenen Toleranzund Positionierungsprobleme im Karosseriebereich auf in der Regel nicht geradlinige Verläufe von gepressten oder gestanzten Blechteilen der Fahrzeugkarosserie. Die Verbindungsbereiche dieser Blechteile können beim Fahrzeugrohbau möglicherweise nicht über die gesamte Schweißnahtlänge so nahe (quasi spaltfrei) zusammengebracht werden, wie es für das Laserschweißen ohne Schweißzusatzwerkstoff erforderlich ist. Derartige Positionierprobleme treten bei einer Verbindung zwischen einer Führungsschiene und einem Anbauteil allerdings regelmäßig nicht auf. Denn die Führungsschiene dient als Lagerschale für die Sitzverschiebelagerung und muss daher selbst sehr formhaltig sein. Sie darf sich deshalb bei der Bearbeitung, z. Bsp. durch Wärmezufuhr beim Schweißen, weder verziehen noch zu große Spannungen aufnehmen. Anbauteile zur Anbindung eines Sitzgestells, wie beispielsweise in D1 nachgewiesen, bestehen aus im Vergleich zu Karosserieblechen starkem, gestanztem und/oder ggfls. gekantetem Flachmaterial. Diese Anbauteile sind gemäß D1 zudem nur mit einem Teil der Führungsschiene verbunden, d. h. es sind nur vergleichsweise kurze Schweißnähte erforderlich. Außerdem sind die Verbindungsränder/Fügeflächen der Anbauteile in der Regel ebenso gerade wie die Führungsschiene selbst. Aufgrund dessen ist ein Toleranzund Positionierproblem wie im Karosseriebereich in diesem Fall eher ausgeschlossen bzw. nicht zu erwarten. Deshalb wird der Fachmann das von der Klägerin reklamierte Vorurteil gerade nicht auf eine Führungsschiene für einen Kraftfahrzeugsitz übertragen. Ohne dieses Vorurteil und wegen der vorstehend beschriebenen Randbedingungen (formhaltige Bauteile, minimaler Wärmeeintrag, gerade Fügeflächen, kurze Schweißnähte) musste er vielmehr die besondere Eignung der in Rede stehenden Bauteileverbindung für das Laserschweißen erkennen.
Die Beklagte meint weiter, das bei der Vorbenutzung vorne an der Sitzschiene angeschweißte Anbauteil mit einem Langloch und einer Zahnung zur Höhenverstellung der vorderen Sitzfläche könne keine nennenswerten Crashkräfte übertragen, weil die Verstellmechanik in dem Langloch lediglich lose geführt sei. Dieses Argument kann schon deshalb nicht durchgreifen, weil weder Crashkräfte an sich noch Crashkräfte in einer qualitativen Abstufung im geltenden Anspruchswortlaut enthalten sind. Sofern sich dem Fachmann die Notwendigkeit zur Übertragung von Crashkräften aus der Anwendung der Sitzschiene mit Anbauteilen zur Sitzoder Sicherheitsgurtanbindung von selbst erschließt, gilt dies gleichermaßen auch für die vorbenutzte Sitzschienenkonstruktion gemäß D1. Für ausgeschlossen erachtet der Senat, dass über die vordere, verstellbare Sitzanbindung der Sitzschienenkonstruktion gemäß D1 keine Crashkräfte übertragen werden. Denn durch das Anbauteil der Sitzschiene mit einem Langloch (mit Zahnung), in welchem eine mit dem Sitzgestell verbundene Welle geführt ist, ist es zumindest bei einer plastischen Verformung der Bauteile unvermeidlich, dass in einem Crashfall Kräfte von dem Sitzgestell auf die Führungsschiene und/oder umgekehrt übertragen werden.
Schließlich macht die Beklagte noch geltend, Laserschweißen sei in der Automobilindustrie bis zum Prioritätsdatum nicht angewendet worden und im Karosseriebereich habe es bis zum Prioritätsdatum 2001 keinen T-Stoß mit Laserschweißung gegeben. Darauf kommt es aber bei der Frage der Erfindungshöhe nicht an, denn der patentrechtlich zu berücksichtigende Stand der Technik umfasst insbesondere die Kenntnisse, die vor dem Prioritätstag durch schriftliche Beschreibung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, Art. 54 Abs. 2 EPÜ. Eine schriftliche Beschreibung dieser Art ist ohne Zweifel die vorveröffentlichte DE 4341255C2 (D4). Durch diese Druckschrift ist Laserschweißen in der Automobilindustrie als vorbekannt nachgewiesen, wie vorstehend dargetan.
Aus dem Gutachten des Prof. Dr.-Ing. P. Hoffmann (Anlage M&N 6) leitet die Beklagte außerdem ab, gegen das Laserschweißen an sogenannten T-Stößen hätten schwerwiegende Bedenken bestanden. Diese Auffassung kann im Lichte der vorveröffentlichten DE 43 41 255 C2 (D4) nicht überzeugen. Denn im Ausführungsbeispiel der Fig. 3 mit erläuternder Beschreibung ab Sp. 3 Z. 9 ff. der D4 ist eine Ausführungsform mit einem T-Stoß ausdrücklich offenbart. Dabei ist die zur Schweißung vorgesehene Schmalseite (entspricht im streitpatentgemäßen Sprachgebrauch der Stoßkante) eines Oberteils (entspricht im streitpatentgemäßen Sprachgebrauch einem Anbauteil) auf einem Unterteil (entspricht im streitpatentgemäßen Sprachgebrauch einer Führungsschiene) angelegt und ausgerichtet. Da diese Patentschrift das Laserschweißen in der Automobilindustrie offenbart und etwa drei Jahre vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt war, kann von schwerwiegenden Bedenken gegen das Laserschweißen an sogenannten T-Stößen nicht ausgegangen werden.
Der Hinweis der Beklagten auf den angeblichen technischen und wirtschaftlichen Erfolg des Streitgegenstandes kann die Patentfähigkeit des Streitgegenstandes allein nicht begründen, vgl. insb. Busse/Keukenschrijver, 6. Auflage, PatG § 4 Rn. 183 m. w. N.. Ein wirtschaftlich/technischer Erfolg käme als Hilfserwägung für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit allenfalls in Betracht, wenn nicht schon der Stand der Technik der Erfindungshöhe entgegenstünde. Das trifft hier allerdings nicht zu, denn mit der Vorbenutzung gemäß D1 und der Patentschrift D4 ist ein ausreichender und einschlägiger Stand der Technik im Verfahren, der überzeugend das Nichtvorliegen einer erfinderischen Tätigkeit belegt.
Die übrigen von der Beklagten beigebrachten Anlagen M&N 2 und 4 bis 5 befassen sich mit dem Verhalten der Parteien im parallelen Verletzungsstreit, mit dem Verfahren vor dem Europäischen Patentamt oder mit weiter entfernt liegendem Stand der Technik, die keinen Nachweis für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit erbringen können.
Aufgrund der vorstehenden Bewertung ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass dem Fachmann eine Verbesserung der vorbekannten Führungsschiene mit einer Bauteileverbindung durch Laserschweißen allein durch Einsatz des am Prioritätstag verfügbaren Fachwissens gelingt.
2. Zum Hilfsantrag 1 Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der nach Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung ist nicht patentfähig, weil er einer erfinderischen Tätigkeit nicht bedurfte.
Die im geltenden Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen sind unbestritten zulässig. Gegenüber dem Hauptantrag betreffen sie eine eher klarstellende als beschränkende Einfügung, wonach wenigstens ein Teil der Anbauteile (2, 2««a, 2««b), ".... Befestigungsstellen enthält, welche die Kräfte, die bei einem Crash auftreten, übertragen, ...".
Hinsichtlich der in dem geltenden Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag 1 wortgleichen Merkmale der streitgegenständlichen Führungsschiene gelten die im vorstehenden Abschnitt 1 gemachten Ausführungen gleichermaßen. Bei der Auseinandersetzung mit der Argumentation der Beklagten wurde dort bereits ausgeführt, dass es bei der vorbenutzten Führungsoder Sitzschiene gemäß D1 in einem Crashfall unvermeidlich ist, Kräfte von dem Sitzgestell über die Anbauteile auf die Führungsschiene und/oder umgekehrt zu übertragen. Im Hinblick darauf definiert die vorgenommene Einfügung keinen Unterschied zu der Vorbenutzung gemäß D1. Folgerichtig beruht der mit Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand ebenso wenig auf einer erfinderischen Tätigkeit wie derjenige des Hauptantrages. Die vorstehend ausführlich dargelegte Argumentation zur fehlenden Patentfähigkeit des Gegenstandes des Hauptantrages gilt inhaltlich zum Gegenstand des Hilfsantrags 1 gleichermaßen.
3. Zum Hilfsantrag 2 Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der nach Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung ist nicht patentfähig, weil er einer erfinderischen Tätigkeit nicht bedurfte.
Die im geltenden Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen sind unbestritten zulässig. Gegenüber dem Hauptantrag beschränkt die abschließende Ergänzung des Wortlauts des Patentanspruchs 1 das Laserschweißen auf eine bestimmte Schweißnahtform, indem ein Teil der stumpf auf eine Oberfläche der Führungsschiene aufgesetzten und durch Laserschweißen mit der Führungsschiene verbundenen Anbauteile nunmehr auch ".... stumpf auf der Oberfläche der Führungsschiene (1) angeschweißt ist".
Hinsichtlich der in dem geltenden Patentanspruch 1 wortgleichen Merkmale der streitgegenständlichen Führungsschiene gelten die im vorstehenden Abschnitt 1 gemachten Ausführungen gleichermaßen. Für die nunmehr zusätzlich beanspruchte Schweißnahtform bedurfte es keiner erfinderischen Tätigkeit, denn Stumpfoder Stirnnähte sind dem Fachmann fachnotorisch bekannt. Sie zählen ebenso wie Kehlnähte zu den gebräuchlichen Schweißnahtformen bzw. -typen. Bei einer Stumpfoder Stirnnaht stoßen die zu verbindenden Bauteile stumpf gegenbzw. aufeinander, wie dies in der vorstehend wiedergegebenen Zeichnung der Vorbenutzung D1 beispielhaft dargestellt ist. Wird beim Schweißvorgang die Fuge durchgeschweißt, entsteht eine Stumpfoder Stirnnaht. Diese Schweißnahtform ist aufgrund der Schweißnahtgeometrie bekanntlich statisch und vor allem dynamisch stärker belastbar als beispielsweise eine Kehlnaht. Deshalb wird der Fachmann einen derartigen Nahttyp entsprechend der vorliegenden Beanspruchung dann auswählen, wenn es aufgrund der zu treffenden Lastannahmen auf eine hohe dynamische Belastbarkeit ankommt. Dies ist bei sicherheitsrelevanten Bauteilen in der Fahrzeugtechnik ohne Weiteres anzunehmen. Für das Laserschweißen ist dieser Nahttyp zudem besonders geeignet, weil durch die Möglichkeit der Fokussierung des Laserstrahles im Stoßbereich der Bauteile eine bearbeitungsaufwendige Abschrägung der Blechkanten entfallen kann, die bei einem herkömmlichen Schutzgasschweißverfahren u. U. erforderlich wäre. Nach Überzeugung des Senats reicht zur nunmehr beanspruchten Ausgestaltung der streitgegenständlichen Führungsschiene das bereits am Prioritätstag nachgewiesene Fachwissen aus.
4. Zum Hilfsantrag 3 Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der nach Hilfsantrag 3 verteidigten Fassung ist nicht patentfähig, weil er einer erfinderischen Tätigkeit nicht bedurfte.
Die im geltenden Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen sind unbestritten zulässig. Gegenüber dem Wortlaut der Anspruchsfassung gemäß Hilfsantrag 2 betreffen sie eine Konkretisierung des Teilbereichs der Anbauteile "in Form einer Stoßkante" und die Einfügung des Merkmals, "wobei zumindest ein Teil der für die Ausbildung der Schweißnaht (200) vorgesehenen Stoßkante (20) für das Laserschweißen vorbereitet ist, ...".
Hinsichtlich der in dem geltenden Patentanspruch 1 wortgleichen Merkmale der streitgegenständlichen Führungsschiene gemäß Hilfsantrag 3 gelten die im vorstehenden Abschnitt 3 gemachten Ausführungen gleichermaßen. Ob die Ausbildung desjenigen Teils eines Anbauteils, das stumpf auf eine Oberfläche der Führungsschiene aufgesetzt und dort angeschweißt ist, "in Form einer Stoßkante" überhaupt eine inhaltliche Beschränkung darstellt, ist fraglich. Denn durch das Aufsetzen eines Anbauteils auf die Oberfläche der Führungsschiene bildet sich bereits ein Stoß, an welchem die Kante des Anbauteils Teil hat. Eine weitergehende Definition, z. Bsp. eine konkrete Kantenform o. ä. lässt sich der Formulierung "in Form einer Stoßkante" nicht entnehmen. Dies kann aber dahingestellt bleiben, denn derjenige Teil der Anbauteile, der gemäß der Vorbenutzung D1 stumpf auf der Oberfläche der Führungsschiene aufgesetzt ist, ist in Form einer Stoßkante ausgebildet, vgl. vorstehend abgebildetes Detail aus D 1.3. Insoweit ist die Stoßkantenausbildung des Anbauteils aus der Vorbenutzung D1 bereits vorbekannt.
Die darüber hinaus beanspruchte Vorbereitung einer Schweißnaht für das angewendete Schweißverfahren zählt zu den handwerklichen Tätigkeiten, deren Ausführung von dem Fachmann regelmäßig erwartet und ggfls. auch überwacht wird. Durch eine gute Vorbereitung der Schweißnaht lässt sich die Qualität oder die Güte einer Schweißung verbessern, was dem Fachmann grundsätzlich geläufig ist. Wenn es also auf eine möglichst spaltfreie Anlage der Bauteile beim Laserschweißen ankommt, wird er die Stoßkanten im Rahmen seiner handwerklichen Tätigkeit bedarfsweise mechanisch bearbeiten oder gleich ein Trennverfahren wählen, bei dem der Glattschnittanteil der Stoßkante groß ist.
5. Zum Hilfsantrag 4 Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der nach Hilfsantrag 4 verteidigten Fassung ist nicht patentfähig, weil er einer erfinderischen Tätigkeit nicht bedurfte.
Die im geltenden Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen sind unbestritten zulässig. Sie betreffen die Einfügung der Summe aller Einfügungen gemäß den vorhergehenden Hilfsanträgen 1 bis 3 in den Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1.
Hinsichtlich der in dem geltenden Patentanspruch 1 sowie den vorhergehenden Hilfsanträgen 1 bis 3 wortgleichen Merkmale der streitgegenständlichen Führungsschiene gemäß Hilfsantrag 4 gelten die in den entsprechenden vorstehenden Abschnitten 1 bis 4 gemachten Ausführungen gleichermaßen. Eine synergetische Wirkung sämtlicher Merkmale ist in der geltenden Zusammenfassung nicht zu erkennen und auch von der Beklagten so nicht geltend gemacht worden. Insoweit sind die jeweiligen Merkmale entweder durch die Vorbenutzung D1 vorbekannt oder summarischer Ausdruck fachmännischen Handelns. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die entsprechenden Ausführungen zu den Einzelmerkmalen der jeweiligen Hilfsanträge 1 bis 3 verwiesen.
6. Zu den jeweils geltenden Unteransprüchen der Patentansprüche 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 4 Mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 fallen, soweit angegriffen, auch die jeweils rückbezogenen Unteransprüche. Dass den darin enthaltenen Merkmale eine eigenständige erfinderische Bedeutung zukomme, hat die Beklagte nicht geltend gemacht; auch für den Senat war dies nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG und § 709 ZPO.
Gutermuth Bork Martens Reinhardt Küest Pü
BPatG:
Urteil v. 13.04.2011
Az: 5 Ni 1/10
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