Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Juli 2001
Aktenzeichen: 9 W (pat) 30/99

(BPatG: Beschluss v. 25.07.2001, Az.: 9 W (pat) 30/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und das Patent 39 19 347 auf der Grundlage folgender Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

In der mündlichen Verhandlung überreichte Patentansprüche 1-9 nebst Beschreibung Spalten 1-8 mit Einschub 2A sowie Zeichnungen Figuren 1-5 gemäß Patentschrift.

Gründe

I.

Die Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung dreier Einsprüche das am 13. Juni 1989 unter Inanspruchnahme der Unionspriorität der Voranmeldung US 206 735 vom 15. Juni 1988 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Einrichtung und Verfahren zur Regelung einer Fahrzeugbewegung"

mit Beschluß vom 17. Dezember 1998 widerrufen, weil die Patentansprüche 1 und 8 gemäß Haupt- und Hilfsantrag in unzulässiger Weise über die Offenbarung des erteilten Patents hinausgingen.

Gegen diesen Beschluß wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerde. Sie legt neue Patentansprüche vor und meint, die Merkmale der Gegenstände nach den beschränkten Patentansprüchen 1 und 7 seien sowohl in den der Patenterteilung zugrunde gelegten als auch in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart, sie gäben eine ausreichend klare Lehre zum technischen Handeln, und die unbestritten neuen und gewerblich anwendbaren Gegenstände nach diesen Patentansprüchen ergäben sich aus dem Stand der Technik nicht ohne erfinderische Tätigkeit.

Patentanspruch 1 lautet:

Einrichtung zum Stabilisieren der Bewegung eines Kraftfahrzeugs, enthaltend:

- Meßwertgeber zum Aufnehmen des Giergrades des Kraftfahrzeugs,

- einen Lenkwinkelfühler und Drehzahlgeber zum Errechnen eines Soll-Giergrades,

- ein Steuergerät, das die gemessenen Daten empfängt, einen Soll-Istwert-Vergleich zwischen dem gemessenen und errechneten Giergrad vornimmt und abhängig davon Steuersignale abgibt,

- einer Bremsanlage, deren Radbremsen Modulationsventile vorgeschaltet sind, die aufgrund der Steuersignale den hydraulischen Bremsdruck absenken, konstant halten und wieder ansteigen lassen, um dem Einfluß von Seitenkräften entgegenzuwirken, dadurch gekennzeichnet, daß

die Modulationsventile den Bremsdruck auf den gegenüber liegenden Seiten des Fahrzeugs unterschiedlich und für jedes Rad getrennt und unabhängig von der Bremspedalbetätigung auch bei Nichtvorliegen einer Bremspedalbetätigung derart steuern, daß sie die Führungseigenschaft neutral halten und für den Fall einer Kurvenfahrt eine Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich erlauben.

Dem Patentanspruch 1 schließen sich fünf auf Patentanspruch 1 zurückbezogene Patentansprüche an.

Patentanspruch 7 lautet:

Verfahren zur Stabilisierung einer Bewegung eines Kraftfahrzeugs, das folgende Schritte umfaßt:

- Messen des aktuellen Giergrades des Kraftfahrzeugs,

- Errechnen eines Soll-Giergrades aus einem Lenkwinkel und der Fahrzeuggeschwindigkeit,

- Vergleichen des gemessenen und des errechneten Giergrades,

- Erzeugen von Steuersignalen, die den Bremsdruck an den Rädern absenken, konstant halten oder wieder erhöhen, um den auf das Kraftfahrzeug einwirkenden Seitenkräften entgegenzuwirken, gekennzeichnet durcheine Regelung des Bremsdrucks, derart, daß der sowohl an den einander gegenüberliegenden Seiten des Kraftfahrzeugs als auch an den einzelnen Rädern jeweils aufzubauende Bremsdruck individuell und unabhängig von einer Bremspedalbetätigung auch bei Nichtvorliegen einer Bremspedalbetätigung so angepaßt wird, daß sie die Führungseigenschaft neutral hält und für den Fall einer Kurvenfahrt eine Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich erlaubt.

Dem Patentanspruch 7 schließen sich zwei auf Patentanspruch 7 zurückbezogene Patentansprüche an.

Die Patentinhaberin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses das Patent auf der Grundlage der in der Beschlußformel angegebenen Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechenden II und III stellen den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladene Einsprechende I ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und hat auch sonst keine Anträge gestellt.

Die Einsprechenden II und III sind übereinstimmend der Auffassung, die Teilungserklärung vom 29. November 1995 sei unwirksam. Die Patentansprüche 1 und 7 gingen über das ursprünglich Eingereichte und über das in der Patentschrift Offenbarte hinaus (§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG), außerdem seien sie unklar (§ 21 Abs 1 Nr 2 PatG). Soweit die beanspruchten Merkmale offenbart seien, seien sie durch den Stand der Technik nach der DE 36 25 292 A1 neuheitsschädlich getroffen (§ 3 Abs 1 PatG) oder beruhten demgegenüber zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

II.

Die statthafte Beschwerde der Patentinhaberin ist frist- und formgerecht eingelegt worden, in der Sache hat sie nach Vorlage neuer Patentansprüche Erfolg.

1. Die Teilungserklärung der Patentinhaberin vom 25. November 1995 ist im Hinblick auf das hier verfahrensgegenständliche (Stamm-)Patent unwirksam.

Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß sie mit der Teilungserklärung vom 25. November 1995 weder einen Unteranspruch noch einen der nebengeordneten Hauptansprüche aus dem Patent abgetrennt hat. Das erteilte Patent ist daher hinsichtlich seines in den Patentansprüchen formulierten Gegenstands nicht um den abgetrennten Teil vermindert worden. Eine Teilung liegt somit nicht vor (BGH GRUR 1999, 485- Kupplungsvorrichtung).

2. Die Teilungserklärung der Patentinhaberin vom 20. April 2001 ist im Hinblick auf das hier verfahrensgegenständliche (Stamm)-Patent wirksam.

Mit dieser Teilungserklärung hat die Patentinhaberin in der gemäß § 60 Abs 1 Satz 3 iVm § 39 Abs 1 Satz 2 PatG erforderlichen Schriftform eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß und in welcher Weise sie das Patent teilen will. Gegenstand der Teilungsanmeldung ist demnach eine Einrichtung zum Stabilisieren der Bewegung eines Kraftfahrzeugs gemäß den Patentansprüchen 1 und 2 erteilter Fassung. Im verbleibenden Stammpatent ist der Patentanspruch 2 gestrichen worden. Damit ist das erteilte Patent hinsichtlich seines in den Patentansprüchen formulierten Gegenstandes um den abgetrennten Patentanspruch 2 vermindert. Da die für die abgetrennte Anmeldung nach §§ 35 und 36 PatG erforderlichen Anmeldungsunterlagen innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Teilungserklärung eingereicht und die Gebühren für die abgetrennte Anmeldung innerhalb dieser Frist entrichtet worden sind, gilt die Teilungserklärung gemäß § 39 Abs 3 PatG iVm § 60 PatG als abgegeben.

Das der Teilungserklärung nachfolgende Einspruchsbeschwerdeverfahren betreffend das Stammpatent hat demnach nur noch den erteilten Patentanspruch 1 sowie die erteilten Patentansprüche 3 bis 7, soweit sie auf Patentanspruch 1 zurückbezogen sind, als neue Patentansprüche 2 bis 6 und die erteilten Patentansprüche 8 bis 10 als neue Patentansprüche 7 bis 9 zur Grundlage.

3. Die Patentansprüche sind zulässig.

Die Merkmale des Gegenstands nach dem geltenden Patentanspruch 1 ergeben sich aus dem erteilten Patentanspruch 1 in Verbindung mit der der Patenterteilung zugrunde gelegten Beschreibung, Spalte 6, Zeilen 41 bis 50, und Spalte 3, Zeilen 27 bis 33, als zur Erfindung gehörig. Die entsprechenden Teile der Beschreibung finden sich in den ursprünglich eingereichten Unterlagen, Seite 15, Zeilen 1 bis 8, und Seite 9, Zeilen 6 bis 12.

Die Einsprechenden meinen, es sei aus der Patentschrift nicht herleitbar, daß ein Bremsdruck auch fahrerunabhängig aufgebracht werden soll, da anhand der Ausführungsbeispiele nur allgemein übliche Antiblockiersysteme erläutert seien. Es fehle ein Hinweis auf die Anordnung einer zusätzlichen Druckquelle, die notwendig sei, um auch ohne Bremspedalbetätigung einen Bremsdruck einsteuern zu können. Da die Zuordnung einer Antriebsschlupfregelung zu einem üblichen Antiblockiersystem nicht ohne weiteres möglich und mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sei, hätte dies ausdrücklich in der Patentschrift bzw. den Ursprungsunterlagen erläutert werden müssen, wenn tatsächlich auch daran gedacht worden sei. Ohne entsprechende Erläuterung käme der Fachmann nicht ohne weiteres auf den Gedanken, daß die Einrichtung nach den Ausführungsbeispielen gemäß der Patentschrift auch dazu vorgesehen sein könne, Bremsdruck ohne Bremspedalbetätigung einzusteuern.

Es trifft zu, daß die in der Patentschrift erläuterten Ausführungsbeispiele nicht alle Einzelheiten zeigen, die zur Erzielung aller Funktionen nach den nunmehr geltenden eingeschränkten Patentansprüchen 1 und 7 erforderlich sind. Allerdings ist in Spalte 6, Zeilen 41 bis 44, herausgestellt, daß durch das beschriebene Bremsregelsystem die Fahrzeugbewegung gegen den Einfluß von quergerichteten Belastungsänderungen stabilisiert werden kann und in Spalte 6, Zeilen 44 bis 50, ist ausdrücklich herausgestellt, daß die Fahrstabilität selbst dann aufrechterhalten werden kann, wenn eine Bremspedalbetätigung nicht vorliegt. Das ist für einen Durchschnittsfachmann, einen Diplomingenieur mit Universitäts- oder Hochschulabschluß und einschlägiger Erfahrung in der Entwicklung von Einrichtungen zum Stabilisieren von Fahrzeugbewegungen, eine hinreichend deutliche Aussage dahingehend, daß der jeweils aufzubauende Bremsdruck unabhängig von einer Bremspedalbetätigung auch bei Nichtvorliegen einer Bremspedalbetätigung gesteuert werden kann, wie es als erstes zusätzliches Merkmal in die Patentansprüche 1 und 7 aufgenommen ist.

Dabei versteht es sich von selbst, daß hierzu eine eigene Druckquelle vorgesehen sein muß, durch die ohne Bremspedalbetätigung Bremsdruck einsteuerbar ist. Auch wenn anhand der Ausführungsbeispiele in der Patentschrift eine solche eigene Druckquelle nicht ausdrücklich erwähnt ist und zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, um eine solche Druckquelle in einer Bremsanlage anzuordnen, ergeben sich dadurch für den Fachmann keine besonderen, nicht ohne weiteres beherrschbaren Schwierigkeiten, da die Anordnung von eigenen Druckquellen, mit denen auch ohne Bremspedalbetätigung Bremsdruck eingesteuert werden kann, durch die Antriebsschlupfregelungen auch in Verbindung mit Antiblockierbremsregelsystemen allgemein bekannt sind. Es gibt somit keinen Grund, der einen Fachmann die Textstelle in Spalte 6, Zeilen 41 bis 50, mißverstehen lassen und davon abhalten könnte, in der Patentschrift das Einsteuern von Bremsdruck zum Aufrechterhalten der Fahrzeugstabilität auch ohne Bremspedalbetätigung zu erkennen.

Das zweite zusätzliche Merkmal in den Patentansprüchen 1 und 7, wonach die Führungseigenschaften neutral gehalten und für den Fall einer Kurvenfahrt eine Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich erlaubt wird, ist in Spalte 3, Zeilen 27 bis 33, der Patentschrift und Seite 9, Zeilen 6 bis 12 der ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.

Durch die Aufnahme der zusätzlichen Merkmale in die Patentansprüche 1 und 7 ist der Schutzbereich nicht erweitert, sondern eingeschränkt worden.

Die Patentansprüche 2 bis 6 sind aus den erteilten Patentansprüchen 3 bis 7 und die Patentansprüche 8 und 9 aus den erteilten Patentansprüchen 9 und 10 hergeleitet.

4. Das Patent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

Eine Erfindung ist ausreichend deutlich und vollständig offenbart, wenn ein Durchschnittsfachmann aus dem Wortlaut bei sinngemäßer Auslegung das Wesen der technischen Lehre erkennen und sie dementsprechend verwirklichen kann. In dem Patent ist zwar nicht im einzelnen erläutert, wie ohne Bremspedalbetätigung durch die Modulationsventile Bremsdruck eingesteuert werden kann,. Dies ist aber unschädlich, weil der Fachmann, wie bereits ausgeführt, zB aus den bekannten Antriebsschlupfregelungen weiß, daß ohne Bremspedalbetätigung Bremsdruck in Verbindung mit Antiblockierbremsregelsystemen durch die Anordnung einer eigenen Druckquelle eingesteuert werden kann. Die Anordnung einer solchen Druckquelle, um die in den Patentansprüchen 1 und 7 vorgegebene Einsteuerung von Bremsdruck zu verwirklichen, kann von einem Fachmann ohne zusätzliche Erläuterungen ohne weiteres erwartet werden.

Ebenso ist das zweite zusätzlich in die Patentansprüche 1 und 7 aufgenommene Merkmal ohne weiteres zu verwirklichen. Wenn in diesen Patentansprüchen funktionell angegeben ist, wie die Führungseigenschaften bei unterschiedlichen Fahrbedingungen sein sollen, ist es für den Fachmann selbstverständlich, das Steuergerät so auszulegen, daß es bei den unterschiedlichen Fahrbedingungen die jeweils geforderten Führungseigenschaften ermöglicht. Es muß also so ausgelegt sein, daß es eine Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich erlaubt, wenn der Lenkwinkelfühler eine Kurvenfahrt anzeigt und die Führungseigenschaft neutral hält, dh eine Gierbewegung nur im Rahmen der unvermeidbaren Regelabweichung, im übrigen aber nur eine Driftbewegung, zuläßt, wenn der Lenkwinkelfühler anzeigt, daß sich das Lenkrad in einer Stellung für Geradeausfahrt befindet. Eine entsprechende Auslegung des Steuergerätes ist für den Fachmann nicht mit so großen Schwierigkeiten verbunden, daß zur Verwirklichung noch zusätzliche Informationen erforderlich sind.

5. Das Patent betrifft eine Einrichtung zum Stabilisieren der Bewegung eines Kraftfahrzeugs mit den Merkmalen nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 und ein Verfahren zur Stabilisierung einer Bewegung eines Kraftfahrzeugs mit den Merkmalen nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 7. In der Beschreibungseinleitung ist ausgeführt, angesichts eines solchen aus der DE 36 25 392 A1 bekannten Stands der Technik besteht die Aufgabe der Erfindung darin, eine Einrichtung zur Regelung einer Fahrzeugbewegung sowie ein entsprechendes Verfahren zu schaffen, mit dem es möglich ist, über einen weiten Bereich das Giermoment zu steuern und somit die Fahrzeugstabilität aufrechtzuerhalten.

Diese Aufgabe wird mit den Merkmalen nach den Patentansprüchen 1 und 7 gelöst.

6. Die unbestritten neue und gewerblich anwendbare Einrichtung nach Patentanspruch 1 sowie das ebenfalls unbestritten neue und gewerblich anwendbare Verfahren nach Patentanspruch 7 beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Eine Einrichtung und ein Verfahren mit den Merkmalen nach den Oberbegriffen der Patentansprüche 1 und 7 sind unbestritten aus der DE 36 25 392 A1 bekannt. Gemäß Patentanspruch 1 dieser Entgegenhaltung ist ein Regelsystem zur Verhinderung von Schleuderbewegungen eines Kraftfahrzeugs vorhanden, das insbesondere aus einer Regeleinheit besteht, durch welche die Drehgeschwindigkeit von mindestens einem Rad unabhängig von der Drehgeschwindigkeit der übrigen Räder regelbar ist. Gemäß Spalte 2, Zeilen 25 bis 30, ist ein derartiges Regelsystem zB in einem sogenannten Antiblockiersystem enthalten, durch welches bei einem Bremsvorgang ein Blockieren der Räder eines Kraftfahrzeugs vermieden wird, so daß dieses lenkbar bleibt. Ein derartiges Regelsystem hat nach Spalte 2, Zeilen 31 bis 36, den Nachteil, daß insbesondere bei einer unvorhersehbaren Schleuderbewegung des Kraftfahrzeugs immer noch ein hohes fahrerisches Können des Kraftfahrzeuglenkers erforderlich ist, um das Kraftfahrzeug wieder in einen leicht beherrschbaren Fahrzustand zu bringen. Deshalb soll die Aufgabe gelöst werden, ein gattungsgemäßes Regelsystem anzugeben, mit dem ein Schleudern und/oder Driften eines Kraftfahrzeugs vermeidbar ist.

Es ist weder in der Aufgabenstellung hervorgehoben, daß die unvorhersehbaren Schleuderbewegungen des Kraftfahrzeugs nur beim antiblockiergeschützten Bremsen vermieden werden sollen, noch ist im Patentanspruch 1 angegeben, daß das mindestens eine Rad nur dann unabhängig von der Drehgeschwindigkeit der übrigen Räder regelbar ist, wenn das Bremspedal betätigt ist. In Spalte 3, Zeilen 6 bis 21, ist darauf hingewiesen, daß zB beim Durchfahren einer Kurve mit überhöhter Geschwindigkeit das Kraftfahrzeug schleudern kann, eine derartige Schleuderbewegung im allgemeinen unerwünscht ist und zur Vermeidung einer derartigen Schleuderbewegung an mindestens einem Rad die Drehgeschwindigkeit und/oder der Lenkwinkel geändert werden. Da ein solches Schleudern bekanntlich schon ohne Bremspedalbetätigung entsteht und selbstverständlich auch in diesen Fällen unerwünscht ist, kann der Hinweis, daß das Abbremsen des Rades entsprechend dem eingangs erwähnten Antiblockiersystem (Sp 3, Z 21 bis 23) nur so verstanden werden, daß die zugehörigen Modulationsventile den Bremsdruck in der üblichen Weise steuern, wobei es keine Rolle spielt, ob der Bremsdruck durch eine Bremspedalbetätigung im Hauptbremszylinder oder durch eine eigene Druckquelle erzeugt wird, wie sie für Antriebsschlupfregelungen in Verbindung mit Antiblockiersystemen vor dem Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung bereits unbestritten bekannt waren.

Da im Patentanspruch 1 der Entgegenhaltung ganz allgemein angegeben ist, daß die Regeleinheit in Abhängigkeit von einem Korrektursignal die Drehgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel von mindestens einem Rad derart ändert, daß die Ist-Drehgeschwindigkeit und Soll-Drehgeschwindigkeit im wesentlichen gleich sind, und dem Fachmann das Einsteuern von Bremsdruck auch ohne Bremspedalbetätigung aus den Antriebsschlupfregelungen in Verbindung mit Antiblockiersystemen bekannt ist, was von der Patentinhaberin nicht bestritten worden ist, kann dieser Patentanspruch 1 für den fachkundigen Leser nur so verstanden werden, daß auch mit dem dort beanspruchten Regelsystem zum Stabilisieren des Kraftfahrzeugs unabhängig von der Bremspedalbetätigung auch bei Nichtvorliegen einer Bremspedalbetätigung Bremsdruck zum Abbremsen mindestens eines Rades eingesteuert werden soll.

Wenn hierbei bestimmungsgemäß zB die Drehgeschwindigkeit eines einzigen Rades durch Abbremsen verändert wird, steuern die Modulationsventile den Bremsdruck ebenfalls auf den gegenüber liegenden Seiten des Kraftfahrzeugs unterschiedlich und für jedes Rad getrennt. Da die Regeleinheit die Drehgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel von mindestens einem Rad derart ändern soll, daß Ist- und Soll-Drehgeschwindigkeit des Kraftfahrzeugs im wesentlichen gleich sind, bedeutet dies, daß eine im wesentlichen neutrale Führungseigenschaft eingehalten werden soll. Da moderne Fahrzeuge überwiegend untersteuernd ausgelegt sind, bietet sich im Bedarfsfall ohne weiteres auch der Vorschlag an, die Regeleinheit so auszulegen, daß eine untersteuernde Führungseigenschaft eingehalten wird.

Darin erschöpfen sich aber die Einrichtung nach Patentanspruch 1 und das Verfahren nach Patentanspruch 7 nicht. Danach soll nämlich für ein Kraftfahrzeug eine neutrale Führungseigenschaft eingehalten werden, die bei Kurvenfahrt durch eine andere Führungseigenschaft, nämlich durch Erlauben einer Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich, ersetzt wird. Die Vorgabe unterschiedlicher Führungseigenschaften bei unterschiedlichen Fahrbedingungen an ein und demselben Kraftfahrzeug wird weder durch den vorstehend abgehandelten Stand der Technik noch durch den insgesamt im Verfahren vor dem Deutschen Patentamt abgehandelten und in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffenen bzw nur beiläufig erwähnten Stand der Technik, noch durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt. Auf Befragen der Einsprechenden konnten auch diese nicht darlegen, wodurch eine derartige Vorgehensweise nahegelegt sein könnte. Um die Gegenstände nach Patentanspruch 1 und 7 vorschlagen zu können, bedurfte es somit einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Patentansprüche 1 und 7 haben daher Bestand. Mit ihnen sind auch die darauf zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 und 8 sowie 9 bestandsfähig, dasie vorteilhafte, zumindest nicht selbstverständliche Weiterbildungen der Gegenstände nach Patentanspruch 1 und 7 betreffen.

Petzold Winklharrer Dr. Fuchs-Wissemann Bork Mü/prö






BPatG:
Beschluss v. 25.07.2001
Az: 9 W (pat) 30/99


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