Bayerisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 22. Mai 2015
Aktenzeichen: L 15 SF 115/14 E

(Bayerisches LSG: Beschluss v. 22.05.2015, Az.: L 15 SF 115/14 E)

Unter einem schriftlichen Vergleich im Sinne von Ziffer 3106 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt VV RVG ist nur ein unter Mitwirkung des Gerichts gschlossener Vergleich nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder nach § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO zu verstehen.

Tenor

Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Sozialgerichts München vom 16. April 2014 sowie die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 28. März 2014 abgeändert. Für das Klageverfahren Aktenzeichen S 44 P 265/13 wird die zu erstattende Vergütung auf 737,80 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das der Beschwerdegegnerin nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse (Beschwerdeführer) zusteht. Streitig ist die Terminsgebühr.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (SG), Aktenzeichen S 44 P 265/13, ging es um die Anerkennung einer Pflegestufe durch die Beklagte. Am 08.08.2013 erhob die Klägerin über ihre Bevollmächtigte, die Beschwerdegegnerin, Klage (Mandatierung am 07.08.2013). Nach Durchführung von Sachermittlungen, insbesondere der Einholung eines Pflegegutachtens, gab die Beklagte mit Schreiben vom 17.01.2014 ein Vergleichsangebot ab. Mit gerichtlichem Schreiben vom 28.01.2014 wurde die Beschwerdegegnerin gefragt, ob sie diesem Vergleichsvorschlag zustimme und das Verfahren für erledigt erkläre. Im Schriftsatz vom 03.02.2014 teilte die Beschwerdegegnerin ihr Einverständnis mit dem Angebot mit und erklärte, dass sich das Verfahren damit erledigt habe. Mit Beschluss vom 05.02.2014 bewilligte das SG der Klägerin PKH und ordnete die Beschwerdegegnerin mit Wirkung ab Antragstellung bei; die Klägerin hatte mit Schriftsatz vom 30.10.2013 PKH beantragt.

Am 20.02.2014 beantragte die Beschwerdegegnerin die Festsetzung der Vergütung gegen die Staatskasse in Höhe von insgesamt 1.104,02 EUR. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.03.2014 setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung der Beschwerdegegnerin auf 1.059,10 EUR, im Einzelnen wie folgt fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG: 300,00 EUR Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG: 270,00 EUR(str.)Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG: 300,00 EUR Post- u. Telekom.pauschale, Nr. 7002 VV RVG:2 0,00 EUR Dokumentenpauschale, Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG: - Zwischensumme: 890,00 EUR 19 % Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG: 169,10 EUR 1.059,10 EUR Dabei folgte er dem Vergütungsantrag in allen Einzelgebühren bis auf eine Dokumentenpauschale, die er nicht gewährte. Im Hinblick auf die streitgegenständliche fiktive Terminsgebühr wies der Kostenbeamte darauf hin, dass die Vorschrift Nr. 3106 VV RVG der Entlastung der Gerichte diene.

Am 08.04.2014 hat der Beschwerdeführer hiergegen Erinnerung eingelegt und beantragt, die Vergütung auf 737,80 EUR festzusetzen. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Voraussetzungen für die Abrechnung einer Terminsgebühr nicht erfüllt seien. Die hier erfolgte schriftliche Annahme des Vergleichsangebots mit Schreiben vom 03.02.2014 könne definitiv gebührenrechtlich nicht unter den Tatbestand des § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) subsumiert werden.

Dieser Auffassung hat sich der Kostenrichter des SG nicht angeschlossen und mit streitgegenständlichem Beschluss vom 16.04.2014 die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Vorliegend, so der Kostenrichter, liege zwar ein schriftlicher, jedoch eben nur ein außergerichtlicher Vergleich vor. Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG falle jedoch bereits dann an, wenn ein schriftlicher Vergleich zur Erledigung des Rechtstreits geführt habe; die besonderen Anforderungen des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder des § 278 Abs. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) müssten nicht erfüllt sein. Dafür spreche bereits der Wortlaut der Vorschrift. Denn wenn der Gesetzgeber tatsächlich einen gerichtlichen Vergleich gemeint haben sollte, hätte er dies auch so formulieren können. Weiter spreche auch der mit der fiktiven Terminsgebühr verfolgte Zweck für die hier vertretene Auffassung. Die fiktive Terminsgebühr diene dazu, die vergleichsweise Einigung in einem möglichst frühen Stadium zu fördern und zu honorieren und damit zur Beschleunigung des Gerichtsverfahrens beizutragen und die Justiz zu entlasten. Weiter würde gegen diese Auslegung auch nicht die Einführung des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG sprechen; hierdurch sei für die eher seltenen Fälle, in denen aus Gründen des Verfahrensinhalts ein gerichtlicher Vergleich erforderlich sei, Rechtsklarheit geschaffen worden. Anders als im zivilgerichtlichen Verfahren sei es in den Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit eher selten erforderlich, eine getroffene Vereinbarung in die Form eines gerichtlichen Vergleichs zu fassen. Wenn allerdings für die Abrechnung der anwaltlichen Gebühren die Beschlussform zur Voraussetzung gemacht werde, werde ohne Not dieses aufwändigere und auch (im Hinblick auf die Zustellungskosten) kostenträchtigere Verfahren zum Regelfall gemacht. Im Übrigen spreche auch die bisherige Auslegung des Nr. 3106 VV a.F. durch die Sozialgerichte dagegen, dass die Terminsgebühr nach der Neufassung trotz Anpassung des Wortlauts an Nr. 3104 VV nunmehr einen gerichtlichen Vergleich zur Voraussetzung habe.

Gegen den Beschluss des SG hat der Beschwerdeführer am 23.04.2014 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen auf zahlreiche der Auffassung des angefochtenen Beschlusses entgegenstehende Entscheidungen verschiedener Gerichte verwiesen. Eine Terminsgebühr ohne einen gerichtlichen Vergleich lehne auch die "zwanglos für öffentliches Recht heranziehbare Rechtsprechung aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit" zu § 106 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ab; der Beschwerdeführer hat insbesondere die Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin vom 23.06.2008 (Az.: 14 KE 227.06, 14 V 29.05) hervorgehoben; das VG habe in dieser Entscheidung optimal unter Miteinbeziehung des historischen Kontexts dargelegt, weshalb eine Terminsgebühr für einen schriftlichen Vergleich nur unter einer restriktiven Auslegung mit Vorliegen der Voraussetzungen nach § 106 VwGO bzw. § 101 SGG zu der Einigungsgebühr treten dürfe. Weiter hat sich der Beschwerdeführer auch auf den Grundsatz, dass es einer Partei und dem ihr beigeordneten Anwalt obliege, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, berufen. Für einen "Vergleich" wie hier, so der Beschwerdeführer, gebe es nach ständiger Rechtsprechung keine Erstattung außergerichtlicher Kosten; da ein schriftlicher "Vergleich" vorliegend noch nicht einmal ein nachvollziehbares Bedürfnis stelle, das Ergebnis einer gerichtlichen Auseinandersetzung gegebenenfalls vollstreckbar zu sichern, würde sich ein verständig rechnender Bemittelter sicher auf keinerlei Prozedere einlassen, das nur dazu führen würde, das er selbst eine Terminsgebühr zu tragen hätte.

Aus diesen Gründen sei die von der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf den bereits in der Erinnerungsbegründung bezifferten Betrag festzusetzen.

Der Beschwerdegegnerin ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens und des erstinstanzlichen Klageverfahrens des SG verwiesen.

II.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerden ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper.

Die Beschwerde hat Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.

2. Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der ab 01.08.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.). Denn der unbedingte Auftrag i.S.v. § 60 Abs. 1 RVG ist dem Beschwerdeführer nach dem 31.07.2013 erteilt worden.

Der Kostenbeamte und der Kostenrichter des SG haben die Vergütung der Beschwerdegegnerin zu hoch festgesetzt.

Der dieser zuerkannte Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse beruht auf §§ 45 ff RVG. Streitig ist allein die fiktive Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG (n.F.).

Wie der Beschwerdeführer zu Recht annimmt, steht der Beschwerdegegnerin eine solche Gebühr nicht zu, da die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Im sozialgerichtlichen Verfahren in der Hauptsache ist kein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG geschlossen worden. Wie die Verfahrensbeendigung rechtlich im Einzelnen zu qualifizieren ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls liegt kein schriftlicher Prozessvergleich im Sinne von § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder von § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO vor. Der Vergleich beruht weder auf einem Beschlussvorschlag (§ 101 Abs. 1 Satz 2 SGG) noch auf einer schriftlichen Initiative (§ 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO) mit nachfolgendem deklaratorischen Beschluss i.S.v. § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO des Gerichts.

Nur ein solcher schriftlicher Vergleich löst jedoch die Gebühr Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG aus.

Zwar geht der Senat durchaus davon aus, dass ein praktisches Bedürfnis dafür besteht, dass auch Vergleiche, die in schriftlicher Form abgeschlossen werden, jedoch nicht den Vorgaben der genannten Vorschriften des SGG und der ZPO entsprechen, unter den Gebührentatbestand Nr. 3106 VV fallen. Denn wie der Kostenrichter zu Recht aufgezeigt hat, könnte durchaus das aufwändigere Verfahren des § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG - im Hinblick auf den materiellen Verfahrensgang unnötigerweise - eine erhebliche Aufwertung erfahren und in zahlreichen Fällen das bewährte herkömmliche verdrängen. Zudem übersieht der Senat nicht, dass es vor allem in der Literatur eine maßgebliche Auffassung gibt, die entgegen der Gerichtspraxis davon ausgeht, dass auch ein privatschriftlicher Vergleich ohne gerichtliche Mitwirkung (außerhalb von § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG, § 278 Abs. 6 ZPO, § 106 Satz 2 VwGO) unter Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG fällt (z.B. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, VV 3104, Rdnr. 69; LAG Hamburg, Beschluss vom 16.08.2010, Az.: 4 Ta 16/10).

Auch überzeugen die (von der wohl herrschenden Meinung) vorgebrachten Argumente teilweise nicht. So provoziert die Feststellung des VG Berlin vom 23.06.2008 (a.a.O.), dass der Abschluss eines (öffentlich-rechtlichen) Vergleichsvertrags das Verfahren anders als ein schriftlicher Vergleich im Sinne von § 106 Satz 2 VwGO nicht unmittelbar beende, sondern nur die Grundlage für die nachfolgende, der Beilegung des Streits Rechnung tragende Hauptsacheerledigungserklärung der Beteiligten bilde und dass diese Form der Einigung im Kontext der fiktiven Terminsgebühr mit dem dort explizit benannten Fall der Beendigung durch einen in dem Verfahren geschlossenen schriftlichen Vergleich nicht angesprochen werde, aus Sicht des Senats den Einwand, dass es sich hier trotz der rechtlich korrekten Analyse der verfahrensbeendigenden Wirkung um einen formalistischen Aspekt handelt. Denn die sozialgerichtliche Praxis zeigt, dass in einer jedenfalls sehr großen Anzahl der Fälle die Hauptsacheerledigungserklärungen nicht nachfolgend, sondern unmittelbar im Rahmen des Vergleichsabschlusses abgegeben werden; eine dazwischen liegende logische juristische Sekunde wird jedoch kaum die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr verhindern können. Auch erscheint die Aussage des VG, als auf die Fiktion eines gerichtlichen Termins bezogene Ausnahmevorschrift sei Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG restriktiv auszulegen, nicht unangreifbar.

Gleichwohl kann nach Auffassung des Senats der Gebührentatbestand von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG nur dann erfüllt werden, wenn ein Vergleich im Sinne von § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen worden ist.

Wie der Blick auf den Wortlaut der Vorschrift zeigt, lassen sich hieraus kaum Anhaltspunkte für die zutreffende Auslegung entnehmen. Denn dass nur ein schriftlicher Vergleich in Betracht kommt, ist aus naheliegenden Gründen und mit Blick auf die sozialgerichtliche Praxis eine Selbstverständlichkeit. Andererseits ist in der Vorschrift gerade kein Verweis auf die spezialgesetzlichen Vorschriften der einzelnen Gerichtsbarkeiten enthalten.

Maßgeblich sind damit vor allem die Entstehungsgeschichte sowie der Sinn und Zweck der Regelung.

Wie das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 11.03.2015 (Az.: L 9 AL 277/14 B) zu Recht hervorgehoben hat, sollte nach der Begründung des Entwurfs zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz durch die Ergänzung der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG eine Angleichung an Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG erfolgen (vgl. BT-Drs. 17/11471 neu, S. 275 zu Nr. 29 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa). Nach der ganz herrschenden Rechtsprechung zu dieser Vorschrift ist ein schriftlicher Vergleich aber nur ein solcher, der nach den genannten Vorschriften der ZPO und der VwGO unter konstitutiver Mitwirkung des Gerichts geschlossen wird (vgl. LSG NRW, a.a.O., m.w.N.) Es kann daher davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber diese herrschende Praxis bekannt war und er diese in die Neufassung von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG übernehmen wollte.

Das LSG Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) hat weiter zutreffend festgestellt, dass auch die Verwendung des Terminus "Vergleich" in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG und in der hier streitgegenständlichen Vorschrift deutlich macht, dass es um einen bereits seiner äußeren Form nach als Vergleich erkennbaren Prozessvergleich gehen soll. Hierzu hat das LSG zutreffend ausgeführt:

"Dies ergibt sich auch aus Ziffer 1000 VV RVG und deren Entstehungsgeschichte. In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber bewusst das Kriterium des gegenseitigen Nachgebens und damit eines Vergleichs im Sinne von § 779 BGB aufgegeben, um den unter der Geltung des früheren § 23 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) häufig ausgetragenen Streit darüber, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu werten ist, zu vermeiden. Würde in Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG und Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG jeder außergerichtliche Vergleich eine fiktive Terminsgebühr auslösen, würde der Streit über die Frage, ob die Anforderungen des § 779 BGB erfüllt sind, den der Gesetzgeber bei der Einigungsgebühr nach Ziffer 1000 VV RVG vermeiden wollte, bei der Terminsgebühr wieder aufflammen. Damit würde das Anliegen des Gesetzgebers konterkariert (dazu überzeugend und ausführlich VG Berlin, a.a.O.)."

Maßgeblich ist schließlich vor allem, dass die Beschränkung auf Prozessvergleiche im Sinne der oben genannten Vorschriften (vor allem § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG) auch dem Sinn und Zweck von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 VV RVG entspricht (vgl. auch hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., m.w.N.).

Auch wenn eine gütliche Streitbeilegung gemäß § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 1 ZPO ein zentrales Ziel nach der gesetzgeberischen Anordnung im sozialgerichtlichen Verfahren darstellt, besteht Sinn und Zweck der genannten Gebührenziffern nicht darin, einen Anreiz dafür zu schaffen, dass der Rechtsanwalt auf eine gütliche Einigung hinwirkt (anders Müller-Rabe, a.a.O.). Diesen Zweck verfolgen allein die Nrn. 1000 ff VV RVG. Die fiktive Terminsgebühr dient vielmehr dazu, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins in den Fällen zu nehmen, in denen das Gericht von den im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen will, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu beenden (vgl. LSG NRW, a.a.O.). Zugleich soll der Anwalt keinen Nachteil in gebührenrechtlicher Hinsicht dadurch erleiden, dass durch eine in der Hand des Gerichts liegende andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird (vgl. a.a.O., m.w.N.). Dementsprechend setzen sowohl die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 1. und 2. Alternative und Nr. 2 VV RVG als auch Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 1. Alternative und Nr. 2 VV RVG ein Handeln des Gerichts voraus, das auf die Vermeidung einer mündlichen Verhandlung gerichtet ist, nämlich die erklärte Absicht, eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren oder durch Gerichtsbescheid zu treffen. Es ist von daher folgerichtig, die Regelungen der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative VV RVG und 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG auf die in § 278 Abs. 6 ZPO, § 106 Satz 2 VwGO und § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG geregelten Fälle des schriftlichen Prozessvergleichs zu beschränken. Nur in diesen Fällen ist die Mitwirkung des Gerichts für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits und damit für die Entbehrlichkeit der mündlichen Verhandlung konstitutiv. Im Falle von § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG geht die Initiative für die vergleichsweise Beendigung sogar stets vom Gericht aus, das einen Vergleichsvorschlag in Form eines Beschlusses unterbreitet. Der Einsatz einer fiktiven Terminsgebühr soll dem Anwalt in diesen Fällen das Interesse daran nehmen, auf einer mündlichen Verhandlung zu bestehen, um dann in dieser einen zu protokollierenden Prozessvergleich schließen zu können (vgl. im Übrigen LSG NRW, a.a.O.).

Im Hinblick auf den hier vorliegenden Sachverhalt hat der Senat im Übrigen nicht zu entscheiden, ob ein nur unter Mitwirkung des Gerichts geschlossener schriftlicher Vergleich im Sinne von § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG überhaupt geeignet wäre, den Gebührentatbestand von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alternative 2 VV RVG zu erfüllen. An eine solche bloße Mitwirkung des Gerichts an einem Beschluss nach der genannten Vorschrift, ohne dass dieses die Veranlassung hierfür gegeben hätte, wäre zum Beispiel in den Fällen zu denken, in denen ein solches förmliches Verfahren nur durchgeführt wird, damit eine fiktive Terminsgebühr verdient werden kann. Aus Sicht des Senats dürfte mit Blick auf den das Kostenrecht allgemein beherrschenden Sparsamkeitsgrundsatz und das daraus folgende Gebot sparsamer Prozessführung (vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 03.02.2015, Az.: L 15 SF 18/14 E, m.w.N.), auf den der Beschwerdeführer zu Recht hingewiesen hat, die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr dann ausgeschlossen sein.

Die erstattungsfähigen Kosten errechnen sich vorliegend im Einzelnen damit wie folgt:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG: 300,00 EUREinigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG: 300,00 EURPost- u. Telekom.pauschale, Nr. 7002 VV RVG: 20,00 EURDokumentenpauschale, Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG: - Zwischensumme: 620,00 EUR19 % Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG: 117,80 EUR 737,80 EURDie angefochtenen Beschlüsse sind daher abzuändern.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).






Bayerisches LSG:
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Az: L 15 SF 115/14 E


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