Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Juni 2007
Aktenzeichen: 27 W (pat) 52/07

(BPatG: Beschluss v. 12.06.2007, Az.: 27 W (pat) 52/07)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Widersprechende hat gegen die am 5. Januar 2006 veröffentlichte Eintragung der am 8. September 2005 angemeldeten, für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 18, 21, 24, 25, 28, 30, 38 und 41 geschützten Marke Nr. 305 53 783 LESERABE hinsichtlich der Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 38 und 41 Widerspruch eingelegt aus ihrer am 20. November 2002 angemeldeten und seit 22. Januar 2003 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 38 und 42 eingetragenen Marke Nr. 302 57 013 Wiedergabe der Marke Die Markenstelle für Klasse 24 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 17. November 2006 den Widerspruch zurückgewiesen, weil die Marken einander selbst im Bereich identischer Waren und Dienstleistungen nicht in einer die Verwechslungsgefahr begründenden Weise ähnlich seien. Auch wenn auf Seiten der Widerspruchsmarke allein das Markenwort "RAABE" berücksichtigt werde, stehe diesem die nicht verkürzbare angegriffene Marke gegenüber, die klanglich und schriftbildlich von der Widerspruchsmarke erheblich abweiche und wegen ihres unterschiedlichen Sinngehalts auch keine begriffliche Verwechslungsgefahr begründe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie hält eine Verwechslungsgefahr weiterhin für gegeben, weil der Bestandteil "LESE" in der angegriffenen Marke zumindest bei den angegriffenen Waren der Klasse 16 warenbeschreibend sei und die angegriffene Marke daher nach der THOMSON LIFE-Entscheidung des EuGH zu beurteilen sei.

Die Widersprechende beantragt, den Beschluss der Markenstelle für Klasse 24 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 17. November 2006 aufzuheben und die teilweise Löschung der angegriffenen Marke hinsichtlich der angegriffenen Waren und Dienstleistungen anzuordnen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält eine Verwechslungsgefahr für ausgeschlossen. Die Widerspruchsmarke werde schon nicht allein durch das Markenwort "RAABE" geprägt. Auf jeden Fall könne aber die angegriffene Marke nicht allein auf die zweite Worthälfte reduziert werden, so dass weder klangliche noch bildliche Ähnlichkeiten bestünden und auch keine begriffliche Verwechslungsgefahr bestehe, weil es sich bei beiden Markenworten nicht um Synonyme handele.

II A. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, den Widerspruch wegen mangelnder Gefahr von Verwechslungen der Vergleichsmarken nach § 43 Abs. 2 Satz 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zurückgewiesen.

1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hängt die Beurteilung der Verwechslungsgefahr von den miteinander in Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Waren- und Markenähnlichkeit sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd/Loints) ab, wobei ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen größeren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 Tz. 23 f. - Sabèl/Puma; EuGH GRUR 1998, 922, 923 Tz. 16 f. - Canon; BGH GRUR 1999, 241, 243). Diese Komponenten dürfen allerdings nicht schematisch angewendet werden, denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der Schutz der älteren Marke auf die Fälle zu beschränken, in denen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der Marke und insbesondere ihre Hauptfunktion der Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (vgl. EuGH GRUR 2003, 55, 57 f. [Rz. 51] - Arsenal Football Club plc; GRUR 2005, 153, 155 [Rz. 59] - Anheuser-Busch/ Budvar; GRUR 2007, 318, 319 [Rz. 21] - Adam Opel/Autec).

Nach diesen Grundsätzen ist der Grad der Markenähnlichkeit selbst auf dem Bereich der identisch beanspruchten Waren zu gering, um eine Verwechslungsgefahr zwischen der nomal kennzeichnungskräftigen Widerspruchsmarke und der angegriffenen Marke zu begründen.

2. Marken sind als ähnlich anzusehen, wenn nicht nur unmaßgebliche Teile der durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Abnehmer (vgl. EuGH GRUR 2003, 604, 605 - Libertel; GRUR 2004, 943 - SAT. 2), an welche sich die jeweils beanspruchten ähnlichen Waren oder Dienstleistungen richten, die Zeichen aufgrund ihres Gesamteindrucks nicht mehr hinreichend auseinander halten können. Auf den Gesamteindruck ist grundsätzlich und unabhängig vom Prioritätsalter der einander gegenüberstehenden Zeichen abzustellen (vgl. EuGH GRUR 2005, 1043, 1044 [Rz. 28 f.] - Thomson Life; GRUR 1998, 397, 390 Tz. 23 - Sabèl/Puma; BGH GRUR 2000, 233 f. - Rausch/Elfi Rauch). Eine Ähnlichkeit in einem der drei Aspekte, Übereinstimmungen im Bild, im Klang oder in der Bedeutung, reicht für die Annahme einer Verwechslungsgefahr aus (vgl. BGH GRUR 1959, 182, 185 - Quick; GRUR 1979, 853, 854 - LILA; GRUR 1990, 367, 368 - alpi/Alba Moda; GRUR 1992, 110, 112 - dipa/dib; GRUR 1992, 550, 551 - acpharma; GRUR 1999, 241, 243 - Lions).

3. Nach diesen Grundsätzen scheidet eine kollisionsbegründende Markenähnlichkeit selbst dann aus, wenn auf Seiten der Widerspruchsmarke allein das Markenwort "RAABE" zugrundegelegt würde.

a) Die Widersprechende kann sich insoweit nicht mit Erfolg auf die THOMSON LIFE-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (GRUR 2005, 1042, 1044 [Rz. 30]) berufen. Dabei handelt es sich nämlich um einen Sonderfall für die Zusammensetzung des jüngeren Zeichens aus der identisch übernommenen älteren Marke und der Hinzufügung des Unternehmenskennzeichens ihres Inhabers oder einer diesem gehörenden bekannten Kennzeichnung. Diese Rechtsprechung ist auf Fälle nicht anwendbar, bei denen es sich bei einem der Zeichen - wie vorliegend bei dem angegriffenen Zeichen - um einen Gesamtbegriff handelt, da in einem solchen die einzelnen Bestandteile - selbst wenn sie bei isolierter Betrachtung waren- oder dienstleistungsbeschreibend wären - nicht selbständig kennzeichnend sein können (vgl. Rohnke GRUR 2006, 21, 22).

b) Die jüngere Marke kann entgegen der Ansicht der Widersprechenden nicht auf den Bestandteil "-RABE" verkürzt werden, weil der vorangestellte Bestandteil "LESE" mit ihm eine Einheit bildet. Daran ändert es auch nichts, dass der Begriff "Lese" für sich betrachtet die beanspruchten Waren der Klasse 16 beschreibt. Der Bestandteil "Lese" bezieht sich aufgrund der Bildung der angegriffenen Marke semantisch nicht auf die mit der angegriffenen Marke gekennzeichneten Waren, sondern allein auf den nachfolgenden Markenbestandteil, indem er der im zweiten Markenteil benannten Vogelart eine bestimmte Eigenschaft zuordnet. Dass der im angegriffenen Zeichen verkörperte Begriff neu ist, steht dem nicht entgegen, weil der Verkehr nach allgemeinen Sprachregeln die angegriffene Marke "LESERABE" ohne weiteres im Sinne von "lesender Rabe" versteht. Um den Bestandteil "LESE" auf die gekennzeichneten Waren zu beziehen, bedürfte es somit einer eingehenden analytischen Betrachtung, indem er zunächst aus der angegriffenen Marke herausgegriffen, sodann von seiner Verbindung mit dem weiteren Markenbestandteil gedanklich isoliert, anschließend auf die gekennzeichneten Waren bezogen und hierbei mit deren Bestimmungszweck verglichen wird; zu solchen analysierenden Betrachtungen neigt der Verkehr jedoch nicht (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 1992, 515, 516 - Vamos; BGH GRUR 195, 408, 409 - PROTECH).

c) Stehen sich aber das Markenwort "RAABE" in der Widerspruchsmarke und der Gesamtbegriff "LESERABE" im angegriffenen Zeichen gegenüber, scheidet eine optische und akustische Ähnlichkeit schon aufgrund der unterschiedlichen Wortlänge und in schriftbildlicher Hinsicht auch wegen der unterschiedlichen Schreibweise erkennbar aus. Auch begrifflich bestehen keine Berührungspunkte, denn zum einen erschöpft sich schon der Sinngehalt des Bestandteils "RAABE" in der Widerspruchsmarke allein auf einen (Familien-) Namen, während beim Markenteil "RABE" in der angegriffenen Marke die hiermit bezeichnete Vogelart im Vordergrund steht; und zum anderen wird der angegriffenen Marke durch den vorangestellten Bestandteil "LESE" ein ganz bestimmter und wegen der fantasievollen Aussage auch besonders einprägsamer eigentümlicher Sinngehalt vermittelt, den der Verkehr selbst dann, wenn er die Widerspruchsmarke bei bloß klanglicher Wahrnehmung mit der Vogelart assoziieren würde, von dieser deutlich unterscheidet.

4. Anhaltspunkte für eine Verwechslungsgefahr aus sonstigen Gründen sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Damit hat die Markenstelle den Widerspruch zu Recht zurückgewiesen, so dass der Beschwerde der Erfolg zu versagen war.

B. Da Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind, hat es dabei zu verbleiben, dass beide Beteiligte ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).

Dr. Albrecht Kruppa Schwarz






BPatG:
Beschluss v. 12.06.2007
Az: 27 W (pat) 52/07


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