Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. Januar 2006
Aktenzeichen: 17 W (pat) 18/05
(BPatG: Beschluss v. 24.01.2006, Az.: 17 W (pat) 18/05)
Tenor
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 08 B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. September 2004 aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:
Patentanspruch 1 vom 20. November 2003, Patentansprüche 2-8 vom 6. November 1998, Beschreibung Seiten 1-4 vom 6. November 1998, Seiten 5,6 vom 20. November 2003, Seiten 7, 7a vom 6. November 1998, Seiten 8-18 vom 28. Juli 1998, 1 Blatt Zeichnung mit einer Figur vom 28. Juli 1998.
Gründe
I.
Die vorliegende Patentanmeldung ist eine Trennanmeldung aus der Patentanmeldung 196 12 374.7-32 mit Anmeldetag 28. März 1996. Sie wurde am 29. Juli 1998 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Bezeichnung
"Zentraleinheit für eine Anlage zur Sicherung von Waren gegen Diebstahl"
eingereicht.
Die Stammanmeldung zur vorliegenden Trennanmeldung führte zur Erteilung des Patents 196 12 374. Im Einspruchsverfahren hierzu wurde unter anderem ein "Handbuch Warensicherungsanlagen" der Firma A... eingereicht. Der Einspruch wurde von der Einspruchsabteilung als unzulässig verworfen; diese Auffassung wurde im nachfolgenden Beschwerdeverfahren vom 10. Senat des BPatG bestätigt. Unter anderem waren die von der Einsprechenden gemachten Angaben nicht ausreichend, um die öffentliche Zugänglichkeit des genannten Handbuchs zu substantiieren.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt zur vorliegenden Trennanmeldung hat die Prüfungsstelle (im Rahmen der Amtsermittlung) den Vertreter der Einsprechenden gegen das Stammpatent (B... GmbH) gebeten, Informationen zur Veröffentlichung des im vorgenannten Einspruchsverfahren eingeführten Handbuchs vorzulegen. Der Vertreter der Einsprechenden gegen das Stammpatent hat daraufhin Kopien von Übersendungsschreiben an 18 verschiedene Kunden aus dem Zeitraum August 1991 bis Juli 1992 eingereicht.
Im Prüfungsverfahren wurden von der Prüfungsstelle folgende Entgegenhaltungen genannt:
(1) "Handbuch Warensicherungsanlagen", Systembeschreibung der Firma A..., Oktober 1991,
(2) Lieferscheine für nachträglich gelieferte Handbücher (hierbei handelt es sich ausweislich der Prüfungsakte und der Beschwerdebegründung des Anmelders um die vorgenannten Übersendungsschreiben).
Im Verlauf des Prüfungsverfahrens hat der Anmelder den Patentanspruch 1 mit Rücksicht auf die Entgegenhaltung (1) derart neu formuliert, dass er von der Prüfungsstelle als gewährbar angesehen wurde. Eine von der Prüfungsstelle verlangte Darlegung der in (1) beschriebenen Warensicherungsanlage als Stand der Technik in der Beschreibung hat der Anmelder jedoch abgelehnt mit der Begründung, dass die amtsseitig vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend seien, um einen öffentlich zugänglichen Stand der Technik nachzuweisen.
Die Prüfungsstelle für Klasse G 08 B des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung unter Hinweis auf § 34 Abs. 8 PatG (entspricht dem geltenden § 34 Abs. 7 PatG) zurückgewiesen, da sich der Anmelder geweigert habe, den Stand der Technik in die Beschreibung aufzunehmen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde des Anmelders.
Der Anmelder beantragt, den angegriffenen Beschluss aufzuheben und gemäß seinen Anträgen in der Vorinstanz zu entscheiden, also sinngemäß die Erteilung eines Patents mit folgenden Unterlagen (vgl. Seite 2 der Eingabe vom 20. November 2003):
Patentanspruch 1 vom 20. November 2003, Patentansprüche 2 bis 8, vom 6. November 1998, Beschreibungsseiten 1 bis 4, vom 6. November 1998, Beschreibungsseiten 5 und 6, vom 20. November 2003, Beschreibungsseiten 7 und 7a, vom 6. November 1998, Beschreibungsseiten 8 bis 18, vom 28. Juli 1998, 1 Seite mit einziger Figur, vom 28. Juli 1998.
Des Weiteren beantragt der Anmelder, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, sofern sich der Senat nicht in der Lage sieht, seinen Anträgen stattzugeben.
Zu den Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Der geltende Patentanspruch 1 in der Fassung vom 20. November 2003 lautet:
"1. Zentraleinheit für eine Anlage zur Sicherung von Waren gegen Diebstahl durch an die Waren anzubringende Überwachungsfühler, wobei die Zentraleinheit mindestens eine Überwachungsschaltung umfasst und so ausgebildet ist, dass mehrere Überwachungsfühler an die Zentraleinheit anschließbar und durch die Überwachungsschaltung(en) auf eine ordnungsgemäße Anbringung an den Waren überwachbar sind und dass bei Aufheben der ordnungsgemäßen Anbringung eines oder mehrerer Überwachungsfühler ein Alarmsignal ausgebbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Zentraleinheit (14) mindestens eine Deaktivierungsschaltung und nur einen einzigen Schalter (34) für die Deaktivierung umfasst, und dass die Zentraleinheit (14) so ausgebildet ist, dass durch Betätigung des Schalters (34) die Überwachung des oder der eine Alarmsituation anzeigenden Überwachungsfühler (16b) deaktivierbar ist, während andere Überwachungsfühler (16a) auf ihre ordnungsgemäße Anbringung überwachbar sind."
Ihm liegt gemäß dem ersten Absatz der am 21. November 2003 eingegangenen Beschreibungsseite 5 sinngemäß die Aufgabe zugrunde, eine Zentraleinheit zu schaffen, die auch bei erforderlichen Manipulationen an angeschlossenen Überwachungsfühlern eine wirksame Warensicherung bei einfacher Bedienbarkeit gewährleistet.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch begründet, da die öffentliche Zugänglichkeit des Handbuchs (1) nicht zweifelsfrei feststeht und die in (1) beschriebene Anlage somit nicht einen Stand der Technik darstellt, den der Anmelder gemäß § 34 Abs. 7 PatG in die Beschreibung aufnehmen muss.
Wie der 10. Senat des Bundespatentgerichts in seinem Beschluss zur Einspruchsbeschwerde in der Stammanmeldung bereits festgestellt hat, handelt es sich bei dem Handbuch (1) zwar inhaltlich betrachtet um ein an den Käufer oder Benutzer der Warensicherungsanlagen gerichtetes Betriebs- bzw. Bedienungshandbuch. Solche nicht lediglich für den betriebsinternen Gebrauch bestimmten Betriebshandbücher, Benutzerhinweise, Bedienungsanweisungen udgl. werden den Abnehmern üblicherweise zusammen mit den darin beschriebenen Gegenständen ausgehändigt und damit öffentlich zugänglich (vgl. dazu auch BPatG BlPMZ 1990, 35, 36; BPatGE 38, 206). Das Handbuch (1) erweckt jedoch von seiner Gestaltung und Aufmachung her den Eindruck eines nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, betriebsinternen Entwurfs einer Montage- und Bedienungsanleitung. Die ringförmig geheftete Broschüre ist maschinenschriftlich verfasst. Das Titelblatt weist - neben dem in der Mitte angeordneten, in Großbuchstaben geschriebenen Titel "Handbuch Warensicherungsanlagen" - am oberen Rand den Firmennamen "A..." und das Datum 14. Oktober 1991 auf, darunter steht der Name C..., die Seitenzahl und der Hinweis "Systembeschreibung". Diese Angaben kehren auf allen folgenden 21 Seiten wieder, wobei als Datum ab Seite 5 der 15. Oktober 1991 genannt ist. Für ein zur Aushändigung an einen nicht beschränkten Personenkreis bestimmtes Betriebs- bzw. Bedienungshandbuch im Sinne einer Druckschrift ist eine mit unterschiedlichen Erscheinungsdaten versehene Ausgabe, in der auf jeder Seite der Name des Verfassers erscheint, unüblich.
Auch dass ein solches Handbuch auf dem Titel- oder Deckblatt keine Typenbezeichnung der beschriebenen Anlage (z. B. D 60 oder D 240) aufweist, ist nicht üblich.
Die öffentliche Zugänglichkeit des Handbuchs (1) geht somit nicht aus diesem selbst hervor. Vielmehr wäre der Nachweis erforderlich, dass Exemplare genau dieses Handbuchs der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, z. B. an Kunden ausgeliefert wurden.
Die unter der Entgegenhaltung (2) zusammengefassten Übersendungsschreiben sind jedoch nicht ausreichend, um diesen Nachweis zu führen.
In der Entgegenhaltung (2) sind folgende Schreiben enthalten:
Ü1) Übersendungsschreiben für "die Gebrauchsanleitung für die D 60 IR" an D... vom 8. August 1991, unterschrieben von E..., Ü2) Übersendungsschreiben für "eine Bedienungsanleitung für die D 60 IR" an F... vom 21. August 1991, unterschrieben von E..., Ü3) Übersendungsschreiben für "eine Gebrauchsanleitung für Ihre D 60 Zentrale" an G... vom 5. September 1991 von B... GmbH, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü4) Anforderungsschreiben vom 11. September 1991 von Firma H... an Fa. B... sowie 2 Übersendungsschreiben vom 28. Oktober 1991 (für "das Handbuch der Warensicherungsanlagen D 60 und D 240") und 23. September 1991 (für "eine Kurzbeschreibung der D 60 IR") an Firma H..., unterschrieben von E..., Ü5) Übersendungsschreiben für "eine Bedienungsanleitung für die D 60" an I... vom 12. September 1991, unterschrieben von E..., Ü6) Übersendungsschreiben für "die Gebrauchsanleitungen der D 60 und IR-Fernbedienung" an J... vom 25. Oktober 1991, unter- schrieben von E..., Ü7) Übersendungsschreiben für "das Handbuch für die Alarmanlagen D 60 und D 240" an K... AG vom 28. Oktober 1991, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü8) Übersendungsschreiben für "eine Gebrauchsanleitung für die Warensicherungsanlage und IR-Set" an L... vom 31. Oktober 1991, unterschrieben von E..., Ü9) Übersendungsschreiben für "eine Gebrauchsanleitung für das IR-Set" an M... vom 31. Oktober 1991, unterschrieben von E..., Ü10) Schreiben an N... GmbH vom 9. Dezember 1991 mit der Ankündigung, nochmals eine Bedienungsanleitung zu überbringen, um eine reibungslos funktionierende Warensicherung zu gewährleisten, im Auftrag der B... GmbH unterschrieben von E..., Ü11) Übersendungsschreiben für "das Handbuch für die Warensicherungsanlagen D 60 und D 240" an O... vom 19. Dezember 1991 von B... GmbH, ohne Unterschrift, Ü12) Übersendungsschreiben für "2 Handbücher für die Alarmanlage" an P... vom 20. Dezember 1991, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü13) Übersendungsschreiben für "eine Bedienungsanleitung für Ihre Alarmanlage" an Q... vom 11. März 1992 von B... GmbH, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü14) Übersendungsschreiben für "das komplette Handbuch für die Warensicherungsanlagen" an Fa. R... vom 13. März 1992, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü15) Übersendungsschreiben für "das Handbuch für die Warensicherungsanlage" an S... GmbH vom 6. März 1992, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü16) Übersendungsschreiben für "eine Bedienungsanleitung für die Warensicherungsanlage" an T... vom 15. April 1992 von B... GmbH, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü17) Übersendungsschreiben für "das Handbuch für Ihre Warensicherungsanlage" an U... vom 30. April 1992, im Auftrag unterschrieben von E..., Ü18) Übersendungsschreiben für "eine Bedienungsanleitung für Ihre Warensicherungsanlage" an V... vom 30. Juli 1992, im Auftrag unterschrieben von E...
Die in (2) aufgeführten Schreiben sind mit Ausnahme von Ü11 unterschrieben von E... bzw. E..., teilweise im Auftrag der Firma B... (auch Ü11 stammt von dieser Firma), wobei teilweise die Typbezeichnung "D 60", "D 240", "D 60 IR" angegeben ist. Es ist daher davon auszugehen, dass alle Schreiben von der Firma B... stammen, und dass diese Firma die Warensicherungsanlagen D 60 und D 240 (auch mit dem Zusatz IR) vertrieben hat, auf die sich das Handbuch (1) bezieht, vgl. in (1) die Seiten 5, 6 und 7, jeweils das zentrale Rechteck mit Beschriftung.
Das Datum der Übersendungsschreiben Ü1, Ü2, Ü3 und Ü5 liegt jeweils vor dem frühesten in dem Handbuch (1) angegebenen Datum 14. Oktober 1991. Diese Übersendungsschreiben können sich damit grundsätzlich nicht auf das Handbuch (1) beziehen.
Dass alle der in den Schreiben gemäß (2) angesprochenen Handbücher, Bedienungs- oder Gebrauchsanleitungen usw. die in (1) beschriebene Warensicherungsanlage (D 60 bzw. D 240) betreffen, ist nicht nachgewiesen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Firma B... auch Warensicherungsanlagen anderen Typs, evtl. auch von anderen Herstellern als A..., vertrieben hat. Diejenigen Schreiben aus (2), in denen der Typ der Warensicherungsanlage bzw. Alarmanlage nicht genannt ist, können daher nicht zum Beweis der öffentlichen Zugänglichkeit des Handbuchs (1) dienen. Dies betrifft die Schreiben Ü8 bis Ü10 sowie Ü12 bis Ü18.
Selbst aus den Schreiben aus (2), in denen der Typ der Warensicherungsanlage (D 60, D 240, D 60 IR) explizit genannt ist, geht nicht eindeutig hervor, dass es sich bei dem übersandten Handbuch (vgl. Ü4, Ü7, Ü11) bzw. der Gebrauchsanleitung (vgl. Ü6) tatsächlich um die Druckschrift (1) handelt. Wie oben ausgeführt wurde, macht die Druckschrift (1) von ihrer Aufmachung her den Eindruck eines betriebsinternen Entwurfs, nicht den eines für einen unbeschränkten Kundenkreis bestimmten Betriebs- oder Bedienungshandbuchs. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei der Firma B... im durch (2) belegten Zeitraum August 1991 bis Juli 1992 ein oder mehrere für Kunden bestimmte Handbücher, Gebrauchsanleitungen, Kurzbeschreibungen (siehe Ü4) oder ähnliches für die Warensicherungsanlagen D 60 und D 240 (auch mit IR-Fernbedienung) existierten, die zwar ähnlichen Inhalt hatten wie die Druckschrift (1) bzw. auf dieser basierten, jedoch mit ihr nicht vollständig inhaltsgleich waren, und dass sich Ü4, Ü6, Ü7, Ü11 und evtl. weitere der in (2) zusammengefassten Schreiben auf solche Schriften beziehen.
Die öffentliche Zugänglichkeit der Druckschrift (1) vor dem Anmeldetag der vorliegenden Patentanmeldung ist somit durch die unter (2) zusammengefassten Schreiben nicht nachgewiesen. Der Anmelder war daher nicht verpflichtet, den Inhalt der Druckschrift (1) gemäß § 34 Abs. 7 PatG als Stand der Technik in der Beschreibung darzulegen.
Der einzige nunmehr im Verfahren befindliche, vom Anmelder selbst in der Beschreibung dargelegte Stand der Technik gemäß EP 116 701 B1 und EP 537 941 A1 steht der Gewährbarkeit des Anspruchs 1 nicht entgegen, da diese Schriften die beanspruchte Deaktivierung eines (beliebigen) einen Alarm anzeigenden Überwachungsfühlers durch einen einzigen, zentralen Schalter bei gleichzeitiger Beibehaltung der Überwachung anderer Überwachungsfühler weder zeigen noch nahe legen.
Der Anspruch 1 ist somit gewährbar.
Auch die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 sind gewährbar.
Eine Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß § 79 Abs. 3 PatG kommt nicht in Betracht, da das Patentbegehren in der geltenden Form von der dortigen Prüfungsstelle bereits geprüft und der geltende Anspruch 1 (sogar unter der Berücksichtigung der Druckschrift (1)) als gewährbar angesehen worden ist, die Sache somit entscheidungsreif war, vgl. Busse, Patentgesetz, 6. Auflage, § 79 Rdn. 54.
Das Patent war somit zu erteilen.
Da dem Antrag des Anmelders entsprochen wurde, konnte auf die nur hilfsweise beantragte Durchführung einer mündliche Verhandlung verzichtet werden.
BPatG:
Beschluss v. 24.01.2006
Az: 17 W (pat) 18/05
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