Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Oktober 2010
Aktenzeichen: 10 W (pat) 24/01

(BPatG: Beschluss v. 14.10.2010, Az.: 10 W (pat) 24/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Am 6. April 2000 reichte die Anmelderin beim Deutschen Patentund Markenamt (DPMA) die Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Verfahren zur Herstellung eines Dämmstoffes" ein. Mit der Anmeldung wurde eine innere Priorität in Anspruch genommen (aus der Anmeldung 100 05 939.2 vom 10. Februar 2000).

Nach Erhalt des Prüfungsbescheides vom 8. Dezember 2000, mit dem u. a. die fehlende Neuheit der Anmeldung beanstandet wurde, stellte die Anmelderin mit Schriftsatz vom 9. Januar 2001, eingegangen beim DPMA am 16. Januar 2001, Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Abgabe einer Prioritätserklärung gemäß § 40 Abs. 4 PatG; zugleich wurde eine weitere innere Priorität in Anspruch genommen (aus der Anmeldung 199 39 827.5 vom 21. August 1999).

Zum Wiedereinsetzungsantrag wird vorgetragen, der patentanwaltliche Vertreter der Anmelderin sei durch den Prüfungsbescheid, empfangen am 22. Dezember 2000, darauf gestoßen, dass von den in dieser Sache für die Anmelderin getätigten zwei früheren Anmeldungen vom 21. August 1999 (199 39 827.5) und 10. Februar 2000 (100 05 939.2) in der vorliegenden Anmeldung versehentlich nur die innere Priorität der einen Anmeldung (100 05 939.2 vom 10. Februar 2000), nicht aber auch die Priorität der anderen Anmeldung (199 39 827.5 vom 21. August 1999) in Anspruch genommen worden sei. Mit der Einreichung der Anmeldung sei am 4. April 2000 seine Mitarbeiterin Frau O..., eine ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte, die seit 1996 fehlerfreiin der Kanzlei arbeite, beauftragt gewesen. Sie habe insoweit u. a. die Aufgabe gehabt, den Anmeldeantrag vorzubereiten und zur Unterzeichnung vorzulegen. Sie habe von ihm den Auftrag erhalten, sämtliche innere Prioritäten der Voranmeldungen in Anspruch zu nehmen, was sie aber nicht getan habe. Denn sie sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass nur die Priorität aus der Anmeldung 100 05 939.2 in Anspruch genommen werden solle, weil nur in dieser Anmeldung noch keine Gebühren bezahlt worden seien; bei der Anmeldung 199 39 827.5 seien dagegen sowohl die Anmeldeals auch die Prüfungsgebühr bezahlt worden, so dass sie davon ausgegangen sei, dass insoweit entsprechend einer bisher in der Kanzlei geübten Praxis keine innere Priorität in Anspruch genommen werden solle. Hierzu ist eine eidesstattliche Versicherung von Frau O... eingereicht worden.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle D 04 H -hat durch Beschluss vom 5. März 2001 den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Abgabe einer Prioritätserklärung zurückgewiesen und festgestellt, dass die Priorität aus der deutschen Anmeldung mit dem Aktenzeichen 199 39 827.5 als nicht in Anspruch genommen gilt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, der Anmeldevertreter selbst habe nicht die nötige Sorgfalt walten lassen. Das Anmeldeformular, auf dem auch die Angabe erfolge, welche Prioritäten in Anspruch genommen werden, mag zwar durch Hilfspersonal ausgefüllt worden sein, jedoch habe der Patentanwalt selbst durch seine Unterschrift die Richtigkeit der Angaben bestätigt und somit auch die Verantwortung für die Richtigkeit der Angaben übernommen.

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Anmeldung mit dem Aktenzeichen 199 39 827.5 anzuerkennen.

Zur Begründung der Beschwerde wird in Ergänzung des bisherigen Vortrags ausgeführt, der Ablauf bei der Ausarbeitung und Unterzeichnung der Anmeldung sei so gewesen, dass der patentanwaltliche Vertreter die Anmeldungsunterlagen geprüft und das Anmeldeformular unterzeichnet habe, als die Priorität noch gefehlt habe. Er habe am 4. April 2000 nachmittags einen auswärtigen Termin wahrzunehmen gehabt, bei dem es nicht ausgeschlossen gewesen sei, dass er erst nach Büroschluss zurückkomme. Er habe deshalb das Anmeldeformular mit der Maßgabe unterzeichnet, dass Frau O... (jetzt Frau auf dem G...) die in Anspruch zu nehmenden Prioritäten prüft und die zusätzlich in Anspruch zu nehmende Priorität nachträgt. Aufgrund eines Missverständnisses wegen der schon erfolgten Gebührenzahlung in einer der beiden Voranmeldungen habe diese die Anmeldung ohne auftragsgemäßes Hinzufügen der zweiten Priorität beim Patentamt eingereicht. Eine vorherige Kontrolle durch ihn habe nicht mehr erfolgen können, da er erst nach Büroschluss zurückgekehrt und die Post bereits eingeworfen gewesen sei. Er habe seine Sorgfaltspflicht eingehalten, denn er habe aufgrund der positiven Erfahrungen mit der Arbeit seiner Mitarbeiterin davon ausgehen können, dass diese seine Weisungen verstehen und zutreffend ausführen werde. Er habe auch nichts von der Gebührenzahlung in der einen Voranmeldung gewusst, so dass er nicht mit einer Fehlinterpretation oder unzureichenden Ausführung seines Auftrags habe rechnen können. Er habe das Anmeldeformular vor Ergänzung der Priorität unterschreiben dürfen, denn bei der Ergänzung der Priorität handle es sich um eine reine Formalität, deren Bearbeitung er seiner Mitarbeiterin habe zutrauen können.

In der mündlichen Verhandlung, die im Hinblick auf die Fristverlängerungsanträge der Anmelderin erst dann anberaumt worden ist, als das Einspruchsverfahren zum parallelen europäischen Patent abgeschlossen war, hat die Anmelderin insbesondere geltend gemacht, es liege eine konkrete Einzelanweisung vor, auf deren Befolgung sich der Patentanwalt habe verlassen dürfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Patentamt hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Abgabe der Prioritätserklärung zu Recht zurückgewiesen.

1.

Die Anmelderin hat die Frist zur Inanspruchnahme der inneren Priorität gemäß § 40 Abs. 4 PatG versäumt. Nach dieser Vorschrift kann die Priorität einer beim Patentamt eingereichten früheren Patentoder Gebrauchsmusteranmeldung nur innerhalb von zwei Monaten nach dem Anmeldetag der späteren Anmeldung in Anspruch genommen werden. Der Anmeldetag der vorliegenden, späteren Anmeldung ist der 6. April 2000, die erst am 16. Januar 2001 erklärte Inanspruchnahme einer weiteren inneren Priorität aus der deutschen Anmeldung 199 39 827.5 vom 21. August 1999 erfolgte daher verspätet.

2.

Der insoweit gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 123 PatG ist statthaft, denn die Frist des § 40 Abs. 4 PatG ist eine der Wiedereinsetzung zugängliche Frist. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 PatG ist von der Wiedereinsetzung nur die Frist zur Einreichung von Anmeldungen, für die eine Priorität nach § 40 PatG in Anspruch genommen werden kann, ausgeschlossen, womit die zwölfmonatige Frist zur Einreichung der Nachanmeldung gemäß § 40 Abs. 1 PatG gemeint ist, nicht aber die zweimonatige Erklärungsfrist für die Inanspruchnahme der Priorität gemäß § 40 Abs. 4 PatG (vgl. auch Schulte, PatG, 8. Aufl., § 123 Rdn. 64, 65, § 40 Rdn. 26).

Die zweimonatige Frist des § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG zur Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung ist ausgehend davon, dass der patentanwaltliche Vertreter der Anmelderin erst nach Erhalt des Prüfungsbescheides am 22. Dezember 2000 bemerkt hat, dass die innere Priorität aus der Anmeldung 199 39 827.5 nicht in Anspruch genommen worden ist, gewahrt. Ein früherer Zeitpunkt für positive Kenntnis von der Fristversäumung ist nicht ersichtlich, doch ist der Wegfall des Hindernisses, mithin der Beginn der Antragsfrist, nicht nur bei positiver Kenntnis von der Fristversäumung anzunehmen, sondern auch schon dann, wenn das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist, wenn also die Fristversäumung bei Beachtung der zu erwartenden Sorgfalt hätte erkannt werden können (vgl Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 27). Ob der Patentanwalt hier nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte Anlass haben können, die in Anspruch zu nehmenden Prioritäten zu überprüfen, etwa anlässlich der Beantragung des Prioritätsbelegs im Mai 2000 oder mit Erhalt der ersten Bibliographie-Mitteilung vom 9. November 2000, kann letztlich dahinstehen, da der Antrag auf Wiedereinsetzung jedenfalls in der Sache unbegründet ist.

3. Die Anmelderin hat die Frist zur Inanspruchnahme der inneren Priorität nicht ohne Verschulden versäumt; es liegt ein ihr zurechenbares Verschulden (§ 85 Abs. 2 ZPO) ihrer Vertreter vor.

Die fehlende Inanspruchnahme der inneren Priorität aus der Anmeldung 199 39 827.5 beruht nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen darauf, dass der patentanwaltliche Vertreter die Patentanmeldung zu einem Zeitpunkt unterzeichnet hat, als diese Priorität noch nicht im Anmeldeformular angegeben war, und seine Angestellte, die er damit beauftragt hatte, sämtliche innere Prioritäten in Anspruch zu nehmen, diesen Eintrag vor Einreichung der Anmeldung nicht mehr vorgenommen hat. Ein Fehler von hinreichend unterwiesenen und überwachten Hilfspersonen wird einem Vertreter zwar grundsätzlich nicht zugerechnet, es sei denn, ihn trifft insoweit ein eigenes Verschulden. Ein solcher Fall liegt vor. Für die inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit eines Schriftsatzes ist grundsätzlich der anwaltliche Vertreter selbst verantwortlich (vgl. Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 90; BGH VersR 1986, 1209). Er handelt schuldhaft, wenn er den Schriftsatz zu einem Zeitpunkt unterzeichnet, an dem dieser für ihn erkennbar unvollständig war, ohne durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen, dass eine Nachtragung noch erfolgt. Die hier vorgetragene Anweisung an seine Angestellte war insoweit nicht ausreichend.

Zwar darf sich ein Anwalt grundsätzlich auf die Befolgung der einer zuverlässigen Angestellten erteilten Einzelanweisung verlassen und ist nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern (vgl. z. B. BGH NJW-RR 2001, 209; NJW 2010, 2286, jeweils m. w. N.). Erforderlich ist aber, dass die Einzelanweisung klar und präzise gefasst ist (vgl. BGH NJW-RR 1991, 827; NJW-RR 2001, 209). Daran fehlt es hier. Nach dem eidesstattlich versicherten Inhalt der an die Angestellte Frau O... erteilten Weisung hat ihr der Patentanwalt nicht ein bestimmtes Aktenzeichen genannt, das sie bei der inneren Priorität noch in das Anmeldeformular nachzutragen hat, sondern sie hat lediglich die Weisung erhalten, sämtliche innere Prioritäten in Anspruch zu nehmen. Bei dieser allgemein gefassten Weisung hat es damit letztlich der Mitarbeiterin oblegen zu entscheiden, welches Aktenzeichen sie in das Anmeldeformular nachträgt. Die Entscheidung, welche Prioritäten bei einer Patentanmeldung in Anspruch genommen werden, ist aber keine Formalie, sondern typischerweise ein in den Verantwortungsbereich des Patentanwalts fallende Aufgabe. Grundsätzlich dürfen Bürokräften keine solchen Arbeiten zur selbständigen Erledigung übertragen werden, für die es der Qualifikation des Anwalts selber bedarf (vgl Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 90). Der Patentanwalt hätte daher seiner Angestellten entweder konkret das nachzutragende Aktenzeichen nennen oder sich hinterher darüber vergewissern müssen, dass die inneren Prioritäten korrekt, d. h. vollständig in Anspruch genommen worden sind.

Die Frist zur Inanspruchnahme der Priorität aus der Anmeldung 199 39 827.5 ist damit nicht ohne Verschulden versäumt worden.

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BPatG:
Beschluss v. 14.10.2010
Az: 10 W (pat) 24/01


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