Oberlandesgericht Dresden:
Beschluss vom 1. September 2010
Aktenzeichen: 2 Ws 111/10
(OLG Dresden: Beschluss v. 01.09.2010, Az.: 2 Ws 111/10)
1. Eine "Befriedungsgebühr" (RVG-VV Nr. 4141) zu Gunsten des Verteidigers fällt grundsätzlich nicht an, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gegen ein Urteil ohne weiteres Zutun des Verteidigers zurücknimmt, nachdem der Angeklagte gegen ein in derselben Sache zuvor ergangenes Berufungsurteil erfolgreich Revision eingelegt hatte und die Sache deshalb in die Berufungsinstanz zurückverwiesen worden war.
2. Für eine teleologische Reduktion der zweiwöchigen Rechtzeitigkeitsfrist in RVG-VV NR. 4141 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 allein auf Rechtsmittel von Seiten des Angeklagten besteht kein Raum.
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht wird der Beschluss der 15. Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden vom 26. November 2009 aufgehoben.
Die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pirna vom 14. August 2009 wird als unbegründet verworfen.
Die Entscheidung ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1. Der Angeklagte war am 06. März 2008 vom Amtsgericht Pirna wegen "unerlaubter Veräußerung von Betäubungsmitteln" unter Einbeziehung der Strafen aus zwei früheren Urteilen zu einer Gesamtstrafe von sechzehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin änderte das Landgericht den Rechtsfolgenausspruch ab und verurteilte ihn am 10. Juli 2008 zu der Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährungsmöglichkeit.
Auf die mit einer ausführlichen Rechtsmittelbegründung versehene Revision des Angeklagten hin hob das Oberlandesgericht Dresden (Az.: 1 Ss 700/08) dieses Berufungsurteil wegen Rechtsfehlern auf und verwies die Sache mit Beschluss vom 03. Dezember 2009 zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungskammer des Landgerichts zurück.
2. Drei Tage vor der neu angesetzten Berufungshauptverhandlung nahm die Staatsanwaltschaft ihre Berufung mit Schriftsatz vom 09. Januar 2009 zurück. Der Verteidiger des Angeklagten begehrt nunmehr - nur dies ist Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens - die Festsetzung einer zusätzlichen Gebühr nach RVG-VV Nr. 4141 ("Befriedungsgebühr"). Aufgrund seiner Mitwirkung, die in der erfolgreichen Revision und seiner Gegenerklärung nach § 349 Abs. 3 StPO zu erblicken sei, habe sich das Berufungsverfahren durch Rücknahme des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels erledigt.
Das Amtsgericht Pirna hat diesen Festsetzungsantrag zurückgewiesen; die Gebühr sei nicht entstanden, weil die Rechtsmittelrücknahme nur drei Tage vor dem angesetzten Hauptverhandlungstermin erfolgt und daher die in RVG-VV Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 geforderte Frist von mindestens zwei Wochen nicht eingehalten worden sei.
3. Auf die zulässige Beschwerde des Verteidigers hin hob das Landgericht Dresden diese Entscheidung des Amtsgerichts auf und erkannte dem Beschwerdeführer die Befriedungsgebühr mit Beschluss vom 26. November 2009 zu. Der Verteidiger habe durch seine erfolgreiche Revision im Ergebnis dazu beigetragen, dass die Staatsanwaltschaft ihre Berufung schließlich zurückgenommen habe, weshalb eine weitere Hauptverhandlung habe vermieden werden können. Zwar sei die im Gebührentatbestand vorausgesetzte Zweiwochenfrist nicht eingehalten. Der Wortlaut dieses normierten Erfordernisses sei aber, soweit er die Frist für die Rechtzeitigkeit auch auf Rechtsmittelrücknahmen von Seiten der Staatsanwaltschaft erstrecke, bei der Gesetzesfassung planwidrig zu weitgehend geraten; er sei deshalb nach dem Sinn und Zweck der Befriedungsgebühr teleologisch auf eine Fristbindung nur des Angeklagten zu reduzieren. Anderenfalls würde es in die Hand der Staatsanwaltschaft gelegt sein, ob die Gebühr anfalle oder nicht.
Gegen diese Entscheidung der Strafkammer, die ihre Rechtsansicht auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorgängervorschrift in § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BRAGO gestützt sieht, richtet sich die von der Kammer zugelassene weitere Beschwerde des Bezirksrevisors. Der Verteidiger hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zugelassene weitere Beschwerde ist begründet. Der Verteidiger hat auf die begehrte Gebühr nach derzeitiger Rechtslage keinen Anspruch.
1. Es ist bereits zu bezweifeln, ob der vom Wortlaut her eindeutig normierte Gebührentatbestand in Bezug auf die zweiwöchige Rechtzeitigkeitsfrist überhaupt einer teleologischen Reduktion zugänglich ist, weil der "Telos der Vorschrift" oder - subjektiv ausgedrückt - der "Wille des Gesetzgebers" nicht eindeutig feststellbar ist. Das Landgericht hätte mit seiner Entscheidung insoweit die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschritten.
Zwar zeigt die Entstehungsgeschichte der Norm und ihrer Vorgängerreglung in § 84 Abs. 2 BRAGO mit den jeweiligen Gesetzesmaterialien, dass sie nahezu ausschließlich Rechtsmittel des Angeklagten als Regelungsgegenstand hatte, auf deren Rücknahmezeitpunkt dieser einen Einfluss hatte. Sie wurde geschaffen im Zusammenhang mit der Einspruchsrücknahme im Strafbefehlsverfahren (BT-Drs 12/6962, S. 106). In diesen Fällen sollte der Verteidiger "entschädigt" werden, wenn er zum Abschluss des Verfahrens ohne Hauptverhandlung beiträgt und damit zugleich auf eine Terminsgebühr "verzichtet".
Aber auch hier hatte der Gesetzgeber schon früh - offenbar aus fiskalischen Überlegungen - bestimmt, dass die "Befriedungsgebühr" nur demjenigen Verteidiger zukommen soll, "dessen rechtzeitige Prüfung dazu führt, das eine Hauptverhandlung und die damit verbundene Vorbereitung des Gerichts aber auch gegebenenfalls der Zeugen und Sachverständigen entbehrlich werden" (BT-Drs 12/6962, a.a.O.). Entsprechend hat er die Verdienstmöglichkeit für diese Gebühr unter eine zweiwöchige Ausschlussfrist gestellt; in Fällen, in denen die Frist nicht eingehalten wird, entsteht die Gebühr - trotz eines gleichen Arbeitseinsatzes des Verteidigers und dessen "Verzicht" auf die Terminsgebühr - nicht, weil dem Gericht kein Vorbereitungsaufwand für die Hauptverhandlung erspart wurde.
Dieser fiskalische Gesichtspunkt (der Aufwandsersparnis bei Gericht) ist aber bei der auf Betreiben der Anwaltschaft erfolgten Erweiterung der erfassten Rechtsmittel in RVG-VV Nr. 4141 (nunmehr auch Berufungen und Revisionen) nicht weggefallen. Er greift grundsätzlich bei Rechtsmitteln beider Seiten des Strafverfahrens ein, damit auch bei Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft und der gegebenenfalls der Nebenklage. Sofern hier die zweiwöchige Ausschlussfrist nicht eingehalten wird, ist die Ersparnis bei Gericht in puncto Hauptverhandlungsvorbereitung nicht gegeben; die Gebühr gerät nach dem Wortlaut der Norm in Wegfall.
Weil den Gesetzesmaterialien - soweit ersichtlich - keine Aussage über diesen Aspekt der Ausschlussfrist zu entnehmen ist, kann ein planwidrig zu weitgehender Wortlaut der Norm jedenfalls nicht festgestellt und einem - gleichfalls nicht eindeutig feststellbaren - Willen des Gesetzgebers im Wege einer teleologischen Reduktion zum Durchbruch verholfen werden. Sofern die Ausschlussfrist nicht für Rechtsmittel von Seiten der Anklage gelten sollte, ist hier der Gesetzgeber aufgerufen, Klarheit zu schaffen.
2. Ungeachtet dessen steht der Befriedungsgebühr im vorliegenden Fall jedenfalls auch der Ausschluss nach RVG-VV Nr. 4141 Abs. 2 entgegen.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Verteidiger - neben dem gebührenrechtlich ohnehin vergüteten Revisions- verfahren (RVG-VV Nr. 4130) - eine auf die Förderung der Rechtsmittelrücknahme außerhalb der Hauptverhandlung gerichtete Tätigkeit entfaltet hat. Zwar reicht hierfür grundsätzlich jede Tätigkeit eines Verteidigers aus, die geeignet ist, das Verfahren in Hinblick auf eine solche Erledigung zu fördern; auch ist zutreffend, dass auch ein früherer Beitrag des Verteidigers hierfür genügen kann, sofern er - bei Beendigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung in einem späteren Verfahrensabschnitt - in diesem noch fortwirkt.
Dies ist vorliegend aber nicht erfüllt.
Nach Aufhebung des Berufungsurteils durch das Revisionsgericht und nach Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz stellte das Verfahren vor dem neuen Gericht einen neuen Rechtszug dar (§ 21 Abs. 1 RVG). Es war damit gebührenrechtlich eine neue Angelegenheit, in der der Anwalt erneut neben der "normalen" Verfahrensgebühr (RVG-VV Nr. 4124) auch - bei entsprechender Tätigkeit - die zusätzliche Verfahrensgebühr nach RVG-VV Nr. 4141 Abs. 1 hätte verdienen können. Hierfür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich.
In diesem Zusammenhang ist es unbehelflich, auf die Revisionsbegründung und Gegenerklärung nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO abzustellen, weil die Durchführung dieses eigenständigen Rechtsmittels keine "fördernde" Tätigkeit in Bezug auf die Berufungsrücknahme darstellt. Den gebührenrechtlich zu honorierenden Erfolg hat der Verteidiger in der Aufhebung des angegriffenen Urteils. Ein und dieselbe Handlung kann ohne weiteres Hinzutun keinen weiteren Gebührentatbestand auslösen.
OLG Dresden:
Beschluss v. 01.09.2010
Az: 2 Ws 111/10
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