Sozialgericht Duisburg:
Beschluss vom 30. Mai 2008
Aktenzeichen: S 10 (25) R 70/06
(SG Duisburg: Beschluss v. 30.05.2008, Az.: S 10 (25) R 70/06)
Tenor
Die Erinnerung gegen die Festsetzung der dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Kosten vom 04.01.2008 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Im Streit ist die Höhe der Verfahrensgebühr und der Einigungsgebühr für das Klageverfahren.
Streitgegenstand des zugrunde liegenden Klageverfahrens war die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der am 28.01.1971 geborene Kläger hattet am 28.06.2005 einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gestellt, der nach Einholung eines internistischsozialmedizinischen Gutachtens des Dr. K. und eines psychiatrischen Gutachtens des Dr. Donat mit Bescheid vom 27.07.2005 mit der Begründung abgelehnt worden war, der Kläger sei gesundheitlich in der Lage, mindestens 6 Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch der Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2006 zurückgewiesen. In dem anschließenden Klageverfahren holte das Gericht einen Befundbericht der behandelnden Ärzte C. und W. R. sowie psychiatrische Gutachten des Dr. L. vom 13.02.2007 und des Dr. H. vom 25.08.2007 ein. Aufgrund des Ergebnisses der Begutachtung des Sachverständigen Dr. H. erkannte die Beklagte im Rahmen eines Vergleichsangebotes eine am 15.02.2007 eingetretene volle Erwerbsminderung auf Zeit an und verpflichtete sich, dem Kläger für die Zeit vom 01.09.2007 bis zum 31.12.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Der Kläger nahm das Vergleichsangebot der Beklagten an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt.
Mit Schriftsatz vom 03.12.2007 beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Festsetzung folgender dem Kläger zu erstattender Kosten:
I. Widerspruchsverfahren
Geschäftsgebühr Nr 2400 VV 240,00 Euro Auslagenpauschale Nr 7002 VV 20,00 Euro 2/3-Quote 173,33 Euro Umsatzsteuer Nr 7008 VV 27,73 Euro Summe Widerspruchsverfahren 201,06 Euro
II. Klageverfahren
Verfahrensgebühr Nr 3103 VV 320,00 Euro Einigungsgebühr Nr 1006 VV 350,00 Euro Ablichtungskosten Nr 7000 VV 1,50 Euro Auslagenpauschale Nr 7002 VV 20,00 Euro Kostenquote 2/3 461,00 Euro Umsatzsteuer Nr 7008 VV RVG 87,59 Euro Summe Klageverfahren 548,59 Euro Gesamtsumme 749,65 Euro
Mit Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 04.01.2008 wurden die von der Beklagten zu erstattenden Kosten in Höhe von 646,51 Euro festgesetzt. Dabei wurden die geltend gemachten Kosten des Widerspruchsverfahrens in vollem Umfang als angemessen und erstattungsfähig angesehen. Hinsichtlich der Kosten des Klageverfahrens wurde lediglich eine Verfahrensgebühr in Höhe von 255,00 Euro und eine Einigungsgebühr in Höhe von 285,00 Euro zugrunde gelegt. Zur Begründung wurde ausgeführt, aufgrund der hohen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, der langen Laufzeit des Klageverfahrens, des überdurchschnittlichen Umfanges der anwaltlichen Tätigkeit und der unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sei eine um 50 vH über der Mittelgebühr liegende Verfahrens- und Einigungsgebühr als angemessen anzusehen.
Gegen diesen Beschluss hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 23.01.2008 Erinnerung eingelegt und beantragt, die außergerichtlichen Kosten antragsgemäß festzusetzen. Eine Kürzung der geltend gemachten Höchstgebühr sei nicht gerechtfertigt, weil die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weit überdurchschnittlich gewesen seien. Zudem seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nicht als unterdurchschnittlich, sondern als mindestens durchschnittlich zu beurteilen, da der Kläger bis Juli 2004 ein Nettoeinkommen von ca. 2.000,00 Euro pro Monat erzielt habe. Zudem sei nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls ein Gebührenzuschlag von 20 vH auf die als angemessen anzusehenden Gebühren vorzunehmen, sofern die Höchstgebühr nicht gerechtfertigt sei.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die nach § 197 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung des Klägers ist nicht begründet.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die von der Beklagten zu erstattenden Gebühren und Auslagen in zutreffender Höhe nach § 197 Abs 1 SGG festgesetzt.
Nach § 3 Abs 1 S 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie vorliegend - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Bei Rahmengebühren bestimmt nach § 14 Abs 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Dabei ist auch das Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers getroffene Bestimmung hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr entspricht nicht billigem Ermessen und ist daher nicht verbindlich, da eine Verfahrensgebühr in Höhe von 255,00 Euro angemessen ist und die getroffene Bestimmung (320,00 Euro) um mehr als 20 vH von der angemessenen Gebühr abweicht.
Der Betragsrahmen für die Verfahrensgebühr ergibt sich vorliegend aus Nr. 3103 VV RVG. Danach beträgt die Gebühr nach Nr. 3102 VV RVG, dh die Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, 20,00 Euro bis 320,00 Euro, wenn eine Tätigkeit in einem Verwaltungsverfahren oder in einem weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verfahren vorausgegangen ist. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers war bereits im Widerspruchsverfahren tätigt, so dass dem Klageverfahren eine Tätigkeit in einem der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren vorausging.
Bei der Bestimmung der Gebühr nach § 14 RVG ist grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen, dh die Mittelgebühr ist gerechtfertigt, wenn es sich um eine Angelegenheit mit üblicher Bedeutung für den Kläger, durchschnittlichem Umfang und durchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie um normale wirtschaftliche Verhältnisse des Klägers handelt (vgl. Gerold/Schmidt, Kommentar zum RVG § 14 Rn 10 mwN). Unter Zugrundelegung des in Nr 3103 VV RVG geregelten Betragsrahmens für die Verfahrensgebühr mit vorausgegangenem Widerspruchsverfahren (20 bis 320,00 Euro) ergibt sich eine Mittelgebühr in Höhe von 170,00 Euro.
Unter Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien erscheint eine Erhöhung der Mittelgebühr auf den im Kostenfestsetzungsbeschluss zugrunde gelegten Betrag von 255,00 Euro als angemessen.
In dem Verfahren ging es um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Hierbei handelte es sich für den Kläger um eine überaus wichtige Angelegenheit. Die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente stellt grundsätzlich einen wichtigen Bestandteil der Existenzsicherung dar. Insoweit hat ein diesbezügliches Klageverfahren für den Kläger eine überdurchschnittliche Bedeutung.
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war ebenfalls überdurchschnittlich. In dem Streitverfahren ist eine medizinische Beweisaufnahme erfolgt, in deren Rahmen ein Befundbericht der behandelnden Ärzte sowie zwei medizinische Gutachten eingeholt worden sind und einer eingehenden Auswertung bedurften. Die Auswertung medizinischer Befundberichte und Gutachten auf ihre Relevanz für die Erwerbsminderung des Klägers ist für einen Prozessbevollmächtigten als medizinischen Laien besonders zeitintensiv. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Auseinandersetzung mit medizinischen Sachverhalten in sozialgerichtlichen Verfahren häufig vorkommen und insoweit als alltäglich anzusehen ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich das Klageverfahren über eine Dauer von 16 Monate erstreckte und damit überdurchschnittlich lange dauerte.
Dagegen ist die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit allenfalls als durchschnittlich zu beurteilen. In dem Verfahren war die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit. Da die Übergangsregelung des § 240 SGB VI auf den Kläger nicht anwendbar ist, war in rechtlicher Hinsicht allein entscheidungserheblich, ob bei dem Kläger aus gesundheitlichen Gründen ein zeitlich auf unter 6 Stunden oder unter 3 Stunden eingeschränktes Leistungsvermögen vorliegt. In prozessualer Hinsicht war zudem zu prüfen, ob das vom Gericht eingeholte psychiatrische Gutachten des Dr. Linka unter dem Gesichtspunkt verwertbar war, dass der Sachverständige eine Anamneseerhebung sowie die psychiatrische und körperliche Untersuchung in vollem Umfang auf eine Hilfsperson übertragen hatte. Die unter diesen beiden rechtlichen Gesichtspunkten vorzunehmende Beurteilung lassen die anwaltliche Tätigkeit nicht als weit überdurchschnittlich erscheinen. Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Auffassung vertreten hat, es sei kaum ein größerer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und kaum ein höherer Schwierigkeitsgrad in einem erstinstanzlichen Verfahren denkbar, so dass allein der Ansatz der Höchstgebühr gerechtfertigt sei, teilt das Gericht diese Ansicht nicht. Die Auseinandersetzung mit zwei medizinischen Gutachten auf einem Fachgebiet in einem auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichteten Klageverfahren ist in tatsächlicher Hinsicht nicht außergewöhnlich. Es gibt eine Vielzahl entsprechender Klageverfahren, in denen auf mehreren verschiedenen Fachgebieten Gutachten eingeholt werden, deren Zahl sich häufig noch dadurch erhöht, dass von dem Antragsrecht nach § 109 SGG Gebrauch gemacht wird und weitere Gutachten von Ärzten eingeholt werden, die von dem Kläger benannt werden.
Zudem ergibt sich ein höherer Schwierigkeitsgrad regelmäßig in den Verfahren, in denen mehrere Gutachten mit sich widersprechenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilungen vorliegen, so dass eine Beweiswürdigung vorzunehmen ist, in deren Rahmen die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit der sich widersprechenden Gutachten zu prüfen und darzulegen ist. Eine entsprechende Beweiswürdigung war vorliegend nicht erforderlich, weil die Beklagte die Richtigkeit der sozialmedizinischen Beurteilung des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Heidrich zugrunde gelegt hat, obwohl dieser zu einem anderen Ergebnis gelangt ist als die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter Dr. K. und Dr. D ...
Zudem ist den auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichteten Verfahren wegen der Übergangsregelung des § 240 SGB VI häufig die Prüfung einer Berufsunfähigkeit immanent, weil zumindest hilfsweise auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geltend gemacht wird. In diesem Zusammenhang stellen sich vielfältige rechtliche Probleme hinsichtlich der Ermittlung des bisherigen Berufes, der Einordnung der bisherigen Berufstätigkeit in das von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Mehrstufenschema, der Ermittlung sozial und gesundheitlich zumutbarer Verweisungstätigkeiten einschließlich der damit verbundenen berufskundlichen Fragestellungen und der Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Diese beispielhaft genannten, häufig vorkommenden rechtlichen Problemkreise in Verfahren, die auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichtet sind, machen deutlich, dass es weitaus schwierigere Fallgestaltungen in Erwerbsminderungsrentenverfahren gibt, die die anwaltliche Tätigkeit deutlich schwieriger erscheinen lassen als in dem vorliegenden Verfahren. Vor diesem Hintergrund kann der Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit allenfalls als durchschnittlich beurteilt werden.
Legt man entsprechend der anamnestischen Angaben des Klägers zugrunde, dass dieser nach dem Auslaufen des Krankengeldes während des Klageverfahrens deshalb keine Sozialleistungen bezogen hat, weil das Einkommen seiner Lebensgefährtin dafür zu hoch war, kann nach Auffassung des Gerichts von durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen ausgegangen werden.
Unter Berücksichtigung der überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, dem überdurchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, dem durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad den durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie dem durchschnittlichen Haftungsrisiko ist eine Erhöhung der Mittelgebühr um 50 vH auf den im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Betrag von 255,00 Euro angemessen. Aus den gleichen Gründen ist die Höhe der Einigungsgebühr (Mittelgebühr 190,00 Euro) auf den Betrag von 285,00 Euro gerechtfertigt. Dagegen ist der Ansatz der jeweiligen Höchstgebühr unangemessen.
Eine weitere Erhöhung der angemessenen Gebühr um einen Zuschlag von 20 vH ist entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht vorzunehmen. Es ist zwar zutreffend, dass in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten wird, eine Unbilligkeit der Gebührenbestimmung sei nicht bei jeder Abweichung von der angemessenen Gebühr, sondern erst bei einer mehr als 20%igen Überschreitung der angemessenen Gebühr anzunehmen ( so LSG NRW Urteil vom 05.05.2008, Az: L 3 R 84/08; LSG NRW Urteil vom 23.04.2007, Az: L 19 AS 54/06; vom BSG offengelassenen in SozR 3-1930 § 116 BRAGO Nr 4; SozR 1300 § 63 SGB X Nr 4 mwN). Es kann dahingestellt bleiben, ob einem Rechtsanwalt ein entsprechender Toleranzrahmen im Rahmen der von ihm vorgenommenen Bestimmung der Gebühr einzuräumen ist. Die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers bestimmte Gebühr überschreitet die angemessene Gebühr vorliegend um mehr als 25 vH, so dass die getroffene Bestimmung jedenfalls unbillig und damit nicht verbindlich ist.
Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers lässt sich aus der zitierten Rechtsprechung nicht ein generell vorzunehmender Zuschlag von 20 vH auf die angemessene Gebühr herleiten. Mit dem Toleranzrahmen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass § 14 Abs 1 RVG dem Rechtsanwalt ein Ermessen hinsichtlich der Bestimmung der angemessenen Gebühr einräumt, das unter Heranziehung der in § 14 Abs 1 S 1 genannten Bemessungskriterien auszuüben ist. Da die Gebührenbemessung somit von zahlreichen Faktoren abhängt, die dem Ermessen des Rechtsanwaltes unterliegen, und dem Gericht lediglich eine Überprüfungsfunktion und kein originäres Festsetzungsrecht zusteht, erscheint es sachgerecht, dem Rechtsanwalt einen Ermessensspielraum
zuzubilligen, der vom Gericht hinzunehmen ist (vgl. Riedel-Sußbauer, Kommentar zur BRAGO, 5. Auflage, § 16 Rn 5; BVerwGE 61, 196, 201). Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung den Toleranzrahmen entwickelt, wonach die vom Gericht als angemessen erachtete Gebühr die anwaltliche Gebührenbestimmung nicht in jedem Fall ersetzen soll, sondern nur dann, wenn die anwaltliche Festsetzung um mehr als 20 vH von der vom Gericht als angemessen zugrunde gelegten Gebühr abweicht. Damit wird zugleich erreicht, dass nicht wegen geringer Differenzbeträge eine Vielzahl von Kostenstreitverfahren hervorgerufen wird (vgl. LSG NRW vom 05.05.2008, Az: L 3 R 84/08; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG § 197 Rn 7c mwN).
Aus Sinn und Zweck dieses von der Rechtsprechung entwickelten Toleranzrahmens und der Vorschrift des § 14 Abs 1 S 4 RVG ergibt sich zugleich, dass eine pauschale Erhöhung der angemessenen Gebühr in Gestalt eines Zuschlages vom 20 vH nicht in Betracht kommt. Soweit eine vom Rechtsanwalt vorgenommene Gebührenbestimmung oberhalb des Toleranzrahmens von 20 vH liegt, ist an die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht mehr anzuknüpfen, da sie insgesamt unbillig und damit nicht verbindlich ist (§ 14 Abs 1 S4 RVG). In diesem Fall setzt das Gericht die Gebühr unter Billigkeitsgesichtspunkten selbst fest und ermittelt unter Heranziehung der in § 14 Abs 1 S 1 RVG vorgesehenen Bemessungskriterien die angemessene Gebühr. Dabei ist der dem Rechtsanwalt zustehende Ermessensspielraum nicht mehr zu berücksichtigen, weil seine Gebührenbestimmung und Ermessensausübung nicht mehr die Grundlage bildet (vgl. Meyer-Kraiß, Kommentar zum RVG 2. Auflage § 14 Rn 46). Das Gericht setzt bei Vorliegen der Voraussetzung des § 14 Abs 1 S 4 RVG nicht die früher von dem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr herab, sondern setzt die Gebühr vollständig neu fest, wobei es seinen eigenen Maßstab anlegt (vgl. Rieder/Sußbauer, Kommentar zur BRAGO 5. Auflage, § 12 Rn 5). Der Heranziehung des auf die Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt bezogenen Toleranzrahmens ist damit die Grundlage entzogen.
Somit ergeben sich folgende erstattungsfähige Gebühren und Auslagen:
I. Widerspruchsverfahren
Geschäftsgebühr Nr 2400 VV 240,00 Euro Auslagenpauschale Nr 7002 VV 20,00 Euro Umsatzsteuer Nr 7008 VV 41.60 Euro Summe Widerspruchsverfahren 301,60 Euro Hiervon 2/3 201,06 Euro
II. Klageverfahren
Verfahrensgebühr Nr 3103 VV 255,00 Euro Einigungsgebühr Nr 1006 VV 285,00 Euro Ablichtungskosten Nr 7000 VV 1,50 Euro Auslagenpauschale Nr 7002 VV 20,00 Euro Umsatzsteuer Nr 7008 VV RVG 106,68 Euro Summe 668,18 Euro Hiervon 2/3 445,45 Euro Summe aus I. und II. 646,51 Euro
SG Duisburg:
Beschluss v. 30.05.2008
Az: S 10 (25) R 70/06
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