Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 6. Januar 2006
Aktenzeichen: 2 ARs 231/05
(OLG Köln: Beschluss v. 06.01.2006, Az.: 2 ARs 231/05)
Tenor
Dem Pflichtverteidiger wird eine Pauschvergütung in Höhe des Betrages der festgesetzten Regelgebühren zuzüglich 1.000,00 EUR (in Worten: eintausend Euro) bewilligt.
Gründe
Über den Antrag auf Bewilligung einer über die gesetzlichen Gebühren hinausgehenden Pauschgebühr ist nach Übertragung gem. § 51 Abs. 2 S. 4 in Verb. mit § 42 Abs. 3 Satz 2 RVG gemäß Beschluss des Einzelrichters vom 29.12.2005 durch den Senat zu entscheiden. Der Antrag auf Bewilligung einer über die gesetzlichen Gebühren hinausgehenden Pauschgebühr gemäß § 51 RVG ist in dem erkannten Umfang begründet.
§ 51 Abs. 1 S. 1 RVG sieht die Festsetzung einer Pauschgebühr in Strafsachen für den Fall vor, dass die gesetzlichen Gebühren des gerichtlich bestellten Rechtsanwalts wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit "nicht zumutbar sind". Damit soll der Ausnahmecharakter bei der Bewilligung einer Pauschgebühr zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Begründung zum Entwurf des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, BT-Drucksache 15/1971). Da wesentliche Gesichtspunkte, die bisher Anlaß zur Gewährung einer Pauschgebühr gegeben haben, bereits bei der Bemessung der gesetzlichen Gebühr berücksichtigt werden (z.B. Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und an Haftprüfungsterminen, besonders lange Dauer der Hauptverhandlung), wird der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift in Zukunft eingeschränkt sein (vgl. Senat 03.05.2005 - 2 ARs 87/05 -; 10.05.2005 - 2 ARs 86/05)
Auch im Blick auf diese neuen Regelungen und deren Ausnahmecharakter ist im vorliegenden Fall die Gewährung einer Pauschgebühr gerechtfertigt.
Das Verfahren wies besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf.
Es handelte sich um ein im Vergleich zu dem durchschnittlichen Aufwand einer vor der großen Strafkammer verhandelten Strafsache besonders umfangreiches, bedeutsames Verfahren. Gegenstand der 130-seitigen Anklage war der Vorwurf des bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern sowie der bandenmäßigen Urkundenfälschung. Dem von dem Antragsteller verteidigten Angeklagten wurde vorgeworfen, als Kopf einer Bande mittels erschlichener Visa einer Vielzahl von Ausländern, überwiegend aus der Ukraine und weiteren GUS-Staaten, die Einreise nach Deutschland bzw. in Schengen-Staaten ermöglicht zu haben.
Allein die Hauptakten umfassten 13 Bände, zu denen noch ebenfalls umfangreiche Beiakten hinzukamen. Der Umfang des Prozessstoffes hat seinen Niederschlag in annähernd 3.000 Kopien gefunden, die der Antragsteller bei den gesetzlichen Gebühren abgerechnet hat.
Außerdem hat der Antragsteller den früheren Angeklagten zu drei datumsmäßig näher bezeichneten Besprechungen in der Justizvollzugsanstalt Köln aufgesucht.
Die gesetzliche Vergütung für das Vorverfahren oder - wie hier - für das Verfahren (vgl. Nr. 4104, 4105 bzw. 4112, 4113 VV) umfasst an sich auch die bei einem inhaftierten Beschuldigten erforderlichen Besuche in der JVA, dies aber nur in dem üblichen Rahmen, der hier mit mehreren Besuchen in einer auswärtigen Justizvollzugsanstalt gesprengt wird. Der damit verbundene beträchtliche Zeitaufwand ist durch die gesetzlichen Terminsgebühren für die Hauptverhandlung nicht ausreichend kompensiert worden, wie das bei besonders langer Hauptverhandlungsdauer der Fall sein mag. Denn die Hauptverhandlung hat den Antragsteller nur an fünf (von insgesamt sechs) Tagen in Anspruch genommen.
Das neue Vergütungsverzeichnis enthält in Nr. 4102 VV zwar keine Regelung des vorliegenden Falles, lässt jedoch erkennen, dass besondere Tätigkeiten des Verteidigers (wie Teilnahme an einer richterlichen Vernehmung) auch gesondert vergütet werden sollen. Der einer Vergütung nach Nr. 4102 VV zugrunde liegende Gedanke ist in entsprechender Anwendung für den vorliegenden Fall heranzuziehen, so dass der hier überdurchschnittliche Aufwand des Verteidigers zu honorieren ist (vgl Senat 10.05.2005 - 2 ARs 86/05).
Dieser Aufwand sowie ferner - geschätzter - Besprechungsaufwand mit Mitverteidigern wird mit dem zugebilligten Pauschbetrag hinreichend abgegolten.
Bei der Bemessung der Pauschgebühr war allerdings zu berücksichtigen, dass es bei der Festsetzung der gesetzlichen Gebühren in zweifacher Hinsicht zu einer Überzahlung gekommen ist :
Am Hauptverhandlungstermin vom 13.05.2005 hat der Antragsteller ausweislich der Anwesenheitsliste von 9.38 Uhr bis 12.40 Uhr teilgenommen. Ihm stand daher nur die Terminsgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4115 VV von 263 EUR und darüber hinaus nicht noch die festgesetzte Gebühr für überlange Verhandlungsdauer nach Nr. 4116 VV (von weiteren 108 EUR) zu.
Am Hauptverhandlungstermin vom 18.05.2005 hat der Antragsteller ausweislich der Anwesenheitsliste von 9.40 Uhr bis 17.00 Uhr teilgenommen. Das waren mehr als 5 , aber unter 8 Stunden. Ihm stand für diesen Terminstag daher zwar die Gebühr nach Nr. 4116 VV von 108 EUR zu, nicht jedoch die festgesetzte Gebühr nach Nr. 4117 VV von 216 EUR.
Damit hat der Verteidiger insgesamt 216 EUR mehr an Gebühren erhalten, als er beanspruchen konnte.
Nach der Rechtsprechung des Senates ermöglicht die zu niedrige Festsetzung der Regelgebühren einen Ausgleich über die Pauschvergütung nicht (vgl. Senat RPfleger 2001, 615). Für den hier vorliegenden umgekehrten Fall, dass der Verteidiger an gesetzlichen Gebühren mehr erhalten hat, als ihm nach den anzuwendenden Bestimmungen zusteht, hat der Senat hingegen entschieden, dass dieser Umstand bei der Bemessung der Pauschgebühr zu berücksichtigen ist (Senat 18.03.2005 - 2 ARs 43/05-; 03.05.2005 - 2 ARs 87/05; 31.05.05 - 2 ARs 103/05).
Unter Berücksichtung alldessen ist hier die Bewilligung einer Pauschvergütung angemessen, welche die Regelgebühren um den zugebilligten Betrag übersteigt.
Eine weitere Erhöhung kommt nicht in Betracht. Der mit dem Antrag geltend gemachte Betrag von 5.000 EUR ist deutlich übersetzt.
Was die Dauer der Hauptverhandlung angeht, ist die Rechtsprechung des Senats zu § 99 BRAGO, dass bereits eine Inanspruchnahme des Verteidigers durch die Hauptverhandlung von sieben oder Stunden je Tag die Festsetzung einer Pauschale rechtfertigt (StV 2004, 92 (LS)), durch die Berücksichtigung der Dauer des Hauptverhandlungstages im Rahmen der gesetzlichen Gebühren obsolet geworden. (Beschluss vom 29.12.2004 - 2 ARs 304/04 -)
Zur Berücksichtigung von Fahrtzeiten hat der Senat mit Beschluss vom 22.12.2005 - 2 ARs 234/05 - entschieden, dass die Zeiten für An- und Abreise zur Hauptverhandlung im Regelfall die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht zu rechtfertigen vermögen. Der Gesetzgeber hat bei der Bemessung der gesetzlichen Gebühren ausdrücklich auf die Dauer der Hauptverhandlung abgestellt. Daraus entnimmt der Senat, dass An- und Abreisezeiten, die notwendigerweise immer anfallen, grundsätzlich für die Vergütung des Verteidigers ohne Bedeutung sein sollen. Soweit der Senat diese Zeiten unter der Geltung des alten Rechts mit in die für die Bemessung der Pauschgebühr damals noch relevante Verhandlungsdauer einbezogen hat, wird hieran für den Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes im Hinblick auf diese Entscheidung des Gesetzgebers nicht festgehalten. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn diese Zeiten im Verhältnis zur Hauptverhandlungsdauer besonders ins Gewicht fallen. Ein Missverhältnis zwischen Fahrtzeiten und Verhandlungsdauer kann bei Verteidigern, die ihren Kanzleisitz im Bezirk des jeweiligen Gerichts haben, grundsätzlich ausgeschlossen werden (Senat a.a.O.)
Nach Auffassung des Senats ist die Grenze des Zumutbaren aber auch bei Verteidigern mit Kanzleisitz außerhalb des Gerichtsbezirks dann noch nicht überschritten, wenn bei einer Verhandlungsdauer wie hier von überwiegend mehr als fünf Stunden pro Verhandlungstag der Verteidiger - wie der Antragsteller geltend macht - Fahrtzeiten von 1 1/2 Stunden aufwenden muß. Dieser Aufwand geht nicht wesentlich über das hinaus, was einem Verteidiger auch bei Fahrtzeiten innerhalb eines Gerichtsbezirks an zeitlicher Belastung entstehen kann.
OLG Köln:
Beschluss v. 06.01.2006
Az: 2 ARs 231/05
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