Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 11. Juli 2005
Aktenzeichen: NotZ 10/05

(BGH: Beschluss v. 11.07.2005, Az.: NotZ 10/05)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Senats für Notarsachen bei dem Oberlandesgericht Celle vom 21. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die dem Antragsgegner im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1947 geborene Antragsteller ist seit Februar 1979 als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht X. und dem Landgericht Y. zugelassen. Am 23. Februar 1983 wurde er zum Notar mit Amtssitz in X. bestellt.

Mit Verfügung vom 8. Januar 2004 eröffnete der Antragsgegner dem Antragsteller (§ 50 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 BNotO), daß er dessen Amtsenthebung in Aussicht genommen habe, und enthob ihn gleichzeitig vorläufig seines Amts als Notar (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO), weil er in Vermögensverfall geraten sei und seine wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Art seiner Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 8 BNotO). Gegen diesen Bescheid brachte der Antragsteller am 13. Februar 2004 beim Oberlandesgericht Celle Antrag auf gerichtliche Entscheidung an.

Mit Verfügung vom 29. Juni 2004 stützte der Antragsgegner die vorläufige Amtsenthebung des Antragstellers nunmehr auch auf § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO, weil dieser nicht nur vorübergehend unfähig sei, sein Amt als Notar ordnungsgemäß auszuüben. Diesen Bescheid focht der Antragsteller nicht an. Das Oberlandesgericht verwarf daraufhin mit Beschluß vom 8. September 2004 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 13. Februar 2004 als unzulässig, soweit er sich gegen die mit Verfügung des Antragsgegners vom 8. Januar 2004 angeordnete vorläufige Amtsenthebung des Antragstellers richtete; insoweit fehle dem Antragsteller das Rechtsschutzinteresse, seit er aufgrund der Verfügung vom 29. Juni 2004 aus anderen Gründen rechtskräftig vorläufig seines Amtes als Notar enthoben sei. Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für eine endgültige Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 8 BNotO vorliegen (§ 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO), stellte das Oberlandesgericht gleichzeitig zurück bis zur Erledigung des vor dem Anwaltsgerichtshof anhängigen Verfahrens auf Widerruf der Rechtsanwaltszulassung des Antragstellers sowie des vom Antragsgegner eingeleiteten Verfahrens zur endgültigen Amtsenthebung des Antragstellers nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO.

Das Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof wurde ohne Sachentscheidung beendet, nachdem die dortigen Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Mit Bescheid vom 28. September 2004 eröffnete der Antragsgegner dem Antragsteller, daß er nunmehr dessen endgültige Amtsenthebung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO in Aussicht genommen habe. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 4. Oktober 2004 zugestellt. Er hat hiergegen am 29. Oktober 2004 Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Oberlandesgericht Celle gestellt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht haben die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit der Antragsgegner ursprünglich die endgültige Amtsenthebung des Antragstellers nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 8 BNotO beabsichtigt hatte und hiergegen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt worden war. Mit Beschluß vom 21. Februar 2005 hat das Oberlandesgericht dem Antragsteller die Kosten auferlegt, soweit die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und im übrigen festgestellt, daß die Voraussetzungen für die endgültige Amtsenthebung des Antragstellers nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO vorliegen. Der Antragsteller leide an einer Schwäche seiner geistigen Kräfte in der Form einer ängstlichvermeidenden Persönlichkeitsstörung, die ihn nicht nur vorübergehend daran hindere, sein Notaramt ordnungsgemäß auszuüben. Diese Störung habe zur Folge, daß der Antragsteller alle von ihm als unangenehm empfundenen Situationen zu vermeiden suche, um keinen Konflikten ausgesetzt zu sein. Aus diesem Grunde komme er in seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar immer wieder seinen beruflichen Mitwirkungspflichten nicht nach, indem er etwa behördliche oder gerichtliche Verfügungen ignoriere, sogar teilweise nicht einmal zur Kenntnis nehme, da er amtliche Schreiben ungeöffnet lasse. Es bestehe daher die permanente Gefahr, daß der Antragsteller Fristen versäume oder notwendige Verfahrenserklärungen -etwa nach Zwischenverfügungen -nicht abgebe und dadurch die Interessen der von ihm vertretenen Rechtsuchenden massiv gefährde. Die psychische Beeinträchtigung des Antragstellers werde durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. , sein hieraus resultierendes Verhalten durch die Vielzahl der ehrengerichtlichen und disziplinarrechtlichen Verfahren belegt, die in den letzten Jahren gegen den Antragsteller geführt werden mußten und denen entsprechende Verfehlungen zugrunde lagen. Aufgrund dieses Zustandes sei der Antragsteller dauerhaft nicht in der Lage, sein Notaramt ordnungsgemäß auszuüben. Zwar sei die Persönlichkeitsstörung therapierbar, jedoch habe sich der Antragsteller, obwohl sein Leiden über 20 Jahre immer wieder aufgetreten sei und auch ein stationärer Klinikaufenthalt keine Besserung gebracht habe, nicht um eine adäquate Behandlung bemüht.

Der oberlandesgerichtliche Beschluß ist dem Antragsteller am 11. März 2005 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 24. März 2005 beim Oberlandesgericht sofortige Beschwerde eingelegt, soweit dieses das Vorliegen der Voraussetzungen für eine endgültige Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO festgestellt hat. Er macht geltend, der Sachverständige Dr. R. verfüge nicht über die erforderliche Sachkunde.

II.

1.

Das Rechtsmittel des Antragstellers ist zulässig. Es ist gemäß § 111 Abs. 4 Satz 1 BNotO statthaft sowie formund fristgerecht eingelegt worden (§ 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO).

2.

Die sofortige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat zutreffend festgestellt (§ 50 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 BNotO), daß die Voraussetzungen für die Amtsenthebung des Antragstellers nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO gegeben sind.

a) Nach dieser Vorschrift ist der Notar seines Amtes zu entheben, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, sein Amt ordnungsgemäß auszuüben. Dies setzt nicht voraus, daß der Notar an einer physischen oder psychischen Krankheit im eigentlichen Wortsinne leidet. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn er in seiner Berufsfähigkeit durch eine psychische Disposition eingeschränkt wird, die im Bereich des Strafrechts der nicht krankheitsbedingten seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB zuzuordnen wäre, wie dies bei der vom Oberlandesgericht angenommenen ängstlichvermeidenden Persönlichkeitsstörung (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen -ICD-10 Kapitel V -, 4. Aufl., F 60.6) der Fall ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 20 Rdn. 36 f. und 40 f. m. w. N.). Ob eine derartige Persönlichkeitsstörung als gesundheitliche Beeinträchtigung nach § 50 Abs. 1 Nr. 7 BNotO einzuordnen ist, ist jedoch autonom nach dem Sinn dieser Vorschrift zu entscheiden. Maßgeblich ist daher nicht, ob sie als "schwere" andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB einzuordnen oder gar geeignet wäre, die strafrechtliche Verantwortlichkeit oder zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit des Notars zu beeinträchtigen oder aufzuheben (vgl. §§ 20, 21 StGB, § 104 Nr. 2 BGB), sondern ob durch den geistigen Mangel die ordnungsgemäße Berufsausübung und damit das Interesse der Rechtsuchenden auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege (§ 1 BNotO) ernsthaft gefährdet wird (Senat, Beschluß vom 4. Dezember 1990 -NotZ 9/88 -DNotZ 1991, 80 f.).

b) Das ist hier der Fall. Übereinstimmend mit dem Oberlandesgericht ist der beschließende Senat der Überzeugung, daß der Antragsteller an einer ängstlichvermeidenden Persönlichkeitsstörung leidet. Dabei bestehen keine Bedenken dagegen, sich bei der Überzeugungsbildung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. zu stützen. Gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 40 Abs. 4 BRAO, § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Umfang und Inhalt der Beweisaufnahme stehen somit in seinem an der Amtsaufklärungspflicht auszurichtenden pflichtgemäßen Ermessen. Hält das Gericht eine sachverständige Begutachtung für erforderlich, obliegt ihm die Auswahl des Sachverständigen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 40 Abs. 4 BRAO, § 15 Abs. 1 Satz 1 FGG, § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei ist es ihm auch unbenommen, seiner Würdigung ein Gutachten zugrunde zu legen, das die Justizverwaltung bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Vorbereitung ihrer Entscheidung eingeholt hatte. Die Beauftragung eines anderen Gutachters ist nur dann veranlaßt, wenn das bereits vorliegende Gutachten ungenügend erscheint (vgl. § 412 Abs. 1 ZPO). Dies ist vorliegend mit dem Oberlandesgericht zu verneinen. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. vom 24. August 2004 läßt keine inhaltlichen Mängel erkennen. Solche macht auch der Antragsteller nicht geltend. Er beschränkt sich vielmehr auf die Rüge, der Sachverständige verfüge nicht über die erforderliche Sachkunde, weil er "lediglich" Leiter des Gesundheitsamtes des Landkreises X. und daher allein in der vorsorgenden Medizin sowie in der Verwaltung tätig sei. Diese Beanstandung ist offensichtlich nicht gerechtfertigt. Der Sachverständige ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er verfügt damit über die zur Beurteilung der hier maßgeblichen Fragen erforderlichen Fachkenntnisse. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß außerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens tätigen Medizinern schon aufgrund ihres Tätigkeitsbereichs eine größere Sachkunde zukäme.

Hinzu kommt, daß die Diagnose des Sachverständigen im Kern mit den medizinischen Befunden übereinstimmt, die der Antragsteller selbst mit Schriftsatz vom 25. März 2004 an den Anwaltsgerichtshof unter Bezugnahme auf die fachärztliche Stellungnahme des Dr. F. hat vortragen lassen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat. Zum anderen entsprechen die Feststellungen des Oberlandesgerichts zu seinem berufswidrigen Verhalten exakt solchen Symptomen, die bei einer Persönlichkeitsstörung der genannten Art allgemein anzutreffen sind, nämlich (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt aaO)

-ausgeprägte Sorge, in sozialen Situationen kritisiert oder abgelehnt zu werden;

-Vermeidung sozialer und beruflicher Aktivitäten, die zwischenmenschliche Kontakte voraussetzen, aus Furcht vor Kritik, Mißbilligung oder Ablehnung;

-Überempfindlichkeit gegen Ablehnung und Kritik.

Die Feststellungen des Oberlandesgerichts über die vielfache Vernachlässigung seiner Berufspflichten hat der Antragsteller nicht beanstandet. Sie werden durch den Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten über die in den letzten Jahren gegen den Antragsteller geführten berufsrechtlichen Verfahren bestätigt. Der Senat nimmt daher zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Darlegungen des Oberlandesgerichts Bezug.

c) Zutreffend ist das Oberlandesgericht auf dieser Grundlage davon ausgegangen, daß der Antragsteller durch seine psychische Beeinträchtigung an der ordnungsgemäßen Ausübung des Notaramtes gehindert ist. Er ist nicht in der Lage, die Rechtsuchenden, die seine Dienste in Anspruch nehmen, umfassend zu betreuen. Denn dies setzt voraus, daß er deren Interessen uneingeschränkt wahrzunehmen vermag. Daran fehlt es, wenn er es -wie festgestellt -aufgrund seiner psychischen Disposition zur Umgehung von Konfliktsituationen immer wieder zu vermeiden sucht, eigene Fehlleistungen korrigieren zu müssen, wenn er Fristen versäumt oder auf Aufforderung von Gerichten bzw. Ämter nicht reagiert, diese teilweise sogar nicht einmal zur Kenntnis nimmt. All dies ist mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege unvereinbar.

d) Die gesundheitsbedingte Beeinträchtigung der Fähigkeit des Antragstellers zur Ausübung des Notaramts ist auch nicht nur eine vorübergehende. Hieran ändert der Umstand nichts, daß die Persönlichkeitsstörung des Antragstellers nach Angaben des Sachverständigen Dr. R. in einer geeigneten Einrichtung grundsätzlich therapierbar und damit zumindest die Chance eröffnet wäre, die Amtsfähigkeit des Antragstellers wieder herzustellen. Mit Recht hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, daß der psychische Zustand des Antragstellers über viele Jahre immer wieder zu beruflichen Fehlleistungen geführt hat, ohne daß sich dieser mit dem gebotenen Nachdruck um eine adäquate Behandlung bemüht hätte. Selbst der Hinweis des Sachverständigen Dr. R. auf eine von den bisherigen Behandlungen abweichende Therapieform in einer bestimmten Klinik hat den Antragsteller erkennbar nicht veranlaßt, dort um einen Therapieplatz nachzusuchen. Entsprechende Behauptungen vor dem Oberlandesgericht sind ohne Nachweis geblieben und vor dem Senat nicht wiederholt worden. Der Umstand, daß die mangelnde Therapiebereitschaft gerade auf die Persönlichkeitsstruktur des Antragstellers zurückzuführen sein mag, ist für die rechtliche Bewertung ohne Belang. Nach alledem trifft die Beurteilung des Oberlandesgerichts zu, daß in Anlehnung an beamtenrechtliche Vorschriften von einer dauernden "Dienstunfähigkeit" des Antragstellers auszugehen ist, der mit einer Vertreterbestellung nach § 39 Abs. 1 BNotO nicht abgeholfen werden kann. Den entsprechenden Ausführungen des Oberlandesgerichts hat der Senat nichts hinzuzufügen.

Bei dieser Sachlage gehen die öffentlichen Belange einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege den Interessen des Antragstellers an der Fortführung seiner Notartätigkeit vor, so daß sich der Amtsentzug hier als zulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) des Antragstellers erweist. Er ist geeignet und erforderlich, um die durch eine weitere Notartätigkeit des Antragstellers drohenden ernsthaften Gefahren für die Interessen der Rechtsuchenden zu beseitigen, und es ist keine den Antragsteller weniger belastende Maßnahme erkennbar, mit der dies in gleicher Weise sichergestellt werden könnte.

Die sofortige Beschwerde bleibt daher ohne Erfolg.

Schlick Becker Kessal-Wulf Ebner Eule






BGH:
Beschluss v. 11.07.2005
Az: NotZ 10/05


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