Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. September 2010
Aktenzeichen: 19 W (pat) 63/06

(BPatG: Beschluss v. 22.09.2010, Az.: 19 W (pat) 63/06)

Tenor

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

BPatG 154 2 . Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

Gründe

I.

Die am 1. Oktober 2001 beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangene Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Programmierverfahren zur Erstellung eines Steuerungsprogramms einer industriellen Maschine"

wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G05B durch Beschluss vom 18. Juli 2006 mit der Begründung zurückgewiesen, die Gegenstände der beiden unabhängigen Patentansprüche 1 und 2 beträfen Programmierverfahren und seien deshalb wegen der in § 1 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 4 genannten Ausschlussgründe nicht patentfähig.

Eine von der der Anmelderin hilfsweise beantragte Anhörung hat die Prüfungsstelle mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der gescheiterten Richtlinie zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen seien keine Möglichkeiten zu erkennen, wie sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen Anmelder und Prüfungsstelle beilegen ließen. Eine Anhörung werde daher nicht für sachdienlich gehalten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2006 beantragt die ankündigungsgemäß nicht zur mündlichen Verhandlung erschienene Anmelderin sinngemäß, den angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle aufzuheben, sowiedas nachgesuchte Patent auf Grundlage der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.

Außerdem beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Der unverändert geltende Patentanspruch 1 vom Anmeldetag hat unter Einfügung einer Gliederung folgenden Wortlaut:

"a) Programmierverfahren zur Erstellung eines Steuerungsprogrammes (1,11,12,15)

b) für Abläufe einer industriellen Maschine bei demc) durch die Ausführung von Abläufen, d. h. durch Teach-In, d) diese Abläufe einprogrammiert werden, wobeie1) wenigstens ein Unterprogramm (2,6,7,8,14), welches während des Teach-In einen Ablauf initiiert, aufgerufen wird undwobeif) das Unterprogramm (2,6,7,8,14) das Steuerungsprogramm (1,11,12,15) und/oder eine weiteres Unterprogramm (3,36,37,38,39)

g) mit einem Code und/oder Daten (27,61,62,63,64) versorgt."

Der unverändert geltende Patentanspruch 2 vom Anmeldetag hat unter Einfügung einer Gliederung, folgenden Wortlaut:

"a) Programmierverfahren zur Erstellung eines Steuerungsprogrammes (1,11,12,15)

b) für Abläufe einer industriellen Maschine bei demc) durch die Ausführung von Abläufen, d. h. durch Teach-In, d) diese Abläufe einprogrammiert werden, wobeie2) wenigstens ein Unterprogramm (2,6,7,8,14) während des Teach-In aufgerufen wird, undf) das Unterprogramm (2,6,7,8,14) das Steuerungsprogramm (1,11,12,15) und/oder ein weiteres Unterprogramm (3,36,37,38,39)

g) mit einem Code und/oder auswählbaren Daten (27,61,62,63,64) versorgt."

Als Aufgabenstellung gibt die Anmelderin an (Seite 2, Zeilen 1 bis 3 der ursprünglichen Unterlagen), die Funktionalität des Teach-In durch verbesserte Unterprogramme zu erweitern.

Die Anmelderin ist der Auffassung Programmierverfahren gemäß der Patentansprüche 1 oder 2 seien technischer Natur. Im Übrigen seien deren Gegenstände gegenüber dem von der Prüfungsstelle recherchierten Stand der Technik patentfähig.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr sei aufgrund des Fehlgriffs in der Anwendung des geltenden Rechts in Bezug auf die Beurteilung von Computerprogrammen gerechtfertigt. Zudem sei die von der Anmelderin beantragte Anhörung verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden.

Zu den vom Senat in dem Ladungszusatz vom 29. Juni 2010 genannten Druckschriften hat die Anmelderin nicht Stellung genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die fristund formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar vermag sich der Senat nicht der Auffassung der Prüfungsstelle anzuschließen, die Anmeldung sei schon deshalb zurückzuweisen, weil die Verfahren gemäß der Patentansprüche 1 und 2 auf ein Computerprogramm als solches im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 4 PatG gerichtet sei.

Vielmehr liegt der Anmeldung eine technische Problemstellung zugrunde, nämlich die Verbesserung (und Verkürzung) der Erstellung von Teileprogrammen für Werkzeugmaschinen sowie von Steuerprogrammen für beliebige andere technische Vorrichtungen, bei denen der gleiche Ablauf häufig wiederholt wird. Es ist unerheblich, dass dabei im Ergebnis ein Programm für eine Datenverarbeitungsanlage entsteht. Auf das "Produkt" als solches ist das Schutzbegehren im Übrigen nicht gerichtet.

Auch die angegebene Lösung ist offensichtlich technisch. Schon der Ausgangspunkt, das "Teach-In" zum Erstellen des Programms, ist nach Überzeugung des Senats technischer Natur und nicht auf beliebige Verfahren zum Erstellung von Programmen anwendbar. In nichttechnischen Bereichen ist diese Vorgehensweise im Übrigen nicht sinnvoll einsetzbar. Auch das Einbinden bereits vorhandener Programmblöcke in das Teach-In ist wegen des speziellen Anwendungsbereichs technischer Natur, auch wenn es an sich gang und gäbe ist, auf vorhandene Programmblöcke zurückzugreifen und nicht jedes Mal "das Rad neu zu erfinden".

Der jeweilige Gegenstand der unabhängigen Patentansprüche 1 und 2 ist jedoch nach § 1 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 3 PatG nicht neu.

1. Aus der A2-Schrift der im Ladungszusatz vom 29. Juni 2010 genannten EP 0 949 522 ist Folgendes bekannt: eina) Programmierverfahren zur Erstellung eines Steuerungsprogrammes (Patentanspruch 1) b) für Abläufe einer industriellen Maschine (Roboter), bei dem c) durch die Ausführung von Abläufen, d. h. durch Teach-In

(vgl. Abs. [0002]), d) diese Abläufe einprogrammiert werden (Abs. [0002]), wobei e) wenigstens ein Unterprogramm (durch die Tasten 30, CTRL 1...9 wird jeweils ein Unterprogramm aufgerufen -siehe Beschreibung zu Figur 7 in Abs. [0039]), welches während des Teach-In einen Ablauf initiiert (siehe Patentanspruch 3), bzw. während des Teach-In aufgerufen wird (entsprechend des Patentanspruchs 2 der Anmeldung) und wobeif) das Unterprogramm das Steuerungsprogrammg) mit einem Code und/oder Daten versorgt (Das ist die bestimmungsgemäße Verwendung der Vorrichtung gemäß EP 0 949 552 A2).

Somit ist weder das Verfahren nach Patentanspruch 1 neu noch das Verfahren nach dem allgemeineren Patentanspruch 2.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

2. Die Beschwerdegebühr wird gemäß § 80 Abs. 3 PatG zurückgezahlt. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist veranlasst, wenn es aufgrund besonderer Umstände der Billigkeit widerspricht, die Gebühr einzubehalten. Solche besonderen Umstände können u. a. auch in einem fehlerhaften Verfahren der Prüfungsstelle liegen (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 73 Rdn. 132 ff. m. N. w.; BPatGE 49, 111, 112 -Anhörung im Prüfungsverfahren), soweit der Verfahrensverstoß ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war, bei einwandfreier Verfahrensbehandlung durch das Amt die Beschwerde also nicht erforderlich gewesen wäre (vgl. Benkard, PatG, 10. Aufl., § 80 Rdn. 23 und 28 m. N. w.; BPatGE 30, 207, 210 f.; 47, 224, 231 -Mikroprozessor; 49, 154, 161 ff. -Tragbares Gerät; BPatG Mitt. 2010, 41, 43 -Mobilfunknetzwerk).

Vorliegend hat die Prüfungsstelle verfahrensfehlerhaft die von der Anmelderin in ihrer Erwiderung auf den einzigen Prüfbescheid vom 24. Februar 2006 hilfsweise beantragte Anhörung als nicht sachdienlich abgelehnt. Nach der überwiegenden Rechtsprechung des Bundespatentgerichts, der sich der Senat anschließt, wird eine einmalige Anhörung im Prüfungsverfahren vor dem Patentamt grundsätzlich für sachdienlich i. S. d § 46 Abs. 1 Satz 2 PatG erachtet, weil eine mündliche Erörterung in der Regel eine schnellere und bessere Klärung der Sachund Rechtslage als eine schriftliche Auseinandersetzung verspricht und so das Verfahren fördern kann (vgl. u. a. BPatGE 47, 224, 231 - Mikroprozessor; 49, 111, 112 -Anhörung im Prüfungsverfahren; Schulte, a. a. O., § 46 Rdn. 8-9 m. N. w.). Eine Anhörung kann nur ausnahmsweise als nicht sachdienlich abgelehnt werden, wenn triftige Gründe vorliegen, insbesondere die Anhörung zu einer überflüssigen Verfahrensverzögerung führen würde, z. B. in einfach gelagerten -aussichtslosen - Fällen oder in Fällen, in denen der Anmelder auch nach mehrmaligem Schriftwechsel keine Bereitschaft zeigt, eine als notwendig erachtete Anpassung der Patentansprüche vorzunehmen (vgl. Schulte, a. a. O., § 46 Rdn. 8-9 m. N. w.; BPatG v.

10. Dezember 2008 - 17 W (pat) 58/08), mithin in Fällen, in denen aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in keiner Hinsicht eine weitere Aufklärung der Sachund Rechtslage durch eine Anhörung zu erwarten ist. Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der von der Prüfungsstelle allein beanstandete Zurückweisungsgrund eines Computerprogramms als solchem gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 u. Abs. 4 PatG durchaus diskussionswürdig bzw. unter Heranziehung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sogar zu verneinen ist (s. ob.). Nachdem die Anmelderin zu dem beanstandeten Punkt in ihrer Bescheidserwiderung ausführlich Stellung bezogen und ihr ursprüngliches Patentbegehren verteidigt hat, konnte sie erwarten, dass sie, wie beantragt, vor einer möglichen Zurückweisung der Anmeldung Gelegenheit erhält, in einer Anhörung den Dialog mit dem Prüfer fortzusetzen, um zu einer Annäherung der bisher gegensätzlichen Auffassungen zu gelangen und die Bedenken des Prüfers auszuräumen (vgl. BPatGE 49, 111, 112 -Anhörung im Prüfungsverfahren).

Keinesfalls aber war es gerechtfertigt, die Anhörung mit der Begründung abzulehnen, der Gegenstand der Patentanmeldung falle in eine ausschließlich urheberrechtliche Zuständigkeit zur Bewertung der Eigentumsfrage an Computerprogrammen und es sei eine möglichst rasche Klärung der Zuständigkeit für die Bemessung von Inhalt und Schranken des Eigentumsrechts durch den Großen Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs anzustreben. Mit dieser Rechtsauffassung setzt sich der Prüfer zum Einen in Widerspruch zum geltenden Recht, und zwar zu § 69g UrhG, wonach der Urheberrechtsschutz für Computerprogramme die Anwendung sonstiger Rechtsvorschriften auf Computerprogramme, insbesondere Vorschriften über den Schutz von Erfindungen, also die patentrechtlichen Vorschriften, unberührt lässt. Zum Anderen dient das patentrechtliche Prüfungsverfahren nicht der Klärung von Eigentumsfragen an dem Anmeldegegenstand, sondern allein der Frage seiner Patentfähigkeit nach den Bestimmungen des Patentgesetzes. Die von dem Prüfer unter Vermeidung einer Anhörung angestrebte möglichst rasche Klärung der von ihm aufgeworfenen Fragen durch den Großen Senat für Zivilsachen beim Bundesgerichtshof (§ 132 GVG) kann auf diesem Weg folglich ohnehin nicht erreicht werden.

Hinzu kommt, dass es der Prüfer durch seine unbegründete, einseitig auf den Patentierungsausschluss nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PatG festgelegte Sichtweise versäumt hat, sich zumindest hilfsweise für den Fall der Bejahung einer Erfindung auf technischem Gebiet mit den technischen Aspekten des Anmeldegegenstandes und dem dazu bekannten Stand der Technik auseinanderzusetzen. Dies aber wäre angesichts der die Bestimmung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 PatG zunehmend restriktiv handhabenden höchstrichterlichen Rechtsprechung bei einer sorgfältigen und ökonomischen Verfahrensführung vorliegend angezeigt gewesen, um die Anmelderin umfassend über die Erfolgsaussichten ihrer Anmeldung zu informieren. Wären diese Aspekte in einer Anhörung erörtert worden und der Anmelderin, wie im Beschwerdeverfahren geschehen, die geringen Aussichten auf Erteilung eines Patents jedenfalls auch mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (§§ 3 und 4 PatG) aufgezeigt worden, ist nicht auszuschließen, dass die Anmelderin von der Einlegung der Beschwerde Abstand genommen hätte.

Bertl Kirschneck Dr. Scholz J. Müller Pü






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