Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 20. Oktober 2014
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 32/13
(BGH: Beschluss v. 20.10.2014, Az.: AnwZ (Brfg) 32/13)
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 9. April 2013 wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Am 4. Oktober 2011 erging Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gegen ihn, der in das Schuldnerverzeichnis bei dem zuständigen Amtsgericht eingetragen wurde. Am 11. April 2012 widerrief die Beklagte deshalb die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. Nach Androhung am 22. August 2012 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers mit Bescheid vom 27. November 2012 außerdem wegen Verstoßes gegen die Pflicht, eine Kanzlei zu unterhalten, weil sich an der vom Kläger angegebenen Anschrift weder ein Namens- noch ein Kanzleischild befunden habe, eine dort wohnhafte Frau erklärt habe, der Kläger halte sich hier nur gastweise auf, und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht hätten durchgeführt werden können.
Der Kläger hat seine zunächst nur gegen den Bescheid vom 11. April 2012 gerichtete Klage nachträglich um einen Feststellungs- und einen Verpflichtungsantrag erweitert. Gegen den Bescheid vom 27. November 2012 hat er selbständig Klage erhoben. Der Anwaltsgerichtshof hat diese Klage mit dem bereits anhängigen Verfahren verbunden und die Anfechtungsklagen als unbegründet, den Feststellungs- und den Verpflichtungsantrag als unzulässig abgewiesen. Nunmehr begehrt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Bescheid vom 11. April 2012 (Widerruf wegen Vermögensverfalls)
a) Ein Vermögensverfall wird gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 BRAO vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht nach § 882b ZPO zu führende Verzeichnis eingetragen ist. Diese Voraussetzung hat der Anwaltsgerichtshof als gegeben angesehen. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen insoweit nicht. Der Kläger meint, die Eintragung dürfe nicht berücksichtigt werden, weil die ihr zugrunde liegenden Titel von der Beklagten im Wege des Prozessbetruges erwirkt worden seien und die Beklagte gegen Treu und Glauben verstoße, wenn sie sich gleichwohl auf sie beziehe. Dies trifft nicht zu. Der Eintragung im Schuldnerverzeichnis kommt im Widerrufsverfahren Tatbestandswirkung zu. Ihre Rechtmäßigkeit wird nicht überprüft. Der Kläger hätte von den in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen die Eintragung oder gegen die ihr zugrunde liegenden Titel Gebrauch machen müssen. Auf die nunmehr erklärten Aufrechnungen gegen die titulierten Forderungen kommt es aus demselben Grund nicht an. Ungeklärte und klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich nicht. Die Rechtssache weist damit keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Tatsachen, welche geeignet wären, die gesetzliche Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerlegen, trägt der Kläger auch in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht vor.
b) Verfahrensfehler, auf denen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs beruhen könnte (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), sind nicht ersichtlich. Der Kläger beanstandet die Besetzung des Anwaltsgerichtshofs. Diese ergibt sich jedoch aus dem Gesetz (§ 104 BRAO). Dass das Verfahren der §§ 103, 94 BRAO nicht eingehalten worden sei, legt der Kläger nicht dar. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2013 ist am Schluss der mündlichen Verhandlung die Urteilsformel des angefochtenen Urteils verkündet worden. Eine Schriftsatzfrist ist dem Kläger nicht eingeräumt worden. Der Vorsitzende des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs hat den Antrag des Klägers auf Protokollberichtigung mit Beschluss vom 25. Juni 2013 abgelehnt. Das Protokoll beweist die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 105 VwGO, § 165 ZPO); diesen hat der Kläger nicht geführt.
2. Feststellungs- und Verpflichtungsantrag Die nach Rechtshängigkeit der Klage nachgereichten Anträge waren nach den Vorschriften über die Klageänderung (§ 112c Abs. 1 BRAO, § 91 VwGO) zu behandeln. Die Beklagte hat sich nicht auf sie eingelassen; der Anwaltsgerichtshof hat die Änderung nicht für sachdienlich erachtet, weil der ihnen zugrunde liegende Sachverhalt in keinem Zusammenhang mit dem Streitstoff der Klage stehe. Dies trifft zu. Die gegenteilige Ansicht des Klägers beruht auf der unrichtigen Annahme, die der Eintragung im Schuldnerverzeichnis zugrunde liegenden Titel müssten auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Zulassungsgründe sind insoweit nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Anwaltsgerichtshof nicht von einer Entscheidung eines gleichrangigen oder übergeordneten Gerichts abgewichen (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
3. Bescheid vom 27. November 2012 (Widerruf wegen Verstoßes gegen die Kanzleipflicht)
Auch hinsichtlich des zweiten Widerrufsbescheids liegen keine Zulassungsgründe vor.
a) Insbesondere bestehen auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Nach § 27 BRAO muss der Rechtsanwalt im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einrichten und unterhalten. Richtet er keine Kanzlei ein oder gibt er seine Kanzlei auf, ohne von der Pflicht des § 27 BRAO befreit worden zu sein, kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werden (§ 14 Abs. 3 Nr. 1, 4 BRAO). Die Kanzlei dient dazu, die Erreichbarkeit des Anwalts für das rechtsuchende Publikum, Berufskollegen, Gerichte und Behörden sicherzustellen. Von einer Kanzlei im Rechtssinne kann daher nur bei Vorhandensein organisatorischer Maßnahmen gesprochen werden, die der Öffentlichkeit den Willen des Anwalts offenbaren, anwaltliche Dienstleistungen bereitzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 26/09, NJW-RR 2009, 1577 Rn. 5). Dazu gehören ein Kanzlei- oder Namensschild sowie ein mit dem Namen des Anwalts versehener Briefkasten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 65/03, juris).
Der Kläger verweist darauf, dass er seit Jahren an der von ihm angegebenen Anschrift D. straße , B. gemeinsam mit einer Frau Bl. wohne und dort seine Kanzlei betreibe. Richtig ist, dass das angefochtene Urteil dem Kläger unter dieser Anschrift zugestellt worden ist. Damit wird die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, das den Verstoß gegen die Kanzleipflicht mit der fehlenden Erreichbarkeit des Klägers, der fehlenden Meldeanschrift und den fehlgeschlagenen Zwangsvollstreckungen begründet hat, jedoch nicht in Frage gestellt. Dass Frau Bl. gegenüber dem mit der Durchführung einer Hausermittlung zwecks Überprüfung des Wohnsitzes des Klägers beauftragten Polizeibeamten erklärt hat, der Kläger halte sich nur gastweise in der Wohnung auf, hat der Kläger im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nicht bestritten, sondern als "kokette Umschreibung" seiner Stellung als "Dauergast" bezeichnet. In seiner Begründung des Zulassungsantrags trägt er vor, es habe sich um "die übliche Auskunft gegenüber unangemeldeten Polizisten" gehandelt, was ebenfalls nicht als Bestreiten des fraglichen Vorgangs anzusehen ist. Die Hausermittlung wurde erforderlich, nachdem der zuständige Gerichtsvollzieher mitgeteilt hatte, am Klingelschild sowie an den Wohnungen sei der Name des Klägers nicht zu ermitteln, und die Mieterin Frau Bl. habe ebenso wie der im Vorderhaus wohnhafte Hauswart die Auskunft verweigert.
b) Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könnte (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insbesondere wurde der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Der Anwaltsgerichtshof hat dem Kläger die Ablichtungen der Protokolle des Gerichtsvollziehers und des Polizeibeamten in Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung zukommen lassen. Der Kläger hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und hat Stellung genommen. Entgegen der Ansicht des Klägers können neue Tatsachen und Beweise in das gerichtliche Verfahren eingeführt werden. Die von ihm zitierte Entscheidung BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 betrifft den für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs maßgeblichen Zeitpunkt, nicht die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von nachgeschobenem Tatsachenvortrag, der sich auf diesen Zeitpunkt bezieht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO.
Kayser Roggenbuck Lohmann Martini Quaas Vorinstanz:
AGH Berlin, Entscheidung vom 09.04.2013 - II AGH 6/12 -
BGH:
Beschluss v. 20.10.2014
Az: AnwZ (Brfg) 32/13
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