Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 22. November 2002
Aktenzeichen: 6 U 77/02
(OLG Köln: Urteil v. 22.11.2002, Az.: 6 U 77/02)
Tenor
1.)
Auf die Berufung des Klägers wird das am 26.3.2002 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 33 O 206/01 - teilweise abgeändert und im Hauptausspruch insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Patienten auf die Möglichkeit des Bezugs von Teststreifen aus einem in seiner Praxis befindlichen Depot eines Sanitätshauses hinzuweisen und entsprechend diesem Hinweis Diabetesstreifen aus dem Depot abzugeben, soweit diese Vorgehensweise nicht auf Veranlassung des betreffenden Patienten erfolgt.
2.)
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz haben der Kläger zu 26 % und der Beklagte zu 74 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 22 % und der Be-klagte zu 78 % zu tragen.
3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in nachbenannter Höhe abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit jeweils in derselben Höhe leistet. Es ist Sicherheit in folgender Höhe zu leisten bzw. sind folgende Beträge zu hinterlegen:
Bei Vollstreckung des Anspruches auf
a) Unterlassung 37.500 EUR;
b) Kostenerstattung 120 % der zu vollstreckenden Summe.
Die Parteien können die Sicherheiten durch eine schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstitutes leisten.
4.)
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beanstandet die Abgabe von Diabetes-Teststreifen durch den Beklagten, einen niedergelassenen Arzt. Der Beklagte betreibt in L. eine Praxis, deren Schwerpunkt auf die Behandlung schwer an Diabetes erkrankter Patienten ausgerichtet ist. Er nimmt mit dieser Praxis an einem "Modellprojekt Diabetes M. L." teil, wegen deren näherer Ausgestaltung auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird.
Der Beklagte, der dort auch in regelmäßigen Abständen Schulungen für Diabetes-Patienten durchführt, unterhält in seinen Praxisräumen ein sogenanntes "Depot" eines Sanitätshauses, in dem Diabetesteststreifen vorgehalten werden. Derartige - von jedem betroffenen Patienten in großer Zahl benötigte - Teststreifen sind in jeder Apotheke und auch in Sanitätshäusern erhältlich. Der Beklagte bietet sie aus dem beschriebenen Depot seinen Patienten an.
Der Kläger hat unter Beweisantritt behauptet, der Beklagte weise seine Patienten nicht auf die alternative Möglichkeit hin, die Teststreifen auch in Apotheken oder Sanitätshäusern zu erwerben. Die Aushändigung der Teststreifen erfolge nicht gegen ein Rezept. Vielmehr hätten die Patienten lediglich auf der Rückseite eines Blanko-Rezeptformulars den Erhalt der Teststreifen zu quittieren. Er hat die Auffassung vertreten, diese Verfahrensweise verstoße gegen § 34 Abs. 5 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14.11.1998.
Der Kläger hat nach vergeblicher Abmahnung des Beklagten, deretwegen er mit dem nachfolgend darzustellenden Antrag zu II den Ersatz von Kosten verlangt hat,
b e a n t r a g t,
den Beklagten zu verurteilen,
es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von EUR 250.000,00, ersatzweise von Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs, soweit diese Vorgehensweise nicht auf Veranlassung der Patienten erfolgt,
Patienten, ohne diesen zuvor ein Rezept ausgestellt zu haben, in seiner Praxis Diabetesteststreifen zu übergeben und sich den Erhalt der Teststreifen auf einem Blankorezept bestätigen zu lassen,
und/oder
Patienten auf die Möglichkeit des Bezuges von Teststreifen aus einem in der Praxis befindlichen Depot eines Sanitätshauses hinzuweisen und/oder Diabetesteststreifen entsprechend dieses Hinweises aus dem in seiner Praxis befindlichen Depot des Sanitätshauses abzugeben.
an ihn 315,65 DM nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.07.2001 zu zahlen.
Der Beklagte hat b e a n t r a g t,
die Klage abzuweisen.
Er hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Anträge erhoben und behauptet, keine Blankorezepte auszugeben. Tatsächlich erläutere er seinen Patienten, dass sie die benötigten Diabetes-Teststreifen in Apotheken oder Sanitätshäusern, aber auch aus einem von ihm selbst in seiner Praxis unterhaltenen Depot eines Sanitätshauses erhalten könnten. Mit Blick auf den vorliegenden Rechtsstreit lasse er sich vor Aushändigung des Teststreifens die Erteilung dieses Hinweises auch wie aus Bl.37 ersichtlich schriftlich von den Patienten bestätigen.
Das L a n d g e r i c h t hat die Klage abgewiesen. Der Antrag zu 1 b) sei deswegen nicht begründet, weil der Beklagte durch die Abgabe der Diabetesteststreifen aus dem von ihm unterhaltenen Depot seine Patienten nicht ohne hinreichenden Grund an einen bestimmten Leistungsanbieter im Sinne des § 34 Abs.5 der Berufsordnung verweise. Der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Kläger habe keine Gründe dafür dargelegt, dass die Abgabe aus dem Depot nicht sachlich gerechtfertigt sei. Dem gegenüber habe der Beklagte plausibel gemacht, dass die von ihm erfolgende Ausgabe der Streifen im Rahmen des erwähnten Modellprojektes der gewünschten Förderung der Zusammenarbeit aller Beteiligten diene. Es könne vor diesem Hintergrund offen bleiben, ob der Beklagte entsprechend seiner Behauptung über die Möglichkeit eines alternativen Bezuges der Teststreifen belehre. Aufgrund jüngerer Rechtsprechung des BGH sei eine ausdrückliche Empfehlung einer bestimmten Versorgung in Zusammenarbeit mit einem bestimmten Leistungsanbieter nicht als allgemein wettbewerbswidrig anzusehen.
Vor diesem Hintergrund sei auch der Anspruch zu 1 a) unbegründet, weil auch dieser voraussetze, dass die Abgabe der Teststreifen wettbewerbswidrig sei (zu dieser Passage der Urteilsgründe fehlen auf Seite 9 der bei den Akten befindlichen Urteilsausfertigung die ersten 3 Zeilen).
Zur Begründung seiner B e r u f u n g gegen dieses Urteil trägt der Kläger vor:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne nicht offen bleiben, ob der Beklagte seine Patienten über die Möglichkeit eines anderweitigen Bezugs der Teststreifen belehre. Denn gerade hiergegen wende sich die Klage mit dem Antrag zu 1
b). Der Beklagte nehme den Patienten die Möglichkeit des anderweitigen Bezugs, indem er nicht über diese Möglichkeit aufkläre. Auf die vom dem Landgericht angesprochene höchstrichterliche Rechtsprechung, könne sich der Beklagte nicht berufen, weil diesen Entscheidungen abweichende Sachverhalte zugrunde gelegen hätten.
Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung nach Erörterung die weitergehenden Klageanträge zurückgenommen und im übrigen sinngemäß
b e a n t r a g t,
wie erkannt zu entscheiden.
Der Beklagte hat b e a n t r a g t,
die Berufung zurückzuweisen
Er verteidigt das angefochtene Urteil und hält die Berufung wegen unzureichender Berufungsbegründung schon für unzulässig und im übrigen für unbegründet. Er meint insbesondere, der Berufsordnung könne nicht das generelle Verbot für Ärzte entnommen werden, überhaupt Medizinprodukte an ihre Patienten abzugeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die bis auf denjenigen des Beklagten vom 11.11. 2002 sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und hat in dem Umfang, in dem der Kläger seine Klageanträge noch verfolgt und die Klage nicht zurückgenommen hat, auch in der Sache Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie entgegen der Auffassung des Beklagten in gemäss § 520 Abs.3 Ziff.2 ZPO ausreichender Weise begründet worden. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass der im Verhandlungstermin gestellte Antrag - von der weggefallenen "oder"- Verbindung seiner beiden Teile abgesehen - wörtlich mit dem in erster Instanz zu 1 b) gestellten Klageantrag übereinstimmt und der Kläger zur Begründung u.a. auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug genommen hat. Im übrigen ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers auch, dass dieser den Antrag in seinem vollen Umfang durch sein Vorbringen als erfüllt ansieht. Der Kläger führt insbesondere seinen streitigen Tatsachenvortrag zu der Abgabe der Teststreifen als aus seiner Sicht vollständige Begründung seines Antrages an. Vor diesem Hintergrund kann die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig angesehen werden, sie sei nicht hinreichend begründet worden. Ob die Gründe den geltendgemachten Anspruch tragen und der Vortrag das beantragte Verbot insbesondere auch unabhängig von der Erteilung eines Hinweises auf alternative Bezugsquellen für die Teststreifen rechtfertigt, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit der Berufung.
Die mithin zulässige Berufung ist auch begründet. Dem Kläger, dessen aus § 13 Abs.1 Ziff. 2 UWG folgende Klagebefugnis der Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr in Abrede stellt, steht der noch geltendgemachte Anspruch aus §§ 1, 13 Abs.2 Ziff.2 UWG i.V.m. § 3 Abs.2 und 34 Abs.5 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14.11.1998 (im Folgenden "BO") zu.
Gem. § 3 Abs.2 BO ist es Ärztinnen und Ärzten u.a. untersagt, im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegenstände abzugeben oder unter ihrer Mitwirkung abgeben zu lassen, soweit nicht die Abgabe des Produkts wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist. Das Verbot beruht auf der traditionellen Trennung der Tätigkeit von Ärzten einerseits und Apothekern bzw. Herstellern von medizinischen Hilfsmitteln oder sonstigen Medizinprodukten andererseits (vgl. z.B. Kern in NJW 00, 833). Es hat die Trennung merkantiler Gesichtspunkte vom Heilauftrag des Arztes zum Gegenstand und soll außerdem verhindern, dass das besondere Vertrauen in den Arztberuf zur Verkaufsförderung solcher Produkte missbraucht wird, die der Patient nicht notwendigerweise im Zusammenhang mit seiner Betreuung benötigt (vgl. Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte, 2. Aufl., § 3 Rz 2). Dabei stellt die BO nicht auf die Entgeltlichkeit ab, sondern untersagt sogar eine unentgeltliche Abgabe der betreffenden Produkte. Dem Arzt ist es damit nicht nur gem. § 43 AMG untersagt, Arzneimittel zu vertreiben, sondern er darf darüber hinaus - von zu erörternden Ausnahmefällen abgesehen - auch andere Produkte im Zusammenhang mit seiner ärztlichen Tätigkeit nicht an seine Patienten abgeben.
Mit diesem Verbot steht die Abgabe von Diabetesteststreifen durch den Beklagten bzw. seine Mitarbeiter aus einem von ihm in seiner Praxis unterhaltenen Depot eines Sanitätshauses nicht in Einklang. So bedarf es keiner näheren Begründung, dass die von dem Beklagten ausdrücklich eingeräumte Aushändigung der Teststreifen an Patienten die Abgabe eines von der Vorschrift erfassten Produktes darstellt. Angesichts des Umstandes, dass diese Abgabe mit der Krankenkasse des Patienten abgerechnet wird, liegt auch eine entgeltliche Abgabe vor. Es ist aus diesem Grunde nicht verfahrenserheblich, ob auch das Verbot einer unentgeltlichen Abgabe durch den Zweck der Regelung geboten ist. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob die Aushändigung der Teststreifen unter die Ausnahmebestimmung fällt, wonach die Abgabe eines Produktes nicht untersagt ist, wenn sie wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist. Diese Frage ist zu verneinen. Die Abgabe durch den Arzt ist nur dann erlaubt, wenn die ärztliche Therapie es erfordert, dass das Produkt nicht durch einen Dritten, z.B. also einen Apotheker oder einen Mitarbeiter eines Sanitätshauses, sondern gerade durch den Arzt selbst dem Patienten verabreicht wird. Das ergibt sich aus Wortlaut und Sinn der Bestimmung sowie ihrem systematischen Zusammenhang in der BO.
Bereits der Wortlaut der Bestimmung ist insoweit eindeutig. Danach muss nämlich "die Abgabe des Produktes ... wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie" sein. Es reicht nach dieser ausdrücklichen Formulierung nicht etwa aus, dass das Produkt selbst notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist, vielmehr ist erforderlich, dass gerade die Abgabe durch den Arzt medizinisch geboten ist. Auch nach dem Sinn der Bestimmung ergibt sich nichts anderes. Diese will - wie dargelegt - im Grundsatz die traditionell geprägte Trennung der ärztlichen Tätigkeit einerseits und der Heilmittelveräußerung andererseits aufrechterhalten. Eine Ausnahme dahingehend, dass gleichwohl die Abgabe aller solcher Produkte durch den Arzt zulässig sein soll, die notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind, wäre mit dem Sinn der Regelung nicht in Einklang zu bringen. Die Vorschrift würde alsdann praktisch Verlaufen, weil sie nur noch Produkte beträfe, die für die Therapie entbehrlich wären, aber gleichwohl vom Arzt abgegeben würden. Schließlich verbietet auch der systematische Zusammenhang eine andere Auslegung der Vorschrift. Wenn nämlich - wie dies § 34 Abs.5 BO festschreibt - dem Arzt sogar schon der Verweis an einen bestimmten Anbieter von gesundheitlichen Leistungen untersagt ist, dann kann es ihm nicht auf der anderen Seite gestattet sein, die betreffenden Produkte sogar selbst zu vertreiben.
Die Abgabe der Teststreifen an seine Patienten ist dem Beklagten vor diesem rechtlichen Hintergrund untersagt. Denn sie ist nicht notwendiger Bestandteil seiner Therapie. Die Teststreifen werden von den Patienten für die regelmäßige Blutzuckerkontrolle benötigt. Diese Kontrolle führen die Patienten mit Hilfe der Streifen selbst und nicht unter unmittelbarer Aufsicht des Beklagten durch. Die Abgabe der Teststreifen, die allein Verfahrensgegenstand ist, ist daher nicht notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie. Das bedarf keiner näheren Begründung, weil der Beklagte selbst für sich in Anspruch nimmt, seine Patienten regelmäßig ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie die benötigten Teststreifen auch in Apotheken und Sanitätshäusern erwerben können. Das wäre sachlich unrichtig, wenn, was der Beklagte auch gar nicht behauptet, die Abgabe durch ihn selbst notwendiger Bestandteil seiner Therapie wäre. Allerdings benötigen die Patienten eine Einweisung und nach dem unwiderlegten Vortrag des Beklagten auch eine regelmäßige Schulung in der Handhabung der Teststreifen. Auch das macht die Abgabe der Streifen, die Verbrauchsartikel sind, aber nicht zum notwendigen Bestandteil der Therapie. Soweit Teststreifen anlässlich der Schulung von Patienten benötigt werden, unterfällt deren Abgabe dem Streitgegenstand nicht.
Die streitgegenständliche Abgabe der Diabetes-Teststreifen unterfällt nicht nur dem Verbot des § 3 Abs.2 BO, sondern ist dem Beklagten auch nach § 34 Abs.5 BO untersagt. Die Vorschrift ist trotz ihres die Berufsausübung regelnden und damit den Schutzbereich des Art.12 GG tangierenden Gehalts der Auslegung nach den üblichen Regeln zugänglich. Entgegen den in seinem Schriftsatz vom 11.11.2002 geäußerten Bedenken des Beklagten ist sie daher insbesondere auch über ihren Wortlaut hinaus nach ihrem Sinn auszulegen. Die Auslegung ergibt indes, dass auch diese Vorschrift es dem Arzt untersagt, anstelle von Apotheken und Sanitätshäusern die Teststreifen auszugeben. Wenn nämlich der Arzt in die Freiheit der Auswahl durch den Patienten schon nicht durch einen Hinweis auf eine bestimmte Apotheke oder ein bestimmtes Sanitätshaus eingreifen darf, dann darf er erst recht nicht selbst die Waren abgeben, weil er so durch die angebotene Bequemlichkeit einerseits und im Hinblick auf das ihm entgegen gebrachte Vertrauen andererseits sogar in besonders massiver Weise in eben diese Auswahlfreiheit eingreift. Faktisch und insbesondere aus der Sicht seiner Patienten betreibt der Beklagte mit seinem "Depot" bezüglich der Teststreifen eine Art Außenstelle des Sanitätshauses, mit dem er zusammenarbeitet. Sein Angebot stellt damit, auch wenn es so nicht ausdrücklich formuliert wird, aus sich heraus eine deutliche Empfehlung an die Patienten dar, die Streifen von ihm zu beziehen. Es enthält damit zugleich den - für den Regelungsverstoß bereits ausreichenden - Hinweis auf die Möglichkeit des Bezuges von dem Sanitätshaus, mit dem er zusammenarbeitet. Dass hierfür ein hinreichender Grund im Sinne der Bestimmung vorläge, ergibt sich aus dem Vortrag des Beklagten nicht. Soweit er behauptet, die Teststreifen zu einem niedrigeren Preis als dem auf dem örtlichen Markt üblichen abzugeben, ist das kein Vorteil, der notwendig mit der Abgabe der Streifen gerade durch ihn verbunden ist, vielmehr könnte das Sanitätshaus, das mit dem Beklagten Zusammenarbeit, die Streifen zu dem angeblich besonders günstigen Preis auch unmittelbar an die Patienten abgeben.
Der Senat sieht sich mit seiner Entscheidung im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der veröffentlichten Literatur. Der BGH hat allerdings in den beiden Entscheidungen "Verkürzter Versorgungsweg" (WRP 00,1121 ff) und "Hörgeräteversorgung" (WRP 02,211 ff) eine bestimmte Zusammenarbeit eines HNO-Arztes mit einem Hörgeräteakustiker als u.a. mit dem ärztlichen Berufsrecht vereinbar angesehen. In beiden Fällen lag aber die - für Hörgeräte typische - Besonderheit vor, dass das zu beziehende Hörgerät von dem Hörgeräteakustiker nicht allein hergestellt, dem Ohr angepasst und auf die medizinischen Erfordernisse eingestellt werden kann, sondern dass bis zur Erreichung seiner endgültigen und dauerhaften Gebrauchsfertigkeit auch therapeutische Maßnahmen der Überprüfung und Anpassung durch den HNO-Arzt erforderlich sind. Die Beteiligung des Arztes war damit notwendiger Bestandteil seiner ärztlichen Therapie im Sinne des § 3 Abs.2 BO und stellte auch einen hinreichenden Grund im Sinne des § 34 Abs.5 BO dar. Im übrigen sprechen sich auch Ratzel/Lippert (a.a.O. § 3 Rz 2 ) und ihnen folgend Kern (NJW 00,833,835) dafür aus, dass der Verkauf solcher Produkte gem. § 3 Abs.2 BO unzulässig sei, die auch "andere Marktteilnehmer" feilbieten, und führen als typische Beispiele gleichwohl zulässiger Tätigkeiten solche an, bei denen der Arzt bei der individuellen Herstellung und Prüfung des Hilfsmittels mitwirkt. Soweit sie ausführen, das Verbot gelte für solche Produkte nicht, die "zwingend für die ärztliche Therapie benötigt werden", könnte der Senat dem nicht folgen, wenn der Satz in einem weitergehenden Sinne zu verstehen sein sollte, als dies oben dargelegt worden ist. Soweit die Kommentatoren sich zu § 34 Abs. 5 BO für eine strikte Zurückhaltung des Arztes bei der Auswahl des Lieferanten für medizinische Hilfsmittel aussprechen (a.a.O. § 34 Rz 7), steht auch das im Einklang mit der vorliegenden Entscheidung. Aus den vorstehenden Gründen vermag der Senat indes der gegenteiligen Auffassung des OLG Naumburg in dessen als Bl.178 ff bei den Akten befindlicher Entscheidung vom 3.7.2002 im Verfahren 7 U 67/01 nicht zu folgen.
Der mithin in zweifacher Hinsicht gegebene Verstoß gegen die BO begründet den geltendgemachten Anspruch aus § 1 i.V.m. § 13 Abs.2 Ziff.2 UWG. Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei beiden Bestimmungen wegen ihres Bezugs zur ärztlichen Tätigkeit um werthaltige Normen handelt. Denn auch wenn die Bestimmungen lediglich als wertneutral anzusehen sein sollten, ist die Klage begründet, weil der Beklagte durch sein fortgesetztes Verhalten, zu dem er sich berechtigt sieht, bewusst und planmäßig gegen die Bestimmungen verstößt (vgl. zu dieser Voraussetzung Köhler/ Piper, UWG, 3.Aufl. § 1 RZ 785 m.w.N.). Diese weisen auch den erforderlichen Wettbewerbsbezug auf. Das gilt ohne weiteres für § 34 Abs.5 BO, weil durch ihn die Anbieter von Hilfsmitteln vor Wettbewerb durch Ärzte geschützt werden. Aber auch die Norm des § 3 Abs.2 BO weist wettbewerblichen Bezug auf, weil auch sie bewirkt, dass der Patient sich die Hilfsmittel bei einem der in Betracht kommenden Anbieter besorgen muss.
Der Verstoß ist schließlich auch im Sinne des § 13 Abs.2 Ziff.2 UWG geeignet, den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt wesentlich zu beeinträchtigen, weil schon wegen der sich ergebenden Bequemlichkeit zu erwarten ist, dass zumindest der weit überwiegende Teil der Patienten von dem Angebot des Beklagten Gebrauch macht und so den in Betracht kommenden übrigen Anbietern als Kunden verloren geht. Zudem ist im Hinblick auf die Mitarbeit des Beklagten in dem erwähnten Modellprojekt von einer erheblichen Nachahmungsgefahr auszugehen.
Vor diesem Hintergrund ist der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Tenor der vorliegenden Entscheidung entspricht sinngemäß dem gestellten Antrag und dieser ist von dem begründeten Anspruch getragen.
Der Kläger hat mit seinem verbliebenen - ursprünglich mit 1 b) bezifferten - Antrag insbesondere eine Verurteilung nicht nur für den Fall beantragt, dass die Patienten nicht auf anderweitige Bezugsquellen hingewiesen werden. Das ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut seines Antrages, in dem eine derartige Einschränkung nicht enthalten ist. Auch der Beklagte hat - wie seiner Berufungserwiderung zu entnehmen ist - den Antrag so verstanden. Der Kläger hat zwar in der Berufungsbegründung ausgeführt, es gehe ihm um den fehlenden Hinweis auf die Möglichkeit des anderweitigen Bezuges, dies stellt aber angesichts dessen klaren Wortlautes eine Einschränkung des Antrages nicht dar. Dass der Kläger rechtliche Gesichtspunkte für ein generelles Verbot der Abgabe im Berufungsverfahren schriftsätzlich nicht mehr aufgegriffen hat, ist unschädlich, weil der Senat in der rechtlichen Bewertung des vorgetragenen Sachverhaltes an Parteivorbringen nicht gebunden ist und sich der Kläger die Betrachtungsweise des Senats in der mündlichen Berufungsverhandlung zu eigen gemacht hat.
Der Senat hat aus Gründen größerer Klarheit und zur Straffung des Wortlauts den Tenor ohne inhaltliche Änderung redaktionell von dem Antrag abweichend gefasst. Soweit die Verurteilung die Fälle von dem Verbot ausnimmt, in denen der Beklagte die Streifen auf Veranlassung des betreffenden Patienten, der von der Bezugsmöglichkeit schon weiß, abgibt und die Abgabe nicht auf seinem oder einem Hinweis seines Personals beruht, folgt dies aus der insoweit eingeschränkten Antragsfassung.
Die Zulassung der Revision ist mit Blick auf die erwähnte abweichende Entscheidung des OLG Naumburg gem. § 543 Abs.2 S.1 Ziff.2 2.Alt. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs.1, 269 Abs.3 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig wie folgt festgesetzt:
Der Senat schätzt das gem. §§ 12 Abs.1 GKG, 3 ZPO maßgebliche Interesse des Klägers an dem im Laufe des Berufungsrechtszuges zurückgenommenen Unterlassungsantrag zu 1 a) auf ein Viertel des Gesamtinteresses, woraus sich die vorstehende Festsetzung ergibt.
OLG Köln:
Urteil v. 22.11.2002
Az: 6 U 77/02
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