Bundespatentgericht:
Urteil vom 15. Dezember 2010
Aktenzeichen: 5 Ni 63/09
(BPatG: Urteil v. 15.12.2010, Az.: 5 Ni 63/09)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 154 415 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 154 415 (Streitpatent), das unter Inanspruchnahme einer Unionspriorität vom 6. Februar 1984 (US 577044) am 6. Februar 1985 angemeldet wurde. Das Streitpatent ist vor Erhebung der Nichtigkeitsklage nach Ablauf der maximalen Schutzdauer erloschen.
Das in der Verfahrenssprache Englisch erteilte Streitpatent, das beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 35 78 787 geführt wird, trägt die Bezeichnung "Coded modulation system" und umfasst in seiner erteilten Fassung 14 Patentansprüche, die von der Klägerin vollumfänglich angegriffen werden.
Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
"Apparatus employing a modulation system and adapted for sending digital symbols over a bandlimited channel as a sequence of multidimensional points, each composed of twodimensional modulation signal points, the number of bits of said symbols to be sent per two dimensions of said multidimensional point being N, each said multidimensional point being selected from an available alphabet of said multidimensional points by an encoder on the basis of a group of said digital symbols, said two dimensional signal points belonging to a constellation of twodimensional signal points, the apparatus comprising circuitry adapted for operatively accumulating symbols of each said group, and selection circuitry adapted for thereafter operatively selecting said multidimensional point for said group, said available alphabet of multidimensional points comprising a plurality of subsets of said multidimensional points, and the subset from which the multidimensional point is operatively selected for each said group depending on the subsets from which the multidimensional point is selected for another said group; the apparatus being characterised in that the arrangement of said twodimensional signal points in said constellation corresponds to modulation both in phase and amplitude, and in that the number of signal points in said constellation is fewer than 2N+1."
In (berichtigter) deutscher Übersetzung hat Anspruch 1 folgenden Wortlaut:
"Vorrichtung, die ein Modulationssystem verwendet und angepasst ist für das Senden von digitalen Symbolen über einen bandbegrenzten Kanal als eine Sequenz von multidimensionalen Punkten, jedes Symbol besteht aus zweidimensionalen modulierenden Signalpunkten, die Anzahl von Bits der Symbole, die in zwei Dimensionen des multidimensionalen Punktes zu senden sind beträgt N, jeder der multidimensionalen Punkte wird aus einem verfügbaren Alphabet von multidimensionalen Punkten durch einen Codierer auf der Basis einer Gruppe der digitalen Symbole ausgewählt, die zweidimensionalen Signalpunkte gehören zu einer Konstellation von zweidimensionalen Punkten, das Gerät weist auf eine Schaltung, welche für das Sammeln von Symbolen jeder Gruppe eingerichtet ist, und eine Selektionsschaltung, welche eingerichtet ist, um danach den multidimensionalen Punkt für diese Gruppe auszuwählen, das verfügbare Alphabet der multidimensionalen Punkte umfasst eine Mehrzahl von Teilsätzen multidimensionaler Punkte, der Teilsatz, aus dem der multidimensionale Punkt für jede Gruppe ausgewählt wird, ist abhängig von den Teilsätzen, aus denen der multidimensionale Punkt für eine andere Gruppe ausgewählt wird, die Vorrichtung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Anordnung der zweidimensionalen Signalpunkte in der besagten Konstellation einer Modulation in Phase sowie auch in Amplitude entspricht, und die Anzahl der Signalpunkte in der Konstellation ist geringer als 2N+1."
(In der europäischen Patentschrift ist der deutsche Wortlaut des Patentanspruchs offensichtlich irrtümlich falsch wiedergegeben.)
Wegen der angegriffenen Unteransprüche 2 bis 14, die unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogen sind, wird auf die Streitpatentschrift EP 0 154 415 B1 verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Außerdem sei die Erfindung im Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Darüber hinaus sei der Gegenstand des Patents nicht patentfähig. Zu ihrem Rechtsschutzbedürfnis weist sie darauf hin, dass sie von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents vor dem Landgericht Düsseldorf in Anspruch genommen werde.
Die Klägerin stützt ihre Klage auf folgende Druckschriften, Dokumente und Unterlagen:
K1: Whay C. Lee, "Coding for Satellite Channels with Co-Channel and Intersymbol Interference", MasterÔs Degree Thesis, Massachusetts Institute of Technology, June 1983, K5: G. Ungerböck, "Channel Coding with Multilevel/Phase Signals", IEEE Transactions on Information Theory, Vol. IT-28, No. 1, January 1982, Seiten 55-67, K6: S. G. Wilson, H. A. Sleeper, "Four-Dimensional Modulation and Coding: An Alternate to Frequency-Reuse", National Aeronautics and Space Administration, Report No. UVA/528200/EE83/107, Sept. 1983, K7: R. Fang, W. Lee: "Fourdimensionally coded PSK-systems for combatting effects of Severe ISI and CCI", Globecom Ô83, Conference Record, vol. 2 of 3, IEEE Global Telecommunications Conference, Seiten 10321038, K8: U. Tietze, Ch. Schenk, "Halbleiterschaltungstechnik", 5. Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1980, Seite 508, K9A/B: Figuren, angefertigt von der Klägerin, K10: G. R. Welti, "PCM/FDMA satellite telephony with 4-dimensionallycodedquadrature amplitude modulation", Comsat Technical Review, Vol. 6, No. 2, Herbst 1976, Seiten 323-338, K11 G. Ungerboeck: "Trellis-Coded modulation with Redundant Signal Sets, Part II: State of the Art, IEEE Communications Magazine, February 1987, Vol. 25, No.2 ", Seiten 12-21, K12 Auszug des MIT Libraries Catalog, K13 FAQ-Liste der MIT Bibliothek, K14 Auszug aus "NASA Technical Reports", K15 NASA Publication "Scientific and Technical Aerospace Reports
(STAR)", Ausgabe 23. Dezember 1983, Seite 3950, K16 L. H. Zetterberg: "Codes for Combined Phase and Amplitude Modulated Signals in a Four-Dimensional Space", IEEE Transactions on Communications, Vol. COM-25, No. 9, September 1977, Seiten 943-950, K20 Zeichnung zur Frage der Anzahl der Signalpunkte in einer Konstellation.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 154 415 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund einer unzulässigen Erweiterung bestehe nicht, da sich Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung ausschließlich auf einen Gegenstand richte, der aus fachmännischer Sicht gemäß der ursprünglichen Offenbarung ohne weiteres als zur Erfindung gehörend erkennbar gewesen sei. Offensichtlich setze die Klägerin die Fähigkeiten des zuständigen Fachmanns zu niedrig an, denn dieser könne dem Streitpatent auch alle erforderlichen Angaben entnehmen, um die Erfindung auszuführen. Die Patentfähigkeit des Streitpatents könne ebenfalls nicht in Frage gestellt werden, da die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 gegenüber dem druckschriftlich belegten Stand der Technik nicht nur neu sei, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zudem bestreitet die Beklagte, dass die von der Klägerin in das Verfahren eingeführten Abhandlungen K1, K6 und K7 bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlich worden seien.
Die Beklagte verweist zu ihrem Vorbringen auf die folgenden Dokumente:
B-1 Merkmalsanalyse der deutschen Übersetzung des Patentanspruchs 1 B-2 EP 0 154 415 A1, die die ursprünglich eingereichten Unterlagen zum Streitpatent wiedergibt, B-3 Datenbankeintrag des "MIT LibrariesÔ Catalog" für K1, B-4: G. R. Welti, "SCPC satellite telephony with 4-dimensionallycoded quadrature amplitude modulation", Comsat Technical Review, Vol. 7, No. 1, Frühjahr 1977, S. 291-298, und B-5: G. R. Welti, "PCM/FDMA satellite telephony with 4-dimensionallycodedquadrature amplitude modulation", Comsat Technical Review, Vol. 6, No. 2, Herbst 1976, Seiten 323-338, B-6: Skizze zur Erläuterung insbesondere der Auswahl der Signalpunkte, überreicht in der mündlichen Verhandlung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen und auf den Akteninhalt verwiesen.
Gründe
I.
Die Klage, mit der die in Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 IntPatÜG i. V. m. den Art. 52-57, Art. 138 Abs. 1 Buchstaben a, b und c EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit, der mangelnden Ausführbarkeit und der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden, ist trotz des Erlöschens des Streitpatents durch Zeitablauf zulässig. Da die Klägerin von der Beklagten unbestritten aus dem Streitpatent in Anspruch genommen wird, verfügt sie über das erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis an der Nichtigerklärung des Streitpatents (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2007 -X ZR 201/02, GRUR 2008, 90 -Verpackungsmaschine; Urteil vom 16. Oktober 2007 -X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 -Sammelhefter II; BGH, Urteil vom 30. April 2009 -Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 -Betrieb einer Sicherheitseinrichtung).
Die Klage ist auch begründet und führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, denn das Patent offenbart die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könnte (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. b), Art. 83 EPÜ).
Bezüglich der weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe kann offen bleiben, ob der Gegenstand des Streitpatents patentfähig ist oder ob der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
II.
1. Das Streitpatent betrifft ein kodiertes Modulationssystem und dabei insbesondere die Übertragung digitaler Symbole über einen bandbegrenzten Kanal, wobei ein Träger in Übereinstimmung mit einer Signalfolge moduliert wird. Letztere wird aus einer verfügbaren Signalkonstellation durch eine Kodiertechnik ausgewählt, indem Abhängigkeiten zwischen Signalen in der Sequenz eingeführt werden, um die Rauschimmunität zu erhöhen, so dass ein Kodierungsgewinn im Vergleich zu einem unkodierten System erzielt wird. Kodierte Modulationssysteme sind im Stand der Technik vor dem Prioritätstag des Streitpatents bekannt gewesen, soz. B. Modulationssysteme mit Konstellationen von zweidimensionalen oder auch mehrdimensionalen Punkten, die verschiedene Kodierungssysteme, bspw. eine Trellis-Codierung, und auch diverse Phasenund Amplitudenmodulationen nutzten. Vor diesem Hintergrund strebt die Erfindung gemäß dem Streitpatent an, den Anteil der im Rahmen einer Trellis-Codierung hinzugefügten redundanten Bits bezogen auf die Anzahl der Bits an Nutzinformationen zu reduzieren und gleichzeitig die grundsätzlichen Vorzüge einer verbesserten Trellis-Codierung der als Nutzinformationen übertragenen Bits bei optimaler Ausnutzung des Signalraums beizubehalten.
2. Demgemäß beschreibt Patentanspruch 1 (Merkmalsgliederung gemäß Anlage B-1 der Beklagten hinzugefügt) eine
(1)
Vorrichtung, die ein Modulationssystem verwendet und angepasst ist für das Senden von digitalen Symbolen über einen bandbegrenzten Kanal als eine Sequenz von multidimensionalen Punkten,
(2)
jedes Symbol besteht aus zweidimensionalen modulierenden Signalpunkten,
(3)
die Anzahl von Bits der Symbole, die in zwei Dimensionen des multidimensionalen Punktes zu senden sind, beträgt N,
(4)
jeder der multidimensionalen Punkte wird aus einem verfügbaren Alphabet von multidimensionalen Punkten durch einen Codierer auf der Basis einer Gruppe der digitalen Symbole ausgewählt,
(5)
die zweidimensionalen Signalpunkte gehören zu einer Konstellation von zweidimensionalen Punkten,
(6)
das Gerät weist auf
(a)
eine Schaltung, welche für das Sammeln von Symbolen jeder Gruppe eingerichtet ist, und
(b)
eine Selektionsschaltung, welche eingerichtet ist, um danach den multidimensionalen Punkt für diese Gruppe auszuwählen,
(7)
das verfügbare Alphabet der multidimensionalen Punkte umfasst eine Mehrzahl von Teilsätzen multidimensionaler Punkte,
(8)
der Teilsatz, aus dem der multidimensionale Punkt für jede Gruppe ausgewählt wird, ist abhängig von den Teilsätzen, aus denender multidimensionale Punkt für eine andere Gruppe ausgewählt wird,
(9)
die Vorrichtung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Anordnung der zweidimensionalen Signalpunkte in der besagten Konstellation einer Modulation in Phase sowie auch in Amplitude entspricht, und
(10)
die Anzahl der Signalpunkte in der Konstellation ist geringer als 2N+1 .
3.
Der zuständige Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit Erfahrung auf dem Gebiet der Datenübertragung und umfassenden Kenntnissen der dabei zum Einsatz gelangenden Datenstrukturen und Codierungstechniken, insbesondere auf dem Gebiet der codierten Modulationstechnik in Verbindung mit multidimensionalen Codierungen.
4.
Zu der im Streitpatent offenbarten Erfindung Der Fachmann findet im Wortlaut des Patentanspruchs 1 zunächst eine Reihe von inhaltlich nicht definierten Begriffen vor, die erst im Lichte der Beschreibung des Streitpatents und dem darin geschilderten Ausführungsbeispiel mit den zugehörigen technischen Inhalten gefüllt werden.
Die in Fig. 1 als Blockdiagramm dargestellte Vorrichtung verwendet ein Modulationssystem und ist angepasst für das Senden von digitalen Symbolen über einen bandbegrenzten Kanal und zwar als eine Sequenz von multidimensionalen Punkten (Merkmal 1). Zur Bildung der zu sendenden Sequenz von multidimensionalen Punkten gemäß den Merkmalen 2 bis 5 und 7 bis 10 des Anspruchs 1 entnimmt der Fachmann der Beschreibung die im Folgenden dargestellte Lehre. Der Vorrichtung, vgl. Seite 3, Zeilen 25-37, wird ein Eingangs-Bitstrom zugeführt, wobei der Eingangs-Bitstrom eine Sequenz von digitalen Symbolen umfasst, von denen jedes die gleiche Anzahl von Bits (N) aufweist. Dieser Eingangs-Bitstrom wird zunächst einem Seriell-Parallel-Konverter zugeführt. Der Seriell-Parallel-Konverter nimmt jeweils zwei Symbole gleichzeitig auf und bildet Symbol-Gruppen, von denen jede zwei Symbole aufweist. Jede der Zwei-Symbol-Gruppen wird durch eine Signal-Auswahl-Logik als ein Paar von zweidimensionalen Signalen kodiert, welche fortlaufend von einem Modulator gemäß einer konventionellen DSB-QC (Double Side Band Quadrature Carrier)-Modulation moduliert und auf einen Sendekanal gegeben und übertragen werden (Merkmal 9). Bei dem mittels SignalAuswahl-Logik durchgeführten Kodierprozess soll zunächst für jede Zwei-Symbol-Gruppe ein einzelner vierdimensionaler Punkt, d. h. ein multidimensionaler Punkt in mehr als zwei Dimensionen, aus einem verfügbaren Alphabet von vierdimensionalen Punkten im vierdimensionalen Raum (genannt 4-space) ausgewählt werden. Die vier Koordinatenwerte des gewählten multidimensionalen Punkts werden dann benutzt, um die zwei Paare von Koordinaten der zwei zweidimensionalen Signalpunkte zu bestimmen, vgl. Seite 3, Zeilen 38-42. Die Signal-Auswahl-Logik ist demgemäß so eingerichtet, dass sie jede ankommende Zwei-Symbol-Gruppe, welche gemäß Ausführungsbeispiel 14 Bits umfasst, einem multidimensionalen Punkt zuordnet, der anschließend in zwei Signalpunkte konvertiert wird. Zu diesem Zweck umfasst die Signal-Auswahl-Logik, vgl. dazu die Fig. 3 und 4 und die Beschreibung Seite 4, Zeilen 1-41, einen Faltungskodierer, einen Amplitudenkodierer, einen Differentialkodierer und einen Konverter, wobei letzterer dann multidimensionale Punkte in Signalpaare umwandelt (Multi-Dimensional Point to Signal Pair Converter). Die gemäß den Figuren 1, 3 und 4 aufgezeigten Schaltungen liest der Fachmann auf die mit den Merkmalen 6, 6a und 6b des Anspruchs 1 geforderten Schaltungen. Der Faltungskodierer nimmt ankommende Bits i1 bis i3 nach Bearbeitung in einem Differentialkodierer und fügt ein viertes redundantes Bit p hinzu, um zwei Zwei-Bit-Werte, sogenannte SET-Werte zu liefern, letztere entsprechen den Werten a und b der zwei unterschiedlichen Teilsätze, aus denen die zwei Signale ausgewählt werden. Die Werte a und b ergeben sich aus einer zweidimensionalen Signalkonstellation mit den Signalkoordinaten (x, y) gemäß der Beziehung (x, y) = (1 + 2a, 1 + 2b), vgl. dazu Fig. 2 und die Beschreibung, Seite 3, Zeilen 43 -65. Der Faltungskodierer fügt somit weniger als ein Redundanz-Bit je Symbol zu dem System hinzu, vorzugsweise nicht mehr als 1/2 Bit pro Symbol (Merkmal 10). Die Bits i4 bis i7 werden unverändert durch den Faltungskodierer geleitet, um dann den vier Bits zugeordnet zu werden, welche zwei Werte (QUADWerte genannt) zur Identifizierung des Quadranten bilden, aus denen die zwei, den vorgenannten Werten a und b entsprechenden Signale ausgewählt werden. Der Amplitudenkodierer schließlich übernimmt die Bits i8 bis i14 und generiert daraus zwei Werte, A-Werte genannt, welche den Sektoren entsprechen, aus denen die zwei Signale ausgewählt werden, vgl. dazu ebenfalls Fig. 2 und zugehörige Beschreibung. Die beiden SET-Werte, die beiden QUAD-Werte und die beiden A-Werte spezifizieren einen multidimensionalen Punkt im (hier) vierdimensionalen Raum (4-space), welcher schließlich durch den Konverter (Multi-Dimensional Point to Signal Pair Converter) in ein korrespondierendes Signalpaar umgewandelt wird (Merkmal 5 und Merkmal 8 teilweise). Gemäß dem beschriebenen Ausführungsbeispiel ergeben sich insgesamt 32.768 multidimensionale Punkte, entsprechen einem Wert von 215, wobei sich der Wert 15 aus der Anzahl der Bits in der Zwei-Symbol-Gruppe (= 14 Bits) plus dem einen durch den Faltungskodierer hinzugefügten Redundanzbit ergibt. Die 32.768 multidimensionalen Punkte in dem Alphabet multidimensionaler Punkte sind diejenigen der insgesamt 57.600 vierdimensionalen Punkte, von denen jeder einem möglichen Paar von zweidimensionalen Signalpunkten entspricht, welche im vierdimensionalen Raum (4-space) dem Ursprung am nächsten sind und damit die geringstmögliche Sendeenergie benötigen.
5. Zur Ausführbarkeit der Erfindung Wie vorstehend aufgezeigt, entnimmt der Fachmann somit der Beschreibung zwar Hinweise auf Konstellationen von zweidimensionalen Punkten und daraus resultierende Teilsätze von Punktgruppen und weiter auch Hinweise auf die die dazu ausgewählten Punkte kennzeichnenden Parameter, wie SET-Werte, QUAD-Werte und A-Werte, jedoch erhält der Fachmann keine Angaben zu dem mit den Merkmalen 4 und 7 des Patentanspruchs 1 geforderten Alphabet von multidimensionalen Punkten, insbesondere zu dessen Aufbau und Umfang. Das Alphabet wird in der Beschreibung und im Anspruch zwar als "verfügbar" bezeichnet und in der Beschreibung auf vier Dimensionen beschränkt, vgl. Seite 3, Zeilen 38 - 42, aber nähere Angaben zur Verfügbarkeit, insbesondere zu Quelle und Form dieser Verfügbarkeit, fehlen. Auch die Hinweise in der Beschreibung, dass die vier Koordinatenwerte der gewählten multidimensionalen Punkte benutzt werden, um die zwei Paare von Koordinaten der zwei zweidimensionalen Signalpunkte zu bestimmen, oder dass die Signal-Auswahl-Logik so eingerichtet ist, dass sie jede ankommende Zwei-Symbol-Gruppe, welche 14 Bits (i1 bis i14) umfasst, einem multidimensionalen Punkt zuordnet, der anschließend in zwei Signalpunkte konvertiert wird, helfen nicht weiter, nachdem konkrete Vorschriften für eine solche Zuordnung bzw. Auswahl in der Beschreibung fehlen. Auch den Patentansprüchen selbst und der Beschreibungseinleitung und dem dort aufgezeigten Stand der Technik sind dazu keine näheren Angaben zu entnehmen. So nennt der angeführte Stand der Technik zwar Anordnungen multidimensionaler Punkte, mehr aber auch nicht. Auch hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf Befragen hin keine weitergehenden Angaben dazu gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Erfindung ausführbar i. S. v. Art. 83 EPÜ, wenn ein Fachmann anhand der Angaben unter Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre praktisch zu verwirklichen, wobei die Erfindung nicht buchstabengetreu realisierbar sein muss. Es reicht vielmehr aus, dass der Fachmann anhand der Offenbarung das erfindungsgemäße Ziel zuverlässig in praktisch ausreichendem Maße erreichen kann, indem insbesondere die in dem Patent enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermitteln, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Auch ist es nicht erforderlich, dass alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallenden Ausgestaltungen ausgeführt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 -X ZR 112/99, GRUR 2003, 223, 225 -Kupplungsvorrichtung II; BGH, Urteil vom 24. September 2003 -X ZR 7/00, BGHZ 156, 179 -blasenfreie Gummibahn I; BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 -Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916-918 -Klammernahtgerät, m. w. N.). Die insoweit erforderlichen Angaben müssen nicht im Patentanspruch selbst enthalten sein, sondern es reicht aus, dass sich diese aus der Patentschrift insgesamt ergeben (vgl. Busse PatG, 6. Aufl., § 34 Rdn. 273; Schulte, PatG, 8. Aufl., § 34 Rdn. 362 -jeweils m. w. N.).
Die vorliegenden Unterlagen genügen diesen Anforderungen im Hinblick auf den maßgeblichen Gegenstand der Patentansprüche nicht. Denn der angesprochene Fachmann ist auch unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissens anhand des gesamten Offenbarungsgehaltes des Streitpatents nicht in der Lage, die beanspruchte technische Lehre zu realisieren. Wie vorstehend dargelegt, werden in der Beschreibung keine über die im Anspruch 1 enthaltenen und die diskutierten Angaben zu dem geforderten Alphabet von multidimensionalen Punkten hinausgehenden Angaben gemacht.
So besteht für den Fachmann im Hinblick auf die Auswahl multidimensionaler Punkte aus einem verfügbaren Alphabet von multidimensionalen Punkten, welches wiederum eine Mehrzahl von Teilsätzen multidimensionaler Punkte umfassen soll, vollständige Ungewissheit über die konkrete Ausführung dieser Anforderungen. Es wird auch keine Richtung vorgegeben, in der der Fachmann durch einzelne, orientierende Versuche eine solche Auswahl erreichen könnte. Eine solcherart nicht deutlich und vollständig offenbarte Lehre ist aber nicht ausführbar (vgl. auch Busse, PatG, 6. Aufl., § 34 Rdn. 308 m. w. N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
Gutermuth Dr. Hartung Schell Kleinschmidt Musiol Ko
BPatG:
Urteil v. 15.12.2010
Az: 5 Ni 63/09
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5d59ef726efc/BPatG_Urteil_vom_15-Dezember-2010_Az_5-Ni-63-09