Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 28. April 2005
Aktenzeichen: 10 TaBV 35/05
(LAG Hamm: Beschluss v. 28.04.2005, Az.: 10 TaBV 35/05)
Tenor
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.02.2005 - 2 BV 92/00 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Im Ausgangsverfahren macht der Betriebsrat Auskunftsansprüche zwecks Bildung eines Europäischen Betriebsrats gegen den Arbeitgeber geltend.
Durch Beschluss vom 18.01.2005 hat das Arbeitsgericht im Anschluss an die Einholung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 15.07.2004 dem geltend gemachten Auskunftsanspruch des Betriebsrates nach § 5 Abs. 2 EBRG im Wesentlichen stattgegeben. Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 18.01.2005 ist noch nicht rechtskräftig.
Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates hat das Arbeitsgericht den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren durch Beschluss vom 10.02.2005 auf 8.000,00 festgesetzt. Auf die Begründung des Beschlusses vom 10.02.2005 wird Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die am 28.02.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats ist der Auffassung, die Bedeutung des Europäischen Betriebsrats sei nicht geringer zu bewerten als die Bildung eines nationalen Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats oder Konzernbetriebsrats. Entsprechend müsse der Regelstreitwert mit der Zahl der Sitze im entsprechenden Gremium multipliziert werden. Da die Unternehmensgruppe in zehn Ländern tätig sei, sei der Regelstreitwert mit zehn zu multiplizieren.
Demgegenüber ist der Arbeitgeber der Auffassung, dass die Bildung eines Europäischen Betriebsrats nicht mit der Gründung eines Gesamtbetriebsrats oder eines Konzernbetriebsrats zu vergleichen sei. Darüber hinaus könne für die Bildung des Gegenstandswertes nicht schlicht von einem Multiplikator von zehn ausgegangen werden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
I.
Die nach § 33 Abs. 3 RVG i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 2 RVG zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist nicht begründet.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert für das vorliegende Beschlussverfahren auf 8.000,00 festgesetzt.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das vorliegende Beschlussverfahren richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, wonach der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (früher: § 8 Abs. 2 BRAGO) stellt eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist ebenso wie früher § 8 Abs. 2 BRAGO insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten bedeutsam, deren Wert auf anderem Wege nicht bestimmt werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG aber immer erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt bereits hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstandes vielfach im Vordergrund stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 24.11.1994 - LAGE § 8 BRAGO Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - NZA-RR 2002, 472 = LAGE § 8 BRAGO Nr. 50; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 194, 441 ff.).
1. Zutreffend gehen die Beteiligten wie auch das Arbeitsgericht für den vorliegenden Fall davon aus, dass es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt. Die im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anfallenden Streitsachen sind typischerweise nicht vermögensrechtlicher Natur (Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 445). Vermögensrechtliche Ansprüche sind nur solche, die auf Geld oder auf geldwerte Leistungen gerichtet sind, gleichgültig ob sie aus einem vermögensrechtlichen oder nichtvermö-gensrechtlichen Grundverhältnis entspringen (Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 313; Vetter, NZA 1986, 122). Eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn es vornehmlich um Fragen der Teilhabe des Betriebsrates an der Gestaltung des betrieblichen Geschehens geht. Die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte hat keinen vermögensrechtlichen Charakter (BAG, Beschluss vom 09.11.2004 - DB 2005, 564 = NZA 2005, 70). Eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit liegt vor, wenn der im Verfahren erhobene Anspruch auf keiner vermögensrechtlichen Beziehung beruht, wenn er nicht auf Geld oder Geldwert gerichtet ist (LAG Hamburg, Beschluss vom 04.08.1992 - LAGE § 8 BRAGO Nr. 18). Insoweit war das Anliegen des Betriebsrates im vorliegenden Fall nicht vermögensrechtlicher Art. Auch wenn die Bildung eines europäischen Betriebsrats mit Kosten verbunden ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Auskunftsanspruch um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.
2. Entgegen der Rechtsauffassung der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates konnte der Gegenstandswert nicht auf 40.000,00 festgesetzt werden, auch wenn die Unternehmensgruppe des Arbeitgebers in zehn europäischen Ländern tätig ist.
Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes eines Beschlussverfahrens, das die Bildung eines Betriebsrats zum Gegenstand hat, grundsätzlich die Größe des jeweiligen Betriebsrats maßgebend. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für ein Beschlussverfahren, das die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl zum Gegenstand hat, richtet sich regelmä-ßig nach der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder, die gemäß § 9 BetrVG durch die Größe des Betriebs bestimmt wird. Dies entspricht der überwiegenden Auffassung der Landesarbeitsgerichte und auch der Rechtsprechung der zuständigen Kammern des Beschwerdegerichts (vgl.: LAG Hamm, Beschluss vom 09.03.2001 - LAGE § 8 BRAGO Nr. 48 a = NZA-RR 2002, 104). Entsprechendes gilt für die Bildung eines Gesamtbetriebsrats (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 18.11.1977 - LAGE § 8 BRAGO Nr. 1) und eines Konzernberiebsrates (LAG Hamm, Beschluss vom 30.11.1989 - DB 1990, 592 = BB 1990, 283).
Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass für das vorliegende Verfahren der Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG mit zehn zu multiplizieren wäre, weil die Unternehmensgruppe des Arbeitgebers in zehn europäischen Ländern tätig ist. Es kann nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um die Bildung eines europäischen Betriebsrates an sich geht, der antragstellende Betriebsrat machte vielmehr zunächst einen Auskunftsanspruch geltend, um überhaupt überprüfen zu können, ob die Bildung eines europäischen Betriebsrates in Betracht kommt. Dieser Auskunftsanspruch, der erst der Durchsetzbarkeit des Hauptanspruches dient, ist streitwertmäßig nicht identisch mit der Hauptsache selbst. In der Rechtsprechung werden derartige Auskunftsansprüche mit einem Zehntel bis einem Viertel des jeweiligen Hauptsacheverfahrens bewertet (vgl.: die Nachweise bei Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl. § 3 Rz. 16 "Auskunft").
Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 10.02.2005 zutreffend ausgeführt. Auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des vorliegenden Streitgegenstandes kann danach der Gegenstandswert des vorliegenden Auskunftsverfahrens nicht mit mehr als dem Wert des doppelten Auffangwertes des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bewertet werden. Dieser Betrag entspricht einem Fünftel des vom Betriebsrat angenommenen Wertes eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens. Auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung der vorliegenden Angelegenheit und des Umfanges und der Schwierigkeit des vorliegenden Beschlussverfahrens erscheint es angemessen aber auch ausreichend, den Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu verdoppeln.
Schierbaum /N.
LAG Hamm:
Beschluss v. 28.04.2005
Az: 10 TaBV 35/05
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