Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 29. Dezember 2005
Aktenzeichen: 20 W 250/05
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 29.12.2005, Az.: 20 W 250/05)
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Der Antragsgegner hat dem Vertreter der außenstehenden Aktionäre für die Tätigkeit im Beschwerdeverfahren eine Vergütung und Auslagen von 300,-- EUR zu erstatten.
Beschwerdewert: 3.000,-- Euro.
Gründe
Das im Jahre 2002 eingeleitete Spruchverfahren betrifft die Verschmelzung der X AG mit der von dem Antragsgegner als Insolvenzverwalter vertretenen Gesellschaft als übernehmendem Rechtsträger, auf welche zeitgleich auch die Y AG verschmolzen wurde.
Das Amtsgericht Hamburg eröffnete mit Beschluss vom 28. Februar 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der früheren Antragsgegnerin wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und bestellte Rechtsanwalt RA1 zum Insolvenzverwalter.
Daraufhin beschloss des Landgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 05. April 2005, dass das Spruchverfahren gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist und nach sechs Monaten als erledigt behandelt werde.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller zu 4. und 5. mit der sofortigen Beschwerde, der das Landgericht mit Beschluss vom 04. Mai 2005 nicht abgeholfen hat.
Da es sich bei der angefochtenen Entscheidung über die Unterbrechung des Verfahrens um eine Zwischenentscheidung handelt, ist diese nicht mit der für instanzabschließende Entscheidungen vorgesehenen sofortigen Beschwerde nach § 12 SpruchG, sondern mit der einfachen Beschwerde nach §§ 17 Abs. 1 Satz 1 SpruchG, 19 FGG anfechtbar.
Das Rechtsmittel führt auch in der Sache zum Erfolg, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin nicht zu einer Unterbrechung des Spruchverfahrens in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO führt.
Nach herrschender Auffassung findet eine Unterbrechung des Spruchverfahrens bei Insolvenz des Unternehmensträgers, gegen welchen sich der Anspruch auf Abfindung oder Ausgleich richtet, nicht statt (vgl. BayObLG DB 1978, 2163; DB 1987, 85; ZIP 98, 1876; BGH ZIP 2000, 2066; Klöcker/Frowein, SpruchG, § 11 Rn. 31; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl., Anh. Zu § 328AktG: § 11 SpruchG Rn. 17; BayObLG DZWIR 2002, 430; Keidel/Kuntze/ Winkler, FGG, 15. Aufl., vor § 8 Rn. 4 Baumbach/Hartmann, ZPO, 22. Aufl., § 240 Rn. 7; Uhlenbruck, InsO, § 85 Rn. 8 und 34; anderer Auffassung: Stürmer in Festschrift für Uhlenbruck 2000, Seite 669 ff und Malitz, EWiR 2003, 71). Der Senat folgt der herrschenden Auffassung. Zwar wird für echte Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit teilweise die entsprechende Anwendung der §§ 239, 240 ZPO in Erwägung gezogen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 12 Rn. 116 und 230). Für das Spruchverfahren kommt dies jedoch wegen dessen Besonderheiten nicht in Betracht. Die gerichtliche Entscheidung in Spruchverfahren, durch die eine höhere Abfindung oder ein höherer Ausgleich festgesetzt wird, begründet anders als ein Urteil im Zivilprozess nicht eine unmittelbare Leistungspflicht. Vielmehr führt die gerichtliche Entscheidung zu einer rückwirkenden Umgestaltung des der jeweiligen Strukturmaßnahme zugrunde liegenden Unternehmensvertrages bezüglich der Höhe des festgesetzten Ausgleich und/oder der Abfindung und hat eine inter-omnes-Wirkung nicht nur für die Verfahrensbeteiligten, sondern für alle betroffenen Anteilsinhaber (so jetzt ausdrücklich auch §§ 13 und 16 SpruchG). Diese Besonderheiten des Spruchverfahrens, das den Abfindungs- oder Ausgleichsanspruch weitergehend als der Zivilprozess der Disposition der Verfahrensbeteiligten entzieht, stehen der Anwendung des § 240 ZPO über die Unterbrechung des Verfahrens sowie der hiermit in Verbindung stehenden Vorschriften der §§ 85, 86 und 179 InsO über die Aufnahme und Fortführung des Verfahrens sowie die Anmeldung von Ansprüchen zur Insolvenztabelle entgegen.
Zwar ist nach der neuen Regelung des § 11 Abs. 2 SpruchG nunmehr auch ein Verfahrensabschluss durch eine gütliche Einigung aller Verfahrensbeteiligten, auf die das Gericht in jeder Lage des Verfahrens hinwirken soll, in entsprechender Anwendung der Vorschriften für die Niederschrift eines Vergleiches in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten möglich, die dann zur Schaffung eines Vollstreckungstitels führt (§ 11 Abs. 2 S. 3 SpruchG).
Der Senat lässt dahin stehen, ob aus dieser Regelung geschlossen werden kann, dass nunmehr für dem neuen SpruchG unterliegende Spruchverfahren eine Unterbrechung bei Insolvenz des die Abfindung oder den Ausgleich schuldenden Rechtsträgers und Antragsgegners gemäß § 5 SpruchG in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO in Betracht gezogen werden kann, obwohl das neue SpruchG hierzu eine ausdrückliche Regelung nicht enthält und die bisherige herrschende Auffassung auch für den Gesetzgeber bekannt gewesen sein dürfte. Denn das vorliegende Spruchverfahren vor dem Landgericht hat vor dem 1. September 2003 begonnen und unterliegt deshalb gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 SpruchG weiterhin dem bisherigen Verfahrensrecht, für welches an der herrschenden Auffassung über die Nichtanwendbarkeit des § 240 ZPO festzuhalten ist.
Der angefochtene Beschluss des Landgerichts, mit welchem das Verfahren unterbrochen wurde, war deshalb aufzuheben.
Am hiesigen Beschwerdeverfahren sowie dem weiteren Spruchverfahren ist wegen der Insolvenzeröffnung nicht mehr die frühere Antragsgegnerin, sondern der Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes beteiligt. Denn das Spruchverfahren betrifft mittelbar die Insolvenzmasse, aus der letztlich die Abfindung oder der Ausgleich geschuldet wird, um deren Höhe in dem Spruchverfahren gestritten wird (vgl. BayObLG DZWIR 2002, 430).
Von der vorliegenden Entscheidung unberührt bleibt, dass die Verfahrensbeteiligten in Erwägung zu ziehen haben werden, ob die Fortführung des vorliegenden Spruchverfahrens im Hinblick auf die Insolvenz der bisherigen Antragsgegnerin sinnvoll ist und gegebenenfalls durch Erledigungserklärung beendet werden sollte.
Der Senat hält es für angemessen, von der Anordnung einer Kostenerstattung für das Beschwerdeverfahren nach § 15 Abs. 4 SpruchG abzusehen.
Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 15 Abs. 1 Satz 1 SpruchG, 30 Abs. 2 KostO. Der Mindestgeschäftswert nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG ist vorliegend nicht einschlägig, da es sich um eine bloße Zwischenentscheidung handelt.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 29.12.2005
Az: 20 W 250/05
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