Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. Mai 2009
Aktenzeichen: 15 W (pat) 308/06
(BPatG: Beschluss v. 04.05.2009, Az.: 15 W (pat) 308/06)
Tenor
Das Patent 197 53 630 wird widerrufen.
Gründe
I.
Auf die am 3. Dezember 1997 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 197 53 630 mit der Bezeichnung
"Verwendung einer Zusammensetzung zum nachträglichen Abdichten von Reifen"
erteilt worden. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung in Form der DE 197 53 630 B4 ist der 1. September 2005.
Das Streitpatent umfasst siebzehn Patentansprüche, die unter Bereinigung von Druckfehlern sowie Einfügung von Kommata folgenden Wortlaut haben:
"1. Verwendung einer Zusammensetzung, die -30 bis 90 Gew.-% Kautschuklatex -1 bis 40 Gew.-% von mindestens einem Naturharzester -0,001 bis 30 Gew.-% einer Kaliumhydroxidlösung -und 0,001 bis 30 Gew.-% Zinkoxid enthält zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen.
2.
Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei dem Naturharzester um einen Kolophoniumharzester, insbesondere einen sogenannten Tallölharzester, handelt.
3.
Verwendung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Naturharzester in Form einer Dispersion, vorzugsweise in Form einer wässrigen Dispersion, zugegeben wird.
4.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Naturharzester eine Säurezahl von weniger als 10, vorzugsweise von weniger als 5, besitzt.
5.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Naturharzester, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, von 5 bis 30 Gew.-% enthalten ist.
6.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung aufkonzentrierten Kautschuklatex enthält.
7.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei dem Kautschuk um einen Naturkautschuk handelt.
8.
Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei dem Kautschuk um eine Mischung aus Naturkautschuk und Synthesekautschuk handelt.
9.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung den Kautschuklatex, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, in einer Menge von 40 bis 70 Gew.-% enthält.
10.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung mindestens ein Gefrierschutzmittel, vorzugsweise mindestens ein Glykol, enthält.
11.
Verwendung nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung das Gefrierschutzmittel, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, in einer Menge von 1 bis 50 Gew.-%, vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-%, enthält.
12.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung Zinkoxid in einer Menge von 0,1 bis 5 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, enthält.
13.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung mindestens ein Konservierungsmittel enthält, wobei das mindestens eine Konservierungsmittel vorzugsweise in Mengen von jeweils 0,01 bis 5 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, enthalten ist.
14.
Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung mindestens einen Füllstoff, vorzugsweise mindestens einen faserförmigen Füllstoff, enthält.
15.
Verwendung nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung den Füllstoff, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, in einer Menge von mindestens 0,1 Gew.-%, vorzugsweise in einer Menge von 0,1 bis 5 Gew.-%, enthält.
16.
Verwendung nach wenigstens einem der Ansprüche 1 bis 15, dadurch gekennzeichnet, dass die Zusammensetzung die Kaliumhydroxid-Lösung, bezogen auf das Gesamtgewicht der Zusammensetzung, in einer Menge von 0,01 bis 5 Gew.-%, vorzugsweise 0,01 bis 1 Gew.-%, enthält.
17. Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, gekennzeichnet durch die folgende Zusammensetzung: -40 bis 70 Gew.-%, vorzugsweise 50 bis 60 Gew.-% Naturkautschuklatex, vorzugsweise aufkonzentrierter Naturkautschuklatex, -1 bis 40 Gew.-%, vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-% Naturharzester, -1 bis 50 Gew.-%, vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-% Gefrierschutzmittel, -0,01 bis 5 Gew.-%, vorzugsweise 0,01 bis 1 Gew.-% Kaliumhydroxid-Lösung, -0,001 bis 30 Gew.-% Zinkoxid, -jeweils 0,001 bis 30 Gew.-% der weiteren Bestandteile".
Gegen das Patent haben die S... Ltd. in K..., J... (Einsprechende 1), mit Schriftsatz vom 30. November 2005, eingegangen am 30. November 2005 beim Deutschen Patentund Markenamt, und die C... Aktiengesellschaft, J... 30 in H... (Einspre chende 2), mit Schriftsatz vom 30. November 2005, eingegangen per Telefax am 30. November 2005 beim Deutschen Patentund Markenamt, Einspruch erhoben und übereinstimmend beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen sowie hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Sie stützen ihr Vorbringen u. a. auf folgende Entgegenhaltungen:
E1 US 4 501 825 A E2 DE 30 34 908 A1 E3 DE 195 45 935 A1 E4 A.D. Roberts, "Natural Rubber Science and Technology", Oxford University Press, Oxford New York Kuala Lumpur, 1988, Seiten 63 bis 65 E5 Internetauszug der Homepage US Food and Drug Administration, title 21, chapter I, subchapter B, part 172 E6 N.M. Claramma, L. Varghese, N.M. Mathew, "Influence of Storage on Properties of Natural Rubber Latex Concentrate and Vulcanizates", Indian Journal of Natrual Rubber Research, 8 (1), 1995, 1-7.
D3 Philip G. Cook, "LATEX, Natural and Synthetic", Reinhold Publishing Corporation, New York, 1956, Seiten 20, 50-51, 82-83 D4 D.C. Blackley, "High Polymer Latices", Maclaren & Sons Ltd., London, 1966, Vol. 1, Seiten 191, 194 D5 J. Schnetger, "Lexikon der Kautschuk-Technik", Hüthig Buch Verlag Heidelberg, 2. Auflage, 1991, Seite 334 D6 Analyse des Reifendichtmittels TIREFIT, vertrieben von der Firma Mercedes Benz in Fachbetrieben, durch das Labor der Firma Akzo Nobel Research and Technology Chemicals, 7400 AA Deventer, NL, vom 19. Juli 2005.
Begründet werden die Einsprüche damit, dass der Streitgegenstand gemäß Patentanspruch 1 zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (vgl. Schriftsatz der Einsprechenden 1 vom 30. November 2005; Schriftsatz der Einsprechenden 2 vom 30. November 2005, Seite 3, Absatz 3 bis Seite 5, Absatz 2). Die Einsprechende 2 macht darüber hinaus noch mangelnde Neuheit gegenüber den Druckschriften E1 und E3 geltend. Weiter sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch durch das offenkundig vorbenutzte Dichtmittel TIREFIT für den Fachmann nahegelegt (vgl. Schriftsatz der Einsprechenden 2 vom 30. November 2005, Seite 5, Absatz 3 bis Seite 6, letzter Absatz). Ferner ist sie der Meinung, dass die Erfindung des Streitpatents nicht so klar und vollständig offenbart sei, damit ein Fachmann sie ausführen könne. Denn mit den im Patentanspruch 1 angegebenen vier Komponenten sei keine Zusammensetzung realisierbar, die bei starkem Frost und niedrigen Temperaturen eingesetzt werden könne, da es sich bei der erfindungsgemäßen Zusammensetzung um eine Dispersion auf der Basis von Wasser handele, die ohne Zusatz von Gefrierschutzmittel bei Temperaturen von 0¡ C und darunter gefriere und damit fest werde. Die Zusammensetzung könne bei tiefen Temperaturen daher ohne zusätzliche Maßnahmen nicht in den abzudichtenden Reifen eingebracht werden, und auch im Reifen könne ohne Zusatz eines Gefrierschutzmittels bei tiefen Temperaturen keine Abdichtwirkung erzielt werden. Des Weiteren seien im Streitpatent die Angaben zur Kaliumhydroxidlösung für jeden Fachmann völlig unzureichend für die Erstellung einer Zusammensetzung, die zum Abdichten von Reifen verwendet werden solle. Zwar solle gemäß Patentanspruch 1 der Zusammensetzung 0,001 bis 30 Gew.-% einer KOH-Lösung zugegeben werden, jedoch sei an keiner einzigen Stelle der Streitpatentschrift erwähnt, welche Konzentration die Lösung haben solle oder könne. Wie aber hinlänglich bekannt sei, seien die Eigenschaften unterschiedlich konzentrierter KOH-Lösungen und damit deren Wirkungen sehr unterschiedlich. Aus von der Einsprechenden durchgeführten Versuchen zur Erstellung einer streitpatentgemäßen Zusammensetzung habe sich ergeben, dass sowohl im Hinblick auf die KOH Konzentrationsbemessung, als auch auf die ZnO-Bemessung die im Patentanspruch 1 genannte Zusammensetzung keinesfalls im gesamten beanspruchten Bereich verwirklicht werden könne. Zudem sei der Patentanspruch 1 nicht klar hinsichtlich der Zusammensetzung der zu verwendenden Kautschuklatices, da für die Latices nicht wie sonst üblich ein Feststoffgehalt angegeben werde. Gleiches gelte für den Naturharzester, der in Form einer Dispersion eingesetzt werde. Auch hier fehle der Feststoffgehalt der einzusetzenden Dispersion (vgl. Schriftsatz der Einsprechenden 2 vom 30. November 2005, Seite 8, vorletzter Absatz bis Seite 11, letzter Absatz).
Der Patentinhaber hat dem Einspruchsvorbringen mit Schriftsatz vom 30. März 2009 in allen Punkten widersprochen und im Wesentlichen die Ansicht vertreten, dass der beanspruchte Patentgegenstand durch den entgegengehaltenen Stand der Technik weder vorbeschrieben sei, noch nahegelegt werde. Im Übrigen hat er die offenkundige Vorbenutzung bestritten und weiter ausgeführt, dass die Erfindung im Streitpatent ausreichend vollständig und klar offenbart sei, so dass ein Fachmann sie ausführen und nacharbeiten könne.
In der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2009 verteidigt der Patentinhaber das Streitpatent im Umfang der erteilten Patentansprüche 1 bis 17 (Hauptantrag), hilfsweise im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 4 gemäß 4. Antragssatz, überreicht in der mündlichen Verhandlung.
Hilfsantrag 1 umfasst 16 Patentansprüche, dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet (Änderungen sind kursiv dargestellt):
"1. Verwendung einer Zusammensetzung, die -30 -90 Gew.-% Kautschuklatex mit geringem Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %,
-1 -40 Gew.-% von mindestens einem Naturharzester, -1 -50 Gew.-% von mindestens einem Gefrierschutzmittel, vorzugsweise mindestens einem Glykol,
-eine Konzentration einer Kaliumhydroxid-Lösung, bei der 2 gr. ausreichen, um ein Monoethylenglykol in einer Menge von 160 gr. bzw. 300 gr. auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellenund -0,001 bis 5 Gew.-% Zinkoxid enthält zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen."
Es folgen die erteilten Ansprüche 2 bis 9 und 11 bis 17.
Hilfsantrag 2 umfasst 16 Patentansprüche, dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Verwendung einer Zusammensetzung, die -30 -90 Gew.-% auf über 60 %, bevorzugt 73 %, Feststoffgehalt aufkonzentrierter Naturkautschuk oder eine Mischung aus Naturund Synthesekautschuk mit geringem Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %,
-1 -40 Gew.-% von mindestens einem Naturharzester, -1 -50 Gew.-% von mindestens einem Gefrierschutzmittel, vorzugsweise einem Glykol,
- eine Konzentration einer Kaliumhydroxid-Lösung, bei der 2 gr.
ausreichen, um ein Monoethylenglykol in einer Menge von 160 gr. bzw. 300 gr. auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellenund - 0,001 bis 5 Gew.-% Zinkoxid enthältzum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen."
Es folgen die erteilten Ansprüche 2 bis 9 und 11 bis 17.
Hilfsantrag 3 umfasst 14 Patentansprüche, dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Verwendung einer Zusammensetzung, die -40 bis 70 Gew.-%, vorzugsweise 50 bis 60 Gew.-% Naturkautschuklatex, vorzugsweise aufkonzentrierter Naturkautschuklatex mit wenig Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %,
-1 bis 40 Gew.-%, vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-% Naturharzester, -1 bis 50 Gew.-%, vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-% Gefrierschutzmittel,
-eine Konzentration einer Kaliumhydroxid-Lösung, bei der 2 gr. ausreichen, um ein Monoethylenglykol in einer Menge von 160 gr. bzw. 300 gr. auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellen,
-0,001 bis 30 Gew.-% Zinkoxid,
-jeweils 0,001 bis 30 Gew.-% der weiteren Bestandteile enthält, zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen."
Es folgen die erteilten Ansprüche 2 bis 9 und 12 bis 16.
Hilfsantrag 4 umfasst 16 Patentansprüche, dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Verwendung einer Zusammensetzung, die -30 -90 Gew.-% Kautschuklatex mit geringem Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %,
-1 -40 Gew.-% von mindestens einem Naturharzester, -1 -50 Gew.-% von mindestens einem Gefrierschutzmittel, vorzugsweise mindestens einem Glykol,
-eine Konzentration einer Kaliumhydroxid-Lösung, bei der 2 gr. ausreichen, um ein Monoethylenglykol in einer Menge von 160 gr. bzw. 300 gr. auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellenund -0,001 bis 5 Gew.-% Zinkoxid enthält zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen."
Es folgen die erteilten Ansprüche 2 bis 9, 10 bis 17.
Der Vertreter des Patentinhabers stellt den Antrag, das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 4 gemäß 4. Antragssatz, überreicht in der mündlichen Verhandlung.
Der Vertreter der Einsprechenden 1 stellt den Antrag, das Patent vollumfänglich zu widerrufen.
Der Vertreter der Einsprechenden 2 stellt den Antrag, das Patent vollumfänglich zu widerrufen.
Wegen der vollständigen Anspruchssätze gemäß der Hilfsanträge 1 bis 4 sowie weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind (BGH GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfahren I und BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II sowie BGH GRUR 2009, 184 - Ventilsteuerung).
Die fristund formgerecht eingelegten Einsprüche sind zulässig, weil in den Einspruchsschriftsätzen die Tatsachen, die die Einsprüche rechtfertigen, im Einzelnen so angegeben sind, dass die Merkmale des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung im konkreten Bezug zum genannten Stand der Technik gebracht wurden. Der Patentinhaber und der Senat haben daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).
Die Einsprüche haben auch Erfolg. Das Patent war zu widerrufen, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist und die jeweiligen Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 unzulässig erweitert sind.
III.
1.
Nach den Angaben in der Streitpatentschrift Absatz [0001] betrifft das Streitpatent die Verwendung einer Zusammensetzung zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen. Im Absatz [0002] ist ausgeführt, dass Abdichtmittel für Reifenpannen bereits auf dem Markt seien. Nach den Ausführungen im Absatz [0003] wiesen die bisher bekannten Abdichtmittel oder Abdichtmassen den Nachteil auf, dass das bei einer Panne im Reifen entstandene Loch entweder nicht schnell genug oder nicht vollständig verschlossen werde. Außerdem seien bisher bekannte Abdichtmittel nicht für einen Einsatz bei tiefen Temperaturen, beispielsweise unter - 15¡ C oder unter - 20¡ C geeignet. Um diesen Nachteil auszugleichen, schlage die DE 19545935 A1 (E3), die ein Abdichtmittel auf Basis von Kautschuklatex offenbare, das zusätzlich eine Terpen-Phenol-Harz-Dispersion enthalte (Absatz [0002]), beispielsweise vor, eine zusätzliche Wärmequelle bei einem derartigen Pannenset vorzusehen (Absatz [0003]). Zum weiteren druckschriftlichen Stand der Technik verweist das Streitpatent hierzu in Absatz [0004] auf die DE 27 49 192 A1, die eine wässrige Zusammensetzung auf Basis eines Polymerlatex offenbare, wobei die Zusammensetzung ein Harz enthalte. Die US 5 500 456 beschreibe eine Zusammensetzung, die aus einer Latexemulsion und einem Harz gebildet sei (Absatz [0005]).
2.
Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift in Absatz [0006] als zu lösendes technisches Problem, die beim Stand der Technik vorhandenen Nachteile zu vermeiden. Es soll eine Zusammensetzung verwendet werden, die im Pannenfall vorhandene Löcher zuverlässig und schnell verschließt, die auch bei starkem Frost und entsprechend niedrigen Temperaturen bestimmungsgemäß zum nachträglichen Abdichten einsetzbar ist.
3.
Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt der erteilte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, nach Merkmalen gegliedert, die M1 Verwendung einer Zusammensetzung, die M2 30 bis 90 Gew.-% Kautschuklatex M3 1 bis 40 Gew.-% von mindestens einem Naturharzester M4 0,001 bis 30 Gew.-% einer Kaliumhydroxidlösung M5 und 0,001 bis 30 Gew.-% Zinkoxid enthält M6 zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag dadurch, dass der Kautschuklatex (Merkmal M2) durch den Ammoniakgehalt (Merkmal M2a) ergänzt wurde, die Mengenbemessung der Kaliumhydroxidlösung (Merkmal M4) durch ein neues Merkmal M7 ersetzt wurde, der Zinkoxid-Gehalt (Merkmal M5) auf einen engeren Bereich (Merkmal M5a) eingeschränkt wurde und als weitere Komponente der Zusammensetzung noch das Gefrierschutzmittel (Merkmale M8 und M8a) aufgenommen wurde. Neben den Merkmalen M1, M2, M3 und M6 enthält der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 also noch die Merkmale M2a mit geringem Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %, M5a 0,001 bis 5 Gew.-% Zinkoxid, M7 eine Konzentration einer Kaliumhydroxid-Lösung, bei der 2 gr. ausreichen, um ein Monoethylenglykol in einer Menge von 160 gr. bzw.
300 gr. auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellen, M8 1 -50 Gew.-% von mindestens einem Gefrierschutzmittel, M8a vorzugsweise mindestens einem Glykol.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 vor allem dadurch, dass der Kautschuklatex (Merkmal M2) durch Merkmal M2b näher gekennzeichnet wurde. Neben den Merkmalen M1, M2a, M3, M5a, M6, M7, M8 und M8a des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 weist dieser Hauptanspruch also noch das Merkmal M2b auf:
M2b 30 -90 Gew.-% auf über 60 %, bevorzugt 73 %, Feststoffgehalt aufkonzentrierter Naturkautschuk oder eine Mischung aus Naturund Synthesekautschuk.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 dadurch, dass der Kautschuklatex (Merkmal M2) durch Merkmal M2c näher gekennzeichnet wurde und die Merkmale M3 und M8 durch bevorzugte Bereichsangaben (Merkmale M3a und M8b) ergänzt wurden. Des Weiteren wurde in den Patentanspruch das Merkmal M9 aufgenommen. Insoweit umfasst der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 neben den Merkmalen M1, M3, M5, M6, M7 und M8 noch die folgenden Merkmale:
M2c 40 bis 70 Gew.-%, vorzugsweise 50 bis 60 Gew.-% Naturkautschuklatex, vorzugsweise aufkonzentrierter Naturkautschuklatex, M2a' mit wenig Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %, M3a vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-% Naturharzester, M8a vorzugsweise 5 bis 30 Gew.-% Gefrierschutzmittel, M9 jeweils 0,001 bis 30 Gew.-% der weiteren Bestandteile enthält.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 unterscheidet sich nicht vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1, denn er enthält dieselben Merkmale M1, M2, M2a, M3, M5a, M6, M7, M8 und M8a.
4. Als Fachmann auf dem vorliegenden technischen Gebiet ist ein berufserfahrener Diplom-Chemiker der Fachrichtung Kautschuk-Technologie anzusehen, der aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung über Kenntnisse sowohl von Kautschuk-Werkstoffen als auch von Dispersionsklebstoffen im Allgemeinen verfügt und zugleich mit den Problemen und Anforderungen von Abdichtmitteln auf Kautschukbasis vertraut ist. Demzufolge besitzt der hier angesprochene Fachmann auch spezielle Kenntnisse über die Entwicklung, Herstellung und Anwendung von Kautschuklatices.
IV.
Zum Hauptantrag:
Der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 in der gemäß Hauptantrag verteidigten Fassung des Streitpatents erweist sich als nicht patentfähig. Denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht ausgehend von der Lehre der vorveröffentlichten Druckschrift US 4 501 825 (E1) i. V. m. dem Fachwissen, beispielsweise belegt durch die E6 und D3, jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Gegen die Zulässigkeit des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung bestehen keine Bedenken, denn er findet seine Offenbarung in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen, hier in den Ansprüchen 1, 5, 10, 28 und 29 i. V. m. Seite 6, letzter Absatz sowie Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, Absatz 2.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 lassen sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 8 herleiten, der erteilte Anspruch 9 ist in der Anmeldebeschreibung im übergreifenden Absatz der Seitenwende 4/5 offenbart, die Ansprüche 10 bis 15 gehen auf die ursprünglichen Ansprüche 11, 12 und 14 bis 17 zurück, der erteilte Anspruch 16 findet seine Grundlage in den ursprünglichen Ansprüchen 18 und 19, der erteilte Anspruch 17 lässt sich aus den Ansprüchen 23 und 27 i. V. m. Seite 6, Absatz 3, der Anmeldeunterlagen herleiten.
2. Das Streitpatent hat nach dem verteidigten Patentanspruch 1 nach Hauptantrag die Verwendung einer Zusammensetzung (M1) zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen (M6) zum Gegenstand. Wie die Streitpatentschrift insoweit geltend macht, stellt den maßgeblichen Ausgangspunkt der Erfindung die lange dauernde und nicht vollständige Abdichtwirkung bekannter Abdichtmittel oder Abdichtmassen dar, die außerdem auch nicht für den Einsatz bei tiefen Temperaturen geeignet sind (Absatz [0003]). Demgegenüber soll mit der Erfindung nun eine Zusammensetzung bereitgestellt werden, die im Pannenfall vorhandene Löcher zuverlässig und schnell verschließt und auch bei starkem Frost und entsprechend niedrigen Temperaturen einsetzbar ist (Absatz [0006]). Die Nachteile des Standes der Technik werden nach der Erfindung des Streitpatents somit dadurch vermieden, dass eine Zusammensetzung verwendet wird, die mindestens vier Bestandteile enthält, nämlich M2 30 bis 90 Gew.-% Kautschuklatex M3 1 bis 40 Gew.-% von mindestens einem Naturharzester M4 0,001 bis 30 Gew.-% einer Kaliumhydroxidlösung M5 und 0,001 bis 30 Gew.-% Zinkoxid.
Zum Verständnis des Gegenstandes des Streitpatents und der Entgegenhaltungen durch den maßgeblichen Fachmann im Anmeldezeitpunkt des Streitpatents bedarf es zunächst eines Eingehens auf die Bedeutung der Begriffe "Kautschuklatex, Naturharzester, Kaliumhydroxid und Zinkoxid" in der Kautschuk verarbeitenden Industrie. Diese Begriffe sind auf diesem technischen Gebiet Teil des allgemeinen Fachwissens, wie nachfolgend dargelegt.
a) Naturkautschuk (NR) wird aus dem Saft (Latex) gewonnen, der beim Anritzen der Stämme von Hevea brasiliensis ausfließt. Dieser Feldlatex hat einen Kautschukgehalt zwischen 25 und 40 Gew.-% und wird wegen seines hohen Wassergehalts und seiner Empfindlichkeit für bakteriellen Angriff nicht in seiner Ursprungsform verwendet, sondern er wird aufkonzentriert und konserviert, so dass das Endprodukt stabil ist und mindestens 60 Gew.-% Kautschuk enthält (vgl. E4, übergreifender Absatz der Seitenwende 63/64). Die Aufkonzentrierung erfolgt dabei durch Zentrifugieren oder durch Verdampfung, wobei ein aufkonzentrierter Latex nach seinem Schutzsystem zur Stabilisierung unterschieden wird.
b) KOH ist neben Ammoniak das wichtigste Stabilisierungsmittel für aufkonzentrierten Latex, weil KOH in Gegenwart von ZnO unproblematisch ist (vgl. D4, Seite 191, Abschnitt 2.5.4 "Potassium hydroxide"; vgl. E4, Absatz 3 auf Seite 64). Zur Stabilisierung kommt weiter auch ZnO zum Einsatz, wie beispielsweise aus Tabelle 3.2 auf Seite 64 der E4 ersichtlich ist. Danach wird Ammoniak mit 0,7 Gew.-% bzw. 0,2 Gew.-% oder ZnO mit 0,2 Gew.-% dem durch Zentrifugieren aufkonzentriereten Latex zugesetzt. Handelsüblicher, durch Verdampfung aufkonzentrierter Latex weist beispielsweise einen Feststoffgehalt von 72 - 75 % auf und ist mit KOH stabilisiert (Handelsname Standard Revertex), oder hat einen Feststoffgehalt von 62 % und ist mit Ammoniak stabilisiert (Handelsname T-Revertex) (vgl. D4, Seite 194).
Dass die Stabilisierung von Kautschuklatices mit KOH und ZnO Teil des allgemeinen Fachwissens ist, zeigt im Übrigen auch das Dokument D3. So heißt es dort auf Seite 20, kleingedruckter, mittlerer Absatz: "... zinc oxide is a standard ingredient used in all latex compounds, and the whole process of the manufacture of latex goods depends upon the production of a stable fluid suspension of latex and compounding ingredients". Weiter wird auf Seite 21 die Konservierung mit Ammoniak beschrieben, wobei unter "Disadvantages" folgende Nachteile aufgezählt sind: "(1) Odor. (2) Sensitivity to zinc oxide. (3) Changes occuring with time due to slow reaction with some of the nonrubber constituents". Der Fachmann weiß also, dass Ammoniak mit Zinkoxid reagiert. Wie insbesondere aus Seite 50, Zeile 5 von unten bis Seite 51, Zeile 2, hervorgeht, reagiert Ammoniak mit Zinkoxid nämlich unter Erhöhung der Zn2+-Ionen in der Lösung: "... ammonia reacts with zinc oxide increasing the quantity of Zn++ ions in solution. Where fixed alkalies at high pH levels form innocuous zincates, with only ammonia present, a zinc ammonia complex forms which breaks down very easily when heat is applied or the pH drops". Zur Stabilisierung eines Kautschuklatex in einer Mischung ("in compounding") werden zudem häufig zusätzliche Stabilisatoren zugegeben, um den Latex zu schützen ("... extra stabilizers are frequently added to protect the latex from the "shock" of subsequent addition"). Zu diesen Stabilisatoren gehören auch KOH ("caustic potash") and NaOH ("caustic soda"), die bei hohen pH-Werten mit dem ZnO - im Gegensatz zu Ammoniak - unschädliche ("innocuous") Zinkate bilden (D3, Seite 50, Abschnitt "Materials Affecting Stability - Stabilizers").
Wie gezeigt, ist dem Fachmann daher bekannt, dass ZnO ein Standardbestandteil in allen Kautschukzusammensetzungen ist und KOH eine gebräuchliche, in Gegenwart von ZnO unproblematische Alternative zur Stabilisierung von Kautschuklatices darstellt.
c) Naturharze werden in der Kautschukindustrie als sog. "Klebrigmacher oder Tackifier" eingesetzt. Sie dienen als Mischungszuschläge dazu, die Konfektionsklebrigkeit zu erhöhen. Hierzu zählen u. a. Naturprodukte wie z. B. Kolophoniumharze (vgl. D5, "Lexikon der Kautschuk-Technologie" oder D3, Seiten 82/83, Abschnitt "Tackifiers").
Damit sind aber beispielsweise in der D3 bereits alle vier Bestandteile des erfindungsgemäßen Abdichtmittels M2 bis M5 im Zusammenhang erwähnt, so dass diese Druckschrift D3 klar verdeutlicht, dass es sich bei dem Abdichtmittel mit den Komponenten M2 bis M5 für den maßgeblichen Fachmann nur um übliche Bestandteile einer Kautschuklatexmischung handelt.
3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist ausreichend offenbart. Das Streitpatent beschreibt die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 Satz 1 Nr. 2 PatG).
Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist die Verwendung einer Zusammensetzung (M1) zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen (M6). Die Zusammensetzung enthält mindestens die vier Bestandteile M2 bis M5. Dass die Zusammensetzung aber nicht ausschließlich die vier Komponenten M2 bis M5 aufweisen muss, sondern auch noch weitere Komponenten, wie z. B. Gefrierschutzmittel, beigemischt sein können, ergibt sich aus dem Begriff "enthält".
Der Fachmann wird also das beanspruchte Abdichtmittel dahingehend verstehen, dass in dem Abdichtmittel - insbesondere im Zusammenhang mit der streitpatentgemäßen Teilaufgabe, nämlich das Abdichtmittel für Frost und tiefe Temperaturen einsetzbar zu machen - zumindest noch ein Gefrierschutzmittel vorhanden sein wird. Das Verständnis der Einsprechenden 2, dass die Zusammensetzung nur mit den vier Komponenten M2 bis M5 bereits bei starkem Frost und entsprechend niedrigen Temperaturen bestimmungsgemäß einsetzbar sein muss, lässt sich aus der Streitpatentschrift jedenfalls nicht ableiten. Vielmehr zeigen die Beispiele und insbesondere die Ausführungen in den Absätzen [0017] bis [0019] der Streitpatentschrift, dass in der Zusammensetzung ein Gefrierschutzmittel dann anwesend sein muss, wenn das Abdichtmittel sich bei niedrigeren Temperaturen einsetzen lassen soll, als dies bei bisher bekannten Abdichtmitteln der Fall ist (Streitpatent [0019]). Hierzu wird im Streitpatent vorgeschlagen, aufkonzentrierten Kautschuklatex einzusetzen, weil dann unter Beibehaltung der erwünschten Konsistenz der verwendeten Zusammensetzung eine größere Menge an (flüssigem) Gefrierschutzmittel in die Zusammensetzung eingebracht werden kann. Insbesondere mit aufkonzentriertem Kautschuklatex und Gefrierschutzmittel sind Zusammensetzungen erhältlich, die unter - 20¡ C, insbesondere unter - 30¡ C und sogar bis zu - 50¡ C, bestimmungsgemäß verwendbar sind (Streitpatent [0019]).
Im Zusammenhang mit KOH-Lösungen heißt es im Absatz [0024] nur, dass damit der Anteil an flüssigen Bestandteilen weiter verringert werden kann, so dass dieser Anteil ggf. durch den Zusatz von Gefrierschutzmittel ersetzt werden kann und auf diese Weise die Verarbeitbarkeit der Zusammensetzung hin zu niedrigeren Temperaturen verschoben werden kann. Des Weiteren ist in den Ausführungsbeispielen beschrieben, dass der pH-Wert von 160 Gramm bzw. 300 Gramm Monoethylengylkol mit 2 Gramm einer Kaliumhydroxid-Lösung auf ca. 10,5 eingestellt werden soll (Ausführungsbeispiele 1 und 2 i. V. m. Absatz [0038]).
Insofern bestehen nach Ansicht des Senats keine Zweifel, dass der angesprochene Fachmann - wie vorstehend definiert - aufgrund seines allgemeinen Wissens über Kautschuklatices, damit kompatiblen Klebstoffharzen und geeigneten Stabilisationsmitteln sowie unter Berücksichtigung der Ausführungsbeispiele des Streitpatents - auch wenn dort für die KOH-Lösung nur der Gewichtsanteil, aber keine Konzentration der Lösung angegeben ist - ohne Weiteres in der Lage ist, die Lehre des Streitpatents nachzuarbeiten oder ggf. andere Ausführungsformen zu realisieren, die die gestellte Aufgabe in befriedigender Weise lösen. Dies genügt unter Ausführbarkeitsgesichtspunkten, denn die BGH-Entscheidung "Taxol" fordert lediglich, dass ein gangbarer Weg zur Ausführung der Erfindung zu offenbaren ist (BGH GRUR 2001, 813 - Taxol). Voraussetzung für die Ausführbarkeit ist dabei nicht, dass die Patentschrift dem Fachmann so genaue Angaben macht, dass er sofort und ohne jeglichen Fehlschlag zu einer Abdichtzusammensetzung mit den erstrebten Eigenschaften gelangen kann.
Letztlich kann aber eine Entscheidung darüber, ob der geltend gemachte Widerrufsgrund der unzureichenden Offenbarung gemäß § 21 (1) Nr. 2 PatG vorliegt, dahingestellt bleiben.
Ebenso kann eine Entscheidung über die von der Einsprechenden II in Abrede gestellte Neuheit gegenüber den Dokumenten US 4 501 825 (E1) und DE 19545935 A1 (E3) dahingestellt bleiben, weil die Verwendung eines Abdichtmittels (M1) mit den Merkmalen M2 bis M5 zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen (M6) jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
4. Der Senat ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der hier zuständige Fachmann im Anmeldezeitpunkt des Streitpatents in der Lage war, aufgrund seines Fachwissens und in Kenntnis des genannten Standes der Technik, insbesondere E1 i. V .m. D3 oder E6, die gemäß Hauptantrag verteidigte streitpatentgemäße Verwendung (M1, M6) eines Abdichtmittels mit den Merkmalen M2 bis M5 in naheliegender Weise aufzufinden.
a) Als nächstkommende Druckschrift ist die US 4 501 825 (E1) anzusehen, die ein Mittel zum nachträglichen Abdichten von aufblasbaren oder aufpumpbaren Reifen (M6) beschreibt (E1, Spalte 1, Zeilen 5 bis 22), wobei das Mittel über das Ventil in den Reifen einführbar ist (E1, Spalte 3, Zeilen 17 bis 19 und Spalte 4, Zeile 64 bis Spalte 5, Zeile 13). Dieses Mittel enthält neben anderen Bestandteilen einen Kautschuklatex (M2) und ein Klebstoffharz (M3)(E1, Anspruch 1 i. V. m. Spalte 3, Zeilen 27 bis 51; Spalte 1, Zeilen 46 bis 55; Spalte 2, Zeilen 55 bis 67). Als Material für den Kautschuklatex (M2) schlägt die E1 vor, Polymere und/oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien einzusetzen (E1, Spalte 3, Zeilen 41 bis 48). Nachdem Naturkautschuk ein Polyisopren ist, versteht der Fachmann unter der allgemeinen Stoffangabe Polyisopren selbstverständlich auch Naturkautschuk. Damit werden in E1 als Kautschukmaterial Stoffe verwendet, die ebenfalls im Streitpatent im Absatz [0014] angesprochen sind.
Weiter empfiehlt die E1 als Material für das Klebstoffharz einen Naturharzester (M3)(E1, Spalte 3, Zeilen 31 bis 40: "Examples of suitable resins ... include derivatives of hydrogenated vegetable resins. The preferred resin is ... a dispersion of glycerol esters of hydrogenated wood rosins. However, any similar natural or synthetic resin or rosin may be used which is compatible with the formulation and performs the required function of the resin"), wobei es sich bei dem genannten "rosin" um einen Kolophoniumharzester handelt. Kolophoniumharzester sind aber auch streitpatentgemäß bevorzugt, wie sich aus Absatz [0009] ergibt.
Nach Anspruch 1 der E1 sind das Harz und der Kautschuklatex jeweils zu 20 bis 40 Gew.-% in dem Abdichtmittel enthalten, so dass sich auch im Hinblick auf die Bemessung der Komponenten M2 und M3 Überschneidungen mit dem Streitpatent ergeben, nämlich für den Kautschuklatex im Bereich von 30 bis 40 Gew.-% und für das Harz im Bereich von 20 bis 40 Gew.-%.
In der E1 sind auch noch Zusatzmittel wie u. a. Alkylenglykol als Gefrierschutzmittel und Fasern als Füllstoff genannt (E1, Anspruch 1 i. V. m. Spalte 3, Zeile 52 bis Spalte 4, Zeile 8), die ebenfalls beim Streitpatent zum Einsatz kommen, allerdings sind die Zusatzmittel KOH-Lösung (M4) und ZnO (M5) in der E1 nicht expressis verbis angesprochen.
b) Darin besteht jedoch keine Grundlage für die Patentfähigkeit der beanspruchten Verwendung des Abdichtmittels. Denn wie vorstehend unter IV.2 dargelegt, weiß der Fachmann, dass im Rahmen der Herstellung eines stabilen, lagerfähigen Kautschukabdichtmittels es unumgänglich ist, dass der Kautschuklatex in der Zusammensetzung stabilisiert werden muss. Ihm ist auch bekannt, dass den Kautschukabmischungen zusätzliche Stabilisatoren zugegeben werden, um den Latex zu schützen ("... extra stabilizers are frequently added to protect the latex from the "shock" of subsequent addition"). Da Zinkoxid ein Standardbestandteil in allen Latexmischungen ist, wird der Fachmann als Stabilisator bzw. zur pH-Regulierung keinen Ammoniak, der mit ZnO unter Erhöhung der Zn2+-Ionen in der Lösung reagiert, sondern das neben Ammoniak wichtigste Stabilisierungsmittel KOH einsetzen, das bei hohen pH-Werten mit dem ZnO - im Gegensatz zu Ammoniak - unschädliche Zinkate bildet (vgl. D3, Seiten 20/21 und 50/51).
Eine entsprechende Bewertung des Problems der Stabilisierung bzw. Lagerstabilität von Naturkautschuklatices (NR-Latex) ergibt sich aus der Literaturstelle E6. Für eine vergleichende Untersuchungsreihe wurde herkömmlich konservierter NR-Latex eingesetzt und der Einfluss der Lagerung auf die Eigenschaften von NR-Latices untersucht. Wie aus dem Abschnitt "Materials and Methods" auf Seite 2 hervorgeht, wurden für die Versuche bereits u. a. mit Ammoniak und ZnO konservierte Feldlatices durch Zentrifugieren auf 60 % Feststoffgehalt aufkonzentriert und durch Zugabe von Ammoniak in unterschiedlicher Menge weiterbehandelt, so dass die Ausgangslatices HA (0,7 % Ammoniak) und LATZ (0,25 % Ammoniak und 0,05 % Ammoniumlaurat)
erhalten wurden. Aus diesen wurden gemäß der in der Tabelle 1 angegebenen Formulierung die zur Untersuchung bestimmten Latices hergestellt, d. h. die Latices mit unterschiedlichem Ammoniakgehalt wurden gleichzeitig mit einer 10 %igen KOH-Lösung (M4) und einer 50 %igen ZnO-Dispersion (M5) weiter stabilisiert. Claramma und Mitarbeiter kommen dabei zu der Feststellung, dass die in E6 als "zinc oxide viscosity (ZOV)" bezeichnete Viskosität von LATZ-Latex nur sehr langsam im Vergleich zu HA-Latex anstieg. Dagegen zeigte der HA-Latex einen sehr schnellen Anstieg der "ZnO-Viskosität" und nach einem Jahr koagulierte der Latex. Die geringere Stabilität des HA-Latex gegenüber ZnO wurde auf den höheren Ammoniak-Gehalt in dem Latex zurückgeführt: "The lower stability of HA latex to zinc oxide is due to the higher ammonia content and the ammonium ions of the latex, which cause more zinc oxide to dissolve in the serum ..." (vgl. E6, Tabelle 4 auf Seite 3 i. V. m. dem überbrückenden Absatz der linken Spalte zur rechten Spalte).
Insofern zeigt der Stand der Technik, dass es sich bei KOH und ZnO um übliche Zusätze zur Stabilisierung von aufkonzentrierten Naturkautschuklatices handelt, die dem Fachmann bestens bekannt sind.
Vor diesem technischen Hintergrund wird der Fachmann beispielsweise dem Vorbild der D3 oder der E6 folgen und einer Kautschuklatex enthaltenden chemischen Zusammensetzung die bewährten Zusätze KOH und ZnO zur Stabilisierung zumischen, wenn diese Zusätze nicht ohnehin schon in Handelsprodukten enthalten sind.
Ausgehend von der E1 vermittelt die Zusammenschau mit Dokument D3 oder E6 dem Fachmann daher in naheliegender Weise die Merkmale M1 bis M6 des angegriffenen Patentanspruchs 1 und somit insgesamt die Lehre, dass Kautschuklatex mit einem Naturharzester als Tackifier und unter Zugabe von Kaliumhydroxid-Lösung und Zinkoxid zur Stabilisierung der Latexmischung ein parates Abdichtmittel zur Verwendung bei Reifenpannen ist.
c) Im Übrigen hat die Einsprechende II darauf hingewiesen, dass im Beispiel 2 des Streitpatents ein aufkonzentrierter Naturkautschuklatex mit einem Feststoffgehalt von ca. 73 % der Firma R... verwendet worden ist. Dieser ist gemäß D4, Seite 194, Absatz 4, schon herstellungsbedingt mit Kaliumhydroxid stabilisiert, so dass es für einen Fachmann nahe liegend, wenn nicht sogar selbstverständlich ist, zur weiteren Stabilisierung während der Abmischung mit weiteren Komponenten der Zusammensetzung wie einem Klebstoffharz kein stofflich unterschiedliches Stabilisierungsmittel, sondern das bereits im Latex vorhandene KOH weiter zuzugeben, insbesondere weil KOH bekanntlich keine unerwünschten Reaktionen mit ZnO zeigt.
Der angegriffene Patentanspruch 1 hat daher mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.
V.
Zu den Hilfsanträgen 1 bis 4:
Der Gegenstand des Streitpatents in den gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidigten Fassungen beruht nicht auf zulässigen Änderungen des jeweiligen Patentanspruchs 1. Denn die vorgenommenen Änderungen gehen sowohl über die ursprüngliche Offenbarung, als auch über den Schutzbereich des Streitpatents in der erteilten Fassung hinaus. Davon unabhängig beruht auch der Gegenstand des Streitpatents in diesen geänderten Fassungen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Die Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 enthalten jeweils das Merkmal M2a bzw. M2a':
mit geringem bzw. wenig Ammoniakgehalt von ca. 0,2 %.
Die Obergrenze des NH3-Gehalts von ca. 0,2 % in einem beliebigen Kautschuk oder Kautschuklatex (Hilfsanträge 1 und 4) oder Naturkautschuklatex (Hilfsanträge 2 und 3) ist weder in der Streitpatentschrift, noch in den Ursprungsunterlagen offenbart, weshalb die zusätzliche Aufnahme des Merkmals M2a bzw. M2a' in den jeweiligen Patentansprüchen 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 eine unzulässige Änderung des Patentgegenstandes darstellt.
a) Zur Offenbarung dieses Merkmals verweist der Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung auf die Streitpatentschrift Absatz [0015], wonach es sich bei dem Kautschuk bzw. Kautschuklatex insbesondere um ein Produkt mit vergleichsweise niedrigem Ammoniakgehalt handeln kann, sowie auf das Ausführungsbeispiel 1 auf Seite 6 der Streitpatentschrift. Dort werde ein Naturkautschuklatex mit einem Feststoffgehalt von ca. 60 % und geringem Ammoniakgehalt des Herstellers N... GmbH & Co. in H..., verwendet. Unter Vorlage ei nes Sicherheitsdatenblattes von W..., überreicht in der mündli chen Verhandlung, macht er geltend, dass es sich bei dem im Ausführungsbeispiel 1 eingesetzten Naturkautschuklatex um sog. "LATZ-Low ammonia" handele, der gemäß dem Datenblatt und in Übereinstimmung mit der Definition der Fachwelt, belegt z. B. durch die E6, Seite 2, nur 0,2 % Ammoniak enthalte, während "HA-High ammonia" Naturkautschuklatex einen Gehalt von 0,7 % Ammoniak aufweise (vgl. Safety Data Sheet von Wurfbain-Nordmann, Seite 1, Definition "LATZ" und "HA" unter den Abschnitten "Trade name" und "Description"). Wenn im Ausführungsbeispiel 1 des Streitpatents nun ein Naturkautschuklatex mit geringem Ammoniakgehalt verwendet werde, dann bedeute dies für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens nichts anderes, als dass es sich hierbei um LATZ-Naturkautschuklatex handeln müsse, der bekanntlich nur ca. 0,2 % NH3 enthalte. Nachdem dieses Ausführungsbeispiel schon in den Ursprungsunterlagen auf Seite 14 offenbart worden sei, könne in der Aufnahme des Merkmals M2a bzw. M2a' deshalb nur eine zulässige Einschränkung des verteidigten Streitgegenstandes gesehen werden.
b) Dieser Argumentation des Patentinhabers kann seitens des Senats nicht beigetreten werden. Sowohl in der Patentschrift, als auch in den Ursprungsunterlagen finden sich keine Hinweise zu einer Unterteilung von Naturkautschuklatices in LATZ-und HA-Latices. Vielmehr wird nur angegeben, dass es sich bei dem Kautschuk oder Kautschuklatex allgemein insbesondere um ein Produkt mit vergleichsweise niedrigem Ammoniakgehalt handeln kann (vgl. Streitpatentschrift Absatz [0015]; Ursprungsbeschreibung, Seite 4, Absatz 3). An dieser Stelle wird dem Fachmann also nur als bevorzugt empfohlen, einen beliebigen Kautschuk oder Kautschuklatex mit vergleichsweise geringem Ammoniak-Gehalt zu verwenden. Unklar ist hierbei, worauf sich "vergleichsweise" beziehen soll. Insofern besteht für den Fachmann angesichts der nicht eindeutigen textlichen Offenbarung Interpretationsbedarf. In diesem Absatz wird aber lediglich als Begründung angegeben, dass dadurch unter anderem erreicht werde, dass die Zusammensetzung keinen störenden Geruch nach Ammoniak besitze. Nachdem ansonsten in der Streitpatentschrift keine näheren Angaben zum Ammoniak-Gehalt eines Kautschuks oder Kautschuklatex zu finden sind, wird der Fachmann demzufolge die strittige Textstelle dahingehend verstehen, dass der beliebige Kautschuk oder Kautschuklatex zumindest soviel Ammoniak enthalten darf, bis ein im Endprodukt - subjektiv - störender Geruch auftritt. Eine Obergrenze von ca. 0,2 % NH3-Gehalt erschließt sich dem Fachmann hieraus jedenfalls nicht. Daran ändert auch das Ausführungsbeispiel 1 sowie das überreichte, nachveröffentlichte Sicherheitsdatenblatt und Analysenblatt nichts. Denn mit den Angaben "Naturkautschuklatex, Feststoffgehalt ca. 60 %, geringer Ammoniakgehalt, Hersteller: N... GmbH & Co., Hamburg" ist kein konkreter Naturkautschuklatex im Sinne von ausschließlich LATZ offenbart, weil sowohl LATZ, als auch HA einen Feststoffgehalt von ca. 60 % aufweisen (vgl. z. B. E6, Seite 2) und "geringer NH3-Gehalt" im Hinblick auf die Begründung "störender Geruch" in der Zusammensetzung unbestimmt ist. Darüber hinaus beschreiben das nachveröffentlichte Sicherheitsdatenblatt aus dem Jahre 2008 und das Blatt "Certificate of Analysis" keine Produkte der N... GmbH & Co. in H..., sondern Produkte der W... B.V., N..., bzw. W... GmbH, H... (siehe Certificate of Analysis), so dass hieraus nicht ersichtlich ist, um welchen Naturkautschuklatex es sich im Anmeldezeitpunkt, dem 3. Dezember 1997, gehandelt hat.
2. Des Weiteren enthalten die Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 jeweils das Merkmal M7 anstelle des erteilten Merkmals M4. Das Merkmal M7, nämlich "eine Konzentration einer Kaliumhydroxid-Lösung, bei der 2 gr. ausreichen, um ein Monoethylenglykol in einer Menge von 160 gr. bzw. 300 gr. auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellen", lässt sich zwar sowohl aus der Streitpatentschrift, Ausführungsbeispiele 1 und 2, als auch aus den Ursprungsunterlagen, Ausführungsbeispiele 1 und 2, herleiten, jedoch stellt der Ersatz des erteilten Merkmals M4, nämlich "0,001 bis 30 Gew.-% einer Kaliumhydroxidlösung", durch das Merkmal M7 eine unzulässige Änderung des Gegenstandes des erteilten Patentes dar.
Gegenstand des Patentes im Sinne des § 21 (1) Nr. 4 PatG ist nämlich nicht der Gesamtinhalt der Offenbarung aus der Patentschrift, sondern der Gegenstand, der durch die erteilten Patentansprüche definiert wird, zu deren Auslegung Beschreibung und Zeichnungen herangezogen werden können. Das folgt aus § 14 PatG. Danach wird der Schutzbereich eines Patents durch den Inhalt der Ansprüche bestimmt, während Beschreibung und Zeichnungen nur der Auslegung dienen (Schulte, PatG, 8. Auflage, § 21 Rdn. 57).
Eine beschränkte Verteidigung darf daher den Schutzbereich eines Patentes nicht erweitern, weil dadurch der Nichtigkeitsgrund des § 22 (1) letzte Alternative geschaffen werden würde (Schulte, a. a. O. § 59 Rdn. 180). Deshalb ist eine Erweiterung des Schutzbereiches eines Patentes auch schon im Einspruchsverfahren unzulässig (BGH GRUR 1990, 432 - Spleißkammer).
Im Einspruchsund im Einspruchsbeschwerdeverfahren steht es dem Patentinhaber zwar grundsätzlich frei, ob er auf vollständige Aufrechterhaltung des erteilten Streitpatents anträgt oder sein Patent mit eingeschränkten Patentansprüchen verteidigt. Sollen aber anstelle von Merkmalen, die nach einem erteilten Patentanspruch seinen Gegenstand bestimmen, nun andere oder zusätzliche Merkmale aufgenommen werden, darf die Einfügung nicht dazu führen, dass damit der durch die erteilten Ansprüche bestimmte Schutzbereich des Patents im Sinne des § 14 PatG vergrößert wird. Bei der Aufnahme von einem weiteren Merkmal z. B. allein aus einem Beispiel wäre das nur dann nicht der Fall, wenn dieses Merkmal erkennbar in das Schutzbegehren einbezogen war (BGH - Spleißkammer a. a. O).
Das ist vorliegend nicht der Fall.
In den Ausführungsbeispielen 1 und 2, woraus sich das neue Merkmal M7 herleiten lässt, werden ganz konkret Mischungen auf Basis von aufkonzentrierten Naturkautschuklatices beschrieben. Diese Latices werden mit einer Tallölharzester-Dispersion als Naturharzester, mit Monoethylenglykol als Gefrierschutzmittel, weiter mit Schwefel, Zinkoxid, Konservierungsmitteln und KOH-Lösung vermischt. Nur in dieser stofflichen Zusammensetzung und nur mit den in den Beispielen angegebenen Mengen der Bestandteile ist die in Merkmal M7 angegebene Bemessungsregel erfüllt.
Wie aus Absatz [0038] weiter hervorgeht, dient die KOH-Lösung in den Ausführungsbeispielen nur der Einstellung des pH-Wertes eines ganz bestimmten Gefrierschutzmittels 'Monoethylenglykol'.
Im erteilten Patentanspruch 1 ist jedoch die Komponente 'Gefrierschutzmittel' in der beanspruchten Zusammensetzung aus den vier Bestandteilen nicht enthalten, lediglich im erteilten Unteranspruch 10 ist angegeben, dass die Zusammensetzung "mindestens ein Gefrierschutzmittel, vorzugsweise mindestens ein Glykol, enthält". Dass es sich hierbei speziell um Monoethylenglykol handeln soll, geht aus den erteilten Patentansprüchen ebenfalls nicht hervor. Vielmehr ist im Absatz [0017] des Streitpatents beschrieben, dass "auch andere übliche Gefrierschutzmittel, wie beispielsweise Glycerin, Propylenglykol, 2-Propanol und andere verwendet werden" können, ggf. "auch Polyethylenglykol vorzugsweise geringer Molmasse".
Ferner wird in Absatz [0024] darauf hingewiesen, dass die Einstellung des pH-Wertes grundsätzlich ebenfalls mit einer Ammoniaklösung möglich sei, allerdings habe der Einsatz einer KOH-Lösung den Vorteil, dass geringere Lösungsmengen erforderlich seien, um den pH-Wert in den gewünschten alkalischen Bereich zu bringen oder in diesem zu halten. Damit werde der Anteil an flüssigen Bestandteilen weiter verringert, so dass dieser Anteil ggf. durch den Zusatz einer anderen flüssigen Substanz wie des Gefrierschutzmittels ersetzt werden könne.
Insofern hat der Fachmann die Bedeutung der speziellen Bemessungsregel gemäß Merkmal M7 anstelle der weiten Bereichsangabe zum KOH-Gehalt ohne jeglichen Bezug zu einem Gefrierschutzmittel und zu einer pH-Wert-Einstellung (Merkmal M4) für die im Patentanspruch 1 umschriebene Erfindung nicht erkennen können. Damit umfasst der jeweilige Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 eine neue Kombination von Merkmalen, die zu einem Gegenstand führt, der in dieser Merkmalskombination nicht offenbart ist. Der Schutzbereich des Patentsanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen ist daher unzulässig erweitert.
3. Darüber hinaus beruht der jeweilige Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
a) Die Anwesenheit eines Gefrierschutzmittels (Merkmal M8), vorzugsweise eines Glykols (Merkmal M8a), in einem Abdichtmittel von Reifen ergibt sich für den Fachmann bereits aus dem Anspruch 1 der E1, weshalb hier eine Überschneidung des beanspruchten Gehalts mit der bekannten Bemessung im Bereich von 2 bis 20 Gew.-% Alkylenglykol resultiert. Im Übrigen wird auch im streitpatentgemäßen Ausführungsbeispiel 1 Monoethylenglykol in einer Menge von 15,1 Gew.-% eingesetzt, also in einer Menge, die innerhalb des aus E1 bekannten Bereiches liegt.
b) Die Bereichsangaben für Ammoniak im Kautschuklatex (Merkmal M2a) und für Zinkoxid (Merkmal M5a) erschließen sich dem Fachmann aus den Kautschuklatices des Standes der Technik, die mit diesen üblichen Stabilisatoren versetzt sind, wie vorstehend unter IV.2.b. und IV.4.b. schon dargelegt worden ist. Dies trifft insbesondere für Lowammonia-Latex LATZ zu, der bekanntlich nur einen Gehalt von ca. 0,2 % NH3 aufweist.
c) Zur engeren Bemessung des Kautschukgehalts gemäß Merkmal M2b (Hilfsantrag 2) bzw. gemäß Merkmal M2c (Hilfsantrag 3) und/oder des Naturharzesters gemäß Merkmal M3a (Hilfsantrag 3) und/oder des ZnO-Gehalts gemäß Merkmal M5a ist festzustellen, dass eine von einem bestimmten Zweck oder Ergebnis losgelöste, letztlich nach Belieben getroffene Auswahl eines engeren Bereiches aus einem größeren für sich grundsätzlich nicht geeignet ist, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen (BGH GRUR 2004, 47 -Blasenfreie Gummibahn I).
Im Übrigen entspricht die Aufkonzentrierung eines Kautschuklatex auf ca. 60 % oder 73 % den Feststoffgehalten handelsüblicher Naturkautschuklatices, die durch Zentrifugieren (60 %) oder durch Verdampfung (ca. 73 %) hergestellt worden sind (vgl. Ausführungen unter IV.2.a, IV.2.b und IV.4.c).
d) Auf die Bemessungsregel des Merkmals M7, bei der 2 Gramm einer KOH-Lösung ausreichen müssen, um 160 Gramm bzw. 300 Gramm Monoethylenglykol auf einen pH-Wert von 10,5 einzustellen, kann es nicht ankommen, weil diese Bemessung innerhalb der erteilten Bereichsangaben liegen muss, ansonsten wäre der Anspruch unzulässig erweitert. Zudem ist die Bemessung nicht geeignet, die beanspruchte Zusammensetzung näher zu definieren, da Konzentrationsangaben der KOH-Lösung fehlen und damit der tatsächliche Anteil von KOH in der Zusammensetzung offen bleibt.
Insofern ist erfinderisches Zutun nicht erforderlich, um zu den jeweiligen Ausgestaltungen der Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 zu gelangen. Vielmehr ergeben sich die Merkmale und Verfahrensmaßnahmen allein durch routinemäßiges Optimieren der beanspruchten Zusammensetzung.
VI.
Der Patentinhaber hat in der mündlichen Verhandlung nach ausführlicher Erörterung der Sachlage abschließend vier Hilfsanträge vorgelegt. Weitere Anhaltspunkte für ein stillschweigendes Begehren einer weiter beschränkten Fassung haben sich nicht ergeben. Infolgedessen hat der Patentinhaber die Aufrechterhaltung des Patents erkennbar nur im Umfang eines Anspruchssatzes beantragt, der sowohl nach Hauptantrag als auch nach sämtlichen Hilfsanträgen zumindest einen nicht rechtsbeständigen Anspruch enthält. Deshalb war das Patent insgesamt zu widerrufen. Auf die übrigen Patentansprüche brauchte bei dieser Sachlage nicht gesondert eingegangen zu werden (BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II; Fortführung BGH GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).
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BPatG:
Beschluss v. 04.05.2009
Az: 15 W (pat) 308/06
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