Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. März 2001
Aktenzeichen: 26 W (pat) 179/00
(BPatG: Beschluss v. 28.03.2001, Az.: 26 W (pat) 179/00)
Tenor
Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 29. März 2000 insoweit aufgehoben, als die Widersprüche aus den Marken DD 653 603 und 1 095 150 bezügl. "Computersoftware" zurückgewiesen wurden.
Die Löschung der Marke 3 96 17 558.9 wird auch für "Computer-Software" angeordnet.
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Gegen die am 12. April 1996 angemeldete Marke 396 17 558.9 siehe Abb. 1 am Endedie nach Einschränkung des Warenverzeichnisses noch für die Waren und Dienstleistungen
"Rationalisierung der logistischen Abläufe der Rückführung von Mehrweg-Transportverpackungen;
Computer-Software;
Druckereierzeugnisse, insbesondere Druckschriften, Zeitschriften und Bücher, Drucksachen, insbesondere Formulare, bedruckte Papierwaren, soweit in Klasse 16 enthalten; sämtliche vorgenannten Waren nur zur Verwendung im Zusammenhang mit der Rationalisierung der logistischen Abläufe der Rückführung von Mehrweg-Transportverpackungen"
ist Widerspruch erhoben worden aus den beiden jeweils vor 1995 angemeldeten und ua jeweils für die Waren
"Magnetaufzeichnungsträger und Druckereierzeugnisse"
geschützten Marken DD 653 603 siehe Abb. 2 am Endeund 1 095 150 siehe Abb. 3 am Ende Die Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die angegriffene Marke wegen der Widersprüche aus den beiden genannten Widerspruchsmarken teilweise für die Waren
"Druckereierzeugnisse, insbesondere Druckschriften, Zeitschriften und Bücher, Drucksachen, insbesondere Formulare, bedruckte Papierwaren, soweit in Klasse 16 enthalten, sämtliche vorgenannten Waren nur zur Verwendung im Zusammenhang mit der Rationalisierung der logistischen Abläufe der Rückführung von Mehrweg-Transportverpackungen"
gelöscht.
Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt: Während die nicht zurückgewiesenen Dienstleistungen "Rationalisierung der logistischen Abläufe der Rückführung von Mehrweg-Transportverpackungen; Computer-Software" der angemeldeten Marke keine markenrechtlich relevante Ähnlichkeit zu den Waren und Dienstleistungen der beiden älteren Marken aufwiesen, würden die Waren "Druckereierzeugnisse" übereinstimmend von allen drei Vergleichszeichen beansprucht. Deren Gesamteindruck werde jeweils von den grafisch blickfangmäßig hervorgehobenen Bestandteilen "MTV" geprägt, denn bei den übrigen Bestandteilen "LOGISTIK, VERBUND" und "MUSIC TELEVISION" handele es sich lediglich um rein beschreibende Angaben. Es sei deshalb davon auszugehen, daß erhebliche Teile des Verkehrs die Kennzeichnungen bei ihrer Benennung auf "MTV" verkürzen würden, so daß eine Verwechslungsgefahr in dem im Tenor genannten Umfang bestehe. Entgegen der von der Inhaberin der angegriffenen Marke vertretenen Auffassung könne die Widersprechende seit Inkrafttreten des Markengesetzes aus dem zum Eintragungszeitpunkt noch schutzunfähigen Buchstabenteil "MTV" Verbietungsrechte geltend machen.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der beiden Verfahrensbeteiligten.
Die Inhaberin der angemeldeten Marke, die das Warenverzeichnis ihrer Marke dahingehend einschränkt, daß sich die am Ende des Warenverzeichnisses der angegriffenen Marke aufgeführte Einschränkung auch auf "Computer-Software" bezieht, hält die angefochtene Entscheidung deshalb für rechtsfehlerhaft, weil beide Widerspruchsmarken vor Inkrafttreten des Markengesetzes eingetragen worden seien und ihnen deshalb nur Schutz nach dem damals geltenden WZG zukomme; den Buchstaben bzw dem Bestandteil "MTV" der Widerspruchsmarken komme mithin kein selbständiger Schutz zu. Sofern diese Buchstabenfolge nach Inkrafttreten des Markengesetzes dennoch selbständig kollisionsbegründend wirken könne, reichten die Warenferne und Markenunterschiede aus, eine Verwechslungsgefahr hinreichend auszuschließen.
Demgemäß beantragt sie sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die beiden Widersprüche in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Widersprechende stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben, soweit ihr Widerspruch bezügl "Computer-Software" zurückgewiesen wurde, sowie die Beschwerde der Markeninhaberin zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, daß spätestens seit Inkrafttreten des Markengesetzes ab 1. Januar 1995 in vollem Umfang Rechte aus der Buchstabenfolge "MTV" der prioritätsälteren Widerspruchszeichen gegeben seien; dafür spreche die Regelung des § 152 MarkenG. Die Markeninhaberin müsse sich auch entgegenhalten lassen, daß sie ihre Kennzeichnung nach Änderung der Rechtslage zum 1. Januar 1995 und in Kenntnis der Existenz der Widerspruchsmarken angemeldet habe. Im übrigen hält sie die von den Widerspruchsmarken umfaßten "Magnetaufzeichnungsträger" und die "Computer-Software" der jüngeren Marke für ähnlich, da sich beide Waren ganz überwiegend in den selben Verkaufsstätten begegneten und ihre Zweckbestimmung weitgehend übereinstimme.
Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist unbegründet.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden erweist sich in der Sache dagegen als begründet, denn zwischen der jüngeren Marke und den beiden prioritätsälteren Kennzeichnungen besteht eine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG auch bezüglich der von der jüngeren Marke beanspruchten "Computer-Software".
1. Die Gefahr markenrechtlich erheblicher Verwechslungen ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, die zueinander in einer Wechselbeziehung stehen, umfassend zu beurteilen. Zu den maßgeblichen Umständen gehören insbesondere die Ähnlichkeit der Marken und der damit gekennzeichneten Waren sowie die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl EuGH GRUR 1998, 387, 389 - Sabèl/Puma; BGH GRUR 1995, 216, 219 - Oxygenol II).
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betroffenen Waren sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren kennzeichnen; hierzu gehören insbesondere die Art der Waren, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren, wobei die Erwartung des Verkehrs von einer Verantwortlichkeit desselben Unternehmens für die Qualität der Waren entscheidend ist (EuGH GRUR 1998, 922, 223 - Canon; BGH GRUR 1999, 731,732 - Canon II). Die noch im Streit befindlichen Waren - einerseits "Magnetaufzeichnungsträger" und "Computer-Software" andererseits - sind im Gebrauch aufeinander bezogen und ergänzen sich im Sinn der genannten Rechtsprechung. Angesichts der engen Verbindung der in Rede stehenden Waren kann zumindest eine - wenn auch entfernte Warenähnlichkeit nicht verneint werden, denn die "Magnetaufzeichnungsträger" wie zB Disketten oder Magnetbänder, für die die Widerspruchszeichen Schutz genießen, stellen gerade die unverzichtbaren Träger dar, auf denen die verschiedensten Software-Programme gespeichert sind. An dieser Bezogenheit aufeinander ändert die von der Markeninhaberin vorgenommene Einschränkung der "Computer-Software" auf einen bestimmten Verwendungszweck nichts Entscheidendes.
Auch bei einer nur durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der beiden Widerspruchsmarken für "Magnetaufzeichnungsträger" hält die jüngere Marke nicht den erforderlichen Abstand ein. Bei der Beurteilung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr ist grundsätzlich auf den Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Marken abzustellen, (vgl EuGH aaO - Sabèl/Puma; BGH GRUR 2000, 506 - ATTACHÉ/TISSERAND mwN). Insoweit weichen die sich gegenüberstehenden Kennzeichnungen ua aufgrund der unterschiedlichen Wortelemente "LOGISTIK VERBUND" und "MUSIC TELEVISION" so deutlich voneinander ab, daß Verwechslungen insofern offensichtlich ausgeschlossen sind. Mit der Markenstelle ist jedoch davon auszugehen, daß eine unmittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Übereinstimmung prägender Markenbestandteile besteht. So kann ausnahmsweise einem einzelnen Markenbestandteil - hier: "MTV" - eine besondere, das Gesamtzeichen prägende Kennzeichnungskraft zugemessen werden, wenn diesem Bestandteil in der jeweiligen Marke eine selbständig kennzeichnende Stellung zukommt und er deshalb geeignet ist, die Erinnerung an das Gesamtzeichen wachzurufen, während die weiteren Elemente der Marke nur eine eher untergeordnete Bedeutung haben. Mithin setzt die Feststellung der Prägung des Gesamteindrucks eines mehrteiligen Zeichens durch einen Bestandteil voraus, daß die weiteren Bestandteile so in den Hintergrund treten, daß sie für den Verkehr an Bedeutung verlieren und zum Gesamteindruck des Zeichens nicht beitragen (vgl BGH WRP 2000, 173, - RAUSCH/ELFI RAUCH).
Hiervon ausgehend kommt dem Zeichenteil "mtv" sowohl in der angegriffenen Marke als auch in den beiden Widerspruchsmarken eine selbständig kennzeichnende Stellung zu. Für eine derartige Annahme spricht, daß es sich bei den weiteren Markenbestandteilen wie "LOGISTIK VERBUND" und "MUSIC TELEVISION" erkennbar um beschreibende Angaben handelt, die ua auf die Tätigkeitsschwerpunkte der betreffenden Unternehmen hinweisen, während die optisch durch Größe und zentrale Anordnung hervorgehobenen Buchstabenfolgen "mtv" bzw "MTV" sich als Kurzbezeichnungen anbieten.
Der hiergegen von der Inhaberin der angegriffenen Marke erhobene Einwand, den beiden Widerspruchsmarken komme kein selbständiger Schutz aus der Buchstabenfolge "MTV" zu, weil beide Marken vor Inkrafttreten des Markengesetzes eingetragen wurden, als nach dem damals geltenden § 4 Abs 2 Nr 1 Halbs 2 WZG Buchstabenfolgen schutzunfähig waren, greift nicht durch. Die Frage, ob aus einem Bestandteil eines vor dem 1. Januar 1995 eingetragenen mehrteiligen Zeichens, der nach damaligem Recht schutzunfähig war, nach geltendem Markenrecht (§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG) aber schutzfähig ist, im Widerspruchsverfahren Rechte gegenüber anderen Marken hergeleitet werden können, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Da maßgeblicher Zeitpunkt für die im Widerspruchsverfahren zu prüfende Schutzfähigkeit von Bestandteilen der älteren Marke grundsätzlich der Anmeldetag der jüngeren Marke ist, sind die tatsächlichen und rechtlichen Umstände im Zeitpunkt dieser jüngeren Anmeldung maßgeblich (vgl BGH GRUR 1961, 347, 350 - Almglocke). Das allgemeine Prioritätsprinzip, wonach im Fall des Zusammentreffens von Kennzeichenrechten der Zeitrang grundsätzlich Vorrang hat (vgl § 6 MarkenG), spricht deshalb dafür, daß der mit dem Inkrafttreten des Markengesetzes einem früher schutzunfähigen Element der älteren Marke zugewachsene Schutz gegenüber einer jüngeren Marke dann geltend gemacht werden kann, wenn diese erst nach dem 1. Januar 1995 angemeldet worden ist. Den für absolute Schutzhindernisse geltenden §§ 153, 156 MarkenG kann außerdem entnommen werden, daß beim Inkrafttreten des Markengesetzes dadurch Chancengleichheit hergestellt werden sollte, daß alle erst nach neuem Recht schutzfähigen Zeichen (-teile) auch dann den 1. Januar 1995 als Zeitrang erhalten, wenn sie schon vorher angemeldet wurden (vgl dazu BPatG GRUR 1996, 413 f - ICPI/ICP; Ingerl-Rohnke Markengesetz § 153 Rdn 17).
Hiergegen kann sich die Markeninhaberin nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des BGH GRUR 1998, 165 -RBB berufen. Der dortige Streitfall unterscheidet sich von dem vorliegenden Verfahren bereits dadurch wesentlich, daß beide sich dort gegenüberstehenden Zeichen vor Inkrafttreten des Markengesetzes eingetragen waren und deshalb eine Beurteilung der Umstände nach dem Inkrafttreten des Markengesetzes nicht erfolgt ist.
Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen (§ 71 Abs 1 MarkenG) bestand kein Anlaß.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 83 Abs 2 Nr 1 MarkenG, weil die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Rechtsfrage, ob ein durch das Markengesetz neu hinzugewonnener Schutz eines Markenbestandteils gegenüber nach dem 1. Januar 1995 angemeldeten Marken geltend gemacht werden kann, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Kraft Reker Richterin Eder ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben Kraft Wf/prö
Abb. 1 http://agora/bpatgkollision/docs/D108581.3.gif Abb. 2 http://agora/bpatgkollision/docs/D108583.3.gif Abb. 3 http://agora/bpatgkollision/docs/D108582.3.gif
BPatG:
Beschluss v. 28.03.2001
Az: 26 W (pat) 179/00
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