Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 20. Juni 1985
Aktenzeichen: L 10 Ar 119/85 A

(Hessisches LSG: Beschluss v. 20.06.1985, Az.: L 10 Ar 119/85 A)

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß desSozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 1984 wirdzurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zuerstatten.

Gründe

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Förderung ihres Promotionsvorhabens in Form einer Ausbildungsbeihilfe nach dem Heimkehrergesetz.

Die 1954 in UdSSR geborene Antragstellerin traf am 23. August 1979 in Bundesgebiet ein. Sie ist Heimkehrerin im Sinne des § 1 Abs. 3 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz € HkG). In der Sowjetunion war die Antragstellerin als Dozentin für Deutsch, Latein und ausländische Literatur tätig. Nach dem Bewertungsergebnis der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen hatte sie die Qualifikation eines Philologen erworben. Vom 1. Dezember 1979 bis 31. Dezember 1983 war sie als Fremdsprachen-Sekretärin tätig und begann ab 1981 zusätzlich ein Studium an der Universität € wo sie am 21. Mai 1984 die 1. Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien ablegte.

Am 21. Februar 1984 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Ausbildungsbeihilfe für Heimkehrer nach dem HkG, um ihr Promotionsvorhaben zu finanzieren. Mit Bescheid vom 4. Juli 1984 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit der Begründung ab, die Antragsfrist sei versäumt. Darüber hinaus lägen die materiellen Voraussetzungen nach § 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer nicht vor. Der Widerspruch der Antragstellerin vom 11. Juli 1984, mit dem sie zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X begehrte und auf ihre völlige Unkenntnis der von der Antragsgegnerin zitierten Fristen hinwies, blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 1984 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, eine Förderung nach dem HkG scheitere bereits daran, daß die Antragsfrist versäumt sei. Die Antragstellerin habe die Versäumung der Antragsfrist zu vertreten, da sie bei ihrer Arbeitslosmeldung am 4. September 1979 keine Wünsche nach beruflicher Weiterqualifizierung geäußert habe. Zudem fehlte es an den materiellen Voraussetzungen für die begehrte Ausbildungsbeihilfe nach dem HkG. Die Antragstellerin habe ihr Studium mit dem Ablegen der 1. Staatsprüfung beendet. Die Promotion bedeute eine weitere Qualifikation, die nach § 3 der Verordnung zur Durchführung des HkG nicht zu fördern sei. Damit komme auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Betracht.

Am 17. September 1984 erhob die Antragstellerin unter dem Aktenzeichen S 19/Ar € 858/84 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage und stellte zugleich Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Zur Begründung ihres Antrages trug sie vor, sie habe in der Sowjetunion eine Position als Dozentin gehabt, die üblicherweise einer Professur vorausgehe. Eine gleichwertige Position setze in der Bundesrepublik die Habilitation, zumindest die Promotion voraus. Sie wolle in Slawistik promovieren. Das Promotionsvorhaben, zu dessen Betreuung Prof. Dr. F. von der Universität € bereit sei, werde etwa drei Jahre dauern. Sie müsse dafür die Prüfung in einer südslawischen Sprache ablegen und Altgriechisch lernen. Bereits in dem Begehren nach Hilfe bei der Ankunft in der Bundesrepublik sei ein Antrag aus Ausbildungsbeihilfe zu sehen; die Antragsgegnerin habe sich nicht um eine ihrer Qualifikation entsprechende Eingliederung in das Berufsleben bemüht. Das Studium im Sinne von § 10 IV HkG umfasse die Promotion und Habilitation, weil nach dem Zweck des Gesetzes der Status vor der Einreise in die Bundesrepublik möglichst wiederherzustellen sei. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung sei begründet, da sie, nachdem sie keiner Beschäftigung nachgehe und ausschließlich studiere, von der Rente ihrer Mutter mitleben müsse. Bei der langfristigen Terminierung des Sozialgerichts könne sie nicht bis zur Entscheidung der Hauptsache warten.

Durch Beschluß vom 11. Dezember 1984 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung zurück, es liege kein Anordnungsgrund vor. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, daß durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache, die in der ersten Instanz erfahrungsgemäß ein Jahr nach Rechtsanhängigkeit zu erwarten sei, ihr schwere irreparable Nachteile entstünden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht wiedergutgemacht werden könnten. Die Möglichkeit der Promotion gehe ihr, der Antragstellerin, nicht verloren, wenn sie die Entscheidung in der Hauptsache abwarte. Zudem habe die Antragstellerin, die derzeit nach eigenem Vortrag von der Rente ihrer Mutter lebe, auch andere Möglichkeiten, ihre Promotion voranzubringen. Mangels Anordnungsgrundes bedürfe es keiner Prüfung des Anordnungsanspruches.

Gegen diesen ihr am 11. Januar 1985 zugestellten Beschluß richtet sich die am 16. Januar 1985 beim Sozialgericht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Die Antragstellerin rügt die anordnungsgemäße Besetzung der Richterbank und trägt vor, es sei zu bezweifeln, daß es in einem Jahr zu einer Entscheidung in der Hauptsache kommen werde. Sie dürfe nicht auf die Rente ihrer Mutter verwiesen werden, über deren Höhe zudem noch gestritten werde. Sie befürchte auch, daß nach Vollendung des 35. Lebensjahres eine Einstellung in den öffentlichen Dienst schwierig werden könnte. Ferner drohe bei weiterem Zuwarten der Verlust des Anspruchs auf Alg.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluß des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 1984 aufzuheben und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, an die Antragstellerin ab 1. Oktober 1984 berufliche Eingliederungsbeihilfe bis zur Beendigung des Promotionsverfahrens in Höhe des der Antragstellerin bei Verfügbarkeit ansonsten zustehenden Arbeitslosengeldes zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluß für zutreffend und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, die vorgelegen haben Bezug genommen.

Die von der Antragstellerin erhobene Rüge, der zur Entscheidung ihres Rechtsstreits zuständige Senat sei im Hinblick auf die ehrenamtlichen Richter nicht ordnungsgemäß besetzt, greift nicht durch.

Gegen die Rechtmäßigkeit des Berufungsverfahrens der ehrenamtlichen Richter, wie es vom Hessischen Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales als der gem. § 13 Abs. 1 SGG beauftragten Stelle (vgl. Beschlüsse über die Zuständigkeit der einzelnen Minister nach Art. 104 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen vom 25. Juni 1979 € GVBl. I S. 115, 16. Dezember 1980 € GVBl. I S. 510 und 31. Juli 1984 € GVBl. I S. 233) für die Zeit vor dem 1. April 1985 praktiziert worden ist, sind Bedenken erhoben worden (vgl. Berichte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. April 1985 S. 36 und 24. April 1985 S. 10). Da die ehrenamtlichen Richter V. und D. vor dem 1. April 1985 in ihr Amt berufen worden sind, hatte der Senat die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank zu prüfen.

Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Beschluß des 1. Senats des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1985, Az.: L-1/J-862/83 zu dem Ergebnis gekommen, daß die Richterbank ordnungsgemäß besetzt ist und die ehrenamtlichen Richter V. und D. dementsprechend nicht an der Mitwirkung bei der Entscheidung im vorliegenden Verfahren gehindert sind. Beide Richter sind gem. § 4 Abs. 1 Hessisches Richtergesetz (HRiG) für die Dauer von vier Jahren durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde berufen worden, in der die Worte €unter Berufung in ein ehrenamtliches Richterverhältnis€ enthalten sind. Durch diesen Hoheitsakt haben sie einen Rechtsstatus erhalten, der von jedermann zu beachten ist und sie insbesondere davor schützt, in ihrem Richteramt beliebig zur Disposition gestellt zu werden. Dies ergibt sich aus § 44 Abs. 2 Deutsches Richtergesetz (DRiG), demzufolge ein ehrenamtlicher Richter vor Ablauf seiner Amtszeit nur unter den gesetzlichen bestimmten Voraussetzungen und gegen, seinen Willen nur durch Entscheidung eines Gerichts abberufen werden kann. Für das sozialgerichtliche Verfahren regelt § 18 Abs. 3 SGG die Voraussetzungen, unter denen ein ehrenamtlicher Richter aus dem Amt entlassen werden kann. Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 SGG ist dagegen maßgebend für die Fälle der Amtsenthebung, die dann zu erfolgen hat, wenn das Fehlen oder der Wegfall einer Voraussetzung für die Berufung des ehrenamtlichen Richters bekannt wird oder wenn er seine Amtspflicht grob verletzt. Im vorliegenden Fall fehlt es an jeglichen Hinweisen dafür, daß die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der §§ 18 Abs. 3 22 Abs. 1 SGG erfüllt sind, die gem. § 35 SGG auch für die ehrenamtlichen Richter beim Landessozialgericht gelten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß eine der in §§ 16 und 17 SGG aufgeführten Voraussetzungen für die Berufung der ehrenamtlichen Richter Viereck und Dersch fehlen würden oder weggefallen wären. Bedenken gegen die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank ergeben sich aber auch nicht aus der Tatsache, daß der Hessische Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales für die Zeit vor dem 1. April 1985 die ehrenamtlichen Richter aufgrund von ergänzenden Vorschlägen der berechtigten Verbände und Stellen berufen hat, die zahlenmäßig lediglich dem jeweiligen Bedarf entsprachen. Zwar ist in den §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGG bestimmt, daß die ehrenamtlichen Richter aufgrund von Vorschlagslisten berufen werden, die die eineinhalbfache Zahl der festgesetzten Höchstzahl der ehrenamtlichen Richter enthalten sollen. Aber nicht jeder Verstoß gegen eine Vorschrift, die der Bestimmung des im Einzelfall zuständigen Richters dient, ist zugleich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Vielmehr richten sich die Vorschriften über den gesetzlichen Richter dagegen, daß die Auswahl des im Einzelfall zuständigen Richters aufgrund sachfremder Erwägungen manipuliert wird; das ist aber z.B. nicht der Fall, wenn ein Verfahrensverstoß im Bereich der Auswahl des Richters auf einem Verfahrensirrtum beruht, nicht aber von willkürlichen, sachfremden Erwägungen bestimmt wird (vgl. Urteil des BGH vom 14. Oktober 1975 € 1 StR 108/75 in NJW 1976, 432 ff.). So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 1968 € 1 StR 87/68 (NJW 1968, 1436) die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts bejaht, obwohl die an der Entscheidung mitwirkenden Geschworenen aus Vorschlagslisten gewählt worden waren, die nicht die in § 36 Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz € GVG a.F.

bestimmte Anzahl von Personen enthielten. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein solcher Mangel könne schon deshalb die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts nicht in Frage stellen, weil der Fehler des Auswahlverfahrens außerhalb des Bereichs liege, auf den die Gerichte unmittelbar einwirken könnten. In seinem Urteil vom 3. November 1981 € 5 StR 566/81 (NJW 1982, 293 ff.) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, die Gültigkeit einer Schöffenwahl werde nicht dadurch berührt, daß die ihr zugrunde liegende Vorschlagsliste entgegen der Vorschrift des § 36 Abs. 2 GVG nicht alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigen und damit nicht die gesamte Bevölkerung der Gemeinde bzw. des Verwaltungsbezirks repräsentierten. Maßgeblich wurde darauf abgestellt, daß es sich insoweit lediglich um eine Sollvorschrift handele, deren Verletzung grundsätzlich keinen Einfluß auf die Gültigkeit der Wahl habe (so auch Kissel, Komm, zum Gerichtsverfassungsgesetz, 1981, § 36 Rdnrn. 9, 14).

Wenn auch die Verfahren zur Wahl der Schöffen für die ordentliche Gerichtsbarkeit und zur Berufung der ehrenamtlichen Richter für die Sozialgerichtsbarkeit nicht identisch sind, so haben die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze nach Auffassung des Senats doch Gültigkeit auch für den vorliegenden Fall. Denn die Anforderungen an den €gesetzlichen Richter€ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG können nicht unterschiedlich sein je nach Gerichtsbarkeit. Aus diesen Gründen kann es nicht außer Betracht gelassen werden, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit keinen Einfluß auf das Verfahren zur Berufung der ehrenamtlichen Richter haben, insbesondere nicht auf die nach § 14 Abs. 2 bis 4 SGG vorschlagsberechtigten Verbände und Stellen. Von wesentlicher Bedeutung ist ferner, daß es sich auf bei der Vorschrift des § 14 Abs. 1 SGG schon dem Wortlaut nach um eine bloße Sollvorschrift handelt. Ein Verstoß gegen sie kann damit allenfalls dann zur Ungültigkeit der nach § 13 Abs. 1 SGG ausgesprochenen Berufungen führen, wenn die vor dem 1. April 1985 geübte Berufungspraxis mit Sinn und Zweck der Vorschrift unvereinbar ist. Dies ist jedoch nach der Überzeugung des Senats nicht der Fall.

Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 SGG sind darin zu sehen, daß die zur Berufung und Ernennung der ehrenamtlichen Richter zuständige Stelle die Möglichkeit der Auswahl haben soll (vgl. Beschluß des BVerfGE 27, 312 ff.). Diese Forderung leitet sich her aus Art. 92 GG, demzufolge die rechtsprechende Gewalt durch staatliche Gerichte ausgeübt wird. Dazu gehört aber, daß die Bindung des Gerichts an den Staat auch in personeller Hinsicht hinreichend gewährleistet ist. Staatliche Gerichtsbarkeit muß nicht nur auf staatlichem Gesetz beruhen und der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienen; das Organ, das sie ausübt, muß auch personell vom Staat entscheidend bestimmt sein (vgl. BVerfG, a.a.O.). In seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1969 hat das Bundesverfassungsgericht jedoch keinen Zweifel daran gelassen, daß der in § 14 Abs. 1 SGG aufgestellten Richtzahl im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Auswahlmöglichkeit nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Es hat ausgeführt, die Bestimmung des § 14 Abs. 1 SGG rechtfertige den Schluß, daß auch einer Vorschlagsliste, die dieser Sollvorschrift entspreche, nicht unbedingt und in jedem Fall alle oder auch nur ein Teil der zu ernennenden Sozialrichter entnommen werden müßten. Die zur Berufung und Ernennung der kassenärztlichen Sozialrichter zuständige Stelle habe also das Recht und die Pflicht, falls die ursprüngliche Liste nicht genügend geeignete Richter enthalte, eine Ergänzung zu verlangen. In diesem Sinne verstanden sicherten die §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGG einen ausreichenden Einfluß des Staates auf die Besetzung der Kammern und Senate für Angelegenheiten der Kassenärzte. Die von U. und R. (vgl. Anmerkung zum Beschluß des BVerG vom 17. Dezember 1969 in SGb 1970, 211/213) formulierten grundsätzlichen Bedenken zur Begründung des Beschlusses vom 17. Dezember 1969 beziehen sich in erster Linie auf die Vorschlagslisten der kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 14 Abs. 3 SGG, da der Vorschlagsberechtigte zugleich der regelmäßige Beklagte im Rechtsstreit ist. Diese auf einen atypischen Sonderfall bezogenen Einwände gelten jedoch nicht in gleicher Weise für die übrigen Streitigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit, wo im allgemeinen die beiden mitwirkenden Sozialrichter aus verschiedenen Lebenskreisen mit einer gewissen Interessengegensätzlichkeit kommen (vgl. Ule und Rüggeberg a.a.O.). Noch deutlicher hat das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung im Beschluß vom 11. Juni 1969 € 2 BvR 518/66 (BVerfGE 26, 186 ff.) zum Ausdruck gebracht, auf den es in seinem Beschluß vom 30. Mai 1978 € 2 BvR 685/77 (BVerfGE 48, 300 ff.) Bezug genommen hat. In beiden Entscheidungen ging es um die Frage, inwieweit die Bestimmungen des § 94 Abs. 2 Satz 2 und 4 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) in Einklang mit dem Verfassungsgebot des Art. 92 GG stehen. Nach diesen Vorschriften werden die Mitglieder des Ehrengerichts von der Landes Justizverwaltung ernannt und einer Vorschlagsliste entnommen, die vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer einzureichen ist und mindestens die Hälfte mehr als die erforderliche Zahl von Rechtsanwälten enthalten muß. Auch insoweit hat das Bundesverfassungsgericht den entscheidenden, die verfassungskonforme Auslegung rechtfertigenden Gesichtspunkt weniger in einem formalen Aspekt, sondern darin gesehen, daß die Landesjustizverwaltung an eine zahlenmäßig dem § 94 Abs. 2 Satz 4 BRAO entsprechende Vorschlagsliste nicht gebunden ist, sondern eine Erweiterung der Liste verlangen kann, wenn die Vorschlagsliste nicht genügend Kandidaten enthält, welche die Landesjustizverwaltung als geeignet ansieht (vgl. BVerfGE 26, 186/196).

Wie der Minister dargelegt hat, war es sich in der Vergangenheit stets seines Rechtsbewußt, ergänzende Vorschläge zu verlangen, sofern dazu im konkreten Fall Anlaß bestand. Seinen Ausführungen zufolge, an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keine Veranlassung sieht, hat er in Einzelfällen bei begründeten Bedenken hinsichtlich der Qualifikation vorgeschlagener Personen diese Vorschläge zurückgewiesen mit der Folge, daß ihm neue Vorschläge unterbreitet wurden. Unter diesen Umständen muß davon ausgegangen werden, daß auch für die Zeit vor dem 1. April 1985 ein den Erfordernissen des Art. 92 GG Rechnung tragenden personelles Bestimmungsrecht des Hessischen Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales hinsichtlich der ehrenamtlichen Richter gewährleistet war, obwohl die eingereichten Vorschläge nicht dem § 14 Abs. 1 SGG entsprachen, sondern zahlenmäßig nur nach dem jeweils gegebenen Bedarf erfolgten. Dies gilt um so mehr, als sich die Auswahlmöglichkeit des Ministers jederzeit auch bei Vorliegen zahlenmäßig dem § 14 Abs. 1 SGG entsprechender Vorschlagslisten auf das Zurückweisungsrecht im konkreten Fall reduzieren kann, wenn die Liste infolge unvorhersehbarer Ereignisse wie Tod, Umzug oder Amtsenthebungen von ehrenamtlichen Richtern vorzeitig erschöpft wird. Im übrigen gehen ersichtlich auf die Vorschriften der §§ 45, 46 SGG, die die Berufung der beim Bundessozialgericht tätigen ehrenamtlichen Richter regeln, davon aus, daß eine dem Art. 92 GG entsprechende ausreichende Auswahlmöglichkeit des Ministers gewährleistet ist, wenn er notfalls Vorschläge wegen fehlender Eignung der Kandidaten zurückweisen und neue Vorschläge fordern kann. Denn hinsichtlich des Berufungsverfahrens der ehrenamtlichen Richter beim Bundessozialgericht fehlt es an einer dem § 14 Abs. 1 SGG vergleichbaren Regelung. Dies gilt auch für die ehrenamtlichen Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit, für deren Auswahl die gleichen Erwägungen Platz greifen (vgl. Grunsky, Komm, zum Arbeitsgerichtsgesetz, 4. Aufl., 1981, § 20 Anm. 12 m.w.N.). Schließlich wird auch durch die Literatur (vgl. Herzog in Maunz-Dürig, Komm, zum Grundgesetz, Art. 92 Rdnrn. 141, 142, 144), die Auffassung bestätigt, daß sich im Rahmen des Art. 92 GG staatliches Bestimmungsrecht nicht nur durch Auswahl aus eingereichten Vorschlagslisten konkretisieren kann, sondern daß unterschiedliche Verfahren denkbar sind, insbesondere auch in der Form, daß Einzel vorschlage eingereicht werden mit der Möglichkeit der Zurückweisung im gegebener Fall.

Für die Überzeugungsbildung des Senats war darüber hinaus mitentscheidend, daß Berufungsmodalitäten und Berufungskriterien für den ehrenamtlichen Richter darauf abgestellt sind, ein bestimmtes Maß an entscheidungsrelevantem Fachwissen in der Person des ehrenamtlichen Richters zu gewährleisten (vgl. Ule und Rüggeberg, a.a.O.; Müller in Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, S. 877/885: Das Recht der ehrenamtlichen Richter). Qualifikationen dieser Art sind aber erfahrungsgemäß nicht immer in beliebigem Umfang verfügbar, so daß es durchaus realistisch ist, wenn die in § 14 Abs. 2 bis 4 SGG bezeichneten Verbände und Stellen nur zu Vorschlägen in der Lage sind, die quantitativ nicht den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechen. Die Ursachen dafür können vielfältig sein und sind vom Minister im Regelfall nicht zu beeinflussen. Wollte man aus dieser Realität negative Konsequenzen im Hinblick auf Art. 92 GG ziehen, würde dies im Endeffekt bedeuten, daß der Minister an der Berufung eines ehrenamtlichen Richters, der unzweifelhaft die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt und damit geeignet ist, nur deswegen aus Rechtsgründen gehindert wäre, weil ihm nicht von vornherein eine personelle Alternative geboten wurde. Daß ein solches Ergebnis nicht gewollt sein kann, wird nach Auffassung des Senats dadurch dokumentiert, daß die Bestimmung des § 14 Abs. 1 SGG als Sollvorschrift ausgestaltet ist, deren Verletzung ohne Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. September 1984 € 2 StR 327/84 (NJW 1984, 2839) steht dem nicht entgegen. In dieser Entscheidung ging es um die Wirksamkeit der Berufung von Schöffen, die entgegen der zwingenden Vorschrift des § 42 Abs. 1 GVG nicht vom Ausschuß gewählt, sondern ausgelost wurden.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz € SGG), aber unbegründet. Der Beschluß des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Dezember 1984 ist nicht zu beanstanden. Das Institut der einstweiligen Anordnung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in entsprechender Anwendung des § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (vgl. BVerfGE 46, 166 ff). Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung dieses Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Er darf jedoch grundsätzlich die endgültige Entscheidung im Hauptverfahren nicht vorweggenommen werden (vgl. Eyermann-Fröhler, § 123 VwGO Anm. 8). Allenfalls kann in besonders gelagerten Ausnahmefällen im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes es ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 97 Anm. 23). Die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Anordnung ist im vorliegenden Fall nicht nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen Gründe ist es für sie nicht unzumutbar, den Ausgang des Klage Verfahrens abzuwarten. Dadurch würde sich der Beginn des Promotionsverfahrens um eine nicht erhebliche Zeit hinauszögern. Es begegnet auch keine Bedenken, die Antragstellerin wegen ihrer finanziellen Lage bis zu Erledigung des Hauptsacheverfahrens auf eigene Bemühungen zur Erlangung eines Einkommens aus der Verwertung der bei ihr bereits vorhandenen beruflichen Qualifikation zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Die Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).






Hessisches LSG:
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Az: L 10 Ar 119/85 A


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