Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Juli 2010
Aktenzeichen: 21 W (pat) 46/07

(BPatG: Beschluss v. 15.07.2010, Az.: 21 W (pat) 46/07)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 9. Oktober 2007 aufgehoben und das Patent DE 10 2004 033 819 erteilt.

Bezeichnung: Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems für ophthalmologische Eingriffe Anmeldetag: 13. Juli 2004 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 15, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010;

Beschreibung, Seiten 1 bis 16, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010;

9 Blatt Zeichnungen Figuren 1 bis 10, gemäß Offenlegungsschrift.

Gründe

I Die Patentanmeldung wurde am 13. Juli 2004 mit der Bezeichnung "Computerprogramm für ophthalmologische Eingriffe" beim Deutschen Patentund Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 9. Februar 2006.

Im Prüfungsverfahren sind die Druckschriften D1 WO 02/07660 A2 und D2 DE 100 14 480 A1 in Betracht gezogen worden.

In der Beschreibung der Patentanmeldung sind noch die Druckschriften D3 WO 01/85075 A1 D4 MANNS F. et. al.: Ablation profiles for wavefrontguided correction of myopia and primary spherical aberration. In: Journal of Cataract and Refractive Surgery, Vol. 28, Mai 2002, Seiten 766 -774 und D5 HUANG D. et. al.: Mathematical Model of Corneal Surface Smoothing After Laser Refractive Surgery. In: American Journal of Ophthalmology, Vol. 135, No. 3, März 2003, Seiten 267 -278 genannt.

Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 F hat die Anmeldung mit Beschluss vom 9. Oktober 2007 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die am 18. September 2007 eingereichten Patentansprüche 1 bis 18 zugrunde. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, dass der auf ein Verfahren zum Erzeugen eines Computerprogramms gerichtete Patentanspruch 1 keinen technischen Vorgang beschreibe und daher auch nicht Grundlage für die Erteilung eines Patents sein könne. Des Weiteren gelte das mit dem gemäß Anspruch 1 erzeugten Computerprogramm ausführbare Verfahren gemäß § 5 Abs. 2 PatG nicht als gewerblich anwendbare Erfindung, weil es ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers sei. Schließlich gelange der Fachmann in Anbetracht der Druckschriften D1 und D2 auch auf naheliegende Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, die in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 15 eingereicht hat, mit denen sie ihre Anmeldung weiter verfolgt.

Patentanspruch 1 lautet danach wie folgt (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

M1 Verfahren zum Bestimmen eines Veränderungsprofils für die refraktive Augenchirurgie und zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems, dessen emittierte Strahlung einen chirurgischen Eingriff bewirkt, mit folgenden Schritten:

M2 -Eingabe von Daten durch einen Benutzer, M3 -Aufnahme von Messdaten bezüglich des zu behandelnden Auges, M4 -Generieren eines Veränderungsprofils auf Basis der eingegebenen Daten und Messdaten, M5 -Generieren von Steuerdaten auf Basis des Veränderungsprofils zum Steuern der Laserstrahlung, M6 -Simulieren eines Behandlungsergebnisses mit den Steuerdaten aufgrund des genannten Veränderungsprofils, M7 -Bewerten des genannten Behandlungsergebnisses unter Anwendung vorgegebener Kriterien, M8 -im Falle einer negativen Bewertung iteratives Generieren eines anderen Veränderungsprofils auf Basis anderer Daten oder iteratives Generieren anderer Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung, und M9 -Übergeben der Steuerdaten an eine Steuerung des Lasersystems im Falle einer positiven Bewertung bei der Bewertung des genannten Behandlungsergebnisses.

Der nebengeordnete Patentanspruch 4 lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

N1 Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten, gemäß denen mit Laserstrahlung ein ophthalmologischer Eingriff durchgeführt wird, mit zumindest folgenden Schritten:

N2 (a) Erzeugen eines individualisierten Augenmodells unter Verwendung patientenbezogener Daten, insbesondere der Ausgangsform der Hornhaut, N3 (b) Bestimmen einer anzustrebenden Referenzhornhautform mittels iterativer dreidimensionaler inverser Strahl-Rückverfolgung an dem Augenmodell, N4 (c) Bestimmen der Differenz zwischen der Referenzhornhautform und der Ausgangsform zur Gewinnung eines Ausgangsbearbeitungsprofils, N5 (d) Ableiten von Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung, insbesondere Positionsdaten für die Orte der Wechselwirkung zwischen der Laserstrahlung und der Hornhaut, N6 (e) Simulieren der Wechselwirkung zwischen gemäß den Steuerdaten gesteuerter Laserstrahlung und der Hornhaut unter Zugrundelegung des individualisierten Augenmodells, um unter Abarbeitung des Ausgangsbearbeitungsprofils eine simulierte Hornhautform zu erhalten, N7 (f) Vergleichen der simulierten Hornhautform mit der Referenzhornhautform unter Anwendung vorgegebener Kriterien zur Bestimmung, ob ein Unterschied zwischen der simulierten Hornhautform und der Referenzform innerhalb oder außerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt, und N8 (g) iteratives Wiederholen der Schritte (d) bis (f) mit geänderten Steuerdaten bis der Vergleich einen Unterschied innerhalb der Toleranz ergibt.

Der nebengeordnete Patentanspruch 8 lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

N1' Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten, gemäß denen mit Laserstrahlung ein ophthalmologischer Eingriff an einer Augenlinse durchgeführt wird, mit zumindest folgenden Schritten:

N2' (a) Erzeugen eines individualisierten Augenmodells unter Verwendung patientenbezogener Daten, insbesondere der Ausgangsform der Augenlinse, N3' (b) Bestimmen einer anzustrebenden Referenzlinsenform mittels iterativer dreidimensionaler inverser Strahl-Rückverfolgung an dem Augenmodell, N4' (c) Bestimmen der Differenz zwischen der Referenzlinsenform und der Ausgangsform zur Gewinnung eines Ausgangsbearbeitungsprofils, N5' (d) Ableiten von Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung, insbesondere Positionsdaten für die Orte der Wechselwirkung zwischen der Laserstrahlung und der Augenlinse, N6' (e) Simulieren der Wechselwirkung zwischen gemäß den Steuerdaten gesteuerter Laserstrahlung und der Augenlinse unter Zugrundelegung des individualisierten Augenmodells, um unter Abarbeitung des Ausgangsbearbeitungsprofils eine simulierte Augenlinsenform zu erhalten, N7' (f) Vergleichen der simulierten Augenlinsenform mit der Referenzlinsenform unter Anwendung vorgegebener Kriterien zur Bestimmung, ob ein Unterschied zwischen der simulierten Augenlinsenform und der Referenzlinsenform innerhalb oder außerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt, und N8 (g) iteratives Wiederholen der Schritte (d) bis (f) mit geänderten Steuerdaten bis der Vergleich einen Unterschied innerhalb der Toleranz ergibt.

Der nebengeordnete Patentanspruch 12 lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):

N1 Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten, gemäß denen mit einer Lichtquelle ein Eingriff an einer künstlichen Augenlinse durchgeführt wird, mit zumindest folgenden Schritten:

N2 (a) Erzeugen eines individualisierten Augenmodells unter Verwendung patientenbezogener Daten, insbesondere der Ausgangsform und der Brechungsindexverteilung der künstlichen Augenlinse, N3 (b) Bestimmen einer anzustrebenden Referenzlinse (Form und Brechungsindexverteilung) mittels iterativer dreidimensionaler inverser Strahl-Rückverfolgung an dem Augenmodell, N4 (c) Bestimmen der Differenz zwischen der Referenzlinse (Form und Brechungsindexverteilung) und der Ausgangslinse (Form und Brechungsindexverteilung) zur Gewinnung eines Ausgangsbearbeitungsprofils, N5 (d) Ableiten von Steuerdaten zum Steuern der Lichtquelle, insbesondere der Positionsdaten für die Orte der Wechselwirkung zwischen der Lichtstrahlung und der künstlichen Augenlinse, N6 (e) Simulieren der Wechselwirkung zwischen gemäß den Steuerdaten gesteuerter Lichtstrahlung und der künstlichen Augenlinse unter Zugrundelegung des individualisierten Augenmodells, um unter Abarbeitung des Ausgangsbearbeitungsprofils eine simulierte Augenlinse (Form und Brechungsindexverteilung) zu erhalten, N7'' (f) Vergleichen der simulierten Augenlinse (Form und Brechungsindexverteilung) mit der Referenzlinse (Form und Brechungsindexverteilung) unter Anwendung vorgegebener Kriterien zur Bestimmung, ob ein Unterschied zwischen der simulierten Augenlinse und der Referenzlinse innerhalb oder außerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt, und N8 (g) iteratives Wiederholen der Schritte (d) bis (f) mit geänderten Steuerdaten bis der Vergleich einen Unterschied innerhalb der Toleranz ergibt.

Hinsichtlich der geltenden Unteransprüche 2 und 3, 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15 wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 9. Oktober 2007 aufzuheben und das Patent DE 10 2004 033 819 zu erteilen mit den Patentansprüchen 1 bis 15 und der Beschreibung, Seiten 1 bis 16, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010, sowie mit der Zeichnung, Figuren 1 bis 10, gemäß Offenlegungsschrift.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II Die Beschwerde ist zulässig und hat mit den vorgenommenen Änderungen und nach Neufassung der Patentansprüche auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Erteilung des Patentes führt. Die beanspruchten Verfahren unterliegen nicht den Patentierungsausschlüssen nach § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG oder § 5 Abs. 2 PatG a. F. (§ 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG). Die Verfahren nach den geltenden nebengeordneten Patentansprüchen 1, 4, 8 und 12 sind gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruhen diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 15 sind zulässig, denn sie sind in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.

Der geltende Patentanspruch 1 gründet auf dem ursprünglichen Anspruch 1 und ist nunmehr auf ein Verfahren gerichtet. Die in ihm angegebenen Merkmale entsprechen den Schritten des Verfahrens, das ausgeführt wird, wenn das Computerprogramm nach dem ursprünglichen Anspruch 1 bestimmungsgemäß auf einem Rechner abläuft. Das Verfahren nach dem neuen Patentanspruch 1 ist daher durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt.

Die auf das Verfahren nach Patentanspruch 1 rückbezogenen geltenden Unteransprüche 2 und 3 entsprechen inhaltlich den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 3.

Die geltenden nebengeordneten Patentansprüche 4, 8 und 12 sind unter Änderung des Begriffes "Steuerprogramm" in "Steuerdaten" in der Bezeichnung aus den ursprünglichen Ansprüchen 4, 8 und 12 hervorgegangen.

Die geltenden Unteransprüche 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15.

2. Die Erfindung betrifft nach der geltenden Bezeichnung ein Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems für ophthalmologische Eingriffe.

Gemäß der Beschreibung der Anmeldung ist es Stand der Technik, chirurgische Eingriffe zur Korrektur von Fehlsichtigkeiten mit Laserstrahlung durchzuführen, die mit Teilen des Auges (bspw. der Hornhaut) in Wechselwirkung tritt, um dessen optische Eigenschaften zu ändern (vgl. Offenlegungsschrift, Abs. [0002]). Auch sei es bekannt, eine künstliche Augenlinse in das Auge zu implantieren, deren Form und optische Wirkung nach der Implantation durch Lichteinwirkung (bspw. UV-Licht) verändert werden können (Abs. [0003]).

Auf Basis von klinischen Daten (bspw. zur Fehlsichtigkeit) und theoretischen Augenmodellen werde die zu erzielende Formänderung an den optischen Strukturen des Auges berechnet. Aus der Differenz zwischen der präoperativen Form und der gewünschten theoretischen postoperativen Form der zu bearbeitenden Augenstruktur ließen sich Behandlungsprofile bzw. Veränderungsprofile ableiten (bspw. das abzutragende Hornhautvolumen), gemäß denen der Laser gesteuert werde (Abs. [0004]).

Es sei auch bekannt, aufgrund von Annahmen über den von jedem Laserschuss bewirkten Gewebeabtrag, ein Steuerprogramm in Raum und Zeit für die Laserpulse zu erstellen. Hierbei würden auch empirisch erfasste Einflussfaktoren, wie bspw. die Wundheilung, berücksichtigt. Die Position (x, y, z) der einzelnen Laserpulse werde in der Regel in Bezug auf eine Referenzachse (bspw. die Sichtlinie) berechnet (Abs. [0005] bis [0008]).

Aus der WO 01/85075 A1 (D3) sei es bekannt, bei der Bestimmung von Ablationsprofilen zur Lasersteuerung verschieden Einflussfaktoren, wie bspw. Reflexionsverluste beim Abtrag oder unterschiedliche Abtragwirkung der Laserpulse durch unterschiedliche Auftreffwinkel auf die Hornhautoberfläche, zu berücksichtigen (Abs. [0009]).

Die bekannten Techniken seien insofern verbesserungsfähig, als sie in aller Regel nicht patientenspezifisch seien, sondern auf statistisch gewonnenen postoperativen klinischen Ergebnissen beruhten, und bei der Profilberechnung Annahmen und Vereinfachungen zugrunde gelegt würden (Abs. [0010] u. [0011]).

3.

Aufgabe der Erfindung ist es daher, Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems bereitzustellen, aufgrund derer verbesserte ophthalmologische Behandlungsergebnisse erzielt werden können (vgl. geltende Beschreibungseinleitung).

4.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß den beanspruchten Verfahren eine iterative Simulation einer augenchirurgischen Behandlung mit einem Lasersystem auf einem Rechner durchgeführt. Im Rahmen dieser Simulation werden Steuerdaten eines Lasersystems für einen nachfolgenden chirurgischen Eingriff erzeugt.

Den Verfahren nach den geltenden selbständigen Patentansprüchen 1, 4, 8 und 12 stehen patenthindernde Gründe nicht entgegen. Die weiteren Unteransprüche betreffen vorteilhafte Ausgestaltungen der beanspruchten Verfahren und auch die übrigen Unterlagen erfüllen insgesamt die gesetzlichen Anforderungen.

4.1. Mit den Verfahren nach den Patentansprüchen 1, 4, 8 und 12 werden keine Computerprogramme als solche i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG beansprucht.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch ein Datenverarbeitungsprogramm verwirklichtes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, die die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben (BGH GRUR 2010, 613 ff. -Dynamische Dokumentengenerierung, m. w. N.). Wegen des Patentierungsausschlusses für Computerprogramme als solche (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG) vermögen regelmäßig erst solche Anweisungen die Patentfähigkeit eines Verfahrens zu begründen, die eine Problemlösung mit derartigen Mitteln zum Gegenstand haben. Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines technischen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Rechners kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbotes eine Patentfähigkeit zur Folge haben (vgl. a. a. O.).






BPatG:
Beschluss v. 15.07.2010
Az: 21 W (pat) 46/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5f1db851d8ab/BPatG_Beschluss_vom_15-Juli-2010_Az_21-W-pat-46-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share