Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 13. Januar 2003
Aktenzeichen: AnwZ (B) 59/01
(BGH: Beschluss v. 13.01.2003, Az.: AnwZ (B) 59/01)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 23. Mai 2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen und der Feststellungsantrag zurückgewiesen werden.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 51.129,19 DM) festgesetzt.
G r ü n d e:
I.
Der Antragsteller legte am 5. August 1965 die zweite juristische Staatsprüfung ab und war seit dem 23. Mai 1967 als Beamter auf Lebenszeit in der unmittelbaren und mittelbaren Landesverwaltung von B. tätig, zuletzt seit dem 29. Januar 1991 als Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Justiz. Er wurde am 14. Dezember 1999 in den einstweiligen Ruhestand versetzt und beantragte am 5. Januar 2000, zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Landgericht B. zugelassen zu werden. Die Antragsgegnerin wies den Antrag mit Bescheid vom 17. März 2000 unter Berufung auf die vorherige Anstellung des Antragstellers als Beamter auf Lebenszeit in dem Bezirk des Landgerichts B. (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) zurück.
Diesen Bescheid hat der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung rechtzeitig angefochten. Während des gerichtlichen Verfahrens wurde er am 7. Juli 2000 vom Präsidenten des B. Oberlandesgerichts antragsgemäß zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Landgericht P. zugelassen.
Der Antragsteller hat beantragt, die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. März 2000 zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Anwaltsgerichtshof hat über diesen Antrag nicht entschieden, sondern das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt und die Kosten dem Antragsteller auferlegt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit welcher der Antragsteller seinen in der Vorinstanz gestellten Antrag als Hauptantrag weiterverfolgt und hilfsweise beantragt, die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung festzustellen.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 42 Abs. 1 Nr. 2 und 4 BRAO). Indem der Anwaltsgerichtshof die Hauptsache -entgegen dem aufrechterhaltenen Sachantrag des Antragstellers -für erledigt erklärt und über die Kosten entschieden hat, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Sache nach als unzulässig angesehen und damit im Sinne des § 42 Abs. 1 BRAO zurückgewiesen worden (BGH, Beschluß vom 24. Oktober 1994 -AnwZ (B) 21/94, BRAK-Mitt. 1995, 124 unter II 1). Auch im übrigen ist das Rechtsmittel zulässig (§ 42 Abs. 4 BRAO).
2.
Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Weder der vom Antragsteller als Hauptantrag aufrechterhaltene ursprüngliche Antrag auf gerichtliche Entscheidung noch der im Beschwerdeverfahren gestellte Hilfsantrag haben Erfolg. Die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. März 2000 ist zu Recht ergangen, weil der Versagungsgrund des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO einer Zulassung des Antragstellers bei dem Landgericht B. entgegenstand und bis zum Ablauf der in dieser Vorschrift bestimmten Sperrfrist von fünf Jahren weiterhin entgegensteht.
a) Die vom Antragsteller mit seinem Hauptantrag weiterverfolgte Hauptsache hat sich allerdings, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, dadurch erledigt, daß der Antragsteller während des vorinstanzlichen Verfahrens seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Landgericht P. erwirkt hat. Dadurch hat sich sein ursprüngliches Begehren auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Landgericht B. erledigt. Die antragsgemäß ausgesprochene Erstzulassung bei einem bestimmten Gericht -hier: dem Landgericht Potsdam -macht in jedem Fall einen daneben weiterverfolgten, abschlägig beschiedenen Antrag auf Erstzulassung bei einem anderen Gericht -hier: Landgericht B. -gegenstandslos (BGH, Beschluß vom 14. Juni 1993 -AnwZ (B) 16/93, BRAK-Mitt. 1993, 221; BGH, Beschluß vom 1. März 1993 -AnwZ (B) 57/92, BRAK-Mitt. 1993, 171 unter II 1).
Daran ändert nichts, daß der Antragsteller sein Begehren auf Zulassung bei dem Landgericht B. nicht aufgegeben und seine Erstzulassung bei dem Landgericht P. nur vorsorglich, als "Zwischenlösung", erstrebt hatte. Die Zulassung bei dem Landgericht B. kann der Antragsteller nur noch durch einen Zulassungswechsel nach § 33 BRAO erreichen (vgl. BGH, Beschluß vom 14. Juni 1993 -AnwZ (B) 16/93, aaO unter II 1).
Als Antrag nach § 33 BRAO kann der aufrechterhaltene Antrag auf gerichtliche Entscheidung im vorliegenden gerichtlichen Verfahren jedoch nicht behandelt werden, zumal die Antragsgegnerin über einen solchen Antrag noch nicht entschieden hat (BGH, Beschluß vom 14. Juni 1993, aaO) und auch der Antragsteller den dafür erforderlichen Verzicht auf seine lokale Zulassung bei dem Landgericht P. gegenüber der Landesjustizverwaltung von B.
bislang nicht erklärt hat (§ 33 Abs. 1 BRAO).
Der Rechtsprechung des Senats zur Erledigung der Hauptsache in einem Verfahren auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und Erstzulassung bei einem bestimmten Gericht steht die neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die eine Erledigung der Hauptsache in einer Fachanwaltssache bei einem Zulassungswechsel in einen anderen Kammerbezirk verneint (BVerfG, Beschluß vom 30. April 2002 -1 BvR 1487/01, NJW 2002, 2022), nicht entgegen. Erfolgt während eines anhängigen Zulassungsverfahrens anderweitig die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und die Zulassung bei einem anderen Gericht, dann ist eine (nochmalige) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtlich nicht mehr möglich. Die beantragte Zulassung bei dem zunächst angestrebten Gericht kann dann nicht mehr in Verbindung mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern nur noch unter den Voraussetzungen des § 33 BRAO erreicht werden. Eine nach der Antragstellung anderweitig ausgesprochene Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und Erstzulassung bei einem anderen Gericht ist deshalb als erledigendes Ereignis im anhängigen Zulassungsverfahren weiterhin zu berücksichtigen.
b) Allerdings hätte der Anwaltsgerichtshof verfahrensrechtlich, statt die Erledigung der Hauptsache auszusprechen, über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung befinden müssen, weil der Antragsteller keine der Erledigung Rechnung tragende Erklärung abgegeben, sondern auf seinem Antrag beharrt hatte. Der trotz eingetretener Erledigung der Hauptsache aufrechterhaltene Antrag auf gerichtliche Entscheidung war mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden und wäre deshalb mit der Kostenfolge aus §§ 201 BRAO, 13 a FGG abschlägig zu bescheiden gewesen (vgl. BGH, Beschluß vom 1. März 1993 -AnwZ (B) 29/92, BRAK-Mitt. 1993, 105 unter II 2; BGH, Beschluß vom 14. Juni 1993 -AnwZ (B) 16/93, BRAK-Mitt. 1993, 221 unter II 1; BGH, Beschluß vom 24. Oktober 1994 -AnwZ (B) 21/94, BRAK-Mitt. 1995, 124 unter II 2).
c) Auch im Beschwerdeverfahren ist damit eine Sachentscheidung über den als Hauptantrag weiterverfolgten ursprünglichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht mehr möglich. Anders verhält es sich hinsichtlich des Hilfsantrages. Über das Begehren des Antragstellers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses ist eine Sachentscheidung zu treffen, um dem Grundrecht des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) Geltung zu verschaffen (vgl. dazu BVerfG, Beschluß vom 30. April 2002, aaO).
Ein der Fortsetzungsfeststellungsklage des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechendes Feststellungsbegehren sieht die Bundesrechtsanwaltsordnung zwar nicht vor, so daß ein solches Feststellungsbegehren nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in der Regel unzulässig ist (BGH, Beschluß vom 1. März 1993, AnwZ (B) 29/92, aaO, unter II 2 b; BGH, Beschluß vom 11. Juli 1994 -AnwZ (B) 4/94, BRAK-Mitt. 1995, 73 unter II 2; BGH, Beschluß vom 24. November 1997 -AnwZ (B) 38/97, BRAK-Mitt. 1998, 40 = NJW 1998, 1078 unter II 2 a). Ausnahmsweise kann es jedoch statthaft sein, vom Anfechtungsantrag zum Feststellungsbegehren überzugehen, wenn sich -wie hier -die auf Beseitigung des Bescheids und Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtete Hauptsache während des gerichtlichen Verfahrens erledigt hat. Dies setzt aber voraus, daß der Antragsteller anderenfalls ohne effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) bliebe, obwohl er in seinen Rechten beeinträchtigt ist, und die begehrte Feststellung eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Justizverwaltung und dem Antragsteller bei künftigen Gelegenheiten ebenso stellen wird (BGH, Beschluß vom 1. März 1993, aaO; BGH, Beschluß vom 11. Juli 1994, aaO; BGH, Beschluß vom 24. November 1997, aaO). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Eine fortwirkende Beeinträchtigung der Rechte des Antragstellers durch die angefochtene Verfügung besteht darin, daß dem Antragsteller weiterhin verwehrt ist, seine Kanzlei als bei dem Landgericht B. zugelassener Rechtsanwalt in B. einzurichten (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BRAO); er hat die Zulassung in Potsdam nur erwirkt, weil ihm die Zulassung beim Landgericht B. versagt worden ist, und würde seine Kanzlei sofort nach B. verlegen, wenn die Antragsgegnerin dem zustimmen würde. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob einer Zulassung des Antragstellers bei dem Landgericht B. der Versagungsgrund nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO entgegensteht, bei einem ebenfalls bei der Antragsgegnerin zu beantragenden Zulassungswechsel nach § 33 BRAO in gleicher Weise wie bei dem von der Antragsgegnerin abgelehnten Antrag auf Erstzulassung des Antragstellers bei dem Landgericht B. . Der Antragsteller hat deshalb ein fortbestehendes berechtigtes Interesse an einer Sachentscheidung über die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung, auch wenn er wegen der eingetretenen Erledigung der Hauptsache im vorliegenden Verfahren nicht mehr seine Zulassung bei dem Landgericht B. erstreiten kann.
d) Der Feststellungsantrag hat jedoch keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin den mit dem Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verknüpften Antrag auf Zulassung bei dem Landgericht B. unter Berufung auf den Versagungsgrund des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zurückgewiesen hat, ist nicht rechtswidrig. Diese Bestimmung, deren tatbestandliche Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verfassungswidrig. Auch hat die Antragsgegnerin das ihr nach § 20 BRAO eingeräumte Ermessen (Feuerich/Braun, BRAO, 5. Aufl., § 20 Rdnr. 8) nicht rechtsfehlerhaft ausgeübt (§ 39 Abs. 3 BRAO).
aa) Der Senat hat die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO bereits wiederholt bejaht (BGH, Beschluß vom 1. März 1993 -AnwZ (B) 57/92, BRAK-Mitt. 1993, 171 unter II 3; BGH, Beschluß vom 21. November 1994 -AnwZ (B) 53/94, BRAK-Mitt. 1995, 127 unter II 2 a; BGH, Beschluß vom 18. November 1996 -AnwZ (B) 22/96, BRAK-Mitt. 1997, 90 unter II 1). Die Vorschrift berührt nicht die Freiheit der Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, da sie nicht die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausschließt, sondern setzt lediglich nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG Schranken für die Berufsausübung. Diese Einschränkung ist zulässig, weil sie zum Schutz der Rechtspflege vor Mißdeutungen und zum Schutz der Objektivität der Gerichte geschaffen und damit an vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls orientiert ist (BGH, Beschluß vom 1. März 1993, aaO). Die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO soll im Interesse der Rechtspflege der Gefahr vorbeugen, daß Rechtsuchende den Eindruck gewinnen könnten, der als Anwalt bei einem bestimmten Gericht Zugelassene sei in der Lage, bei Wahrnehmung der Interessen seiner Auftraggeber -zum Schaden von dessen Gegnern -, persönliche Beziehungen zu Richtern oder Beamten dieses Gerichts aus seiner früheren dienstlichen Tätigkeit nutzbar zu machen (BGHZ 56, 142, 143). Da sich diese Gefahr mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu der früheren Tätigkeit verringert, hat der Gesetzgeber die Versagung der lokalen Zulassung auf eine Sperrfrist von fünf Jahren beschränkt.
An dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen Zielsetzung der Vorschrift hat sich durch die Neufassung des § 78 ZPO nichts geändert. In seiner früheren Fassung verknüpfte § 78 ZPO den Anwaltszwang mit dem sogenannten Lokalisierungsgrundsatz in der Weise, daß die Postulationsfähigkeit des Anwalts auf das Gericht seiner Zulassung beschränkt war. Durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) und durch das Änderungsgesetz vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2448) wurde die Verknüpfung von Lokalisierungsprinzip und Anwaltszwang in § 78 ZPO beseitigt und damit die umfassende Postulationsfähigkeit des bei einem Amtsund Landgericht zugelassenen Rechtsanwalts für alle Anwaltsprozesse vor Amtsoder Landgerichten hergestellt. Damit ist jedoch der Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ihre verfassungsrechtliche Legitimation nicht entzogen worden.
Der abstrakte Gefährdungstatbestand, den der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift geschaffen hat (BGHZ 56, 142, 143), ist mit der Regelung der Postulationsfähigkeit im Anwaltsprozeß nach § 78 ZPO a.F. nicht untrennbar verbunden. Allerdings wird durch eine Versagung der lokalen Zulassung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO aufgrund der Neufassung des § 78 ZPO nicht mehr -wie früher -verhindert, daß der Rechtsanwalt die Partei im Anwaltsprozeß auch vor dem Landgericht vertreten kann, in dessen Bezirk er zuvor als Richter oder Beamter auf Lebenszeit angestellt war. Damit sind die oben genannten Gemeinwohlbelange aber nicht hinfällig geworden und hat die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO auch nicht ihre Eignung verloren, diese zu schützen.
Die Gefahr -auch nur des Anscheins -unsachgemäßer Beeinflussung der Rechtspflege durch den in § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO genannten Personenkreis, der die Vorschrift begegnen will, steht und fällt nicht mit einer Verknüpfung der lokalen Zulassung nach § 18 Abs. 1 BRAO mit der auf dieses Gericht beschränkten Postulationsfähigkeit im Anwaltsprozeß, wie sie § 78 ZPO a.F. vorsah. Diese Gefahr trat aufgrund der Regelung des § 78 ZPO a.F. lediglich besonders deutlich vor Augen, beruht aber nicht auf einer solchen Verknüpfung, sondern darauf, daß der Rechtsanwalt an dem Gericht seiner Zulassung seine Kanzlei einrichtet (§ 27 Abs. 1 BRAO) und hier -in räumlicher Nähe zu seiner früheren Tätigkeit als Richter oder Beamter auf Lebenszeit -den Mittelpunkt seiner Anwaltstätigkeit hat. Der Rechtsanwalt, der nicht nur wie ein auswärtiger Anwalt gelegentlich, sondern regelmäßig mit den Gerichten zu tun hat, in deren Landgerichtsbezirk er früher selbst als Richter oder Beamter tätig war, ist in besonderer Weise mit einer möglichen, wenn auch ungerechtfertigten, Erwartung Rechtsuchender konfrontiert, er könnte persönliche Beziehungen zum Gericht aus seiner früheren Tätigkeit nutzen. Dem wird durch die -auf eine Sperrfrist von fünf Jahren beschränkte -Versagung der lokalen Zulassung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO weiterhin sachgerecht entgegengewirkt.
Für die Führung von Prozessen mit Anwaltszwang vor dem Landgericht ist die Rechtslage jetzt die gleiche wie für die Führung von Prozessen ohne Anwaltszwang vor einem Amtsgericht, als die Einschränkung der Postulationsfähigkeit nach § 78 ZPO a.F. noch bestand. Damals bereits konnte ein auswärtiger Rechtsanwalt in einem Rechtsstreit ohne Anwaltszwang auch vor dem Amtsgericht auftreten, in dessen Landgerichtsbezirk er zuvor als Richter oder Beamter auf Lebenszeit angestellt war, ohne daß darin ein Grund gesehen wurde, die Eignung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO für den Schutz der dieser Vorschrift zugrundeliegenden Gemeinwohlbelange in Frage zu stellen und die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift zu verneinen. Die Neufassung des § 78 ZPO hat die Möglichkeit, daß ein Rechtsanwalt vor einem anderen Gericht als dem seiner Zulassung auftritt, zwar erweitert, aber nicht neu geschaffen. Sie hat für die verfassungsrechtliche Legitimation des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO keine ausschlaggebende Bedeutung.
bb) Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe des Antragstellers gegen die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin. Eine an den Grenzen des § 39 Abs. 3 BRAO ausgerichtete Überprüfung hat Rechtsfehler nicht ergeben.
Zutreffend ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, daß sie im Hinblick auf die Formulierung des § 20 Abs. 1 BRAO als Soll-Vorschrift bei Vorliegen der Versagungsgründe im Regelfall gehalten ist, die Zulassung zu versagen, es sei denn, besondere Gründe rechtfertigten ausnahmsweise eine andere Entscheidung (BGH, Beschluß vom 14. Juni 1993 -AnwZ (B) 11/92, BRAK-Mitt. 1993, 220 unter II 3 a). Die Zulassung kann und muß danach nur erteilt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, welche die abstrakte Gefahr des Vertrauens in die Integrität der Rechtspflege ausräumen oder die Versagung der Zulassung ausnahmsweise als unzumutbar erscheinen lassen (BGH, Beschluß vom 14. Juni 1993, aaO). Das Vorliegen derartiger Umstände hat die Antragsgegnerin rechtsfehlerfrei verneint; dies gilt auch dann, wenn, der Ansicht des Anwaltsgerichtshofs folgend, an die Ausräumung des Gefährdungstatbestands keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind.
Der Antragsteller war seit 1967 als Beamter auf Lebenszeit in der Landesverwaltung von B. tätig, zuletzt ab 1989 als Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Inneres und ab 1991 als Staatssekretär für Justiz. Seine Tätigkeit als Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Justiz brachte es mit sich, daß er über einen langen Zeitraum -annähernd neun Jahre -insbesondere an Beförderungen der Richter und Staatsanwälte in B. maßgeblich beteiligt war. Die über viele Jahre ausgeübte Leitungsfunktion des Antragstellers in der B. Justiz kann, worauf die Antragsgegnerin in der Begründung ihres ablehnenden Bescheides mit Recht hingewiesen hat, in den Augen der rechtsuchenden Bevölkerung durchaus die Vorstellung erwecken, daß der Antragsteller über besondere Beziehungen zu den Richtern und Staatsanwälten der B. Justiz verfügt, die sich bei der Vertretung der Interessen eines Mandanten günstig -für einen Gegner des Mandanten unter Umständen nachteilig -auswirken können.
Zu Recht haben die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof insoweit nicht auf die Person des Antragstellers, sondern auf dessen Position als ehemaliger Justizstaatssekretär in B. abgestellt und darin die Gefahr begründet gesehen, ein vernünftiger Rechtsuchender könne durchaus auf den Gedanken kommen, daß der Antragsteller als in B. zugelassener Rechtsanwalt für seine Mandanten mehr bewirken könne als andere Rechtsanwälte. In dieser naheliegenden Gefahr solcher -wenn auch irriger -Vorstellungen Rechtsuchender liegt nicht nur eine abstrakte, sondern sogar eine konkrete Gefährdung von Rechtspflegeinteressen, die eine vorübergehende Versagung der Zulassung des Antragstellers bei dem Landgericht B. selbst dann rechtfertigt, wenn § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nach der Neufassung des § 78 ZPO im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin einzuschränken sein sollte, daß eine Versagung der lokalen Zulassung den Nachweis einer konkreten Gefährdung von Rechtspflegeinteressen voraussetzt.
Die in Aussicht gestellte Erklärung des Antragstellers, er wolle innerhalb der Sperrfrist von fünf Jahren vor dem Landgericht B. nicht auftreten, ist nicht geeignet, eine vom Regelfall des § 20 Abs. 1 BRAO abweichende Entscheidung zu rechtfertigen oder gar zu gebieten. Eine solche Erklärung würde keine Rechtsbindung erzeugen und könnte im übrigen, da sie der Öffentlichkeit unbekannt bliebe, den Anschein unsachlicher Einflüsse auf die Rechtspflege auch nicht vermeiden (BGH, Beschluß vom 24. April 1989 -AnwZ (B) 7/89, BRAK-Mitt. 1989, 210 unter II 2 a.E.). Davon abgesehen ist das Regelungsziel der Vorschrift -wie dargelegt -darauf ausgerichtet, ein Auftreten des Antragstellers nicht nur vor dem Landgericht, in dessen Bezirk er als Staatssekretär tätig war, quantitativ zu beschränken, sondern vor der Justiz -den Gerichten und der Staatsanwaltschaft -dieses Landgerichtsbezirks insgesamt.
Umstände, welche die Entscheidung der Antragsgegnerin für den Antragsteller unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar erscheinen lassen, sind vom Antragsteller nicht dargelegt worden und auch nicht zu ersehen. Soweit er sein Interesse an einer Zulassung in B.
damit begründet, daß eine solche "Adresse" für das von ihm angestrebte Tätigkeitsfeld der Politikberatung besser geeignet sei als eine Kanzleianschrift außerhalb B. , reicht dies bei Abwägung mit den dem Versagungsgrund des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zugrundeliegenden Gemeinwohlbelangen nicht aus, um die den Antragsteller für eine Übergangszeit von fünf Jahren belastende Entscheidung als unverhältnismäßig oder für ihn unzumutbar erscheinen zu lassen.
Deppert Schlick Otten Frellesen Kieserling Hauger Kappelhoff
BGH:
Beschluss v. 13.01.2003
Az: AnwZ (B) 59/01
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