Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Juli 2006
Aktenzeichen: 27 W (pat) 150/04
(BPatG: Beschluss v. 25.07.2006, Az.: 27 W (pat) 150/04)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Die Widersprechende hat gegen die am 30. August 2000 eingetragene, in Deutschland für "Peaux d'animaux, coffrets destines à contenir des articles de toilette dits "vanitycases", sacs à main, mallettes; Chaussures, gants (habillement); Lacets de chaussures" geschützte IR-Marke Nr. 743 038 GINO ROSSI Widerspruch eingelegt 1. aus ihrer international seit 11. November 1991 für "Chaussures" eingetragenen IR-Marke Nr. 577 643 MISS ROSSI 2. aus ihrer am 18. Oktober 1996 angemeldeten und seit 15. Mai 2000 u. a. für "Waren aus Leder und Lederimitationen, nämlich Taschen, Handtaschen, Umhängetaschen, Koffer, Schlüsselringetuis, Kosmetikkoffer ohne Inhalt; Brieftaschen, Geldbörsen, Dokumentenkoffer, Aktentaschen, Aktentaschen in der Art von Aktenmappen, Reisetaschen, Einkaufstaschen, Regenschirme; Bekleidungsstücke, nämlich Schals, Halstücher, Krawatten, Hemden, Blusen, Gürtel, Hüte, T-Shirts, Pullover, Regenmäntel, Röcke, Jacken, Hosen, Socken, Strümpfe; Schuhe, Stiefel, Sandalen, Hausschuhe" eingetragenen Gemeinschaftsmarke 391 656 SERGIO ROSSI.
Die Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 30. März 2004 beide Widersprüche mit der Begründung zurückgewiesen, trotz teilweiser Warenidentität sei eine Verwechslungsgefahr nicht gegeben, weil die Marken jeweils nicht allein durch den übereinstimmenden Bestandteil "ROSSI" geprägt würden. Bei aus Vor- und Zunamen zusammengesetzten Zeichen achte der Verkehr nicht allein auf den Familiennamen. Die Widerspruchsmarke zu 1 "MISS ROSSI" erscheine den angesprochenen Verkehrskreisen als Gesamtbegriff, den sie nicht verkürzen würden. In ihrer Gesamtheit unterschieden sich beide Marken hinreichend durch die vorangestellten Bestandteile "Gino" und "Miss".
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Markeninhaberin. Sie hält eine Verwechslungsgefahr hinsichtlich beider Widerspruchsmarken für gegeben. Insoweit liege teils Warenidentität, teils Warenähnlichkeit vor. Eine originäre Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarken bestehe nicht, vielmehr verfügten sie im Inland infolge starker Benutzung sogar über eine gesteigerte Kennzeichnungskraft, was sich aus den eingereichten Unterlagen ergebe. In ihrem visuellen, klanglichen und begrifflichen Gesamteindruck seien die sich gegenüberstehenden Marken ähnlich, so dass eine Verwechslungsgefahr bestehe.
Die Widersprechende beantragt, 1. den Beschluss vom 30. März 2004, insoweit in ihm der Widerspruch aus dem deutschen Teil der IR 577 643 MISS ROSSI zurückgewiesen wird, aufzuheben und der Marke IR 743 038 GINO ROSSI der "GINO ROSSI" sp. z. o. o. den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu verweigern, 2. den Beschluss vom 30. März 2004, insoweit in ihm der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke Nr. 391 656 SERGIO ROSSI zurückgewiesen wird, aufzuheben und der Marke IR 743 038 GINO ROSSI der "GINO ROSSI" sp. z. o. o. den Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu verweigern.
Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält eine Verwechslungsgefahr für ausgeschlossen. Dabei sei zu beachten, dass die jeweils beanspruchten Waren nicht identisch seien. Die Widerspruchsmarken verfügten von Haus aus auch nur über eine geringe Kennzeichnungskraft; eine Stärkung infolge Benutzung sei nicht hinreichend belegt. Die Marken seien schließlich auch nicht ähnlich.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten ihre jeweiligen Standpunkte aufrechterhalten und vertieft.
II A. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, den Widerspruch wegen mangelnder Gefahr von Verwechslungen der Vergleichsmarken nach § 43 Abs. 2 Satz 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zurückgewiesen.
Unter Berücksichtigung der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr miteinander in Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Waren- und Markenähnlichkeit sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd/Loints), wobei ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen größeren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 Tz. 23 f. - Sabèl/Puma; EuGH GRUR 1998, 922, 923 Tz. 16 f. - Canon; BGH GRUR 1999, 241, 243), ist die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken zu gering, um trotz weitgehender Warenidentität und zumindest normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr zu begründen.
1. Soweit die jüngere Marke und beide Widerspruchsmarken jeweils Schuhe beanspruchen, liegt Warenidentität vor.
Die Waren der Klasse 18 im Warenverzeichnis der jüngeren Marke ("vanitycases") fallen unter den Oberbegriff "Taschen" im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke 2, so dass auch insoweit von Warenidentität auszugehen ist.
Die in Klasse 26 von der angegriffenen Marke beanspruchten "lacets de chaussures" wiederum sind zu den für die Widerspruchsmarke 2 geschützten Schuhen unter dem Blickwinkel ergänzender Waren hochgradig ähnlich.
2. Die Widerspruchsmarken verfügen jeweils über durchschnittliche Kennzeichnungskraft.
a) Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke eine Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke behauptet und hierzu insbesondere auf die häufige Verwendung des Namens "Rossi" verwiesen hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Da eine Schwächung nur durch benutzte Drittmarken in Betracht kommt, hätte es weiterer Darlegungen über die sich einer Amtsermittlung entziehende tatsächliche Verwendung der von der Inhaberin der angegriffenen Marke genannten Zeichen bedurft, an denen es aber fehlt. Zudem liegt eine Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken nur vor, wenn sie für alle Bestandteile anzunehmen wäre; schon von der Registerlage, also ungeachtet ihrer tatsächlichen Benutzung, scheitert dies aber schon im Vorfeld daran, dass sowohl "MISS ROSSI" als auch "SERGIO ROSSI" als Marken in Klasse 25 gerade nicht häufig anzutreffende registrierte Zeichen sind. Auch für die Widerspruchsmarke 1 "MISS ROSSI" gilt nichts Anderes; denn selbst wenn für den Bestandteil "MISS" ein beschreibender Anklang in Form eines Hinweises auf Mädchenmode bzw. Mode für junge Frauen unterstellt würde (wogegen allerdings spricht, dass sich dieser Bestandteil in der Marke allein auf den nachfolgenden Namen bezieht und damit lediglich den Namensträger als - unverheiratete - Frau bezeichnet), fehlt es an Belegen für eine Häufigkeit der Kombination dieses Bestandteils mit dem nachfolgenden Namen "ROSSI", so dass sich auch hieraus eine Kennzeichenschwäche der Widerspruchsmarke 1 nicht herleiten lässt.
b) Umgekehrt liegt allerdings auch keine Erhöhung der Kennzeichnungskraft vor. Zwar sprechen die von der Widersprechenden vorgelegten Angaben über die Umsätze dafür, dass es sich um gut benutzte Marken handelt, mangels Darlegung von Vergleichsgrößen vermag der Senat aber eine Präsenz am Markt nicht festzustellen, die eine Erhöhung der Kennzeichnungskraft nahe legen könnte, selbst wenn man unterstellt, dass SERGIO ROSSI oder MISS ROSSI eine gewisse Bekanntheit als Marken haben.
3. Entgegen der Ansicht der Widersprechenden unterscheiden sich die zu vergleichenden Marken in visueller, akustischer und semantischer Hinsicht hinreichend durch die jeweils vorangestellten unterschiedlichen Vornamen GINO und SERGIO bzw. durch die Abweichungen in dem auf einen weiblichen Namensträger hindeutenden Vorsatz "MISS" in der Widerspruchsmarke 1.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Widersprechenden auf den in allen Marken enthaltenen gemeinsamen (Nach-)Namen "ROSSI". Ein Erfahrungssatz, dass sich der Verkehr bei Marken, die erkennbar aus Vor- und Nachnamen gebildet sind, nur am Nachnamen orientiert, besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht (vgl. GRUR 2000, 233, 234 - ELFI RAUSCH/RAUCH; GRUR 2000, 1031, 1032 - Carl Link; Mitt. 2005, 314, 315 - MEY/Ella May). Das gilt insbesondere für den Bekleidungsbereich, in dem Hersteller- bzw. Designermarken sehr häufig aus Vor- und Familiennamen gebildet sind (vgl. BGH GRUR 1999, 241, 244 - Lions; a. a. O. - MEY/Ella May; BPatGE 47, 198, 203 f. - Ella May). Die deutschen Verbraucher fassen solche Kennzeichen daher in der Regel so auf, wie sie ihnen entgegentreten. Auch die europäischen Gerichte haben sich dem angeschlossen (vgl. EuG GRUR Int. 2005, 503 [Rz. 73-76] - Rossi). Dem steht auch die "THOMSON LIFE"-Entscheidung des EuGH (GRUR 2005, 1042) nicht entgegen, denn diese Entscheidung geht für den Regelfall vom Gesamteindruck aus (vgl. a. a. O. [Rz. 28] und nimmt lediglich für einen ganz bestimmten Fall, nämlich der identischen Übernahme der älteren Marke unter Hinzufügung der Firma des Inhabers der angegriffenen Marke, eine Ausnahmesituation an (vgl. a. a. O. [Rz. 30]); damit ist die vorliegende Konstellation schon im Ansatz nicht vergleichbar. Soweit das EuG beim Vergleich von ENZO FUSCO und ANTONIO FUSCO (GRUR Int. 2005, 499) FUSCO als dominierend angesehen hat, ist dies auf die Berücksichtigung der italienischen Rechtsprechung und den nicht sehr verbreiteten Nachnamen FUSCO zurückzuführen.
Schließlich führt auch die "ELLA MAY"-Entscheidung des Senats (BPatGE 47, 198, bestätigt durch BGH GRUR 2005, 513) zu keiner anderen Beurteilung, denn - neben der gesteigerten Kennzeichnungskraft - war bei dieser maßgeblich, dass der Verkehr wegen der Klangidentität der Nachnamen der (akustischen) Fehlvorstellung unterliegen könne, bei dem allein durch den zusätzlichen Vornamen ergänzten jüngeren Zeichen handele es sich um dieselbe Person wie die mit der nur aus dem klangidentischen Nachnamen bestehenden Widerspruchsmarke bezeichnete, so dass er beide Zeichen fälschlich demselben Unternehmen zuordnet. Eine vergleichbare Lage liegt hier aber unabhängig von der Frage der Kennzeichnungskraft schon deshalb nicht vor, weil die Unterschiede in den Vornamen bzw. in dem auf das Geschlecht des Namensträgers hindeutenden vorangestellten Zusatz "MISS" einer solchen Fehlvorstellung erkennbar entgegenwirken.
4. Da somit im Ergebnis trotz Warenidentität und normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nur sehr geringe, an Unähnlichkeit heranreichende Zeichenähnlichkeiten vorliegen, scheidet eine Verwechslungsgefahr aus. Der Beschwerde der Widersprechende gegen den ihren Widerspruch somit zutreffend zurückzuweisenden Beschluss der Markenstelle war daher der Erfolg zu versagen.
B. Da Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind, hat es dabei zu verbleiben, dass beide Beteiligte ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).
BPatG:
Beschluss v. 25.07.2006
Az: 27 W (pat) 150/04
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