Hamburgisches Oberverwaltungsgericht:
Beschluss vom 19. November 2013
Aktenzeichen: 3 Bs 274/13, 3 So 102/13
(Hamburgisches OVG: Beschluss v. 19.11.2013, Az.: 3 Bs 274/13, 3 So 102/13)
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. August 2013, soweit damit die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt worden ist (3 Bs 274/13), wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
2. Die Streitwertbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. August 2013 (3 So 102/13) wird verworfen.
Gründe
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die vom Verwaltungsgericht beschlossene Ablehnung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der beim Verwaltungsgericht anhängigen Klage (2 K 3223/13) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2013 bleibt ohne Erfolg. Der von der Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Ausschluss des Antragstellers von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen in dem Bachelorstudiengang Politikwissenschaft hält der rechtlichen Prüfung im Beschwerdeverfahren Stand.
a) Richtige Antragsgegnerin im vorliegenden Eilverfahren ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch das Bundesministerium der Verteidigung), sondern die Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg (vertreten durch den Präsidenten). Darauf hat bereits die Helmut-Schmidt-Universität im Eilverfahren erster Instanz zutreffend hingewiesen (vgl. den Schriftsatz vom 22.8.2013, S. 1 f.).
Auch wenn die Helmut-Schmidt-Universität keine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, ist sie nach dem Rechtsträgerprinzip der im Eilverfahren entsprechend anzuwendenden Bestimmung des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO hier gleichwohl die richtige Antragsgegnerin. Diese Bestimmung ist über ihren unmittelbaren Wortlaut hinaus weit auszulegen. Sie erfasst auch Vereinigungen, denen im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO ein eigenes Recht zustehen kann, soweit es in dem betreffenden Rechtsstreit gerade um ein solches Recht geht, zu dessen Erfüllung die Vereinigung verpflichtet wäre, sofern es bestünde (vgl. Meissner in: Schoch, VwGO, 2005, § 78 Rn. 30 f.; Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 78 Rn. 21). Vereinigungen in diesem Sinne können auch Hochschulen sein, die nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert sind (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 27.2.1995, NVwZ 1995, 1135 f., zur Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Hamburg; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 61 Rn. 9). So liegt es hier. Die Helmut-Schmidt-Universität ist insofern eine Vereinigung im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO, als ihr von der Freien und Hansestadt Hamburg gemäß § 112 HmbHG u. a. für den hier betroffenen Studiengang Politikwissenschaft das Recht übertragen worden ist, Prüfungen abzunehmen und akademische Grade zu verleihen. Dieses Recht umfasst auch die Befugnis, Studierende in besonders schwerwiegenden Täuschungsfällen von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen auszuschließen. Umgekehrt hätte die Helmut-Schmidt-Universität (und nicht das Bundesministerium der Verteidigung) das von dem Antragsteller geltend gemachte Recht, das Studium der Politikwissenschaft fortzusetzen, zu erfüllen, sofern dieses Recht denn bestünde.
b) Die Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe ergibt, dass der angefochtene Beschluss mit der dort gegebenen Begründung keinen Bestand haben kann. Damit ist das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet, ohne die Beschränkung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO über die Beschwerde in eigener Kompetenz zu entscheiden. Diese Prüfung führt allerdings gleichwohl zur Zurückweisung der Beschwerde.
Das Verwaltungsgericht hat zu der im vorliegenden Fall streitentscheidenden Bestimmung des § 19 Abs. 2 Studien- und Prüfungsordnung der Antragsgegnerin für den Bachelor- und Masterstudiengang Politikwissenschaft (im Folgenden: PO), nach der in besonders schwerwiegenden Fällen der Täuschung der zuständige Prüfungsausschuss den Prüfling von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausschließen kann, Folgendes ausgeführt (BA S. 8 f.): Da nach § 19 Abs. 2 PO ein anderer besonders schwerwiegender Fall dem Wiederholungsfall gleichgestellt sei, setze ein solcher Fall ein erstmaliges Fehlverhalten voraus, dem ein dem Wiederholungsfall entsprechendes Gewicht zukomme. Für ein den Grundtatbestand erfüllendes Plagiat genüge bereits ein Teilplagiat. Die von dem Antragsteller vorgelegte Seminararbeit (€Partizipationseffekte einer Europäisierung lokaler Politik€) sei demgegenüber ein Vollplagiat nahe an der Wortidentität zu einer von ihm im Dezember 2012 über das Internet käuflich erworbenen, durch einen anderen Verfasser im Sommersemester 2004 an der Universität Konstanz erstellten Hausarbeit (€Die Regionalisierung des Mehrebenensystems der EU€). Der Antragsteller habe sich nach § 106 Abs. 1, 1. Alt StGB strafbar gemacht, indem er ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk, eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werks vervielfältigt habe. Er sei mit dem Erwerb einer Kopie der Arbeit auf dem Internetportal www.hausarbeiten.de nicht berechtigt gewesen, eine weitere, von ihm modifizierte Kopie als eigene Seminararbeit bei der Antragsgegnerin vorzulegen. Unerheblich sei es, ob der Antragsteller schon beim käuflichen Erwerb der anderen Seminararbeit die Absicht gehabt habe, eine Täuschung zu begehen. Sein Vortrag, die kennzeichnungslose Übernahme der Textpassagen sei erst später aus (Zeit-)Not heraus erfolgt, lasse keine besondere Ausnahmesituation erkennen, aus der sich das wissenschaftlich grob unlautere Verhalten des Antragstellers erklären lasse. Die Schwere des Verstoßes gegen die Chancengleichheit erübrige es, einen Wiederholungsfall abzuwarten.
Die Richtigkeit dieser Begründung, die für die Annahme eines besonders schweren Falls der Täuschung und für die dafür erforderliche Abgrenzung zum Fall einer €einfachen€ oder €normalen€ Täuschung wohl maßgeblich darauf abstellt, dass der Antragsteller sich gemäß § 106 Abs. 1, 1. Alt. €StGB€ strafbar gemacht habe, wird durch die Beschwerdebegründung des Antragstellers (Schriftsatz vom 24.9.2013, S. 5) hinreichend erschüttert. Er weist darauf hin, dass eine Strafbarkeit durch die Herstellung und Abgabe der plagiierten Seminararbeit nach der vom Verwaltungsgericht wohl gemeinten Bestimmung des § 106 Abs. 1 UrhG zweifelhaft sei, weil es als fraglich erscheine, ob es sich bei der von ihm abgegebenen Arbeit angesichts der dort vorgenommenen Veränderungen des Originaltextes um ein Vervielfältigungsstück der gekauften anderen Seminararbeit handele. Diese Zweifel erscheinen plausibel. Nach § 106 Abs. 1 UrhG ist es strafbar, in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes zu vervielfältigen, zu verbreiten oder öffentlich wieder zu geben. Die Herstellung einer Hausarbeit unter weitgehender Übernahme des Textes einer von einem anderen Schöpfer verfassten Arbeit mit geringfügigen Änderungen dürfte als Herstellen der Umgestaltung eines Werks im Sinne des § 23 UrhG einzuordnen sein. Wird eben diese Umgestaltung im Rahmen eines Studiums als Seminararbeit eingereicht, so dürfte es sich dabei nicht um die Vervielfältigung der Umgestaltung eines Werks im Sinne des § 106 Abs.1 UrhG handeln, sondern um eine anderweitige (rechtswidrige), allerdings nicht von § 106 Abs. 1 UrhG erfasste Benutzung der Umgestaltung selbst (die Tatbestände der Verbreitung im Sinne des § 17 Abs. 1 UrhG bzw. der öffentlichen Wiedergabe im Sinne des § 15 Abs. 2 und 3 UrhG dürften in diesem Fall ebenfalls nicht erfüllt sein).
c) Das Beschwerdegericht stellt die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Ausschluss des Antragstellers von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen nicht wieder her. Die auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gestützte Anordnung der sofortigen Vollziehung dieses Ausschlusses erweist sich als rechtmäßig.
aa) Die Antragsgegnerin hat in ihrem Widerspruchsbescheid vom 14. August 2013 (Seite 11) eine knappe, aber im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO ausreichende Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben. Diese Begründung beschränkt sich nicht auf formelhafte Allgemeinplätze oder auf einen Hinweis, dass die Grundverfügung eindeutig rechtmäßig sei. Sie gibt vielmehr eine Begründung für das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Ausschlusses (Ermöglichung der anderweitigen dienstlichen Verwendung des Antragstellers vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens), die angesichts des soldatenrechtlichen Hintergrunds im vorliegenden Fall plausibel erscheint. Zudem hat die Antragsgegnerin mit ihren Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung vom 15. Oktober 2013 (Seite 6) klargestellt, dass (entgegen den vom Antragsteller auf Seite 7 der Beschwerdebegründung geäußerten Bedenken) mit einer anderweitigen dienstlichen Verwendung des Antragstellers keine vollendeten Tatsachen geschaffen würden, die im Fall eines für ihn erfolgreichen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens nicht mehr zu revidieren wären; er könne dann durchaus an die Universität zurückkehren.
bb) Der Ausschluss des Antragstellers von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ist mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit rechtmäßig. Dies gilt sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß § 19 PO (aaa) als auch im Hinblick auf die für den Ausschluss erforderlichen Ermessenserwägungen (bbb).
aaa) Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 PO gilt eine Prüfungsleistung als mit €nicht ausreichend€ (5,0) bewertet, sofern der Prüfungsausschuss feststellt, dass der Prüfling versucht hat, das Ergebnis seiner Prüfungsleistung durch Täuschung zu beeinflussen; nach § 19 Abs. 3 PO gilt als Täuschung in diesem Sinne auch ein Plagiat. Im Wiederholungsfalle oder in anderen besonders schwerwiegenden Fällen kann der Prüfungsausschuss gemäß § 19 Abs. 2 PO den Prüfling von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausschließen. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller einen Täuschungsversuch in Gestalt eines Plagiats in einem besonders schwerwiegenden Fall begangen.
Dass der Antragsteller mit dem Einreichen der kaum veränderten, zuvor über das Internet käuflich erworbenen Hausarbeit überhaupt einen Täuschungsversuch in Gestalt eines Plagiats begangen hat, liegt auf der Hand und wird auch von ihm selbst nicht bestritten; wegen der Einzelheiten nimmt das Beschwerdegericht Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen der Antragsgegnerin in den angefochtenen Bescheiden und des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss.
Entgegen dem Antragsteller und mit der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht ist auch das Beschwerdegericht der Rechtsauffassung, dass der vom Antragsteller begangene Täuschungsversuch als besonders schwerwiegender Fall im Sinne des § 19 Abs. 2 PO einzustufen ist. Maßstab für die Abgrenzung eines €gewöhnlichen€ Täuschungsversuchs, der allein das Nichtbestehen des betreffenden Prüfungsteils bzw. der Prüfung zur Folge hat, von einem besonders schweren Fall, der darüber hinaus mit dem Ausschluss vom weiteren Prüfungsverfahren geahndet werden kann, ist nach dem Verständnis des Beschwerdegerichts in erster Linie das objektive Kriterium, in welchem Ausmaß der Prüfling die Spielregeln des fairen Wettbewerbs und die Chancengleichheit der anderen, sich korrekt verhaltenden Prüflinge verletzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.12.1976, Buchholz 421.0 Nr. 78 S. 60). Subjektive Faktoren wie eine persönliche Notlage des Prüflings, die sein Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind demgegenüber (neben anderen denkbaren Gesichtspunkten wie etwa der Generalprävention) auf der Rechtsfolgenseite der Norm bei der Betätigung des Ermessens durch die Prüfungsbehörde, ob sie zu der scharfen Sanktion des Ausschlusses vom Prüfungsverfahren greifen will oder nicht, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu würdigen.
Das Verhalten des Antragstellers im vorliegenden Fall stellt sich als ein grobes Täuschungsmanöver (vgl. Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 244) dar, das in besonders hohem Maße die Spielregeln des fairen Wettbewerbs und die Chancengleichheit der anderen, sich korrekt verhaltenden Prüflinge verletzt. Der Antragsteller hat sich nicht etwa bloß eines unzulässigen Hilfsmittels bedient und auf dieser Grundlage eine zwar unzulässig erleichterte, aber doch im Wesentlichen eigenständige geistige Leistung erbracht, wie dies etwa der Fall sein könnte, wenn ein Prüfling bei einer Klausur einen €Spickzettel€ verwendet oder bei der Anfertigung einer Hausarbeit zu einzelnen Gesichtspunkten kundigen Rat einholt, er aber den Gedankengang bzw. die Lösung im Wesentlichen selbst entwickelt und formuliert. Das Einreichen eines gekauften Vollplagiats bedeutet demgegenüber, dass der Prüfling nicht einmal ansatzweise eine eigenständige Leistung vorlegt und darauf setzt, aufgrund der bereits erstellten Leistung eines Anderen die Prüfung (möglichst gut) zu bestehen. Geht diese Rechnung auf, so gelangt er ohne jegliche fachliche Grundlage in dieselbe Position wie - oder je nach der Qualität des gekauften Plagiats sogar in eine bessere Position als - diejenigen Prüfungskandidaten, die ohne unzulässige Hilfsmittel mit Erfolg eine vollständig eigene Leistung abliefern. Dies führt im Ergebnis zu einem besonders krassen Verstoß gegen die Chancengleichheit der Prüflinge und rechtfertigt die tatbestandliche Einstufung als besonders schweren Fall der Täuschung.
Der Auffassung des Antragstellers (vgl. die Beschwerdebegründung S. 4), ein besonders schwerer Fall der Täuschung, der den Ausschluss vom weiteren Prüfungsverfahren rechtfertigen könne, sei nur in Fällen anzunehmen, bei denen durch das organisierte Zusammenwirken mehrerer Personen oder durch den aufwändigen Einsatz technischer Hilfsmittel getäuscht (vgl. VG Gießen, Urt. v. 19.2.2008, 5 E 3970/07, juris) oder bei denen unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel ein professionell organisiertes Unternehmen in Anspruch genommen werde (vgl. VG Köln, Urt. v. 15.12.2005, 6 K 6285/04 WissR 2006, 176, juris), vermag sich das Beschwerdegericht nicht anzuschließen. Es trifft zwar zu, dass in jenen Fällen der unfaire Verstoß gegen die Chancengleichheit der Mitprüflinge eklatant ist und sich € auch - diese Fälle daher ohne weiteres als besonders schwerwiegende Täuschung im Sinne des § 19 Abs. 2 PO einordnen lassen. Das bedeutet aber nicht, dass der Einsatz eines gekauften Vollplagiats tatbestandlich grundsätzlich weniger gravierend ist als die anderen eben genannten Täuschungsmanöver. Aus der Sicht des sich korrekt verhaltenden Mitprüflings dürfte es im Hinblick auf das Maß der Verletzung seiner Chancengleichheit eher darauf ankommen, ob die Täuschung noch Raum für eine im Wesentlichen eigene Leistung des Täuschenden lässt als darauf, unter welchen genauen Umständen eine vollständig fremde Leistung als eigenes Werk eingebracht worden ist.
Soweit der Antragsteller meint, er habe keinen schweren Fall einer Täuschung begangen, weil er bei der Bestellung der plagiierten Hausarbeit nicht die Absicht gehabt habe, diese Arbeit im Wege der Täuschung einzusetzen, und es zu der Täuschungshandlung erst €in einem Akt der Verzweiflung€ gekommen sei, nachdem er sich €gemeinsam mit einem Kommilitonen im Hinblick auf die anstehende Bachelorprüfung selbst psychisch in Zeitnot versetzt€ habe, vermag das Beschwerdegericht dem nicht zu folgen. Für die tatbestandliche Einstufung einer Täuschungshandlung als besonders schweren Fall ist es nicht ausschlaggebend, wann genau der Prüfling den betreffenden Entschluss gefasst hat; entscheidend ist die Begehung der Täuschungshandlung als solche nach den o. g. Maßstäben. Ob sich der Prüfling in einer € wie auch immer ganz oder teilweise selbst verschuldeten - €verzweifelten€ Lage befunden hat, mag ggf. bei der Ausübung des Ermessens hinsichtlich des Ausschlusses vom weiteren Prüfungsverfahren ein abzuwägender Gesichtspunkt sein (vgl. dazu die nachstehenden Ausführungen).
bbb) Die Antragsgegnerin hat das ihr nach § 19 Abs. 2 PO eröffnete Ermessen rechtmäßig dahin ausgeübt, den Antragsteller von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen auszuschließen. Die von ihr eingestellten und abgewogenen Gesichtspunkte vermögen diese Entscheidung zu tragen (1). Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie keine hinreichend differenzierten Überlegungen zu den möglichen Sanktionen angestellt hätte oder weil die Prüfungsordnung im Hinblick auf die dort normierten Sanktionen von Täuschungshandlungen unvollständig bzw. zu undifferenziert wäre (2.).
(1) Die Antragsgegnerin hat mit den Erwägungen des Prüfungsausschusses in dessen Bescheid vom 25. April 2013 (S. 2 f.), im Widerspruchsbescheid vom 14. August 2013 (S. 10 f.) und in den € nach § 114 Satz 2 VwGO zu berücksichtigenden € ergänzenden Erwägungen der Beschwerdeerwiderung vom 15. Oktober 2013 (S. 2 ff.) ihre Ermessensentscheidung hinreichend und tragfähig begründet. Sie hat im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die erhebliche Eingriffswirkung des Ausschlusses erkannt, diesen Eingriff aber angesichts des Ausmaßes der Täuschungshandlung und der damit verbundenen Verletzung der Chancengleichheit sowie mit der zutreffenden Wertung, dass der Vortrag des Antragstellers, er habe sich selbst psychisch in scheinbare Zeitnot versetzt, keine besondere und unverschuldete Notlage erkennen lasse, für erforderlich und angemessen gehalten. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Dies gilt auch im Hinblick auf den von dem Antragsteller hervorgehobenen Umstand, dass es hier nicht um eine Abschlussarbeit (vgl. § 15 PO), sondern €nur€ um eine Teilprüfung im Rahmen einer Modulprüfung geht. Auch diese Prüfungen sind nicht unwichtig; sie müssen, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist (Schriftsatz vom 15.10.2013, S. 5), nach der Prüfungsordnung erfolgreich absolviert werden, um die Bachelorprüfung überhaupt zu bestehen (§ 22 Abs. 1 PO), und ihre Noten gehen in die Gesamtnote der Bachelorprüfung ein (§ 16 Abs. 5 Satz 2 PO). Die Prüfungsordnung lässt zwar, anders als bei Abschlussarbeiten, bei Teilleistungen in Modulprüfungen im Falle von nicht besonders schweren Täuschungsversuchen eine Wiederholungsleistung zu, die im Verhältnis zu der mit 5,0 bewerteten Teilleistung im Verhältnis 1/3 zu 2/3 verrechnet wird (§ 17 Abs. 6 Satz 2), und eröffnet damit die Chance, trotz des Täuschungsversuchs die Modulprüfung bei einer Teilprüfungs-Wiederholungsleistung von 2,0 noch zu bestehen. Dem lässt sich die Wertung entnehmen, dass der Ordnungsgeber einen Täuschungsversuch im Rahmen einer Modulprüfung als weniger gravierend ansieht als einen Täuschungsversuch bei einer Abschlussarbeit. Jedoch gilt diese Wertung in Gestalt der Privilegierung von Täuschungshandlungen im Rahmen von Modulprüfungen gegenüber Täuschungshandlungen bei Abschlussarbeiten nur für €einfache€ Täuschungsversuche. § 17 Abs. 6 Satz 1 PO verweist nur auf solche Teilleistungen, die nach § 19 Abs. 1 PO als nicht ausreichend (5,0) bewertet werden; wiederholte oder besonders schwere Täuschungsversuche nach § 19 Abs. 2 PO sind hingegen von dieser Privilegierung ausgeschlossen. Dies spricht dafür, dass bei solchen besonders schweren Täuschungsversuchen nicht deshalb besonders hohe Ermessensanforderungen an den Ausschluss von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen zu stellen sind, weil der besonders schwere Täuschungsversuch €nur€ im Rahmen einer Modulprüfung erfolgt ist. Dementsprechend war die Antragsgegnerin auch nicht gehalten, zu diesem Umstand besondere Ermessenserwägungen auszuführen.
Des Weiteren hat die Antragsgegnerin zulässigerweise auf den Gesichtspunkt der Generalprävention, also der Abschreckung anderer Prüflinge abgestellt (Widerspruchsbescheid S. 10). Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist dies nicht deshalb ein unsachgemäßer Gesichtspunkt, weil die Vorschriften der §§ 22, 19 PO allein das Ziel hätten, einen ordnungsgemäßen Prüfungsablauf zu gewährleisten (vgl. die Beschwerdebegründungsschrift S. 5 unten). Hat der Prüfungsausschuss bei einem besonders schweren Täuschungsversuch nach Ermessen zu entscheiden, ob er den Prüfling von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausschließt oder ob er es bei der Bewertung der Prüfungsleistung mit 5,0 und dem Nicht-Bestehen der (Modul-) Prüfung belässt, ist der Gesichtspunkt der Generalprävention durchaus von Belang (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.12.1976, a. a. O., 61; VG Köln, a. a. O., juris Rn. 34 ff.; VG Gießen, a. a. O., juris Rn. 37; Niehues/Fischer, a. a. O., Rn. 245). Im Übrigen kann gerade die Abschreckung anderer Prüflinge von der Begehung besonders schwerer Täuschungsversuche dazu beitragen, dass künftige Prüfungen ordnungsgemäß verlaufen.
(2) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie keine hinreichend differenzierten Überlegungen zu den möglichen Sanktionen angestellt hätte oder weil die Prüfungsordnung im Hinblick auf die dort normierten Sanktionen von Täuschungshandlungen unvollständig bzw. zu undifferenziert wäre.
Die Prüfungsordnung enthält ein abgestuftes und hinreichend differenziertes Sanktionensystem bei Täuschungsversuchen. Vereinzelte und nicht besonders schwere Täuschungsfälle können bei Teilleistungen in Modulprüfungen durch besonders gute Wiederholungsleistungen kompensiert werden (§ 17 Abs. 6 PO); bei Abschlussarbeiten führen solche Täuschungsversuche zum Nichtbestehen der Arbeit und zur Möglichkeit ihrer Wiederholung (§ 17 Abs. 2 PO). Bei wiederholten oder besonders schwerwiegenden Täuschungsfällen gilt die Modulprüfung bzw. die Abschlussarbeit als mit €nicht ausreichend€ (5,0) bewertet (§ 19 Abs. 1 Satz 2 PO). Zugleich wird für den Prüfungssauschuss die Befugnis eröffnet, nach Ermessen über den Ausschluss des Prüflings von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen zu entscheiden (§ 19 Abs. 2 PO); in dieser Ermessensentscheidung sind die Umstände des Einzelfalls, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, abzuwägen. Diese Abstufung und Systematik ist hinreichend differenziert, um dem Grundrecht auf Berufsausbildungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG angemessen Rechnung zu tragen. Eine weitere tatbestandliche Unterscheidung zwischen €besonders schwerwiegenden€ und €ganz besonders schwerwiegenden€ Täuschungsfällen ist dafür nicht erforderlich.
Dementsprechend sind auch die Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin hinsichtlich der Auswahl unter den möglichen Sanktionen nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall kam, wie bereits ausgeführt, wegen des besonders schwerwiegenden Falls der Täuschung keine Wiederholungsleistung hinsichtlich der Seminararbeit in Betracht, sondern es steht das Nichtbestehen der gesamten Modulprüfung fest. Darüber hinaus hatte die Antragsgegnerin lediglich zu prüfen und nach Ermessen zu entscheiden, ob sie den Antragsteller nach § 19 Abs. 2 PO von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen ausschließen wollte oder nicht. Diese Entscheidung hat sie, wie bereits ausgeführt, ohne rechtliche Fehler getroffen.
d) Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das vorliegende Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Angemessen im Hinblick auf die Bedeutung des Streits für den Antragsteller ist die Hälfte des Auffangwerts. Es geht ihm in der Sache darum, nicht von der Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen zu werden. Diese Bedeutung geht einerseits über das Bestehen oder die Bewertung eines bloßen Leistungsnachweises hinaus (hierfür schlägt der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Abschnitt 18.5 lediglich den halben Auffangwert vor, der im Eilverfahren seinerseits im Regelfall zu halbieren wäre). Andererseits erreicht diese Bedeutung nicht die gleiche Stufe wie die Bescheinigung des erfolgreichen Abschlusses des Studiums, dessen Fortsetzung der Rechtsschutzsuchende erreichen möchte; daher wäre es in diesen Fällen auch nicht angemessen, im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens von einem Streitwert von 15.000,- Euro auszugehen.
2. Die von dem Antragsteller persönlich erhobene Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht für das dortige Eilverfahren ist als unzulässig zu verwerfen. Dem Antragsteller, der mit den Kosten des Verfahrens erster Instanz belastet ist, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Erhöhung des Streitwerts, weil er dadurch keinen Vorteil erreichen könnte, sondern im Gegenteil sogar durch höhere Verfahrenskosten noch stärker belastet würde. Die Streitwertbeschwerde ist ausweislich der Beschwerdeschrift vom 5. September 2013 (Antrag Nr. 3) nicht etwa vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers im eigenen Namen erhoben worden (der ein eigenes Interesse an der Erhöhung des Streitwerts haben mag), sondern vom Prozessbevollmächtigten €namens des Antragstellers€.
Im Übrigen wäre die Streitwertbeschwerde auch in der Sache nicht begründet, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter €1.d)€ ergibt.
Eine Kostenentscheidung hinsichtlich der Streitwertbeschwerde ist gemäß § 68 Abs. 3 GKG nicht veranlasst.
Hamburgisches OVG:
Beschluss v. 19.11.2013
Az: 3 Bs 274/13, 3 So 102/13
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