Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Juli 2001
Aktenzeichen: 19 W (pat) 34/99
(BPatG: Beschluss v. 25.07.2001, Az.: 19 W (pat) 34/99)
Tenor
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Deutsche Patent- und Markenamt - Patentabteilung 52 - hat das auf die am 19. Juni 1991 eingegangene Anmeldung erteilte Patent 41 20 115 mit der Bezeichnung "Berührungsfrei arbeitendes Verfahren zur Ermittlung der räumlichen Koordinaten von Objektpunkten" im Einspruchsverfahren durch Beschluß vom 23. Juni 1999 widerrufen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.
Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung einen neuen (einzigen) Patentanspruch nach Haupt- und Hilfsantrag vorgelegt.
Der geltende einzige Patentanspruch nach Hauptantrag lautet:
"Berührungsfrei arbeitendes optisches Verfahren zur Ermittlung der räumlichen Koordinaten von Objektpunkten, insbesondere zur Qualitätskontrolle in der Fertigung, bei dem nach dem Phasenshiftverfahren mittels eines Projektors eine Beleuchtungsstruktur aus parallelen Streifen mit sinusförmiger Intensitätsverteilung mit unterschiedlicher Phasenverschiebung in den Objektraum projiziert und das dadurch auf der Objektoberfläche hervorgerufene Streifenmuster jeweils mittels einer Kamera punktweise zur Gewinnung von Intensitätssignalen für die einzelnen Punkte erfaßt wird sowie aus diesen unter Berücksichtigung der Hintergrundintensität und des Streifenkontrasts die Phasenlagen der Punkte im Streifenmuster und in einem Triangulationsverfahren daraus die Koordinaten zugehöriger Objektpunkte ermittelt werden, dadurch gekennzeichnet, daß die in ihrer Breite einer Periode des Streifenmusters entsprechenden Streifen zu ihrer Unterscheidung codiert werden und die Streifencodierung nach dem Verfahren des codierten Lichtansatzes erfolgt."
Der geltende einzige Patentanspruch nach Hilfsantrag enthält zusätzlich das Merkmal:
"..........., zum Optimieren einer Zuordnung der Objektpunkte zu Perioden des Streifenmusters."
Die Patentinhaberin ist der Meinung, die Bezeichnungen "Phasenshiftverfahren" und "Verfahren des codierten Lichtansatzes (CLA)" seien Fachbegriffe, die diese Verfahren klar und eindeutig definierten. Nach dem anspruchsgemäßen Verfahren würden das Phasenshiftverfahren und das Verfahren des codierten Lichtansatzes kombiniert. Hierzu gebe es für den Durchschnittsfachmann zwei Alternativen: räumliches oder zeitliches Kombinieren der beiden Verfahren. Der Durchschnittsfachmann werde durch Probieren erkennen, daß eine räumliche Kombination nicht funktionieren könne. Somit bleibe nur die Möglichkeit, das Phasenshiftverfahren und das Verfahren des codierten Lichtansatzes zeitlich nacheinander durchzuführen. Das Patent offenbare somit die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne.
Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
(einziger) Patentanspruch gemäß Hauptantrag bzw. (einziger) Patentanspruch gemäß Hilfsantrag, beide überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2001, jeweils mit Beschreibung gemäß Patentschrift.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zwar zulässig, hat aber sachlich keinen Erfolg. Da ein neuer Patentanspruch nach Haupt- und Hilfsantrag zur Entscheidung vorliegt, ist dieser auf sämtliche Patentierungsvoraussetzungen hin zu überprüfen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs nach Haupt- und Hilfsantrag ist nicht patentfähig, weil das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann (§ 21 (1) Nr. 2 PatG).
Sinn dieser Vorschrift ist es, den Anmelder zu veranlassen, die Lehre, für die er die Erteilung eines Patents erstrebt, in einem solchen Umfang zunächst der Erteilungsbehörde und durch deren Vermittlung später der Öffentlichkeit aufzudecken, daß es einem Fachmann möglich ist, diese Lehre praktisch zu verwirklichen, und ein Patent, bei dem dieser Sinn des Gesetzes verfehlt worden ist, auf Einspruch oder Nichtigkeitsklage durch Widerruf oder Nichtigerklärung wieder aus der Welt zu schaffen (BGH, GRUR 1984, 272, 273 re Sp Abs 4 -Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine ausreichende Offenbarung einer technischen Lehre schon dann zu verneinen, wenn der Durchschnittsfachmann diese nur unter großen Schwierigkeiten und nicht oder nur zufällig ohne vorherige Mißerfolge zur Erreichung des angestrebten Erfolges praktisch verwirklichen kann (BGH, GRUR 1980, 166, 168 re Sp vorletzter Abs - Doppelachsaggregat).
Als Durchschnittsfachmann ist hier ein Diplomphysiker anzusehen, der die optischen Verfahren zur Bestimmung der räumlichen Koordinaten von Objektpunkten, z.B. das Phasenshiftverfahren und das Verfahren des codierten Lichtansatzes, kennt und mit der Verbesserung dieser Verfahren befaßt ist.
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob dieser Durchschnittsfachmann durch die Angaben, wie sie jeweils im Patentanspruch nach Haupt- oder Hilfsantrag angegeben sind, mit Hilfe der Beschreibung in die Lage versetzt ist, ohne große Schwierigkeiten zweifelsfrei anzugeben, wie nach dem Phasenshiftverfahren Objektpunkte mit Hilfe eines projizierten Streifenmusters ermittelt werden, wobei die Streifencodierung nach dem Verfahren des codierten Lichtansatzes erfolgen soll, um die Objektpunkte zu Perioden des Streifenmusters zuzuordnen.
Nach Überzeugung des Senats ist diese Frage zu verneinen.
In der Beschreibung der Streitpatentschrift Sp 2 Zeile 42 bis 47 ist als Aufgabe formuliert, ein nach dem Prinzip des Phasenshiftverfahrens arbeitendes Verfahren zu schaffen, das die diesem innewohnenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Zuordnung der Periode des Streifenmusters zu den einzelnen erfaßten Objektpunkten vermeidet. Zur Lösung dieser Aufgabe ist im Patentanspruch nach Haupt- und Hilfsantrag angegeben, daß nach dem Phasenshiftverfahren mittels eines Projektors eine Beleuchtungsstruktur aus parallelen Streifen mit sinusförmiger Intensitätsverteilung mit unterschiedlicher Phasenverschiebung in den Objektraum projiziert und das dadurch auf der Objektoberfläche hervorgerufene Streifenmuster jeweils mittels einer Kamera punktweise zur Gewinnung von Intensitätssignalen für die einzelnen Punkte erfaßt wird. Nach dem Kennzeichen des jeweiligen Patentanspruchs werden die Streifen zu ihrer Unterscheidung codiert und zwar nach dem Verfahren des codierten Lichtansatzes; das zusätzliche Merkmal des Patentanspruchs nach Hilfsantrag geht inhaltlich über eine Wiederholung der Aufgabe nicht hinaus.
Für den Durchschnittsfachmann ist nun unklar, wie diese Codierung der mittels des Phasenshiftverfahrens erzeugten Streifen nach dem Verfahren des codierten Lichtansatzes erfolgen soll. Er kommt demnach mit Hilfe des jeweiligen Patentanspruchs zu keiner für ihn eindeutigen und widerspruchsfreien Festlegung. Er kann auch nicht mit Hilfe der Patentbeschreibung dieses Problem lösen. In Spalte 2, Zeilen 52 bis 57, wird ausgeführt, daß man schlagwortartig das erfindungsgemäße Verfahren als sinnvolle Kombination von Merkmalen des Phasenshiftverfahrens mit Merkmalen des CLA-Verfahrens (Verfahren des codierten Lichtansatzes) charakterisieren kann, mit der Folge, daß zwar die Vorteile beider Verfahren erhalten bleiben, jedoch ihre jeweiligen Nachteile vermieden sind. Es sollen demnach spezielle Merkmale des CLA-Verfahrens verwendet werden, nämlich nur die, die für die Vorteile des CLA-Verfahrens verantwortlich sind. Die Beschreibung enthält aber keine konkreten Hinweise darauf, welche Merkmale des CLA-Verfahrens mit dem Phasenshiftverfahren kombiniert werden sollen.
Weiter erläutert die Beschreibung in Spalte 2, Zeilen 58 bis 66 nur, daß die "Entfaltung" der Phasenfunktion beim Phasenshiftverfahren in einfacher Weise praktisch unabhängig von der jeweiligen Struktur der Objektoberfläche dadurch vorgenommen wird, daß Streifen des Streifenmusters, die in ihrer Breite genau einer Periode dieses Musters entsprechen, nach Art des CLA-Verfahrens codiert und damit gekennzeichnet werden. Der Hinweis "nach Art des CLA-Verfahrens" weist den Durchschnittsfachmann ebenfalls nur darauf hin, daß spezielle, nicht weiter angegebene Merkmale des CLA-Verfahrens mit dem Phasenshiftverfahren kombiniert werden sollen. Weitere Angaben zum erfindungsgemäßen Verfahren sind der Patentbeschreibung nicht zu entnehmen.
Nach Ansicht der Patentinhaberin erkennt der Fachmann, daß eine "räumliche" Kombination des Phasenshiftverfahrens und des CLA-Verfahrens nicht funktionieren kann, sondern daß nur eine "zeitliche" Kombination der Verfahren Erfolg hat, d.h. daß das CLA-Verfahren nach dem Phasenshiftverfahren durchgeführt wird. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, da die Formulierung "nach dem Verfahren des codierten Lichtansatzes" im jeweiligen Patentanspruch und der Hinweis "Kombination ... mit Merkmalen des CLA-Verfahrens" in der Beschreibung den Durchschnittsfachmann gerade nicht daran denken läßt, das CLA-Verfahren mit allen seinen Merkmalen unabhängig vom Phasenshiftverfahren also "zeitlich" vorher oder nachher anzuwenden.
Da es nicht möglich ist, die Maßnahmen zur Kombination von Merkmalen des Phasenshiftverfahrens mit Merkmalen des CLA-Verfahrens widerspruchsfrei zu klären, ist der Senat zur Überzeugung gekommen, daß das berührungsfrei arbeitende optische Verfahren zur Ermittlung der räumlichen Koordinaten von Objektpunkten im Patent in den Fassungen des Haupt- und Hilfsantrags nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, daß ein Durchschnittsfachmann es ausführen kann.
Das Patent war demnach zu widerrufen.
Dr. Kellerer Schmöger Schmidt Dr. Mayerprö
BPatG:
Beschluss v. 25.07.2001
Az: 19 W (pat) 34/99
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