Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 16. April 2009
Aktenzeichen: 2 U 243/08
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 16.04.2009, Az.: 2 U 243/08)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16.09.2008 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2/17 O 38/08) abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für den zweiten Rechtszug beträgt 18.975,74 €.
Gründe
I.
Der Kläger erhebt Vollstreckungsgegenklage, da er die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31.08.2007 (Az. 2-17 O 137/06) für unzulässig erachtet.
In dem im Jahre 2006 anhängig gewordenen Verfahren 2-17 O 137/06 hat der Kläger den Notar Dr. A wegen einer Amtspflichtverletzung aus abgetretenem Recht in Anspruch genommen. Die Beklagte war im dortigen Verfahren Streitverkündete und ließ sich von der Kanzlei B, C & D vertreten. Innerhalb der Kanzlei bearbeitete Rechtsanwalt E das Mandat und meldete sich mit Schriftsatz vom 03.05.2007 für die Beklagte zur Akte. Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18.06.2008 hat der Kläger die außergerichtlichen erstinstanzlichen Kosten der Streithelferin zu 85% zu tragen. Über diese Kosten in Höhe von 18.975,74 € erwirkte die Beklagte den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31.08.2007 (Bl. 13/14 d.A.).
Der für die Beklagte tätige Rechtsanwalt E war seit 1991 als Rechtsanwalt in 01 zugelassen und von 1992 bis 2003 in der Abteilung Vermögensschadenshaftpflicht der Beklagten tätig. Während dieser Zeit war er federführend mit der Regulierung der Notarhaftpflichtansprüche gegen Dr. A befasst.
Im Jahre 1995 hatte sich der Notar Dr. A an die Beklagte gewandt, bei der er eine Berufshaftpflichtversicherung unterhielt. Die Beklagten hatte eine Deckung unter dem 14.11.1996 verweigert, da der Notar vorsätzlich gehandelt habe. Im Jahre 2002 führte Rechtsanwalt E für die Beklagte Vergleichsverhandlungen mit dem damaligen Rechtsvertreter des Klägers.
Der Kläger hat die Ansicht geäußert, dass der auf die Vertretung im Vorprozess gerichtete Anwaltsvertrag zwischen der Beklagten und Rechtsanwalt E wegen Verstoßes gegen § 46 Abs. 2 Zif 1 BRAO aufgrund eines Tätigkeitsverbotes nichtig sei. Die Nichtigkeit habe den Verlust eines entsprechenden Kostenerstattungsanspruchs zur Folge.
Der Kläger hat beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31.08.2007 (Az. 2-17 O 137/06) für unzulässig zu erklären und die Beklagte zu verurteilen, die ihr erteilte vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31.08.2007 (Az. 2-17 O 137/06) an den Kläger herauszugeben.
Demgegenüber hat die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht geäußert, § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO verbiete die anwaltliche Tätigkeit nur, wenn der Rechtsanwalt noch gleichzeitig im abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig sei. Es solle den besonderen Verhältnissen Rechnung getragen werden, wenn ein Rechtsanwalt in derselben Sache sowohl die beruflichen Pflichten als Anwalt als auch die Weisungsbefugnis seines Dienstherren beachten müsse. Sei das Beschäftigungsverhältnis beendet, finde § 45 BRAO Anwendung. Mit der in § 45 Abs. 1 Ziff. 4 zweiter Halbsatz BRAO geregelten Ausnahme vom Tätigkeitsverbot solle dem Rechtsanwalt, der seine Tätigkeit als Mitarbeiter im Unternehmen beendet habe, ermöglicht werden, die zuvor im Unternehmen bearbeiteten Fälle anwaltlich fortzuführen. § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO bezwecke nicht, einen Prozessgegner von den Kostenfolgen eines verlorenen Rechtsstreits zu schützen. Dies wäre rechtsmissbräuchlich.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, soweit ihnen nicht die Feststellungen im Berufungsurteil entgegenstehen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht Frankfurt am Main hat der Klage mit Urteil vom 16.09.2008 stattgegeben. Der Anwaltsvertrag der Beklagten mit Rechtsanwalt E sei nichtig gewesen, weil dessen Tätigkeit im Vorprozess durch § 46 Abs. 2 Zif 1 BRAO untersagt gewesen sei. Dabei könne dahinstehen, wie weit er bei seiner früheren Tätigkeit für die Beklagte weisungsgebunden gewesen sei. Er sei in derselben Angelegenheit bereits als sonstiger Berater tätig gewesen und habe Rechtsrat erteilt. Diese Vorbefassung habe ihm die spätere Tätigkeit als Rechtsanwalt in dieser Angelegenheit, auch noch nach dem Ende seines Beschäftigungsverhältnisses, verboten.Bei § 46 Abs. 2 Ziff. 1 handle es sich um einen Unterfall der sonstigen beruflichen Vorbefassung. Während für den Regelfall des § 45 Abs. 1 Ziff. 4 BRAO das Tätigkeitsverbot nach Ende der beruflichen Tätigkeit aufgehoben sei, habe der Gesetzgeber dies für den Sonderfall des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO nicht vorgesehen. Gerade diese Nachwirkung sei der Unterschied beider Regelungen, ohne die es der gesonderten Regelung nicht bedürfte. Der Fall sei dann bereits durch § 45 Abs. 1 Ziff. 4 BRAO erfasst. Der Grund für die Regelung des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO bestehe gerade in der Gewährleistung der späteren inneren Unabhängigkeit von einem früher erteilten Rechtsrat. Entsprechend habe auch der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 25.02.1999 den Grund der gesonderten Regelung in § 46 Abs. 2 darin gesehen, dass wegen der Vorbefassung des Anwalts die abstrakte Gefahr bestehe, dass er nicht unabhängig sei. Ob sich die frühere Abhängigkeit auf das Ergebnis der späteren Rechtsberatung tatsächlich ausgewirkt habe, sei ohne Belang.
Im Hinblick auf den übergeordneten Grundsatz der Berufsfreiheit sei § 46 Abs. 2 BRAO allerdings restriktiv auszulegen. Das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt, dass bei verfassungskonformer Auslegung des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO zu besorgen sein müsse, dass die Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitsgebers des Zweitberufs in die später ausgeübte anwaltliche Tätigkeit hineinwirke. Die Verbotsnorm zur Verhinderung von Interessenkollisionen diene dem Schutz des Mandanten. Ein anderer Gemeinwohlbelang, der eine über den Schutz des Mandanten hinausgehende Einschränkung der Berufsfreiheit rechtfertigen könne, sei nicht ersichtlich.
Diese Besorgnis des zumindest abstrakten Hineinwirkens der als Angestellter der Beklagten eingenommenen Haltung in die anwaltliche Tätigkeit bestehe hier. Denn es sei zu besorgen, dass sich der Rechtsanwalt vier Jahre nach dem Ende seiner Tätigkeit bei der Beklagten in einem schon dort bearbeiteten Fall, an den er sich wegen der Größenordnung erinnern müsse, nicht von seiner bei der Vorbefassung eingenommenen Haltung frei mache, insbesondere diese nicht als möglicherweise unzutreffend erkenne und die Mandantin entsprechend nicht über das weitere Vorgehen in der Sache berate. Darauf, ob Rechtsanwalt E in dieser Sache tatsächlich innerlich unabhängig gewesen sei, komme es bei der abstrakten Verbotsnorm des § 46 Abs. 2 BRAO nicht an.
Der Verstoß gegen § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO führe zur Nichtigkeit des zwischen Anwalt und Mandant abgeschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß § 134 BGB. Die Nichtigkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages habe auch den Verlust eines entsprechenden Erstattungsanspruchs gegen den Prozessgegner zur Folge.
Gegen dieses, der Beklagten am 18.09.08 zugestellte Urteil hat sie am 17.10.08 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 18.12.2008 verlängerten Frist begründet.
Sie macht geltend, dass § 46 Abs. 2 BRAO das Grundrecht der freien Berufsausübung einschränke und deshalb einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe. Eine aus abstrakten Überlegungen abgeleitete Untersagung auch Jahre nach Beendigung einer irgendwie abhängigen Tätigkeit sei mit dem Schutzzweck des § 46 Abs. 2 BRAO unvereinbar.§ 46 BRAO enthalte mit den in ihm geregelten Tätigkeitsverboten eine Konkretisierung des auch für einen Syndikusanwalt geltenden Gebots, seine berufliche Unabhängigkeit zu wahren. Lebensfremd sei es allerdings anzunehmen, ein erfahrener Rechtsanwalt fühle sich vier Jahre nach seinem Ausscheiden aus einem Versicherungsunternehmen bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Klage oder einer Rechtsverteidigung noch an Überlegungen gebunden, die er Jahre zuvor angestellt habe. Schon die ständige Rechtsprechung und allgegenwärtige Gesetzesänderungen zwängen jeden Rechtsanwalt, seine in der Vergangenheit einmal angestellten Überlegungen zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren. Die vom Wortlaut her lebenslange Beschränkung nach § 46 Abs. 2 BRAO schränke das grundgesetzlich geschützte Recht auf freie Berufsausübung über das aus dem Gesetzeszweck folgende, anzuerkennende Maß ein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main € 2/17 O 38/08 € vom 16.09.2008 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Demgegenüber beantragt der Kläger,
die Berufung zurückzuweisen, sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil.
II.
Auf die zulässige Berufung der Beklagten war das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Der Geschäftsbesorgungsvertrag der Beklagten mit der Kanzlei, in der Rechtsanwalt E tätig ist, ist wirksam. Der Beklagten steht der im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31.08.2007 festgesetzte Zahlungsbetrag zu, ohne dass der Kläger dagegen Einwendungen geltend machen kann.
Entgegen der Annahme des Landgerichts war Rechtsanwalt E vorliegend eine Tätigkeit für die Beklagte nicht untersagt, obwohl er im Rahmen der angestellten Tätigkeit für die Beklagte mit der Angelegenheit vorbefasst gewesen war.
Zu Recht geht das Landgericht von einem abgestuften Verbotssystem der BRAO für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit aus und von einem grundsätzlichen Verbot der Tätigkeit nach § 45 Abs. 1 Ziff 4 BRAO bei beruflicher Vorbefassung € sowohl als Selbständiger als auch im Abhängigkeitsverhältnis - außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit im Sinne des § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO. Eine gesonderte Regelung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO für den Fall einer Vorbefassung in derselben Angelegenheit als sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt hat (Syndikusanwalt). Während das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Ziff. 4 BRAO nach dem 2. Halbsatz nicht gilt, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist, weist § 46 Abs. 1 Nr. 1 diese Einschränkung nicht auf. Das Landgericht sieht die fehlende Begrenzung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO als Grund für den Erlass der Regelung, weil andernfalls die Konstellation bereits von § 45 Abs. 1 Ziff. 4 BRAO umfasst wäre. Dem ist entgegen zu halten, dass das Tätigkeitsverbot nach § 46 Abs. 2 BRAO einen Funktionswechsel in beide Richtungen € also sowohl denjenigen vom juristischen Berater zum Rechtsanwalt als auch denjenigen vom Anwalt zum juristischen Berater - für den Fall der Vorbefassung verhindern will (vgl. Henssler-Prütting, BRAO, 2. Auflage, 2004, § 46 Rn. 42), während § 45 Abs. I Ziff. 4 BRAO demgegenüber nur den Fall regelt, in dem ein Rechtsanwalt zuvor als juristischer Berater tätig war und danach in die Position des Rechtsanwalts gewechselt ist.
Wenn das Tätigkeitsverbot des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO abweichend von § 45 Abs. 1 Ziff. 4 BRAO auch den Fall der bereits beendeten Tätigkeit als Syndikusanwalt umfasst, so ist die im Entwurf der Bundesregierung nicht angelegte Diskrepanz erst durch eine vom Rechtsausschuss initiierte Änderung entstanden, wobei Henssler (a.a.O) darauf verweist, dass mit der vom Rechtsausschuss gelieferten Begründung die unterschiedliche Behandlung nicht nachvollziehbar ist. Die Einschränkung des § 45 Abs. 1 Ziff. 4 BRAO auf die Dauer der beruflichen Tätigkeit ist damit begründet worden, dass der Rechtsanwalt nach Beendigung der Tätigkeit im Unternehmen keinen Weisungsbefugnissen mehr unterliege und er allein dem anwaltlichen Berufsrecht verpflichtet sei (BT-Drucks. 12/7656 S. 49). Diese Argumentation gilt aber uneingeschränkt auch für den Syndikusanwalt nach Beendigung des Dienst- oder Beschäftigungsverhältnisses, weshalb mit dem Landgericht festzustellen ist, dass der Grund der Regelung des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO nicht in der nachwirkenden Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers liegen kann. Wenn das Landgericht unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 2.02.1999 (BGHZ 141, 69) ausführt, dass der Grund der gesonderten Regelung in § 46 Abs. 2 BRAO darin zu sehen sei, dass wegen der Vorbefassung des Anwalts die Gefahr bestehe, dass er nicht unabhängig sei, wobei ohne Belang bleibe, ob sich die frühere Abhängigkeit auf das Ergebnis der späteren Rechtsberatung tatsächlich ausgewirkt habe, so ist klarzustellen, dass der Kläger in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall während seiner anwaltlichen Tätigkeit noch "freier Mitarbeiter" bei einem monatlichen Gehalt von 10.000 DM war. Der Bundesgerichtshof ist ausdrücklich von einem bestehenden, zumindest ähnlichen Beschäftigungsverhältnis ausgegangen und hatte damit den Fall eines beendeten Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht zu beurteilen.Zum Grund der Regelung hat der Bundesgerichtshof unter Bezug auf die amtliche Begründung zu § 45 Abs. 1 Nr. 4 des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 12/4993 S. 30) ausgeführt, dass die Berufsausübungsregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit (§ 1 BRAO) die unterschiedlichen Arbeitsbereiche des Syndikusanwalts, einen als Arbeitnehmer, der keine Unabhängigkeit besitzt, sondern dem Prinzip der Über- und Unterordnung unterliegt und einen als freier, unabhängiger Anwalt, voneinander trennen soll, was aber nur gelten kann, wenn die Arbeitsbereiche nebeneinander stehen und nicht die Tätigkeit als Syndikusanwalt bereits beendet ist. Weiter führt der Bundesgerichtshof aus, dass für den Fall eines fehlenden Tätigkeitsverbotes als Rechtsanwalt zweierlei zu besorgen wäre:
€Zum einen könnte sich die Abhängigkeit von seinem ständigen Dienstherrn dahin auswirken, dass der Syndikusanwalt von diesem erteilte Mandate auch dann nicht ablehnt, wenn diese ihm ein gesetz- oder anstandswidriges Verhalten abverlangen€. Zum zweiten wäre zu gewärtigen, dass sich der Syndikusanwalt bei der anwaltlichen Bearbeitung des Auftrags von der Haltung, die er als Sachbearbeiter im Rahmen des ständigen Beschäftigungsverhältnisses eingenommen hatte und die möglicherweise durch das Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Dienstherrn geprägt war, nicht völlig freimachen kann€ Es dient deshalb der anwaltlichen Unabhängigkeit, dass er als Rechtsanwalt nur in solchen Angelegenheiten tätig werden darf, mit denen er sich noch nicht im Interesse des Dienstherrn rechtsbesorgend befasst hat€.
Auch diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass der Fall eines aktuell bestehenden Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses zugrunde gelegen hat. Dies gilt ebenso für die weiteren Ausführungen, wonach für das Verbot wegen Vorbefassung des Anwalts die abstrakte Gefahr ausreiche, dass er nicht unabhängig sei. Auf eine konkrete Interessenkollision komme es nicht an, weil die Frage, ob der Anwalt - ohne die Bindungen als Arbeitnehmer - anders zu entscheiden gehabt hätte, letztlich nur der Richter beantworten könne.
Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass das Tätigkeitsverbot des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO eine Berufsausübungsregelung darstellt, welche die Berufsfreiheit beeinträchtigt. Solche Eingriffe müssen durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Das gewählte Mittel muss geeignet und erforderlich sein, Gemeinwohlbelange zu wahren. Außerdem darf bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der Gründe, die ihn rechtfertigen sollen, die Grenze der Zumutbarkeit noch nicht überschritten sein (BGHZ 141,69; BVerfGE 76, 176, 207; 83, 1, 16; 85, 248, 259; 94, 373, 389 f). Im Falle des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO geht es um die Sicherung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, die ein Gemeinwohlbelang von Gewicht darstellt (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7656 S. 49). Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt (NJW 2002, 503 ff) 287), dass ein Grundsatz, wonach anwaltliche und erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten grundsätzlich unvereinbar sind, in der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht zum Ausdruck komme. Es bedürfe deshalb einer Prüfung im Einzelfall, ob bei der Ausübung von Doppelberufen Interessenkollisionen oder Berufspflichtverletzungen auftreten können. Die Unabhängigkeit und Integrität eines Rechtsanwalts sowie dessen maßgebende Orientierung am Recht und an den Interessen seiner Mandanten sollen durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufs nicht gefährdet werden. Die Gefahr einer Interessenkollision hat das Gericht bei einem Rechtsanwalt verneint, der als Justitiar eines Mietervereins und zugleich als Prozessvertreter für dessen Mitglieder tätig war, bei dem damit, anders als in vorliegendem Fall, ein ständiges Dienstverhältnis im Sinne von § 46 BRAO bestand.
Das Landgericht hat im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO geprüft, ob Gemeinwohlbelange einer Tätigkeit des Rechtsanwalts E für die Beklagte entgegenstanden und diese wegen der abstrakten Gefahr bejaht, dass die ehemalige, seit mehr als 3 Jahren nicht mehr bestehende Weisungs- und Richtlinienkompetenz der Beklagten als ehemaliger Arbeitgeberin in die spätere anwaltliche Tätigkeit des Rechtsanwalt E hätte hineinwirken können. Einer einzelfallbezogenen Prüfung bedurfte es vorliegend aber nicht, weil anders als in den vorgenannten obergerichtlichen Entscheidungen hier die Tätigkeit des Rechtsanwalts E über Jahre beendet war, als er anwaltlich für die Beklagte tätig geworden ist. In diesem Fall kann ein Hineinwirken der ehemaligen Weisungs- und Richtlinienkompetenz des ehemaligen Arbeitgebers ausgeschlossen werden. Darüber hinaus kann eine Gefahr, dass sich der Rechtsanwalt bei der anwaltlichen Bearbeitung des Auftrags von der früheren Haltung als Sachbearbeiter nicht völlig freimachen kann, nach Beendigung des Dienst- oder Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr bejaht werden. Anders als ein Syndikusanwalt stünde der freiberufliche Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten in der persönlichen Haftung, wenn er sich von seiner früheren Haltung leiten ließe und sich neuen Erkenntnissen verschließen würde. Schon dies garantiert, dass sich der Rechtsanwalt von seiner ehemaligen Haltung freimacht, wenn diese durch die im Arbeitsverhältnis bestehende Subordination geprägt gewesen sein sollte. Die Gefahr einer Einschränkung der anwaltlichen Unabhängigkeit besteht deshalb nach Beendigung des Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis nicht mehr, weshalb § 46 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO verfassungskonform dahingehend einzuschränken ist, dass nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses ein anwaltliches Handeln für den früheren Arbeitgeber uneingeschränkt möglich sein muss (vgl. Henssler-Prütting, a.a.O, § 46 Rn. 42; Feuerich-Weyland-Vossebürger, BRAO, 7. Auflage, 2008, § 46 Rn. 26; Kleine-Cosack, BRAO, § 46 Rn. 15). Für Rechtsanwalt E bestand daher kein Tätigkeitsverbot.
Auf die Berufung der Beklagten war das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung fordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts.Der Streitwert für den zweiten Rechtszug beträgt 18.975,74 €.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 16.04.2009
Az: 2 U 243/08
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