Bundespatentgericht:
Urteil vom 20. Februar 2002
Aktenzeichen: 4 Ni 30/00

(BPatG: Urteil v. 20.02.2002, Az.: 4 Ni 30/00)

Tenor

Das deutsche Patent 38 03 888 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von Euro 12.000,00 vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. Februar 1988 angemeldeten deutschen Patents 38 03 888 (Streitpatent), das einen regelbaren Schwingungsdämpfer betrifft und 8 Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Regelbarer Schwingungsdämpfer mit einer Dämpfungskraftsteuerung, insbesondere für Kraftfahrzeuge, wobei mindestens eine Ventileinrichtung mit mindestens einem Dämpfungselement für die Zug- und Druckdämpfung vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens zwei Dämpfungselemente (7.1; 7.2) vorgesehen sind, die jeweils einzeln oder gemeinsam in den Strömungsweg schaltbar sind und die für die Zug- und Druckdämpfung jeweils eine Ventilbestückung (7.1.1; 7.1.2 bzw 7.2.1; 7.2.2) aufweisen, wobei jeweils ein Dämpfungselement (zB 7.2) in der Zugdämpfung eine hohe Dämpfungskraft und in der Druckdämpfung eine niedrige Dämpfungskraft aufweist und das andere Dämpfungselement (zB 7.1) in der Zugdämpfung eine niedrige Dämpfungskraft und in der Druckdämpfung eine hohe Dämpfungskraft erzeugt."

Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Mit der Behauptung, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu bzw beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

- DE 36 01 616 A 1

- DE 35 24 862 A1

- DE 36 09 862 A1 Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 38 03 888 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe abzuweisen, dass anstelle des erteilten Anspruchs 1 der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, weiter hilfsweise Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 - jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2001 - tritt.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

"Regelbarer Schwingungsdämpfer, insbesondere für Kraftfahrzeuge, mit einem Zylinder (2) und einem Kolben (9), der den Zylinder (2) in zwei Arbeitsräume (3) unterteilt, sowie mit einer Dämpfkraftsteuerung, wobei mindestens eine Ventileinrichtung (4) mit mindestens einem Dämpfungselement für die Zug- und Druckdämpfung vorgesehen ist, wobei mindestens zwei Dämpfungselemente (7.1; 7.2) vorgesehen sind, die jeweils einzeln oder gemeinsam in den Strömungsweg schaltbar sind und die für die Zug- und Druckdämpfung jeweils eine Ventilbestückung (7.1.1; 7.1.2 bzw 7.2.1; 7.2.2) aufweisen, wobei jeweils ein Dämpfungselement (zB 7.2) in der Zugdämpfung eine hohe Dämpfkraft und in der Druckdämpfung eine niedrige Dämpfkraft aufweist und das andere Dämpfungselement (zB 7.1) in der Zugdämpfung eine niedrige Dämpfkraft und in der Druckdämpfung eine hohe Dämpfkraft erzeugt, wobei im Kolben (9) des Schwingungsdämpfers ein weiteres, unabhängiges Dämpfungselement (7.3) integriert ist, welches die beiden Arbeitsräume (3) miteinander verbindet und zur Erzielung einer hohen Dämpfungseinstellung als Grunddämpfung ausgelegt ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet:

"Regelbarer Schwingungsdämpfer, insbesondere für Kraftfahrzeuge, mit einem Zylinder (2) und einem Kolben (9), der den Zylinder (2) in zwei Arbeitsräume (3) unterteilt, sowie mit einer Dämpfkraftsteuerung, wobei mindestens eine Ventileinrichtung (4) mit mindestens einem Dämpfungselement für die Zug- und Druckdämpfung vorgesehen ist, wobei mindestens zwei Dämpfungselemente (7.1; 7.2) vorgesehen sind, die jeweils einzeln oder gemeinsam in den Strömungsweg schaltbar sind und die für die Zug- und Druckdämpfung jeweils eine Ventilbestückung (7.1.1; 7.1.2 bzw 7.2.1; 7.2.2) aufweisen, wobei jeweils ein Dämpfungselement (zB 7.2) in der Zugdämpfung eine hohe Dämpfkraft und in der Druckdämpfung eine niedrige Dämpfkraft aufweist und das andere Dämpfungselement (zB 7.1) in der Zugdämpfung eine niedrige Dämpfkraft und in der Druckdämpfung eine hohe Dämpfkraft erzeugt, wobei im Kolben (9) des Schwingungsdämpfers ein weiteres, unabhängiges Dämpfungselement (7.3) integriert ist, welches die beiden Arbeitsräume (3) miteinander verbindet und zur Erzielung einer hohen Dämpfungseinstellung als Grunddämpfung ausgelegt ist, undwobei die Ventileinrichtung (4) über die Druckmittelleitung (5) an beide Arbeitsräume (3) des Zylinders (2) angeschlossen ist."

Die Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent, zumindest im hilfsweise verteidigten Umfang, für bestandsfähig.

Gründe

Die Klage, mit der der in § 22 Abs 2 iVm § 21 Abs 1 Nr 1 PatG vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig und begründet.

1. Das Streitpatent betrifft einen regelbaren Schwingungsdämpfer mit einer Dämpfungskraftsteuerung, insbesondere für Kraftfahrzeuge, wobei mindestens eine Ventileinrichtung mit mindestens einem Dämpfungselement für die Zug- und Druckdämpfung vorgesehen ist. Die Streitpatentschrift geht von im Stand der Technik bekannten hydraulisch regelbaren Schwingungsdämpfern aus (zB DE-AS 12 42 945), deren Dämpfungskraft in der Zug- und/oder Druckstufe verändert werden kann. Nachteilig sei dabei, dass die Verstellgeschwindigkeit konstruktionsbedingt sehr niedrig sei, so dass auf Schwingungen der Radaufhängung nur sehr träge reagiert werden könne. Weiter seien schnellschaltende Flüssigkeitssteuereinrichtungen für Fahrzeugaufhängungssysteme bekannt (zB DE 34 26 014 A1), bei denen durch die konstruktive Ausführung des Schwingungsdämpfers ermöglicht werde, die Bewegungen von Aufbau und Radaufhängung zu erfassen und in solchen Bewegungszuständen eine große Dämpfungskraft zu wählen, in denen die Richtung der erzeugten Dämpfungskraft der Bewegung des Fahrzeugaufbaus entgegengerichtet ist, bzw eine kleine Dämpfungskraft zu wählen, wenn Dämpfungskraft und Aufbaubewegung des Fahrzeuges gleichgerichtet sind. Die hierfür erforderlichen Schaltzeiten von ca 2 bis 10 Millisekunden führten jedoch in der Praxis zu Problemen. Nachteilig sei dabei ferner, dass Messwertaufnehmer sowohl für die Bewegung des Fahrzeugaufbaus als auch für die Bewegung jedes einzelnen Rades nötig seien, wodurch nicht nur der Zeitaufwand für die Signalverarbeitung, sondern auch die Kosten des Gesamtsystems erhöht würden. Schließlich seien im Stand der Technik Schwingungsdämpfer mit gesteuerten Dämpfungsventilen in Verbindung mit zwei Rückschlagventilen zur Verbindung der Arbeitsräume des Zylinders und mit einem Speicherelement bekannt (zB DE 35 24 862 A1). Nachteilig sei dabei, dass die Dämpfungskraft durch den freigegebenen Querschnitt des Drehschiebers bestimmt werde. Das führe zu dem nicht wünschenswerten Ergebnis, dass die Querschnitte im Drehschieber mit zunehmender Geschwindigkeit des Dämpfungskolbens überproportional höhere Dämpfungskräfte erzeugten.

2. Vor diesem Hintergrund formuliert die Streitpatentschrift die Aufgabe, eine Ventileinrichtung für einen Schwingungsdämpfer zu schaffen, die nicht nur einfach und kostengünstig herstellbar ist, sondern so ansteuerbar ist, dass eine einfache Sensierung der Bewegungen allein des Fahrzeuges möglich ist, wobei bei gleicher Richtung von Dämpfungskraft und Aufbaubewegung des Fahrzeuges eine niedrige Dämpfungskraft und bei entgegengesetzter Richtung von Dämpfungskraft und Aufbaubewegung eine hohe Dämpfungskraft erzeugt werden kann. 3. Patentanspruch 1 beschreibt demgemäß

einen regelbaren Schwingungsdämpfer mit einer Dämpfungskraftsteuerung, insbesondere für Kraftfahrzeuge, wobeia) der Schwingungsdämpfer mindestens eine Ventileinrichtung mit mindestens zwei Dämpfungselementen für die Zug- und Druckstufe umfasst, die jeweils einzeln oder gemeinsam in den Strömungsweg schaltbar sind;

b) beide Dämpfungselemente für die Zug- und Druckdämpfung jeweils eine Ventilbestückung aufweisen;

c) ein Dämpfungselement in der Zugdämpfung eine hohe Dämpfungskraft und in der Druckdämpfung eine niedrige Dämpfungskraft erzeugt undd) das andere Dämpfungselement in der Zugdämpfung eine niedrige Dämpfungskraft und in der Druckdämpfung eine hohe Dämpfungskraft erzeugt.

4. Die Klägerin hat den Senat davon überzeugt, dass der mit dem erteilten Patentanspruch 1 nach Hauptantrag beanspruchte regelbare Schwingungsdämpfer am Anmeldetag des Streitpatentes durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik und das allgemeine Fachwissen nahegelegt war.

Als Durchschnittsfachmann sieht der Senat einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinen- oder Kraftfahrzeugbau an, der über berufliche Erfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Kraftfahrzeug-Fahrwerken verfügt. Zum Fachwissen eines solchen Fachmannes gehört es, dass er die bei vertikalen Schwingungen von Kraftfahrzeugaufbau und Achsbauteilen im Feder- und Dämpfungssystem hervorgerufenen Kräfte und deren Abhängigkeit von Weg und Geschwindigkeit kennt und weiß, dass die Bewegung eines Kraftfahrzeugaufbaus nach oben oder unten immer dann nachteilig verstärkt wird, wenn die vom Schwingungsdämpfer erzeugte Dämpfungskraft in der gleichen Richtung wirkt, in die sich der Kraftfahrzeugaufbau bewegt. Dies ist - wie gleichfalls bekannt - immer dann der Fall, wenn sich der Kraftfahrzeugaufbau und die Achsbauteile in dieselbe Richtung bewegen und die absolute Geschwindigkeit der Kraftfahrzeugachsbauteile größer ist als die des Kraftfahrzeugaufbaus. Außerdem kann dies bekanntermaßen bei einer nach oben gerichteten Bewegung des Kraftfahrzeugaufbaus nur bei einer Druckdämpfung und bei einer nach unten gerichteten Bewegung des Kraftfahrzeugaufbaus nur bei einer Zugdämpfung der Fall sein. Ebenso gehört zu diesem Fachwissen, dass sich solche Nachteile entweder durch aktive Zufuhr von Energie mit Hilfe einer zusätzlichen Pumpe oder aber angenähert mit sogenannten semiaktiven Systemen beseitigen lassen, die den Schwingungsdämpfer beim Auftreten von nachteiligen Dämpfungskräften auf eine geringe Dämpfungskraft umschalten. Darüber hinaus gehört es zu den strömungstechnischen Grundkenntnissen eines Durchschnittsfachmanns, dass mit Querschnittseinschnürungen Dämpfungskräfte erzeugt werden können, die in Abhängigkeit von der relativen Geschwindigkeit zwischen Kraftfahrzeugaufbau und Achsbauteilen stark progressiv anwachsen, während mit größeren Durchtrittsöffnungen, deren Öffnungsquerschnitte durch angefederte Platten abgedeckt werden, eine degressiv ansteigende Dämpfungskraft erzeugt werden kann und dass solchen Dämpfungsventilen eine enge Öffnung zugeordnet werden kann, die eine flach ansteigende Dämpfungskraft erzeugt, solange die angefederten Platten die größeren Durchtrittsöffnungen noch nicht freigeben.

Einem solchen Fachmann ist aus Figur 9 der DE 35 24 862 A1 ein regelbarer Schwingungsdämpfer für Kraftfahrzeuge mit einem Kolben 11 bekannt, der einen Zylinder 10 in zwei Arbeitskammern (Arbeitsräume) 12 a, 12 b unterteilt und über eine Kolbenstange 11 a beispielsweise am Kraftfahrzeugaufbau befestigt ist. Der Zylinder 10 ist dementsprechend an der Kraftfahrzeugachse angeordnet (S 26 handschriftlich, wie auch im folgenden jeweils die handschriftlich eingetragenen Seitenzahlen zitiert werden, Z 20 bis 23). Der Flüssigkeitsaustausch zwischen der oberen und unteren Arbeitskammer 12 a bzw 12 b erfolgt über Leitungsabschnitte 14 a, 14"a bzw 14 b, 14"b und Ventilanschlüsse 23 a bzw 23 b sowie einen zylindrischen Raum eines asymmetrischen Dämpfungsventils 18, dessen durch eine Dämpfungskraftsteuerung längs verschiebbares Ventilglied 21 mit einer mittleren Einschnürung 22 versehen ist. Außerdem befinden sich Rückschlagventile 16 a bzw 16 b in Leitungsabschnitten 14'a und 14'b, die einen Durchfluss von dem zylindrischen Raum zur oberen bzw unteren Arbeitskammer 12 a bzw 12 b gestatten, den Durchfluss in umgekehrter Richtung aber sperren. Durch Verschieben des Ventilgliedes 21 nach oben oder unten können die freien Durchflussquerschnitte der Leitungsabschnitte 23 a und 23 b gegensinnig verändert werden. Gemäß Seite 21, Zeilen 4 bis 6 kann die Position des Ventiles zwischen zwei Extremwerten umgeschaltet oder kontinuierlich verändert werden.

Wenn das Ventilglied 21 sich beispielsweise bei einer Umstellung zwischen zwei Extremwerten in seiner obersten Stellung befindet, gibt es im Ventilanschluss 23 a einen großen Durchflussquerschnitt frei und erzeugt damit einen geringen Durchflusswiderstand, während es im Ventilanschluss 23 b einen kleinen Durchflussquerschnitt freigibt und einen hohen Durchflusswiderstand erzeugt. Beim Auftreffen des Fahrzeugrades auf ein Hindernis bewegt sich der Zylinder 10 nach oben und erzeugt eine Druckdämpfung, die einen Druckmittelfluss aus der unteren Arbeitskammer 12 b über die Leitungsabschnitte 14 b, 14"b, den Ventilanschluss 23 b mit kleinem Durchflussquerschnitt, den Ventilanschluss 23 a mit großem Durchflussquerschnitt, die Leitungsabschnitte 14"a, 19, 14'a, das Rückschlagventil 16 a und den Leitungsabschnitt 14 a in die obere Arbeitskammer 12 a zur Folge hat. Da in der oberen Stellung des Ventilgliedes 21 im Ventilanschluss 23 b nur ein kleiner Durchflussquerschnitt freigegeben ist, wird in dieser Durchflussrichtung, also bei einer Druckdämpfung, eine große Dämpfungskraft auf den Aufbau erzeugt. Diese Dämpfungskraft soll einer positiven Dämpfungskraft entsprechen (S 28, Z 2). Ist sofort darauf folgend eine minimale negative Dämpfungskraft erforderlich, ermöglicht das Rückschlagventil 16 b ein schnelles Auseinanderziehen des Kolben-Zylinderaggregates, da das Druckmittel in diesem Fall aus der oberen Arbeitskammer 12 a über das wegen seiner Asymmetrie in der beibehaltenen Position des Ventilgliedes 21 praktisch widerstandsfreie Dämpfungsventil 18 (großer Durchflussquerschnitt im Ventilanschluss 23 a) und über das Rückschlagventil 16 b in die andere Arbeitskammer 12 b fließen kann (S 28, Z 3 bis 12). In der oberen Stellung des Ventilgliedes 21 wird also in dem regelbaren Schwingungsdämpfer während der Druckdämpfung eine große bzw. hohe und in der Zugdämpfung eine kleine bzw. niedrige Dämpfungskraft erzeugt.

Da dem Fachmann bekannt ist, dass sich eine hohe Dämpfungskraft während der Zugdämpfung nur dann nachteilig verstärkend auf die Bewegung des Kraftfahrzeugaufbaus auswirken kann, wenn sich dieser nach unten bewegt, versteht es sich für ihn von selbst, dass eine obere Stellung des Ventilgliedes 21, mit der eine hohe Dämpfungskraft während der Zugdämpfung gerade verhindert wird, nur dann sinnvoll ist, wenn sich der Kraftfahrzeugaufbau nach unten bewegt.

In einer unteren Stellung des Ventilgliedes 21 gibt dieses im Ventilanschluss 23 a einen kleinen Durchflussquerschnitt frei und erzeugt darin einen großen Durchflusswiderstand, während es in dem Ventilanschluss 23 b einen großen Durchflussquerschnitt freigibt und einen kleinen Durchflusswiderstand erzeugt. In dieser unteren Stellung des Ventilgliedes 21 wird in dem regelbaren Schwingungsdämpfer somit während einer Zugdämpfung, wenn das Druckmittel von der oberen Arbeitskammer 12 a über die Leitungsabschnitte 14 a, 14"a, den Ventilanschluss 23 a mit kleinem freigegebenen Durchflussquerschnitt, Ventilanschluss 23 b mit großem freigegebenem Durchflussquerschnitt, den Leitungsabschnitten 14"b, 19, 14'b, das Rückschlagventil 16 b und den Leitungsabschnitt 14 b in die untere Arbeitskammer 12 b strömt, eine große bzw. hohe Dämpfungskraft erzeugt. Während einer Druckdämpfung wird bei derselben Stellung des Ventilgliedes 21, wenn das Druckmittel aus der unteren Arbeitskammer 12 b über die Leitungsabschnitte 14 b, 14"b, den Ventilanschluss 23 b mit großem freigegebenem Durchflussquerschnitt, die Leitungsabschnitte 19, 14'a, das Rückschlagventil 16 a und den Leitungsabschnitt 14 a in die obere Arbeitskammer 12 a strömt, eine kleine bzw niedrige Dämpfungskraft erzeugt. Da dem Fachmann gleichermaßen bekannt ist, dass sich eine hohe Dämpfungskraft während der Druckdämpfung nur dann nachteilig verstärkend auf die Bewegung des Kraftfahrzeugaufbaus auswirkt, wenn sich dieser nach oben bewegt, versteht es sich ebenfalls von selbst, dass eine solche untere Stellung des Ventilgliedes 21, mit der eine hohe Dämpfungskraft während der Druckdämpfung vermieden wird, sinnvollerweise nur dann vorzusehen ist, wenn sich der Fahrzeugaufbau nach oben bewegt.

Vor diesem Hintergrund ist dem Fachmann selbstverständlich klar, dass eine Umschaltung des Ventilgliedes 21 von seiner oberen Stellung in die untere Stellung und umgekehrt nur dann sinnvoll und notwendig ist, wenn der Kraftfahrzeugaufbau seine Bewegungsrichtung von unten nach oben oder von oben nach unten ändert, weil beim zwischenzeitlichen Auftreten nachteiliger Dämpfungskräfte durch die Rückschlagventile 16 a bzw 16 b selbsttätig auf die Erzeugung kleiner Dämpfungskräfte umgeschaltet wird.

Ein solches Verständnis des Schwingungsdämpfers nach Figur 9 wird ausdrücklich durch die Ausführungen Seite 30, Zeilen 5 bis 9 der DE 35 24 882 A1 gestützt, wonach im einfachsten Fall "die Dämpfer oder Steuerventile einfach als Folge des zugeführten Signals umgeschaltet werden können, wobei das Signal beispielsweise das Messergebnis der absoluten Aufbaugeschwindigkeit sein kann". Dass eine sachgerechte Auswertung der DE 35 24 882 A1 zu diesem Verständnis führen kann, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Von einer derartigen Auslegung des bekannten Schwingungsdämpfers nach Figur 9 der DE 35 24 862 A1 wird der Fachmann nicht dadurch abgelenkt, dass bei der theoretischen Abhandlung der Dämpfungskraft in der Formel 3 (S 13) in Verbindung mit einem aktiven und einem passiven Dämpfungskoeffizienten die Geschwindigkeit V des Kraftfahrzeugaufbaus und die Geschwindigkeit v des Rades sowie die relative Geschwindigkeit Vrel = v - V berücksichtigt sind und die Dämpfungskraftsteuerung gemäß Seite 25, Zeilen 13 bis 21 durch Auswerten vorzugsweise der Geschwindigkeitsangaben V und der Relativgeschwindigkeit Vrel zwischen Aufbau und Rad erfolgen soll, wie die Beklagte meint. Schon das "vorzugsweise" deutet nämlich darauf hin, dass die Dämpfungskraftsteuerung auch durch andere Signale erfolgen kann, was durch die auf Seite 30 zitierte Stelle bestätigt wird. Der Auffassung der Patentinhaberin, diese Stelle sei nur so zu verstehen, dass der "einfachste Fall" nur eine Fahrsituation meint, in der die Räder sich nicht nach oben oder unten bewegen, die Radgeschwindigkeit v also gleich Null ist, kann der Senat nicht folgen. Aufgrund einfachster Überlegungen zur Wirkungsweise des Schwingungsdämpfers nach Figur 9 ist nämlich festzustellen, dass die in Seite 30 erwähnte alleinige Berücksichtigung der absoluten Aufbaugeschwindigkeit bei allen Radgeschwindigkeiten ausreicht, um die Dämpfungskräfte immer dann automatisch auf einen niedrigen Wert umzuschalten, wenn diese die Bewegung des Fahrzeugaufbaus nachteilig verstärken würden, wie vorstehend dargetan.

Keine Rolle spielt, dass der regelbare Schwingungsdämpfer nach der DE 35 24 862 A1 nicht in der Praxis Eingang gefunden haben soll, wie die Patentinhaberin meint. Jedenfalls kennt der Fachmann aus dieser Druckschrift einen regelbaren Schwingungsdämpfer für Kraftfahrzeuge, mit dem Dämpfungskräfte, die in der gleichen Richtung wirken, in die sich der Kraftfahrzeugaufbau bewegt und diese Bewegung nachteilig verstärken, dadurch automatisch auf einen geringen Wert begrenzt werden, dass der Schwingungsdämpfer von einer Dämpfungskonzeption mit in der Zugdämpfung hoher und in der Druckdämpfung niedriger Dämpfungskraft in eine Dämpfungskonzeption mit in der Druckdämpfung hoher und in der Zugdämpfung niedriger Dämpfungskraft umgeschaltet wird, wobei dieses Umschalten allein in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugaufbaus erfolgen kann. Der Fachmann weiß auch, dass dadurch die Anforderungen bezüglich des Frequenz-Ansprechverhaltens an das Ventil geringer sein können und die elektrische Steuerschaltung vereinfacht werden kann (Seite 29, Absatz 2). Die mit dem Ventilglied 21 erzeugten Dämpfungskräfte nehmen allerdings in Abhängigkeit von der Relativgeschwindigkeit zwischen Kolben 11 und Zylinder 10 aufgrund der eingestellten Durchflussquerschnitte in den Ventilanschlüssen 23 a, 23 b progressiv zu.

Abgesehen davon, dass der Verlauf der Dämpfungskräfte in Anspruch 1 nicht festgelegt ist, ist der Fachmann hierdurch nicht gehindert, die Lehre der DE 35 24 862 A1 zu berücksichtigen. Wenn sich bei einem solchen Schwingungsdämpfer nämlich herausstellen sollte, dass die mit der Relativgeschwindigkeit progressiv zunehmenden Dämpfungskräfte den betrieblichen Anforderungen nicht genügen, weil in der Praxis Dämpfungskräfte verlangt werden, die mit der Relativgeschwindigkeit degressiv zunehmen, ist der Fachmann gehalten, nach einer geeigneten Möglichkeit zu suchen, solche Dämpfungskraftverläufe in einfacher Weise zu verwirklichen, ohne die geringen Anforderungen an das Frequenzansprechverhalten zu verlieren.

Dem Fachmann ist im übrigen bekannt, dass die in der Praxis geforderten, während der Zug- und Druckdämpfung mit zunehmender Relativgeschwindigkeit unterschiedlich degressiv ansteigenden Dämpfungskräfte am einfachsten mit je einer angefederten Ventilplatte für die Zug- und Druckdämpfung zu verwirklichen sind, wobei durch Vorgabe der Federhärten für die Zug- und Druckdämpfung beliebig unterschiedliche Dämpfungskraftanstiege vorgegeben werden können. Aus der DE 36 01 616 A1 ist weiter bekannt, dass durch wahlweises Zuschalten derartiger Dämpfungselemente zu einem Dämpfungselement, das eine hohe Grunddämpfung hat, bei geeigneter Ventilbestückung beliebig degressiv ansteigende Dämpfkräfte erzeugt werden können. Damit bietet sich ohne weiteres an, mit der Relativgeschwindigkeit degressiv ansteigende Dämpfungskräfte, wahlweise mit in der Zugdämpfung hoher und in der Druckdämpfung niedriger bzw mit in der Zugdämpfung niedriger und in der Druckdämpfung hoher Dämpfungskraft durch je ein zu- und wegschaltbares Dämpfungselement mit entsprechend der gewünschten Dämpfungskonzeption bestückten Ventilen zu erzielen. Durch einen derart naheliegenden Vorschlag ergibt sich aber ein Schwingungsdämpfer mit den Merkmalen nach Patentanspruch 1 ohne erfinderische Tätigkeit.

Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist deshalb nicht rechtsbeständig.

5. Der mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beanspruchte regelbare Schwingungsdämpfer war dem zuständigen Fachmann durch den Stand der Technik und das allgemeine Fachwissen ebenfalls nahegelegt.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Gegenstand nach dem vorstehend abgehandelten Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgende zusätzliche Merkmale:

1. es ist ein weiteres, unabhängiges Dämpfungselement 7.3 vorgesehen, welches zur Erzielung einer hohen Dämpfungseinstellung als Grunddämpfung ausgelegt ist, 2. das unabhängige Dämpfungselement 7.3 ist im Kolben des Schwingungsdämpfers integriert und verbindet die beiden Arbeitsräume des Zylinders miteinander.

Aus der DE 36 01 616 A1 ist bereits ein weiteres unabhängiges, ständig durchströmtes Dämpfungselement (Drosselelement 5) bekannt, welches zur Erzielung einer hohen Dämpfungseinstellung als Grunddämpfung (Sp 4, Z 36 bis 39) ausgelegt ist, zu dem die weiteren Dämpfungselemente (Ventileinrichtungen 10, 11) zu- oder weggeschaltet werden können, so dass beliebige degressiv mit der Relativgeschwindigkeit zunehmende Dämpfungskräfte erzielt werden können. Es bietet sich deshalb ohne weiteres an, auch bei einem Schwingungsdämpfer nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ein solches weiteres Dämpfungselement als Grunddämpfung vorzusehen, um zB bei Ausfall der Steuerung stets eine ausreichende Dämpfungskraft erzeugen zu können.

Da es an sich auch üblich ist, wie es zB die DE 36 09 862 A1 zeigt (vgl Fig 3 Position 8 und Sp 5, Z 61 bis 64), ein als Grunddämpfung ausgebildetes Dämpfungselement im Kolben eines Schwingungsdämpfers zu integrieren, so dass es die beiden Arbeitsräume miteinander verbindet und die Ventileinrichtung (separates Bauteil 24) für die Umschaltung der Dämpfungskraft außerhalb des Zylinders vorzusehen, bietet sich ohne weiteres auch der Vorschlag an, bei dem Schwingungsdämpfer nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ein weiteres Dämpfungselement zur Erzielung der Grunddämpfung in dem Kolben zu integrieren, wodurch sich ohne erfinderische Tätigkeit bereits ein Schwingungsdämpfer mit allen Merkmalen nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ergibt.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist deshalb ebenfalls nicht rechtsbeständig.

6. Der Schwingungsdämpfer mit den Merkmalen nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruht ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 durch das zusätzliche Merkmal, dass die Ventileinrichtung über eine Druckmittelleitung an beide Arbeitsräume des Zylinders angeschlossen ist.

Dieses Merkmal stellt eine Selbstverständlichkeit dar und ist auch bei der Anordnung nach Figur 9 der DE 35 24 862 A1 (vgl Position 14 a, 14"a, 23 a und 14 b, 14"b und 23 b) sowie der DE 36 09 862 A1 (vgl Position 29 b, 30) verwirklicht, da ohne eine entsprechende Druckmittelleitung die zu- und wegschaltbaren Dämpfungselemente nicht wirksam werden können.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist deshalb ebenfalls nicht rechtsbeständig.

7. Zu den verbleibenden Unteransprüchen hat die Beklagte nicht ausgeführt, dass einem der dortigen Merkmale eine erfinderische Qualität zukäme. Dies ist auch für den Senat nicht erkennbar. Die Unteransprüche 2 bis 8 fallen daher mit dem jeweiligen Patentanspruch 1, auf den sie zurückbezogen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Absatz 2 Patentgesetz in Verbindung mit § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO, der Anspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Absatz 1 Patentgesetz in Verbindung mit § 709 ZPO.

Dr. Schwendy Winklharrer Müllner Bork Bülskämper Hu/Fa






BPatG:
Urteil v. 20.02.2002
Az: 4 Ni 30/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/62804be4537f/BPatG_Urteil_vom_20-Februar-2002_Az_4-Ni-30-00




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share