Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 7. Juli 2010
Aktenzeichen: 11 W 1636/10
(OLG München: Beschluss v. 07.07.2010, Az.: 11 W 1636/10)
Tenor
I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Landshut vom 11.05.2010 wird dahin abgeändert, dass die von den Beklagten als Gesamtschuldner an die Klagepartei zu erstattenden Kosten einschließlich Gerichtskosten von 242,00 Euro auf 437,80 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.03.2010 festgesetzt werden.
II. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Wert der Beschwerde beträgt 673,54 Euro.
Gründe
I.
Die Beklagte zu 2) hat nach Zustellung der Klageschrift dem Landgericht Landshut mit Schreiben vom 18.01.2010 mitgeteilt, man nehme von einer Prozessführung Abstand. Der Klagebetrag nebst Zinsen sei an die Gegenseite überwiesen worden. Man gehe davon aus, dass die Klage zurückgenommen werde. Für den Fall, dass die Hauptsache für erledigt erklärt werde, stimme man schon jetzt ausdrücklich zu. Man versichere, keinen Kostenantrag zu stellen und die festsetzbaren Rechtsanwaltsgebühren sowie die angefallenen Gerichtskosten zu übernehmen. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 11.02.2010 die Klagerücknahme erklärt. Auf Antrag des Klägers hat das Landgericht Landshut mit Beschluss vom 08.03.2010 den Beklagten als Gesamtschuldnern die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 13.055,47 Euro festgesetzt. Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 11.05.2010 die von der Beklagtenpartei als Gesamtschuldner an die Klagepartei zu erstattenden Kosten einschließlich Gerichtskosten von 242,00 Euro auf 1.111,34 Euro festgesetzt und dabei unter anderem eine Einigungsgebühr in Höhe von 566,00 Euro netto bzw. 673,54 Euro brutto berücksichtigt. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, eine Einigungsgebühr sei nicht anzusetzen. Eine Einigung über Ansprüche einer Partei sei nicht erfolgt, auch wenn diese nicht formbedürftig sei. Die Mitteilung der Beklagten zu 2), man nehme von einer Prozessführung Abstand, beruhe auf keinem Nachgeben und keiner Einigung. Ein Gespräch mit dem Kläger hierüber sei nicht geführt worden. Wenn die Beklagte zu 2) sich auf die Mitteilung beschränkt hätte, dass mittlerweile Zahlung erfolgt sei, hätte seitens des Klägers eine Erledigungserklärung abgegeben werden müssen. In dieser Situation hätte sich die Frage einer Einigung nicht gestellt. Unabhängig von der Mitteilung der Beklagten zu 2) hätte diese die Kosten des Rechtsstreits zu tragen gehabt, und zwar sowohl bei einer Klagerücknahme als auch bei einer Erledigungserklärung.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).
Das Rechtsmittel hat auch in vollem Umfang Erfolg. Die von der Rechtspflegerin festgesetzte Einigungsgebühr ist nicht entstanden und damit auch nicht erstattungsfähig.
41. Die Einigungsgebühr entsteht nach der Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG, wenn der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch Abschluss eines Vertrages unter Mitwirkung des Rechtsanwalts beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist. Während die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO durch die Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll durch die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honoriert und dadurch ein Anreiz geschaffen werden, diesen Weg der Erledigung des Rechtsstreits zu bestreiten. Die Einigung entsteht demnach nur dann nicht, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (BGH NJW 2006, 1523, 1524; BGH NJW-RR 2007, 359 = JurBüro 2007, 73).
52. Eine einseitige prozessuale Gestaltungserklärung wie eine Klagerücknahme und die gegebenenfalls erforderliche Zustimmung des Prozessgegners hierzu beinhalten als solche keine Vereinbarung in diesem Sinne und führen damit grundsätzlich nicht zur Entstehung einer Einigungsgebühr für die beteiligten Prozessbevollmächtigten. Der Kläger weist jedoch zu Recht darauf hin, dass etwas anderes dann gilt, wenn die Parteien über die Klagerücknahme und die Zustimmung der beklagten Partei oder einen Verzicht der Beklagten auf einen Kostenantrag eine Vereinbarung treffen, also einen Vertrag schließen (Senat JurBüro 1992, 322 = AnwBl. 1993, 43; OLG Koblenz JurBüro 2006, 638; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., VV 1000 Rn. 41, 42; Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., VV-RVG 1000 Rn. 9 und Rn. 32, Stichwort "Klagerücknahme").
a) Der Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG beseitigt wird, kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn inhaltlich etwas anderes als ein bloßes Anerkenntnis oder ein bloßer Verzicht durch eine der Parteien vereinbart wird.
7b) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zu 2) die Klageforderung in vollem Umfang bezahlt und damit im Ergebnis anerkannt. Der Umstand, dass die Beklagten sich gleichzeitig zur Übernahme der Verfahrenskosten bereit erklärt und auf einen Kostenantrag verzichtet haben, stellt keine die Einigungsgebühr auslösende vertragliche Einigung dar (vgl. OLG Köln MDR 2006, 539). Diese Erklärungen hat die Beklagte zu 2) nämlich ersichtlich allein mit dem Ziel abgegeben, eine Ermäßigung der gerichtlichen Verfahrensgebühr nach der Nr. 1211 Nr. 1 oder Nr. 4 KV-GKG abgegeben (Senatsbeschluss vom 24.06.2008 € 11 W 1606/08). Nach der vollständigen Bezahlung der Klageforderung hatte der Kläger, wenn er nicht Kostennachteile erleiden wollte, ohnehin nur noch die Möglichkeit, die Klage zurückzunehmen oder die Hauptsache für erledigt zu erklären. In beiden Fällen war aufgrund der von der Beklagten zu 2) abgegebenen Erklärungen gesichert, dass der Kläger keinerlei Kosten zu tragen haben würde. Von einer Mitwirkung des Klägers bzw. dessen Prozessbevollmächtigten an einer einvernehmlichen Beendigung des Rechtsstreits, durch die eine Einigungsgebühr entstanden wäre, kann somit nicht ausgegangen werden.
3. Die von den Beklagten zu erstattenden Kosten vermindern sich somit um den Betrag von 566,00 Euro netto bzw. 673,54 Euro brutto auf nunmehr noch 437,80 Euro. Dementsprechend war der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts abzuändern.
4. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Gerichtskosten sind nicht angefallen, nachdem die Beschwerde in vollem Umfang Erfolg hatte (vgl. Nr. 1812 KV-GKG).
OLG München:
Beschluss v. 07.07.2010
Az: 11 W 1636/10
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