Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 5. September 2012
Aktenzeichen: 1 L 886/12
(VG Köln: Beschluss v. 05.09.2012, Az.: 1 L 886/12)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 09.07.2012 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 04.06.2012, mit denen das Verbot der Rechnungslegung und Inkassierung für die Produkt-ID 00000 ausgesprochen wird (Az.: 000-0 N. 00000, 00000, 00000, 00000-00000), anzuordnen,
bleibt ohne Erfolg.
Soweit sich Widerspruch und Antrag der Antragstellerin gegen die nicht an sie gerichteten Bescheide der Antragsgegnerin (Az. 000-0 N. 00000, 00000, 00000, 00000-00000) richtet, ist der Antrag bereits unzulässig. Der Antragstellerin kommt insoweit eine Antragsbefugnis nicht zu. Sie wäre hinsichtlich dieser Bescheide in einem Hauptsacheverfahren nicht klagebefugt, da unter Berücksichtigung des bisherigen Vortrags eine Drittbetroffenheit der Antragstellerin nicht erkennbar ist.
Soweit sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den an die Antragstellerin adressierten Bescheid richtet, ist der gemäß §§ 80 Abs. 5, 80 Abs. 2 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 137 Abs. 1 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) zulässige Antrag unbegründet.
Die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs liegen nicht vor. Das Gericht ordnet gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung an, wenn das Interesse des Adressaten, von der Vollziehung einer Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist dies der Fall, wenn der zu vollziehende Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, so dass ein öffentliches Interesse an seiner Vollziehung nicht gegeben sein kann. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs nach summarischer Prüfung jedoch nicht hinreichend verlässlich abschätzen und ist deshalb der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen zu bewerten, ist eine von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs losgelöste Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der angegriffenen Entscheidung vorzunehmen. Im Rahmen einer solchen Abwägung ist allerdings eine gesetzgeberische Wertentscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von erheblichem Gewicht, wie sie auch hier in Gestalt des § 137 Abs. 1 TKG vorliegt. Danach sind Entscheidungen der Antragsgegnerin stets sofort vollziehbar. Gleichwohl erübrigt sich deshalb nicht die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bei offenem Prozessausgang vorzunehmende Interessenabwägung; diese ist zwar gesetzlich vorstrukturiert, aber nicht präjudiziert,
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 14.04.2005 - 4 VR 1005.04 -, BVerwGE 123, 241 (244 f.).
Gemessen an diesem Maßstab ist dem Antrag nicht zu entsprechen. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angeordneten Maßnahmen und dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben, fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass ihr Widerspruch und eine eventuell anschließende Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg sein werden.
Nach der dem Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung wird sich die Verfügung vom 04.06.2012 als rechtmäßig erweisen.
Das unter Ziffer 1 der Verfügung bestimmte Rechnungslegungs- und Inkassoverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 67 Abs. 1 Sätze 1 und 6 TKG. Nach § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG kann die Bundesnetzagentur im Falle der gesicherten Kenntnis von der rechtswidrigen Nutzung einer Rufnummer dazu auffordern, für diese Rufnummer selbst oder durch Dritte keine Rechnungslegung vorzunehmen. Im Übrigen kann die Bundesnetzagentur gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG im Rahmen der Nummernverwaltung Anordnungen und andere geeignete Maßnahmen treffen, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen, sodass auch die Verfügung des Inkassoverbots auf diese Generalermächtigung gestützt werden kann. Die in § 67 Abs. 1 Sätze 2 bis 7 TKG genannten Maßnahmen sind kein abschließender Katalog. Die Bundesnetzagentur kann daher nach § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG im Rahmen der Nummernverwaltung ergänzende Anordnungen und andere geeignete Maßnahmen treffen, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der von ihr erteilten Bedingungen über die Zuteilung von Nummern sicherzustellen.
Eine rechtswidrige Nutzung der Rufnummer ist vorliegend gegeben. Der im Bescheid genannte Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften, der zu den angefochtenen Verboten führt, ist in ihm zutreffend wiedergegeben worden.
Die Kammer geht davon aus, dass bei der Nutzung der Rufnummer 0800 000 00 00 gegen § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2, 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen wurde. Auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb kann abgestellt werden, weil § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG den gesetzgeberischen Willen zum Ausdruck bringt, jegliche Verstöße bei der Nummernnutzung zu verfolgen, insbesondere mit Blick auf Verbraucher- und Kundenschutzbelange. Daher zählen die Bestimmungen des UWG zu den gesetzlichen Vorschriften, deren Nichtbeachtung Maßnahmen der Antragsgegnerin rechtfertigen kann.
Die fraglichen Anrufe sind ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG und damit eine rechtswidrige Nutzung der genannten Rufnummer. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, unzulässig. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung oder gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen mutmaßliche Einwilligung (Nr. 2) sowie bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt (Nr. 3).
Bei einer Vielzahl der in Rede stehenden Anrufe handelte es sich um Werbung. Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (vgl. Art. 2 lit. a der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung - ABl. EU 2006 L 376 S. 21 -),
vgl. zur Anwendbarkeit dieser Definition im UWG: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2009 - I ZR 218/07 -, zit. nach juris.
Ausgehend von diesen Anforderungen lag bei den der Verfügung der Antragsgegnerin zugrundeliegenden Gesprächen zumindest teilweise Werbung vor. Der Antragsgegnerin liegt eine erhebliche Anzahl von Beschwerden durch Verbraucher vor, die übereinstimmend berichteten, sie hätten ohne vorherige Einwilligung einen Anruf mit einer Bandansage erhalten, für sie liege ein R-Gespräch aus dem Ausland vor. Nahmen sie das Gespräch an, so hörten sie automatische Werbeansagen (z. B. Werbung für ein Smartphone am 20.03.2012 - BA 4 Bl. 43, Werbung für ein I-Phone am 30.04.2012 BA 5, Angebotsabgabe am 04.05.2010 BA 5, Handywerbung am 18.04.2012 BA 6), Informationen zu Gewinnspielen (z. B. BA 4 Bl. 44, BA 4 Bl. 97) sowie Spendenaufrufe (z. B. "Spenden für Griechenland" am 11.03.2012, BA 5).
Durch die Verwendung einer automatischen Werbeansage ist auch der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 UWG erfüllt. Danach darf Telefonwerbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine nur erfolgen, wenn eine gesetzeskonforme Einwilligung des Adressaten vorliegt. Einwilligung in diesem Sinne bedeutet das unter Kenntnis der konkreten Sachlage ausdrücklich geäußerte vorherige Einverständnis des Empfängers in den Erhalt des Werbeanrufes. Daran fehlte es, weil die Werbeanrufe - wie hier - unverlangt erfolgt sind. Eine ausdrückliche Einwilligung setzt voraus, dass der Adressat konkret um einen Anruf zum Zweck der Werbung gebeten hat. Die Einwilligung muss zeitlich vor den Werbeanrufen erfolgen, und selbst eine nachträgliche Zustimmung lässt die eingetretene Belästigung und damit den Gesetzesverstoß nicht entfallen.
Auch in den weiteren Anrufen, die ein R-Gespräch vermittelten und keine Werbung darstellten, ist eine unzumutbare Belästigung i. S. d. § 7 Abs. 1 UWG zu sehen. Eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 UWG ist eine geschäftliche Handlung, die bereits wegen der Art und Weise unabhängig von ihrem Inhalt als Belästigung empfunden wird. Die Belästigung besteht darin, dass die geschäftliche Handlung den Empfängern aufgedrängt wird.
Vgl. Koch in Ullmann, jurisPK-UWG, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 2; Begründung zum Regierungsentwurf UWG 2004, BT-Drucks. 15/1487, S. 20.
Unzumutbar ist die Belästigung, wenn sie eine solche Intensität erreicht, dass sie von einem großen Teil der Verbraucher als unerträglich empfunden wird, wobei der Maßstab des durchschnittlich empfindlichen Adressaten zugrundezulegen ist. Dabei kommt es nicht einseitig auf die Perspektive des Adressaten der geschäftlichen Handlung an. Die Unzumutbarkeit ist vielmehr zu ermitteln durch eine Abwägung der auch verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Adressaten, von der geschäftlichen Handlung verschont zu bleiben (Art. 2 Abs. 1 GG), und des Unternehmers, der seine gewerblichen Leistungen zur Geltung bringen will (Art. 12 GG).
Vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2011 - I ZR 167/09 -, zit. nach juris.
Nach diesen Maßstäben liegt eine unzumutbare Belästigung vor. Die streitgegenständlichen Anrufe sind als geschäftliche Handlung i. S. d. Regelung anzusehen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist unter einer geschäftlichen Handlung jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, bei oder nach einem Geschäftsabschluss zu verstehen, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Hier führen die Anrufe bei Annahme durch den Anschlussinhaber zu einem Vertrag zwischen Anschlussinhaber und der Antragstellerin als R-Gesprächsanbieterin, bei dem der Anschlussinhaber die Kosten des R-Gesprächs trägt. Diese geschäftliche Handlung wird den Anschlussinhabern durch den unverlangten Anruf aufgedrängt. Die darin liegende Belästigung der Angerufenen ist auch unzumutbar. Wie die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verbindungsdaten, so die Daten der Anrufe des 03.03.2012 und 04.03.2012 (BA 3) zeigen, wurden teilweise im Sekundentakt systematisch Nummernblöcke zu Zeiten (von 07:42:59 bis 08:50:32 Uhr sowie von 20:17:09 bis 21:59:59 Uhr), an denen die Chancen, Anschlussinhaber privat zu erreichen, erhöht sind, abtelefoniert, wobei die Gesprächsdauer fast durchgängig nicht über 100 Sekunden lag. Nahmen die Anschlussinhaber das R-Gespräch an, so lag kein wirklicher Gesprächswunsch vor, sondern es wurden Bandansagen o. g. Art abgespielt. Dieser Sachverhalt wird auch durch die von der Antragstellerin vorgelegte E-Mail (Bl. 89 GA) bestätigt, in der sie gegenüber ihrem Anwalt angibt, dass ihr Reseller in Griechenland ein "innovatives Marketingkonzept" verfolge und täglich 40.000 bis 50.000 Anrufe mit einer durchschnittlichen Dauer von 13 bis 18 Sekunden veranlasse. Ein solcher Anruf, der ersichtlich nur erfolgt, um R-Gespräche und die damit verbundenen erhöhten Gebühren zu generieren, ist auch unter Berücksichtigung der geschäftlichen Interessen der Antragstellerin eine für den durchschnittlichen Verbraucher - weil er für einen aufgedrängten Anruf, der ihn in seiner Privatsphäre beeinträchtigt, zusätzlich die Kosten tragen muss - unerträgliche und damit unzumutbare Belästigung.
Ferner liegt ein Verstoß gegen §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 und 3 UWG vor. Gemäß § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Bereits nach dieser Generalklausel liegt in den in Rede stehenden R-Gesprächen, die ersichtlich nur generiert werden, um die anfallenden erhöhten Gebühren zu erlangen, eine unzulässige - da die Interessen der angerufenen Verbraucher beeinträchtigende - unlautere geschäftliche Handlung vor. Zudem sind auch die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 und 3 UWG gegeben. Gemäß § 4 Nr. 1 UWG handelt insbesondere unlauter, wer geschäftliche Handlungen vornimmt, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Nach § 4 Nr. 3 UWG handelt weiterhin unlauter, wer den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen verschleiert. Durch die Angabe der automatischen Bandansage, es liege ein R-Gespräch aus dem Ausland für den Angerufenen vor, wird diesem suggeriert, eine ihm bekannte Person wolle mit ihm aus dem Ausland Kontakt aufnehmen. Durch die fehlende Angabe des Namens des Anrufenden wird der Angerufene, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist, psychisch unter Druck gesetzt, innerhalb kurzer Zeit zu entscheiden, ob er das Gespräch annehmen soll und damit in seiner Entscheidungsfreiheit i. S. d. § 4 Nr. 1 UWG beeinträchtigt. Zugleich verschleiert die fehlende Angabe des Namens des Anrufenden den werblichen, d. h. den geschäftlichen,
vgl. zur weiten Auslegung des Begriffs "Werbecharakter" als "geschäftlichen Charakters" Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 4 Rdnr. 3.10, Charakter des Anrufs i. S. d. § 4 Nr. 3 UWG.
Die Signalisierung der nicht existierenden Rufnummer 069 000 000 anstelle der korrekten Rufnummer 0800 000 00 00 bei zahlreichen Anrufen wiederum stellt einen Verstoß gegen § 66k Abs. 1 Satz 1 TKG dar, wonach Anbieter von Telekommunikationsleistungen, die Teilnehmern den Aufbau von abgehenden Verbindungen ermöglichen, sicherstellen müssen, dass beim Verbindungsaufbau als Rufnummer des Anrufers eine vollständige national signifikante Rufnummer übermittelt und als solche gekennzeichnet wird.
Der streitigen Verfügung liegt auch eine gesicherte Kenntnis von einer rechtswidrigen Nummernnutzung zugrunde, § 67 Abs. 1 Sätze 5 und 6 TKG. Diese Voraussetzung ist in der Regel erfüllt, wenn der Bundesnetzagentur wiederholt Sachverhalte mitgeteilt werden, aus denen sich Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, deren Einhaltung von der Bundesnetzagentur zu überwachen ist, in einer Weise ergeben, dass Zweifel praktisch ausgeschlossen sind,
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 26.09.2008 - 13 B 1329/08 -; Verwaltungsgericht (VG) Köln, Beschluss vom 28.03.2011 - 21 L 285/11 - und OVG NRW, Beschluss vom 25.03.2010 -13 B 226/10 -; VG Köln, Beschluss vom 27.01.2010, - 1 L 1922/09 -, jeweils zit. nach juris.
Das ist hier der Fall. Denn der Bundesnetzagentur ist eine erhebliche Anzahl von Verbrauchermitteilungen zugegangen, in denen im Wesentlichen übereinstimmend Beschwerden darüber vorgetragen wurden, dass Verbraucher Anrufe unter Anzeige der Rufnummer 069 000 000 erhielten, eine Ansage darüber informierte, dass ein R-Gespräch aus dem Ausland vorliege und bei Gesprächsannahme Werbeansagen, Umfragen oder Informationen zu Gewinnspielen erfolgten. Zusätzlich liegen der Bundesnetzagentur die Verbindungsdaten der erfolgten R-Gespräche vor, die, wie bereits ausgeführt, ein systematisches Abtelefonieren ganzer Nummernblöcke belegen.
Die Bundesnetzagentur war daher nach § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG dazu berechtigt, die Antragstellerin aufzufordern, für über ihren Dienst geführte R-Gespräche, die seitens der Betreiber über die Produkt-ID 81205 abgerechnet werden, keine Rechnungslegung vorzunehmen, und dies mit einem Inkassierungsverbot nach § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG zu verbinden.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin darf das Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbot umfassend, also auch ihr gegenüber und für das Inter-Carrier-Verhältnis ausgesprochen werden. Es darf nicht nur das Verhältnis des Netzbetreibers erfassen, der den Anruf an den Endkunden terminiert oder diesem gegenüber unmittelbar abrechnet. § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG enthält bezüglich des Rechnungslegungsverbots eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage, die nicht zwingend an die Rufnummernuntersagung, also an den Tatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG anknüpft. Würde § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG auf die in § 67 Abs. 1 Satz 5 TKG angesprochene rechtswidrige Nutzung der Rufnummer Bezug nehmen, müsste es in Satz 6 heißen "bei gesicherter Kenntnis der rechtswidrigen Nutzung". Die Formulierung "bei gesicherter Kenntnis einer rechtswidrigen Nutzung" macht deutlich, dass die Ermächtigung zum Erlass eines Rechnungslegungsverbots auch bei einer anderweitigen rechtswidrigen Rufnummernnutzung zur Anwendung kommen kann. Demnach können auch Netzbetreiber, die nicht selbst die inkriminierte Nummer ins Netz schalten und lediglich Anrufe dieser Nummer an andere Netzbetreiber oder an eigene Endkunden weiterleiten, mit einem Rechnungslegungsverbot belegt werden. Auch nach dem Regelungszweck des § 67 Abs. 1 TKG ist es fernliegend, dass ein Rechnungslegungsverbot immer nur in Zusammenhang mit einer Abschaltungsanordnung erlassen werden könnte. Ein von einer Abschaltungsanordnung gesondertes Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbot kann auf die Generalermächtigung des § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG gestützt werden. Denn die in § 67 Abs. 1 Satz 2 bis 7 TKG genannten Maßnahmen sind nicht abschließend und sperren nicht die Anwendung des § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG.
Daher ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin das Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbot auch für die Abrechnung der Carrier untereinander ausgesprochen hat, selbst wenn keine Endkunden involviert sind. Die Generalermächtigung des § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG, Maßnahmen zu treffen, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen, wird durch § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG zwar dahingehend konkretisiert, dass ein Rechnungslegungsverbot eine gesicherte Kenntnis von der rechtswidrigen Rufnummernnutzung voraussetzt. Weitergehende Einschränkungen in Bezug darauf, in welcher Form das Verbot der Rechnungslegung auszusprechen ist, sind damit jedoch nicht verbunden. § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG verbietet es mit anderen Worten nicht, § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG als Ermächtigungsgrundlage für andersartige Rechnungslegungsverbote heranzuziehen.
Das Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbot steht auch in Zusammenhang mit der rechtswidrigen Nutzung einer Rufnummer, sodass die Maßnahmen der Bundesnetzagentur im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG "im Rahmen der Nummernverwaltung" ergangen sind. Der notwendige Zusammenhang zwischen dem untersagten Verhalten und einer rechtswidrigen Rufnummernverwendung ergibt sich daraus, dass die Betroffenen mit rechtswidrigen für sie kostenpflichtigen Telefonanrufen belästigt und die so generierten Anrufe über die Telefonrechnungen der Endkunden abgerechnet wurden. Die Antragstellerin konnte von diesen Anrufen als Vertragspartnerin der Angerufenen profitieren. Die Antragstellerin ist entgegen ihrer Ansicht als Vertragspartnerin der Angerufenen und Betreiberin des R-Gesprächsdienstes richtige Adressatin der Verfügung. Rechnungsersteller i. S. d. § 67 Abs. 1 Satz 6 TKG sind, wie ausgeführt, sämtliche Teile der Abrechnungskette, sowohl Teilnehmernetzbetreiber als auch Verbindungsnetzbetreiber und Diensteanbieter.
Die Anordnung der Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote steht nach § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG im pflichtgemäßen Ermessen der Bundesnetzagentur. Ermessensfehler, die die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen würden, sind nicht ersichtlich.
Die ausgesprochenen Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbote sind geeignet, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen. Die Bundesnetzagentur hat zutreffend darauf abgezielt, dass die rechtswidrige Nutzung der Rufnummer ein umfassendes Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbot zur Folge haben müsse. Dieses Verbot unterbindet die oben dargestellte rechtswidrige Abrechnungspraxis und verhindert, dass über die Telefonrechnung Entgelte für eine Verbindung eingezogen werden, die die Endkunden ohne die fehlende Aufklärung über den geschäftlichen Charakter des angenommenen Gesprächs beziehungsweise ohne die Täuschung über diesen nicht in Anspruch genommen hätten.
Die ausgesprochenen Maßnahmen sind auch erforderlich. Ein gleich geeignetes milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Insbesondere besteht es nicht darin, gegen die im Ausland tätigen Anrufer vorzugehen. Eine solches Vorgehen ist mangels Effektivität bereits nicht gleich geeignet.
Die Verfügung ist auch angemessen. Die Antragstellerin wird durch die angegriffene Verfügung nicht in unverhältnismäßigem Umfang belastet. Soweit sie auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der angegriffenen Verfügung abstellt, ist zu bemerken, dass der Gesetzgeber der Antragsgegnerin in Ansehung der wirtschaftlichen Folgen eines Rechnungslegungs- und Inkassierungsverbots bewusst diese Befugnis zugewiesen hat. Das Interesse der Antragstellerin an den rechtswidrig generierten Gesprächsgebühren ist gegenüber den Verbraucherschutzinteressen nicht schützenswert. Im Übrigen stehen ihre wirtschaftlichen Interessen hinter den durch die rechtswidrigen R-Gespräche in erheblichem Maße beeinträchtigten Verbraucherinteressen zurück.
Die Antragstellerin wird durch die rechtmäßige Zwangsgeldandrohung, die auf den §§ 6, 9 Abs. 1, 11 und 13 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes beruht, ebenfalls nicht in ihren Rechten verletzt.
Unter Ansehung der Rechtswidrigkeit des Bescheides ist ein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragstellerin auch nach weiterer Interessenabwägung nicht gegeben. Die sofortige Vollziehung des Bescheids ist angemessen. Die weitere Abwägung von privatem und öffentlichem Interesse konzentriert sich auf die Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung des sofortigen Vollzugs nach § 137 Abs. 1 TKG abzuweichen ist. Dabei sind die Folgen, die sich für den einzelnen Antragsteller mit dem Sofortvollzug verbinden, nur insoweit beachtlich, als sie nicht schon als regelmäßige Folge der gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 -.
Solche besonderen Umstände hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Soweit sie mit wirtschaftlichen Schäden argumentiert, ist dies unmittelbare Folge der der Bundesnetzagentur zugewiesenen Befugnis, diese Verfügung zu erlassen. An den rechtswidrig generierten Gebühren besteht zudem kein rechtlich schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin. Soweit sich die Verfügung auch auf die Rechnungslegung in der Zukunft bezieht, sind die Interessen der Antragstellerin auch unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG weniger schutzwürdig als die vorrangigen Verbraucherinteressen, von die Privatsphäre beeinträchtigenden unzumutbaren und kostenpflichtigen Belästigungen durch die von der Antragstellerin geschalteten R-Gespräche verschont zu bleiben. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen Existenzgefährdung. Das Sofortvollzugsinteresse an der Unterbindung der rechtswidrigen R-Gespräche und Abwendung wirtschaftlichen Schadens für eine Vielzahl von Verbrauchern, die andernfalls während der Dauer des Hauptsacheverfahrens weiterhin Gefahr laufen, für rechtswidrige R-Gespräche Zahlungen leisten zu müssen, überwiegt hier die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Bei der Streitwertfestsetzung hat das Gericht gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG ausgehend von einem erheblichen wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin an der Rechnungslegung und Einziehung einen Wert von 100.000 € zugrundegelegt, da dieser Wert von der Antragstellerin selbst in ihrer Antragsbegründungsschrift als ihr wirtschaftliches Interesse genannt wird. Dieser Wert war im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
VG Köln:
Beschluss v. 05.09.2012
Az: 1 L 886/12
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