Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 20. Juni 1990
Aktenzeichen: 10 S 2741/89
(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 20.06.1990, Az.: 10 S 2741/89)
1. Zur Frage der Vereinbarkeit von zusätzlichen Verkaufsaussagen auf Eier-Großpackungen wie "Legefrisch" und "Legefrische ..., die sie schmecken" mit Art 21 der Verordnung (EWG) Nr 2772/75.
Gründe
I. Die Klägerin erzeugt Qualitätseier in den Betrieben ihrer Gesellschafter. Des weiteren erfaßt, lagert und verkauft sie Eier aus Betrieben, mit denen sie Lieferverträge abgeschlossen hat. Sie unterhält in O eine zugelassene Packstelle, über die sie Eier unter Umgehung des Großhandels direkt an den Einzelhandel ausliefert. Zum Transport von der Packstelle zu den Geschäften verwendet sie Kartons mit ca. 24 Kleinpackungen zu je 10 Eiern. Diese werden teilweise auch in Selbstbedienungsläden ausgestellt. Sie tragen an den Längsseiten neben dem Firmenzeichen "Gutshof-Ei" den Schriftzug "Legefrische...die Sie schmecken", und an den Breitseiten die Aufschrift "Legefrisch".
Die Beklagte hat diese Aufschriften unter Hinweis auf einen gemeinsamen Erlaß des Ernährungsministeriums und des Sozialministeriums des Landes Baden-Württemberg vom 25. Oktober 1982 -- EM Nr. 84-1230/SM Nr. VI/6-8755.1 -- beanstandet und der Klägerin eine Untersagungsverfügung angedroht. Der Erlaß, der sich auf die Verordnung (EWG) Nr. 2.772/75 bezieht, sieht vor, daß die Bezeichnung "Legefrisch" in Baden-Württemberg nur dann nicht beanstandet werden soll, wenn die Eier nicht älter als drei Tage sind, ihre Luftkammerhöhe nicht mehr als 3 mm beträgt und die Eier vom Erzeuger direkt vermarktet werden. Diese Voraussetzungen treffen auf die von der Klägerin vermarkteten Eier nicht zu.
Nachdem das Amtsgericht B mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ein von der Beklagten gegen einen Geschäftsführer der Klägerin eingeleitetes Bußgeldverfahren eingestellt hatte, erhob die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage und beantragte festzustellen, daß sie berechtigt ist, die Aufschriften "Legefrisch" bzw. "Legefrische ... die Sie schmecken" auf Eier-Großpackungen, die ordnungsgemäß gekennzeichnete Eier-Kleinpackungen enthalten, im Handelsverkehr zu verwenden.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen: Der gemeinsame Erlaß des Ernährungsministeriums und des Sozialministeriums verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Eier-Großpackungen dürften lediglich mit den in Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 genannten Angaben versehen werden. Im übrigen sei die Verwendung des Begriffs "Legefrisch" nicht zulässig, da er an das Legedatum anknüpfe. Auch sei der Teilbegriff " -- frisch -- " unzulässig, da er Gütebezeichnungen vorbehalten sei. Der Begriff "Legefrisch" kollidiere zudem mit dem durch die Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 bezweckten Schutz des Verbrauchers.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, auch Eier-Großpackungen dürften, wie Eier-Kleinpackungen, Verkaufsaussagen tragen. Der Wortlaut des Art. 21 Satz 2 -- Kleinpackungen -- der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 beruhe auf einem Redaktionsversehen. Angaben, die auf Eier-Kleinpackungen, mit denen der Verbraucher in erster Linie in Berührung komme, zulässig seien, müßten erst recht auf Eier-Großpackungen, denen der Verbraucher weit seltener begegne, erlaubt sein. Angaben, die sich auf die Legezeit beziehen, dienten der Information des Verbrauchers.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie könne aufgrund ihres Vertriebssystems dafür einstehen, daß die von ihr gelieferten Eier zwei bis drei Tage nach dem Legen in die Geschäfte gelangten. Sie nehme Eier, wenn sie nicht alsbald verkauft würden, wieder zurück. Dadurch halte sie eine Irreführungsgefahr des Verbrauchers für ausgeschlossen.
II. Nach Art. 177 Abs. 2 EWG-Vertrag kann ein Gericht eines Mitgliedstaates ihm gestellte Fragen zur Auslegung von Handlungen der Organe der Gemeinschaft dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn es eine Entscheidung darüber für den Erlaß seines Urteils für erforderlich hält. Der erkennende Senat erachtet die gestellten Fragen für entscheidungserheblich. Er macht daher von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren auszusetzen, um eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 einzuholen.
1. Zu der unter Nr. 1 gestellten Frage:
Der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen, daß auch Eier-Großpackungen im Sinne des Art. 16 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 Verkaufsaussagen enthalten dürfen. Dem scheint zwar der Wortlaut des Art. 21 Satz 2 "auf Kleinpackungen können..." entgegenzustehen. Er könnte darauf hindeuten, daß bei Eier-Großpackungen Verkaufsaussagen zu den nach Art. 21 Satz 1 zulässigen "in dieser Verordnung vorgesehenen Angaben" nicht gehören. Es spricht nach Ansicht des Senats auch nichts dafür, das durch Art. 21 Satz 1 ausgesprochene Verbot, auf Eier-Verpackungen andere als die vorgesehenen "Angaben" zu machen, lediglich auf "Angaben" im Sinne des Art. 17 und des Art. 18 zu beschränken und Verkaufsaussagen als sonstige Kennzeichnungen, etwa unter Berufung auf die 14. Begründungserwägung zur Verordnung (EWG) Nr. 2772/75, von diesem Verbot a priori auszunehmen. Bei einem solchen Verständnis wäre Art. 21 Satz 2 lit. c der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 gegenstandslos.
Die Annahme eines Redaktionsversehens dahin, daß bei der Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 durch die Verordnung (EWG) Nr. 1831/84 des Rates vom 19. Juni 1984 übersehen worden sein könnte, auch Eier-Großpackungen den Vorzug der Liberalisierung der Verpackungskennzeichnungen einzuräumen, erscheint dem Senat angesichts der differenzierten Verwendung der Begriffe "Großpackungen" und "Kleinpackungen" in der Verordnung (EWG) Nr. 1831/84 (vgl. z. B. Art. 1 Nr. 3 lit. a und lit. b unwahrscheinlich.
Ein gewisser Anhaltspunkt dafür, daß die in Art. 17 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 erwähnten Angaben nicht ausschließlich sein könnten, ergibt sich aber aus einem Textvergleich mit Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1295/70 der Kommission vom 1. Juli 1970 über ergänzende Vorschriften zur Kennzeichnung bestimmter Verpackungen für Eier, die unter die Verordnung (EWG) Nr. 1619/68 über Vermarktungsnormen für Eier fallen. Diese Bestimmungen schreiben für EierGroßpackungen mit herabgestuften oder umgepackten Eiern vor, daß auf ihnen ausschließlich (Hervorhebung durch den Senat) die folgend aufgeführten Angaben zu machen seien. Sie gelten nach Abs. 3 auch für Eier-Kleinpackungen. Eine Beschränkung auf ausschließliche Angaben fehlt in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75. Die Beschränkung in der Verordnung (EWG) Nr. 1295/70 kann allerdings, wenn ihr nicht ohnehin nur klarstellende Bedeutung zukommt, ihren Grund in der besonderen Schutz- und Informationsbedürftigkeit des Verbrauchers bei herabgesetzten oder umgepackten Eiern gehabt haben. Die Beschränkung auf ausschließliche (Hervorhebung durch den Senat) Angaben hat die Verordnung (EWG) Nr. 36/85 der Kommission vom 7. Januar 1985 nicht mehr aufrechterhalten.
Die Verordnung (EWG) Nr. 36/85 gibt den gewichtigen Hinweis darauf, daß die Liberalisierung der Verpackungskennzeichnungen für Eier-Kleinpackungen durch die Verordnung (EWG) Nr. 1831/84 auch auf Eier-Großpackungen erstreckt werden sollte. In der 1. Begründungserwägung zur Verordnung (EWG) Nr. 36/85 heißt es:
"Gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1831/84 wurde die Angabe der Wochennummer der Verpackung auf Eierverpackungen durch die Angabe der Packzeit ersetzt. Außerdem sieht diese Verordnung die Möglichkeit vor, auf Kleinverpackungen bestimmte Angaben zu machen. Mit der Verordnung (EWG) Nr. 3341/84 wurde diese Möglichkeit auch für Großpackungen geschaffen." (Hervorhebungen durch den Senat)
Dies könnte darauf hindeuten, daß die Kommission davon ausgegangen sein könnte, auch Eier-Großpackungen dürften alle die durch die Verordnung (EWG) Nr. 1831/84 für Eier-Kleinpackungen zusätzlich zugelassenen Angaben enthalten. Allerdings sind die folgenden Änderungen der Verordnung (EWG) Nr. 1295/70 durch die Verordnung (EWG) Nr. 36/85 nicht so weitreichend, wie ein Vergleich des Art. 1 Abs. 3 und des Art. 1 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 36/85 zeigen. Es ist auch fraglich, ob die durch die in Bezug genommene Verordnung (EWG) Nr. 3341/84 des Rates vom 28. November 1984 bewirkten Änderungen den oben als möglich unterstellten Schluß zulassen. Auch in dieser Verordnung ist auf Eier-Großpackungen lediglich der Betriebsführungscode oder Lagerhaltungskontrollcode als zusätzliche Angabe erlaubt. Letzte Zweifel kann der Senat allerdings nicht ausräumen. Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Verpackungsnormen erscheint es dem Senat fraglich, ob es gerechtfertigt ist, auf Eier-Kleinpackungen, denen der Verbraucher regelmäßig begegnet, Verkaufsaussagen zuzulassen, auf Eier-Großpackungen jedoch nicht. Der Senat verkennt dabei nicht, daß ein sachlicher Grund dafür, die Angaben auf Eier-Großpackungen auf ein Mindestmaß und -- soweit möglich -- auf numerische Kennzeichnungen zu beschränken, in der Ermöglichung einer einfacheren Kontrolle und eines reibungslosen Handels zwischen den Mitgliedsstaaten liegen könnte. Werbende Schriftzüge könnten sprachliche Verwirrungen auslösen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Verkaufsaussagen nicht jedenfalls auf Eier-Großpackungen, die lediglich im Bereich eines Mitgliedsstaates verwendet werden, zulässig sein könnten.
2. Zu der unter Nr. 2 gestellten Frage:
Wenn Art. 21 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 dahingehend auszulegen sein sollte, daß er Verkaufsaussagen auch auf Eier-Großpackungen zuläßt, dann stellt sich die Frage, wie der Begriff der Geeignetheit zur Irreführung zu verstehen ist. Der Senat zieht zu dessen Auslegung zunächst die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über irreführende Werbung vom 10. September 1984 (Nr. 450/84/EWG), insbesondere Art. 2 Nr. 2 und Art. 7, heran. Daneben greift der Senat ergänzend auf die weitgehend inhaltsgleichen Vorschriften des § 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb -- UWG -- (BGBl. III 43-1 mit späteren Änderungen) und des § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. b des Gesetzes über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen -- Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz -- (BGBl. III 2125-40) zurück.
Mit Blick auf Art. 6 lit. a und der ihn tragenden 17. Begründungserwägung erscheint es dem Senat jedoch fraglich, ob die in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte Rechtsprechung, daß auch objektiv wahre Angaben irreführend sein können, wenn die umworbenen Verkehrskreise mit ihnen unrichtige Vorstellungen verbinden (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1954, BGHZ 13, 244, 253; OLG Köln, Urt. v. 11.12.1984, LRE 17, 208, 211; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 15. Auflage 1988, § 3 RdNr. 25 m.w.N.), als weitergehende Regelung im Sinne von Art. 7 der Richtlinie angesehen und bei der Auslegung der Geeignetheit zur Irreführung in der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 herangezogen werden kann. Zweifel hat der Senat insbesondere wegen der engeren Praxis anderer Mitgliedsstaaten (vgl. dazu Ulmer, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Band I, 1965, S. 138 ff.). Diese Frage ist entscheidungserheblich, da der Senat die Bezeichnung "Legefrisch" für die von der Klägerin vertriebenen Eier für objektiv nicht unwahr hält, jedoch unter Umständen (abstrakte) Verwechslungsgefahr mit der Kennzeichnung "extra frisch" (vgl. Art. 19 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75) oder mit einer nicht existenten Güteklasse nicht ausschließen kann.
3. Zu der unter Nr. 3 gestellten Frage:
Können auch objektiv wahre Angaben irreführend sein, so stellt sich die weitere Frage, ob Verkaufsbezeichnungen wegen der abstrakten Gefahr einer Verwechslung mit den ausschließlich zulässigen Güteklassen bzw. wegen der Gefahr, daß dadurch eine nicht zugelassene Güteklasse dem Verbraucher nahegelegt werden könnte, an die Frische der Eier (wie z. B. "Legefrisch") anknüpfen dürfen.
Diese Auffassung könnte durch Art. 18 Abs. 1 lit. a Satz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2772/75 gestützt werden, demzufolge ein Warenzeichen, das auf Eier-Kleinpackungen angebracht wird, keine mit dieser Verordnung unvereinbaren Angaben über Qualität und Frische der Eier enthalten darf. Allerdings hält der Senat diese Auffassung nicht für zwingend. Produktwerbung bezieht sich in aller Regel auf die Qualität des Produkts, wenn nicht auf den Preis. Art. 18 Abs. 1 lit. a Satz 2 der Verordnung (EWG) 2772/75 versteht der Senat nicht dahin, daß jede Qualitätswerbung ausgeschlossen wäre. Es kommt aber möglicherweise auf die Art der Darstellung an. Schriftzüge, die, wie im vorliegenden Fall, eindeutig werbenden Charakter haben, was unter anderem durch ihre farbliche Hervorhebung und geschwungene Form unterstrichen wird, dürften freilich mit Güteklassebezeichnungen kaum verwechslungsfähig sein.
Nach den Feststellungen des Senats besteht eine konkrete Verwechslungsgefahr mit dem zulässigen Begriff "extra frisch" nicht, da dieser dem Verbraucher weitgehend unbekannt sein dürfte. Wenn der Verbraucher mit ihm aber konkrete Vorstellungen nicht verbinden kann, so ist auch eine Verwechslungsfähigkeit nicht möglich. Offen bleibt damit allerdings die Frage, ob der Teilbegriff "-- frisch --" wegen der immerhin abstrakt gegebenen Verwechslungsgefahr, die sich auch bei einer Änderung der Verkehrsauffassung konkretisieren kann, nicht doch generell und ausnahmslos Güteklassenbezeichnungen vorbehalten bleiben sollte.
VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 20.06.1990
Az: 10 S 2741/89
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