Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. November 2006
Aktenzeichen: 10 W (pat) 37/03

(BPatG: Beschluss v. 16.11.2006, Az.: 10 W (pat) 37/03)

Tenor

1. Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts - Prüfungsstelle für Klasse F 16 L - vom 15. April 2003 wird aufgehoben.

2. Der Anmelderin wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der 4. Jahresgebühr gewährt.

Gründe

I.

Die streitgegenständliche Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Kraftnebenschlussdichtung zur Abdichtung von Flansch- bzw. Rohrleitungsverbindungen" ist eine Ausscheidungsanmeldung aus der Stammanmeldung 197 55 318.4-12, die am 12. Dezember 1997 eingereicht worden war.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2001 benachrichtigte das Patentamt gemäß § 17 Abs. 3 PatG a. F. (Fassung bis 31. Dezember 2001) die Anmelderin, dass die Anmeldung als zurückgenommen gelte, wenn die 4. Jahresgebühr samt Zuschlag (insgesamt 126,50 DM = 64,68 €) nicht innerhalb von vier Monaten nach Ablauf des Monats, in dem diese Benachrichtigung zugestellt worden sei, entrichtet werde.

Am 14. November 2001 hat die Anmelderin Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der 4. Jahresgebühr beantragt und den Antrag damit begründet, die anwaltlichen Vertreter hätten die Anmelderin mit zweimaligem Schreiben an die Zahlung der 4. Jahresgebühr erinnert, wobei das letztere Schreiben vom 28. Mai 2001 auch den Hinweis auf den Ablauf der Zahlungsfrist am 30. September 2001 enthalten habe und nicht nur mit Normalpost, sondern auch per Telefax übermittelt worden sei. Die Anmelderin habe mit Schreiben vom 20. September 2001 ihre Vertreter beauftragt, die Jahresgebühr zu entrichten. Dieses Auftragsschreiben sei jedoch erst am 8. Oktober 2001, also nach Fristablauf, bei den Vertretern eingegangen. Grund hierzu sei folgendes gewesen: Dieser Brief sei zwar am 20. September 2001 geschrieben, unterschrieben und auch einkuvertiert worden, und zwar in gleicher Weise wie die übrige Post auf dem Schreibtisch, auf dem die Post der Anmelderin versandfertig gemacht werde. Das Schreiben und Einkuvertieren habe die Angestellte Frau A... besorgt, die seit 1. Januar 2000 bei der Anmelde- rin arbeite. Aufgrund eines nicht mehr zu erklärenden Umstandes sei dieser einkuvertierte Brief in den Spalt zwischen der rückwärtigen Kante des Schreibtischs, an dem die Post versandfertig gemacht werde, und der Wand gerutscht und steckengeblieben. Am 4. Oktober 2001 sei Frau A... durch Zufall gegen den Schreib- tisch gestoßen, wodurch der Schreibtisch geringfügig verschoben worden sei. Dadurch sei der bis dahin eingeklemmte Brief auf den Boden gefallen. Der Brief sei dann noch am selben Tage abgesandt worden. Zur Glaubhaftmachung ist eine eidesstattliche Versicherung von Frau A... eingereicht worden.

Die 4. Jahresgebühr ist am 16. November 2001 gezahlt worden.

Die Prüfungsstelle für Klasse F 16 L des Deutschen Patent- und Markenamts hat durch Beschluss vom 15. April 2003 den Antrag der Anmelderin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Anmelderin habe die Frist nicht ohne Verschulden versäumt, denn es fehlten geeignete organisatorische Maßnahmen, die sicherstellten, dass Versehen von Bürohilfskräften nach Möglichkeit nicht zu Fristversäumnissen führten. Die im vorliegenden Fall gebotene Ausgangskontrolle hätte die Anmelderin, bei der es sich um ein bedeutendes Unternehmen mit gegliederter Unternehmensstruktur handle, weder wirtschaftlich noch organisatorisch überfordert. Es hätte genügt, durch allgemeine Anweisungen sicherzustellen, dass die Poststelle tagtäglich die ihr zur Absendung übergebenen Sendungen im Rahmen der ihr von der Bundespost gestatteten Selbstbuchung zugleich auch für betriebsinterne Zwecke mit dem Diktatzeichen der absendenden Firmenabteilung gesondert erfasse. Durch eine solche Ausgangskontrolle hätte die Versäumung der Zahlungsfrist zuverlässig verhindert werden können. Auch lägen die Gründe für die Nichtzahlung der 4. Jahresgebühr im Innenverhältnis Vertreter-Mandant, wonach aufgrund fehlender Weisung der Vertreter bis Fristende gar nicht willens gewesen sei, zu zahlen, also auch nicht habe verhindert sein können, die Frist einzuhalten. Dieses Innenverhältnis und die Vorgänge darin entzögen sich aber der Wiedereinsetzung.

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde, mit der sie beantragt, 1. den Beschluss vom 15. April 2003 aufzuheben, 2. Wiedereinsetzung gemäß § 123 PatG in die am 30. September 2001 abgelaufene Frist zur Einzahlung der 4. Jahresgebühr in Höhe von 126,50 DM einschl. Zuschlagskosten zu gewähren.

Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, es handle sich bei der Anmelderin um ein mittelständisches Unternehmen mit derzeit 35 bis 40 Mitarbeitern. Eine zentrale Poststelle mit einer entsprechenden Ausgangskontrolle existiere bei der Anmelderin nicht. Die Ausgangskontrolle werde bei der Anmelderin vollzogen, wenn die in dem jeweiligen Sachgebiet zuständige Büroangestellte, z. B. Frau A..., die von ihr einkuvertierte Sendung auf dem Postversandtisch der An- melderin ablege. Diese bei der Anmelderin eingespielte Organisation des Postausgangs habe während der seit mehreren Jahrzehnten andauernden Zusammenarbeit zwischen der Anmelderin und den Vertretern bis zu dem Wiedereinsetzungsfall zu keinerlei Unregelmäßigkeiten geführt. Frau A... sei zu Beginn ihrer Tätig- keit u. a. auch auf von ihr zu beachtende Fristen hingewiesen worden. Dadurch dass sie den Brief mit der Auftragserteilung zur Zahlung der 4. Jahresgebühr am 20. September 2001 vorbereitet habe, unterschreiben ließ und auf dem Postversandtisch abgelegt habe, sei für sie der Vorgang fristgerecht erledigt worden, da sie davon habe ausgehen können, dass dieser Brief selbst bei einer besonders langen Postlaufzeit ausreichend lange vor Ablauf der Zahlungsfrist am 30. September 2001 eintreffen werde. Dass dies nicht geschehen sei, sei nicht durch einen Organisations- oder Überwachungsmangel verschuldet, sondern durch den heute nicht mehr erklärbaren Umstand, dass der Brief nach dem Ablegen auf dem Postversandtisch zwischen Tisch und Wand eingeklemmt worden sei. Ein derartiger Vorfall sei bis dahin im Betrieb der Anmelderin nicht aufgetreten, so dass kein Anlass bestanden habe, insoweit den Organisationsablauf im Betrieb zu ändern.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Anmelderin kann die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

1. Die Anmelderin hat die Frist zur Zahlung der 4. Jahresgebühr versäumt. Diese ist gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 PatG a. F. (Fassung bis 31. Dezember 2001) am 31. Dezember 2000 fällig gewesen und konnte bis Ende Februar 2001 zuschlagsfrei entrichtet werden. Mit Zustellung der Gebührennachricht im Mai 2001 hat die viermonatige Frist des § 17 Abs. 3 Satz 3 PatG a. F. zur Zahlung der Gebühr mit Zuschlag zu laufen begonnen, die am Montag, den 1. Oktober 2001 (der 30. September 2001 war ein Sonntag) geendet hat. Die erst am 16. November 2001 erfolgte Zahlung ist daher verspätet.

2. Der wegen Versäumung der Zahlungsfrist gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

a. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 123 Abs. 2 PatG sind eingehalten. Da erst am 4. Oktober 2001 der nicht abgesendete Brief und damit das Fristversäumnis entdeckt wurde - für einen früheren Zeitpunkt gibt es keinen Anhalt -, ist der am 14. November 2001 gestellte Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig innerhalb der zweimonatigen Antragsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG gestellt worden. Dieser enthält die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen. Auch die Nachholung der versäumten Handlung, die Zahlung der Gebühr am 16. November 2001, ist rechtzeitig innerhalb der Antragsfrist erfolgt. Ebenso sind die vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht worden.

b. Die Anmelderin hat in glaubhafter Weise dargetan, dass sie die Frist zur Zahlung der 4. Jahresgebühr ohne Verschulden versäumt hat. Es trifft weder sie selbst ein Verschulden noch liegt ein der Anmelderin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihrer Vertreter vor.

Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag, an dessen Richtigkeit zu zweifeln kein Anhalt besteht, hat die im Betrieb der Anmelderin tätige Angestellte, Frau A..., das Schreiben der Anmelderin an ihre anwaltlichen Vertreter, das den Auftrag zur Zahlung der 4. Jahresgebühr enthielt, rechtzeitig vor Fristablauf am 20. September 2001 erstellt, unterschreiben lassen, einkuvertiert und auf dem Schreibtisch, an dem die Post der Anmelderin versandfertig gemacht wird, zum Versand bereitgelegt. Ob die Angestellte ein Verschulden daran trifft, dass der Brief zwischen Schreibtisch und Wand eingeklemmt worden ist, kann dahinstehen, denn sie ist den Umständen nach ersichtlich nur Hilfsperson. Es kommt allein darauf an, ob die Anmelderin bei der Auswahl, Unterweisung oder Überwachung der Hilfsperson ein Verschulden oder sonst ein Organisationsverschulden, etwa hinsichtlich der Organisation der ausgehenden Post, trifft. Dies ist nicht feststellbar.

Anhaltspunkte dafür, dass Frau A... mangelhaft ausgewählt, unterwiesen oder überwacht war, bestehen nicht. Ebenso wenig stößt die Art und Weise, wie die Postabsendung bei der Anmelderin gehandhabt worden ist, auf durchgreifende Bedenken. Für gewerbliche Betriebe, in denen die Aufgabe, Fristen zu notieren und zu kontrollieren, auf Angestellte zur Wahrnehmung in eigener Verantwortung übertragen worden ist, gelten zwar im Grundsatz hinsichtlich der Büroorganisation dieselben Grundsätze wie für ein Anwaltsbüro (vgl. BGH VersR 1989, 930). Insoweit ist aber in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass eine Frist dann als erledigt gestrichen werden darf, wenn der Anwalt den von ihm unterzeichneten und kuvertierten Schriftsatz in einer "Poststelle" seiner Kanzlei abgelegt hat und aufgrund allgemeiner organisatorischer Anweisungen sichergestellt ist, dass dort lagernde Briefe noch am selben Tag zur Post gegeben werden (vgl. BGH AnwBl 2006, 671; Mitt. 2002, 379; VersR 2002, 380). Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, wie sie im angefochtenen Beschluss gefordert wird, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (vgl. BGH VersR 2002, 380). Da das Auftragsschreiben der Anmelderin hier über 10 Tage vor Fristablauf erstellt worden ist, so dass es bei normalem Verlauf die anwaltlichen Vertreter so rechtzeitig erreicht hätte, dass diese die Zahlung innerhalb der Frist hätten vornehmen können, ist hinsichtlich der Fristenkontrolle kein Organisationsmangel ersichtlich. Da des Weiteren die insoweit zuständige Angestellte das Auftragsschreiben versandfertig auf den für den Postversand bestimmten Schreibtisch abgelegt hat, der der übliche Platz für abgehende Post gewesen und von dem zuvor noch keine Post weggekommen ist, kann ebenso wenig eine unzureichende Organisation der Postabsendung angenommen werden. Damit, dass das Auftragsschreiben zwischen Schreibtisch und Wand eingeklemmt wird, musste unter diesen Umständen nicht gerechnet werden (vgl. auch Senatsbeschluss 10 W (pat) 44/02 vom 2. März 2006, vollständig veröffentlicht in juris).

Auch ein Verschulden der anwaltlichen Vertreter ist nicht erkennbar. Aus dem vorgetragenen Sachverhalt ergibt sich, dass sie nicht - von vornherein - mit der Einzahlung der Jahresgebühren beauftragt waren, sondern dies erst nach gesondertem Auftrag der Anmelderin erledigten. In Fällen, in denen ein Vertreter nicht mit der Einzahlung der Jahresgebühren beauftragt ist, genügt er nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt 10 W (pat) 36/04 vom 2. Februar 2006, Orientierungssatz in juris; BPatGE 13, 87, 93/94) seiner anwaltlichen Sorgfaltspflicht dadurch, dass er den Anmelder über die Notwendigkeit und die Frist der Gebührenzahlung sowie auf die Rechtsfolgen einer unterbliebenen Zahlung hinweist, er muss nicht selbst die Zahlung bewirken oder die Frist hierfür überwachen. Dieser Verpflichtung sind hier die Vertreter, die die Anmelderin mit zweimaligem Schreiben auf die Zahlung der 4. Jahresgebühr hingewiesen haben, hinreichend nachgekommen.






BPatG:
Beschluss v. 16.11.2006
Az: 10 W (pat) 37/03


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