Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 14. Juni 2000
Aktenzeichen: 12 O 445/99
(LG Düsseldorf: Urteil v. 14.06.2000, Az.: 12 O 445/99)
Tenor
1) Es wird festgestellt, daß der Beklagte nicht vom Kläger verlangen kann, die Angabe von vier Tätigkeitsschwerpunkten auf seinem Briefbogen zu unterlassen.
2) Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
3) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.500,00 DM vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheitsleistung kann auch in Form einer Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand
Die Parteien sind Rechtsanwälte. Der Kläger ist beim Amtsgericht M und beim Landgericht E, der Beklagte ist beim Amtsgericht N und beim Landgericht E1 zugelassen. Der Kläger nennt in der Fußzeile seines Briefbogens die Tätigkeitsschwerpunkte privates Baurecht, Gesellschaftsrecht, Kapitalanlagerecht und Wettbewerbsrecht. Mit Schreiben vom 2.August 1999 mahnte der Beklagte den Kläger deswegen ab und forderte ihn auf, nicht mehr als drei Tätigkeitsschwerpunkte anzugeben. Für den Fall, daß der Kläger dem nicht nachkommen sollte, kündigte der Beklagte an, einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Der Kläger kam diesem Verlangen nicht nach und forderte seinerseits den Beklagten mit Schreiben vom 12.August 1999 auf, auf den angeblichen Unterlassungsanspruch bis zum 16. August 1999 zu verzichten. Nach fruchtlosem Fristablauf reichte der Kläger die vorliegende Klage am 2.September 1999 ein.
Der Kläger ist der Ansicht, die Angabe von vier Tätigkeitsschwerpunkten sei nicht wettbewerbswidrig. Zwar erlaube § 7 Abs.l S.2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) nur die Angabe von drei Tätigkeitsschwerpunkten, dieser sei jedoch von der Ermächtigungsgrundlage in § 59b Abs.2 Nr.3 BRAO nicht gedeckt und folglich nichtig. Die Angabe der vier Tätigkeitsschwerpunkte sei daher an den allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen zu messen. Hierzu behauptet er, seit fünf Jahren etwa 85% seiner Arbeitszeit auf Fälle aus den vier Tätigkeitsschwerpunkten zu verwenden.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt. Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Berufordnung für Rechtsanwälte sei ordnungsgemäß bekanntgemacht worden und daher wirksam. Der Verstoß des Klägers gegen § 7 Abs.l S.2 BORA sei folglich wettbewerbswidrig. Im übrigen bestreite er mit Nichtwissen, daß der Kläger seit mindestens fünf Jahren in den Tätigkeitsbereichen privates Baurecht, Gesellschaftsrecht, Kapitalanlagerecht und Wettbewerbsrecht praktiziere.
Wegen des Parteivorbringens im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger keinen Anspruch auf Unterlassung der Angabe der vier Tätigkeitsschwerpunkte. Diese ist weder sittenwidrig i.S.d. § 1 UWG noch irreführend i.S.d. § 3 UWG.
Die Angabe von vier Tätigkeitsschwerpunkten verstößt nicht gegen § 1 UWG. Ein unter dem Gesichtspunkt des Vorsprungs durch Rechtsbruch sittenwidriger, bewußter Verstoß gegen ein standesrechtliches Wettbewerbsverbot liegt nicht vor. Eine standesrechtliche Regelung, die die Angabe von vier Tätigkeitsschwerpunkten verbietet, besteht nicht. § 7 Abs.l S.2 BORA ist, soweit er die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten regelt, nichtig, da der Bundesrechtsanwaltskammer die zur Regelung der Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten erforderliche Kompetenz fehlt.
Der Gesetzgeber hat die Bundesrechtsanwaltskammer in § 59b BRAO zum Erlaß einer die Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts regelnden Satzung ermächtigt. Daß die auf dieser Grundlage geschaffene Berufsordnung wirksam in Kraft getreten ist, besagt dabei allerdings noch nichts über die Wirksamkeit einzelner Regelungen. Jede Regelung, die in das Grundrecht auf freie Berufsausübung eingreift, bedarf gemäß Art.12 Abs.l S.2 GG einer hierzu ermächtigenden gesetzlichen Grundlage (BVerfG, MDR 2000, 175 zu § 13 BORA). Für die Beurteilung des § 7 BORA ist insoweit auf § 59b Abs.2 Nr.3 BRAO abzustellen, wonach die Berufsordnung die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Werbung und Angaben über selbst benannte Interessenschwerpunkte regeln kann. Eine Subsumtion des die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten regelnden Teils von § 7 Abs.l S.2 BORA unter die Formulierung "besondere Berufspflichten im Zusammenhang mit der Werbung" scheidet aus. Bei der Auslegung eines Gesetzes sind die Motive und Erwägungen des Gesetzgebers mit heranzuziehen. Danach wurde die Aufnahme von Tätigkeitsschwerpunkten in die Ermächtigungsgrundlage § 59b Abs.2 Nr. 3 BRAO im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erörtert, dann aber mit der Erwägung verworfen, die Bezeichnung bringe nicht hinreichend zum Ausdruck, daß die Berechtigung zur Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten nicht in einem formellen Verfahren erworben werde und daher geeignet sei, zu Mißverständnissen beim rechtssuchenden Publikum zu führen (Bundestagsdrucksache 12/ 4993 S.28). Folglich beruht die Nichterwähnung der Tätigkeitsschwerpunkte in § 59b Abs.2 Nr. 3 BRAO. weder auf einem Versehen des Gesetzgebers, noch auf der Erwägung, die Tätigkeitsschwerpunkte ließen sich unter die Formulierung "besondere Berufspflichten im Zusammenhang mit der Werbung" subsumieren. Es war vielmehr gerade der Wille des Gesetzgebers, die Bundesrechtsanwaltskammer nicht zur Regelung im Hinblick auf die Zulässigkeit von Angaben zu Tätigkeitsschwerpunkten zu ermächtigen. § 59b Abs.2 Nr.3 BRAO scheidet daher als Ermächtigungsgrundlage für Angaben zu Tätigkeitsschwerpunkten aus (so auch LG Regensburg, AnwBl 1999, 696; AnwG München, MDR 1999, 707; Römermann in Hartung/Holl Anwaltliche Berufsordnung, § 7 Rz 12, 34ff). Die Regelung der Angaben zu Tätigkeitsschwerpunkten in § 7 Abs. l S.2 BORA kann auch nicht auf eine allgemeine Satzungsautonomie der Selbstverwaltungskörperschaft Bundesrechtsanwaltskammer gestützt werden. Zwar findet der auf Rechtsverordnungen zielende Art. 80 Abs. l S.2 GG auf Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften keine unmittelbare Anwendung. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis an eine Stelle der Exekutive abgibt, oder ob er innerhalb eines von vornherein durch Wesen und Aufgabenstellung der Selbstverwaltungskörperschaft begrenzten Bereichs einen bestimmten Kreis von Bürgern ermächtigt, durch demokratisch gebildete Organe ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln (BVerfGE 33, 125, 157). Allerdings darf sich der Gesetzgeber seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern (BVerfGE 33, 125, 158). Dabei muß das gesetzgeberische Wollen umso deutlicher zum Ausdruck kommen, je deutlicher in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird (BVerfGE 98, 49, 60). Voraussetzung für eine auf die allgemeine Satzungsautonomie der Selbstverwaltungskörperschaft gestützte Berufsregelung ist jedoch stets eine diesbezügliche Ermächtigung durch den Gesetzgeber (BVerfGE 76, 171, 185/186). Daran fehlt es vorliegend. Eine allgemeine, generalklauselartige Ermächtigung zum Erlaß einer Berufsordnungssatzung existiert nicht, der Katalog des § 59b Abs.2 Nr. l bis 9 BRAO ist enumerativ. Zwar sah der ursprüngliche Regierungsentwurf für § 59b Abs. 2 BRAO die Formulierung "Die Berufsordnung kann im Rahmen dieses Gesetzes insbesondere näher regeln..." vor, das Wort "insbesondere" wurde jedoch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens mit der Begründung, der Regelungsumfang der Satzungskompetenz sei abschließend zu bestimmen, gestrichen (Bundestagsdrucksache 12/7656 S.50). Die Regelung der Satzungskompetenz in § 59b Abs.2 BRAO ist folglich nicht erweiterungsfähig (Koch in Henssler/ Prütting, BRAO, § 59b Rz 15). § 7 Abs. 1 S.2 BORA ist daher, soweit er die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten regelt, bereits wegen des Fehlens einer diesbezüglichen Satzungsgewalt der Bundesrechtsanwaltskammer nichtig. Im übrigen wäre § 7 Abs.l S.2 BORA, soweit er die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten regelt, unabhängig von diesem formalrechtlichen Gesichtspunkt nach Ansicht der Kammer auch aus materiellrechtlichen Gründen nichtig. Die vorliegende Regelung ist nicht mit Art. 12 Abs. l GG vereinbar. Jede Einschränkung der freien Betätigung im Beruf steht unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 33, 125, 168) . Der Eingriff muß mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründet werden können, das eingesetzte Mittel muß geeignet und erforderlich sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen und die Grenze des Zumutbaren muß gewahrt werden (BVerfGE 65, 116, 125/126). Vorliegend fehlt es bereits an der Geeignetheit des eingesetzten Mittels. Der Begrenzung auf drei Tätigkeitsschwerpunkte lag die Erwägung zugrunde, daß ein Rechtsanwalt seriöserweise nicht mehr als drei Rechtsgebiete beherrschen könne und eine Irreführung des Publikums verhindert werden müsse (Römermann in Hartung/Holl Anwaltliche Berufsordnung, § 7 Rz 24) . Die Begrenzung der Nennung von Tätigkeitsschwerpunkten ist jedoch zur Erreichung dieses Ziels völlig ungeeignet, da eine Regelung, welche Rechtsgebiete als Tätigkeitsschwerpunkte genannt werden dürfen, fehlt. Damit schafft die Regelung gerade die Gefahr, daß ein Teil der Rechtsanwälte allgemeinere Bezeichnungen, wie Verwaltungsrecht oder gar Zivilrecht, wählt, um einen größeren Kundenkreis zu erschließen. Dem rechtssuchenden Publikum ist jedoch daran gelegen zu erfahren, ob der Rechtsanwalt die für seinen Fall erforderlichen Spezialkenntnisse besitzt. Eine allgemeine Bezeichnung wie Verwaltungsrecht läßt das Publikum aber gerade im unklaren, ob der Rechtsanwalt sich besondere Kenntnisse im Ausländer- oder im Atomrecht erworben hat. Eine wünschenswerte Differenzierung auf einzelne Teilgebiete wird von der vorliegenden Regelung "bestraft", so daß viele von einer ausgeprägten Differenzierung Abstand nehmen werden, um den Kreis potentieller Mandanten nicht zu sehr einzuschränken. Dies zeigt gerade das Beispiel des Klägers, der die Tätigkeitsschwerpunkte privates Baurecht, Gesellschaftsrecht, Kapitalanlagerecht und Wettbewerbsrecht angibt. Die Tätigkeitsschwerpunkte Gesellschaftsrecht und Wettbewerbsrecht könnten auch zum Begriff Wirtschaftsrecht zusammengefaßt werden, der freilich auch das Handelsrecht und das Patentrecht umfaßt. Dies zeigt deutlich, daß eine Zusammenfassung gerade nicht im Interesse des Publikums liegt und daß der Überlegung, ein Rechtsanwalt könne seriöserweise nicht mehr als drei Rechtsgebiete beherrschen, durch die Regelung gerade nicht Rechnung getragen wird, da der Umfang des zu beherrschenden Rechtsgebiets durch die Zusammenfassung vergrößert wird.
Die Angabe von vier Tätigkeitsschwerpunkten auf dem Briefbogen ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 43b BRAO sittenwidrig i.S.d. § 1 UWG. Der Hinweis auf den Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit dient der sachgerechten Information des rechtsuchenden Publikums, dem - wie schon ausgeführt - daran gelegen ist zu erfahren, ob der Rechtsanwalt die für seinen Fall erforderlichen Spezialkenntnisse besitzt. Dem Rechtsanwalt kann daher eine solche interessengerechte und sachlich angemessene Information, die in einer nach Form und Inhalt unaufdringlichen Weise gestaltet ist, nicht verwehrt werden (BGH, AnwBl 1996, 233, 234 m.w.N.). Dabei wäre selbst gegen die Angabe von fünf Tätigkeitsschwerpunkten nichts einzuwenden (BGH, AnwBl 1994, 418).
Durch die Angabe der vier Tätigkeitsschwerpunkte auf dem Briefbogen wird das rechtsuchende Publikum auch nicht irregeführt i.S.d. § 3 UWG. Soweit sich der Gesetzgeber bei der Fassung des § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO von der Erwägung leiten ließ, die Bezeichnung bringe nicht hinreichend zum Ausdruck, daß die Berechtigung zur Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten nicht in einem formellen Verfahren erworben werde, ist dies zwar im Rahmen der Auslegung des § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO zu beachten, da Gesetzgeber die Reichweite einer Ermächtigungsgrundlage beliebig verengen kann. Im Hinblick auf die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit stellt diese Erwägung aber nur eine unverbindliche Äußerung einer Rechtsauffassung dar, da diese Auffassung im Wortlaut der Vorschriften der BRAO nicht zum Ausdruck kommt. Dies wäre jedoch im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzesklarheit erforderlich gewesen, da es sich um einen grundrechtsrelevanten Sachverhalt handelt .(Römermann in Hartung/Holl Anwaltliche Berufsordnung, § 7 Rz 36; BGH, AnwBl 1996, 233, 234). Die folglich unverbindliche Rechtsauffassung teilt das Gericht nicht. Wird einem Rechtsuchenden für ein bestimmtes . Rechtsproblem ein Rechtsanwalt ohne weitere Qualifikationshinweise genannt, wird er nicht annehmen, es handele sich um einen Fachanwalt, dessen Qualifikation von dritter Seite besonders geprüft worden sei (BGH, AnwBl 1996, 233, 234 m.w.N.). Gerade der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher, auf den abzustellen ist und dessen mutmaßliche Erwartung das Gericht selbst beurteilen kann (EuGH, WRP 1998, 848, 850 Tz 31, 32 - 6-Korn-Eier-Gut Springenheide), erkennt, daß der Begriff "Tätigkeitsschwerpunkte" einen faktischen Zustand, aber keine überprüfte Qualifikation bezeichnet.
Die in der Nennung der vier Tätigkeitsschwerpunkte liegende Aussage, vor allem auf diesen Rechtsgebieten tätig zu sein, ist auch nicht falsch. Der Kläger hat vorgetragen, seit fünf Jahren etwa 85% seiner Arbeitszeit auf Fälle aus den vier Tätigkeitsschwerpunkten zu verwenden. Soweit der Beklagte dies mit Nichtwissen bestritten hat, ist dies unbeachtlich, da der Beklagte als vermeintlicher Unterlassungsberechtigter für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH, AnwBl 1996, 233, 234). Daran ändert die Verkehrung der Parteirollen im Rahmen einer negativen Feststellungsklage nichts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.l ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 7 09 und 108 Abs.l ZPO.
Der Streitwert wird auf 30.000,00 DM festgesetzt.
LG Düsseldorf:
Urteil v. 14.06.2000
Az: 12 O 445/99
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