Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 22. Februar 2001
Aktenzeichen: 1 BvR 337/00

(BVerfG: Beschluss v. 22.02.2001, Az.: 1 BvR 337/00)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1. Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sich eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und einer ihrer Geschäftsführer unmittelbar gegen § 59 j Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Die Vorschrift lautet:

Die Mindestversicherungssumme beträgt fünf Millionen Deutsche Mark für jeden Versicherungsfall. Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den Betrag der Mindestversicherungssumme, vervielfacht mit der Zahl der Gesellschafter und der Geschäftsführer, die nicht Gesellschafter sind, begrenzt werden. Die Jahreshöchstleistung für alle in einem Versicherungsjahr verursachten Schäden muß sich jedoch mindestens auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme belaufen.

Neben den fünf Gesellschaftergeschäftsführern, zu denen auch der Beschwerdeführer zu 2) gehört, hat die Beschwerdeführerin zu 1) derzeit weitere 12 Geschäftsführer. Sie beschäftigt 23 angestellte Rechtsanwälte. Auch für die Zukunft beabsichtigt sie ein schnelles Wachstum unter Erweiterung der Zahl der Geschäftsführer.

Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffene Norm. Die Mindestversicherungssumme sei unverhältnismäßig hoch, zumal sie mit der Anzahl der Gesellschafter und der Geschäftsführer, die nicht Gesellschafter seien, zu multiplizieren sei. Anders als in der Vergangenheit könnte auch in den Auftragsbedingungen die Haftung für leichte Fahrlässigkeit nicht mehr auf 5 Mio. DM pro Schadensfall begrenzt werden, denn nach § 51 a Abs. 1 Nr. 2 BRAO könne durch vorformulierte Vertragsbedingungen für Fälle einfacher Fahrlässigkeit nur eine Begrenzung auf den vierfachen Bemessungsbetrag der Mindestversicherungssumme erfolgen. Damit dürfe die Beschwerdeführerin zu 1) in den allgemeinen Auftragsbedingungen die Haftung nur noch auf 20 Mio. DM begrenzen. Dies führe zu einer erheblichen Verteuerung der Berufshaftpflichtversicherung. Die Regelung diene zwar Gemeinwohlerfordernissen und sei auch geeignet, den gewünschten Erfolg - die Haftungssicherung potentiell Geschädigter - zu erreichen. Sie belaste große Gesellschaften jedoch unverhältnismäßig, wodurch neben Art. 12 Abs. 1 GG auch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt werde. Ebensowenig sei die Ungleichbehandlung der Rechtsanwaltsgesellschaft mbH gegenüber Sozietäten und Partnerschaften oder gegenüber den Kapitalgesellschaften nach der Wirtschaftsprüferordnung und dem Steuerberatergesetz zu rechtfertigen.

2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

a) Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Zulässigkeit von Berufsausübungsregelungen und zum Gleichheitsgebot hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt entschieden (vgl. BVerfGE 39, 210 <231>; 54, 301 <313>; 55, 72 <88>; 68, 155 <171>; 75, 284 <292>; 77, 308 <332>; 83, 1 <13 ff.>; 101, 275 <291>; 101, 331 <351>).

b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

aa) Die Beschwerdeführer werden durch § 59 j Abs. 2 BRAO nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.

Die angegriffene Berufsausübungsregelung wird - was auch die Beschwerdeführer nicht verkennen - durch hinreichende Gründe des allgemeinen Wohls gerechtfertigt. Sie dient dem Schutz des rechtsuchenden Publikums gegen schadenverursachendes Handeln der Rechtsanwälte (vgl. hierzu BRDrucks 93/93, S. 94; BTDrucks 13/9820, S. 12, 17). Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele mit einem die Belange der Beschwerdeführer weniger beeinträchtigenden Mittel hätten erreicht werden können. In die Berufsausübung der Beschwerdeführer würde zwar weniger einschneidend eingegriffen, wenn die Mindestversicherungssumme in geringerer Höhe festgesetzt oder auf eine Maximierung entsprechend der Zahl der Gesellschafter oder Geschäftsführer verzichtet worden wäre. Der Schutz der Rechtsuchenden wäre damit jedoch nicht mit gleicher Wirksamkeit zu gewährleisten. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen der ihm zuzubilligenden Einschätzungsprärogative gehalten. Im Hinblick auf die für die Anwaltschaft ganz neu zugelassene Rechtsform der GmbH fehlte es an Erfahrungen. Wie auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ausgeführt hat, muss erst noch beobachtet werden, wie sich die angegriffenen Regelung auf die Entwicklung des Anwaltsmarktes auswirken werden (vgl. BTDrucks 13/11035, S. 23). Da die Anknüpfung an die Zahl der Gesellschafter und Geschäftsführer eine gewisse Plausibilität und den Vorteil verwaltungstechnischer Einfachheit und Überprüfbarkeit für sich in Anspruch nehmen kann, durfte der Gesetzgeber die festgesetzten Beträge als das mildeste Mittel ansehen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer wäre der Schutzzweck auch nicht annähernd dadurch zu erreichen, dass für schadensgeneigte Fälle in jedem Einzelfall eine Versicherung abgeschlossen werden müsste. Es würde den Mandanten mit dem Prognoserisiko hinsichtlich der möglichen Schadenshöhe und der Verantwortung, einen derartigen Versicherungsabschluss von der Rechtsanwaltsgesellschaft einzufordern, belasten. Der Mandant müsste sich bei Auftragserteilung vergewissern, in welchem Umfang der Auftragnehmer sein Haftungsrisiko versichert hat, und schon bei der Anbahnung des Vertragsverhältnisses die möglichen Schadensfälle zur Sprache bringen. Solche Anforderungen werden den Gegebenheiten zu Beginn eines Vertragsverhältnisses, dessen Gegenstand Rechtsrat in kritischen Situationen ist, nicht gerecht.

Die Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist, also die Betroffenen nicht übermäßig belastet sind. Anhaltspunkte dafür, dass die mit den Versicherungssummen verbundenen Prämien die Gründung von Gesellschaften verhindern oder die Existenz gegründeter gefährden könnten, sind weder dargetan noch ersichtlich (vgl. zur Prämienhöhe, Zuck, MDR 1998, S. 1317 <1320 f.>). Im Übrigen kommt der vom Gesetzgeber angeordnete hohe Sicherheitsstandard auch den Beschwerdeführern selbst zugute. Auf diese Weise kann sich trotz der mit der GmbH einhergehenden Haftungsbegrenzung Vertrauen in die neue Rechtsform bilden.

bb) Die Regelung verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Differenzierung hinsichtlich der Berufshaftpflichtversicherung zwischen den Gesellschaften der Wirtschaftsprüfer, Steuerberater einerseits und der Rechtsanwälte andererseits rechtfertigt sich allein schon durch die unterschiedliche berufliche Tätigkeit. Im Hinblick auf die Anwaltssozietät, die Partnerschafts- und die Rechtsanwalts-GmbH liegen die Rechtfertigungsgründe in der unterschiedlichen Haftung bei anwaltlichem beruflichem Fehlverhalten. Der GmbH fehlt die persönliche Haftung, die bei Sozietät, Partnerschaft und Einzelanwalt nach wie vor besteht. Dieser gravierende Unterschied lässt sich nicht mit dem Einwand entkräften, dass der persönlich Haftende häufig nur geringes Privatvermögen besitzt. Persönliche Haftung bedeutet mehr. Das Bewusstsein, persönlich zu haften, führt nach allgemeiner Lebenserfahrung zu einer veränderten Risikoabschätzung und verändertem geschäftlichen Verhalten, was im Regelfall dem Mandanten zugute kommt. Wer sich als Person nicht hinter die Rechtsform zurückziehen kann, setzt seine berufliche Reputation und seine wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel. Die in der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Unterschiede hinsichtlich der Haftpflicht sind angesichts dieser rechtlich erheblichen Abweichungen zwischen den Rechtsformen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).






BVerfG:
Beschluss v. 22.02.2001
Az: 1 BvR 337/00


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