Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 31. Juli 1998
Aktenzeichen: 6 U 205/97
(OLG Köln: Urteil v. 31.07.1998, Az.: 6 U 205/97)
1. Wird durch einstweilige Verfügung ein Unterlassungsgebot ausgesprochen, bedarf es deren Vollziehung, gleichviel ob das Gebot in Form der Beschluß- oder Urteilsverfügung ergangen ist. 2. Im Falle der Bestätigung einer Beschlußverfügung durch Urteil (Bestätigungsurteil") bedarf es zur Wahrung der sich hieraus ergebenden Rechte (erneuter) Vollziehung - im Regelfall durch Parteizustellung - nur, wenn die zunächst im Beschlußwege erlassene einstweilige Verfügung inhaltlich geändert oder erweitert worden ist. 3. Zur Frage der "wesentlichen Ànderung und Erweiterung" einer Beschlußverfügung nach Widerspruch. 4. Die Amtszustellung (§§ 317, 208 ZPO) scheidet als Vollziehungsmittel aus.
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegner wird das am 23. Oktober 1997 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 131/97 - abgeändert: Der Beschluß ( einstweilige Verfügung ) des Landgerichts Köln vom 25. Juni 1997 - 81 O 131/97 - wird unter Zurückweisung des ihm zugrundeliegenden Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung vom 24. Juni 1997 aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat die Antragstellerin zu tragen. Das Urteil ist vollstreckbar.
Gründe
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie und insgesamt zulässige Berufung der Antragsgegner hat in der Sache Erfolg.
Der Verfügungsantrag ist ohne Prüfung seiner Dringlichkeit und materiellen Begründetheit bereits deshalb unter gleichzeitiger Aufhebung der vom Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügung zurückzuweisen, weil die Antragstellerin die gemäß §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO zu beachtende einmonatige Vollziehungsfrist im Streitfall nicht gewahrt hat. Das Versäumen der Vollziehungsfrist ist indessen ein - von Amts wegen - zu beachtender, nach Erlaß oder Bestätigung des Verfügungstitels eintretender "nachträglicher Umstand" i. S. der §§ 927, 936 ZPO, der auch im Berufungsverfahren geltend gemacht werden kann und der ohne Prüfung der sachlichen Berechtigung des dem Verfügungstitel zugrundeliegenden Begehrens zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung führen muß ( vgl. Schuschke in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, § 929 Rdn. 36; Zöller/Vollkommer, ZPO, 20. Auflage, § 929 Rdn. 21; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 19. Auflage, Rdn. 63 zu § 25 UWG - jeweils mit weiteren Nachweisen ).
Wird - wie im vorliegenden Fall - durch die einstweilige Verfügung ein Unterlassungsgebot ausgesprochen, so bedarf es deren Vollziehung, die in der Regel durch Parteizustellung vorgenommen wird. Dies ist nicht nur ganz einhellig für einstweilige Verfügungen in Beschlußform anerkannt ( vgl. BGH VersR 1985, 358/359; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 57 a zu § 25 UWG; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 6. Auflage, 55. Kap. Rdn. 38 - jeweils mit weiteren Nachweisen ), sondern gilt nach der - auch vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung vertretenen - herrschenden Meinung ebenfalls für Unterlassungsverfügungen in Urteilsform ( BGH Z 120, 78 f/86 = MDR 1993, 268; BGH MDR 1989, 988; OLG Köln, WRP 1986, 353 und WRP 1982, 659; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 929 Rdn. 12; Teplitzky, a.a.O., 55. Kapitel, Rdn. 38 und 41 f; Schuschke in: Schuschke/Walker, a.a.O., § 929 Rdn. 22; Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Rdn. 59 zu § 25 UWG; Ahrens/Spätgens, Einstweiliger Rechtsschutz und Vollstreckung in UWG-Sachen, Rdn. 81 und 86 - jeweils mit weiteren Nachweisen ). Ohne daß es - wie nachfolgend noch näher auszuführen sein wird - im Streitfall der Entscheidung bedarf, ob die folglich in jedem Fall vorzunehmende Vollziehung der einstweiligen Unterlassungsverfügung immer eine Zustellung im Parteibetrieb erfordert, ist die Vollziehung der von der Antragstellerin erwirkten einstweiligen Verfügung hier jedoch nicht fristgerecht bewirkt:
Denn eine Parteizustellung des angefochtenen Urteils des Landgerichts, mit welchem dieses die zuvor im Beschlußweg erlassene einstweilige Verfügung bestätigt und in ihrem Regelungsbereich erweitert sowie "zur Klarstellung ...im materiellen Teil insgesamt ...neu gefaßt" hat, ist nicht erfolgt, was im Streitfall aber jedenfalls die Versäumung der Vollziehungsfrist nach sich zieht.
Auf die innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, nämlich jeweils am 1. und am 2. Juli 1997 bewirkte Parteizustellung der unter dem Datum des 25. Juni 1996 erlassenen Beschlußverfügung selbst kann die Antragstellerin sich zur Fristwahrung dabei nicht berufen. Diese Zustellung der Beschlußverfügung genügte deshalb nicht, weil durch die Verkündung des angefochtenen Urteils vorliegend eine neue Vollziehungsfrist in Gang gesetzt wurde, so daß auch das Urteil binnen einen Monats - beginnend ab dem Zeitpunkt der Verkündung - zu vollziehen war.
Allerdings ist es richtig, daß es der erneuten Vollziehung des eine Beschlußverfügung nach Widerspruch des Schuldners ohne Abänderungen bestätigenden Urteils nicht bedarf ( vgl. Teplitzky, a.a.O., 55. Kapitel, Rdn. 48; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 56. Aufl., Rdn. 11 zu § 929; Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO, 2. Aufl., Rdn. 6 zu § 929 ). Eine solche Vollziehung erweist sich hingegen dann als notwendig, wenn die zunächst im Beschlußweg erlassene einstweilige Verfügung im Widerspruchsverfahren inhaltlich geändert oder erweitert wird ( OLG Köln, a.a.O.; OLG Hamm, GRUR 1989, 931/932 und WRP 1991, 406/408; OLG Schleswig, NJW-RR 1986, 1128; OLG Koblenz, ZIP 1990, 1570/1573; OLG Koblenz, WRP 1981, 479; OLG Frankfurt am Main, WRP 1980, 423/424; Teplitzky, a.a.O., 55. Kapitel Rdn. 49; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 61 zu § 25 UWG; Schuschke in: Schuschke/Walker, a.a.O., §929 Rdn. 11 - jeweils mit weiteren Nachweisen ). So liegt der Fall hier: Denn bei der in dem angefochtenen Urteil vorgenommenen Neufassung handelt es sich nicht um die bloße Bestätigung des in der bereits vollzogenen Beschlußverfügung ausgesprochenen Verbots, sondern um eine inhaltlich wesentlich geänderte und erweiterte Fassung.
Soweit der in dem angefochtenen Urteil formulierte Unterlassungstenor den Antragsgegnern nunmehr auch die Verwendung von "Lieferanten-Artikelnummern" verbietet, stellt das eine Erweiterung des Regelungsbereichs des in der Beschlußverfügung zunächst titulierten Verbots dar, welches diese Art der Artikelstammdaten noch nicht erfaßte. Der in diesem Zusammenhang von der Antragstellerin vorgebrachte Einwand, daß die "Gesamtmenge" der sich aus aus den sogenannten OX-Nummern und Lieferanten-Artikelnummern zusammensetzenden "individuellen Artikelstammdaten" bereits von der Beschlußverfügung erfaßt gewesen sei, mithin das nunmehr die Lieferanten-Artikelnummern erwähnende Urteil - entgegen der ausdrücklichen Formulierung des landgerichtlichen Tenors - keine Erweiterung des Regelungsbereichs der Beschlußverfügung insoweit mit sich bringe, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Die Antragstellerin hat vielmehr erstmals mit Schriftsatz vom 17. September 1997 - nach Einlegen des Widerspruchs durch die Antragsgegner - auch die Übernahme der Lieferanten-Artikelnummern durch die Antragsgegner angegriffen und diese in das begehrte Verbot aufgenommen. Das geht unzweifelhaft aus den Ausführungen der Antragstellerin selbst in dem erwähnten Schriftsatz hervor, wonach "...die Übernahme der OX-Nummern bereits in der Antragsschrift ...dokumentiert" worden sei ( S. 9 des erwähnten Schriftsatzes = Bl. 126 d. A. ) sowie ferner die Antragsgegner "... auch Lieferanten-Artikelnummern ... übernommen ..." hätten und aus diesem Grund der "Antrag auf Erlaß der einstweiligen Verfügung ...zu erweitern" sei( S. 10 des erwähnten Schriftsatzes=Bl. 127 d. A. ). Diese Ausführungen der Antragstellerin selbst verdeutlichen in unmißverständlicher Weise, daß Gegenstand der wettbewerblichen Beanstandung anfangs nur die Verwendung der angeblich von ihr erarbeiteten sogenannnten "OX-Nummern" durch die Antragsgegner sowie die Übernahme der Kunden-Nummern und User-Kennungen war, so daß es sich bei dem auch gegen die Verwendung der "Lieferanten-Artikelnummern" durch die Antragsgegner gerichteten Unterlassungsbegehren eindeutig - wie das auch das Landgericht im Tenor des angefochtenen Urteils ausdrücklich formuliert hat - um eine Erweiterung des in der Beschlußverfügung ausgesprochenen Unterlassungsgebots handelt.
Aber auch hinsichtlich des übrigen, die Verwendung der OX-Nummern betreffenden Verbots nimmt das landgerichtliche Urteil eine wesentliche inhaltliche Veränderung vor. Aus diesem Grund bedarf es daher nicht der Entscheidung, ob der den Verbotsbereich der Beschlußverfügung erweiterende Teil des angefochtenenen Urteils einen gegenüber dem restlichen Verbot abgrenzbaren, selbständigen Inhalt aufweist, so daß der mangelnde Vollzug des Urteils das übrige, schon in der - vollzogenen - Beschlußverfügung titulierte Unterlassungsgebot unberührt ließe und die Vollziehungsfrist daher jedenfalls hinsichtlich dieses "Rests" als gewahrt zu erachten wäre. Das in der Beschlußverfügung hinsichtlich der Artikel-Stammdaten ausgesprochene Verbot bezog sich auf die Verwendung der von der Antragstellerin erarbeiteten "OX-Nummern". In dem angefochtenen Urteil wurde hingegen u. a. zum einen nicht nur der generelle Zusatz " ...die von der Antragstellerin erarbeitet wurden..." und die Erwähnung des Begriffs der "OX-Nummern" überhaupt fallengelassen, sondern zum anderen darüber hinaus erstmals die Art und Weise, in der die Antragsgegner die in Rede stehenden Artikel-Stammdaten verwenden, zum Gegenstand des Verbots gemacht, womit dieses erstmals eine im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbare Kontur erhielt. Denn das von der Antragstellerin erstrebte Verbot konnte sich nur auf solche, mit ihren OX-Nummern identische Zahlenfolgen beziehen, die die Antragsgegner zur Kennzeichnung derselben Artikel verwendet haben. Eben diesen Gesichtspunkt bringt aber erstmals der Tenor des landgerichtlichen Urteils zum Ausdruck, indem dort die Produkte, in welcher mit den Artikel-Stammdaten der Antragstellerin identische Kennziffern zur Bezeichnung identischer Produkte verwendet worden sind, genannt und die konkrete Art dieser Verwendung, gegen die sich das Verbot richtet, kenntlich gemacht ist. Zugleich wird damit auch erstmals in einer vollstreckungsgeeigneten Weise ersichtlich, wogegen sich das Verbot überhaupt richtet. Denn die Antragsgegner haben als "OX-Nummern" bezeichnete Kennziffern in ihren Unterlagen überhaupt nicht verwendet, sondern gebrauchen dort als "BSM-Nr." bezeichnete Zahlenfolgen zur Kenntlichmachung der angebotenen Produkte.
All diese in dem angefochtenen Urteil gegenüber der Beschlußverfügung vorgenommenen Umstrukturierungen ergeben aber in ihrer Gesamtheit eine inhaltlich nicht nur unmaßgeblich veränderte Verbotsfassung, die daher der erneuten, hier aber nicht erfolgten Vollziehung bedurfte.
Soweit die Antragstellerin demgegenüber einwendet, die Urteilsverfügung habe überhaupt keiner Vollziehung bedurft, jedenfalls aber habe deren Amtszustellung ( §§ 317 Abs. 1, 208 ff ZPO ) eine etwa in Gang gesetzte neue Vollziehungsfrist gewahrt, rechtfertigt das keine abweichende Beurteilung.
Daß die in Urteilsform ergangene einstweiligen Verfügung - und als eine solche ist das den Inhalt des Verbotsausspruchs der Beschlußverfügung erweiternde oder maßgeblich abändernde Bestätigungsurteil zu behandeln - überhaupt der Vollziehung bedarf, ist oben bereits ausgeführt. Soweit eine in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung demgegenüber die Vollziehung einer Unterlassungsverfügung in Urteilsform für entbehrlich hält ( vgl. OLG Stuttgart WRP 1997, 873/875; OLG Hamburg, WRP 1987, 324; OLG Oldenburg WRP 1992, 412; Knieper, WRP 1997, 815 ff ), ist diese mit Recht eine Mindermeinung geblieben. Sie widerspricht dem Sinn und Zweck des § 929 Abs. 2 ZPO, dem Schuldner alsbald - spätestens binnen Monatsfrist - Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Gläubiger die Rechte aus der einstweiligen Verfügung tatsächlich durchsetzen will. Er soll nicht unbefristet der Gefahr der Zwangsvollstreckung ausgesetzt sein, die ihn auch dann noch treffen kann, wenn sich die Umstände verändert haben. Davon getrennt zu sehen ist die Frage, ob der Schuldner die ab Verkündung wirksame Urteilsverfügung als solche beachten muß ( Bork, WRP 1989, 360/364; Teplitzky, a.a.O., 55. Kapitel, Rdn. 38; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 59 zu § 25 UWG; OLG Köln, a.a.O. und WRP 1979, 817 - jeweils mit weiteren Nachweisen ).
Bedarf aber ( auch ) die in Urteilsform ergangene Unterlassungsverfügung der Vollziehung, so scheidet die Amtszustellung als Vollziehungsmittel aus. Denn letzterer fehlt - weil sie vom Gericht veranlaßt wird - das der Vollziehung eigene, spezifisch vollstreckungsrechtliche Element, daß der Gläubiger tätig wird und seinen Willen kundgibt, von dem Titel Gebrauch zu machen ( BGH WRP 1996, 104 ff; BGH MDR 1993, 268; OLG Köln, a.a.O.; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 929 Rdn. 12; Schuschke in : Schuschke/Walker, a.a.O., § 929 Rdn. 27 - jeweils mit weiteren Nachweisen ). Dabei kann es weiter auch dahinstehen, ob einzig
die Parteizustellung der geeignete Weg ist, um die in Urteilsform ergangene Unterlassungsverfügung ( fristwahrend )zu vollziehen oder ob ausnahmsweise auch andere Vorgehensweisen des Verfügungsgläubigers als geeignete Vollziehungsmaßnahmen Berücksichtigung finden können, wenn diese den Willen des Gläubigers, das titulierte Verbot durchzusetzen, zweifelsfrei offenbaren ( so: BGH, a.a. O; Teplitzky, a.a.O., 55. Kapitel, Rdn. 42; Baumbach/Hefermehl, a.a.O.,, Rdn. 59 - jeweils mit weiteren Nachweisen ). Das ist hier deshalb nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung, weil ein solches, den ernsthaften Durchsetzungswillen bekundendes Handeln der Antragstellerin hier jedenfalls nicht vorliegt. Allein der Umstand, daß sie überhaupt das angefochtene Urteil erwirkt hat, reicht dabei nicht aus, um den Willen, von dem darin titulierten Verbot Gebrauch zu machen,zweifelsfrei kundzutun. Denn zu verlangen ist eine gerade auf die Vollstreckung dieses Verbots gerichtete Maßnahme ( vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O.; Schuschke in: Schuschke/Walker, a.a.O., § 929 Rdn. 27 - jeweils mit weiteren Nachweisen ). Eine solche läßt sich hier aber weder dem Vortrag der Antragstellerin entnehmen, noch geht sie aus dem Sachverhalt im übrigen hervor.
Konnte daher die einstweilige Verfügung wegen Versäumung der Vollziehungsfrist keinen Bestand haben, hat die Antragstellerin gemäß § 91 ZPO die Kosten des gesamten Verfahrens unabhängig davon zu tragen, ob die einstweilige Verfügung ursprünglich zu Recht ergangen ist ( vgl. Heinze in: Münchener Kommentar, ZPO, § 929 Rdn. 14; Grunsky in: Stein-Jonas, ZPO, 21. Auflage, § 929 Rdn. 19 - jeweils mit weiteren Nachweisen ).
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig, § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
OLG Köln:
Urteil v. 31.07.1998
Az: 6 U 205/97
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