Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. Juni 2000
Aktenzeichen: 9 W (pat) 82/99
(BPatG: Beschluss v. 21.06.2000, Az.: 9 W (pat) 82/99)
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
I.
Der Antragsteller hat für das Verfahren seiner am 3. November 1997 eingereichten Patentanmeldung 197 48 398.4 mit der Bezeichnung "Crashrelevantkörperschadenpräventivierendes Sitzverschubsystem (Sicherheitssitze) für mehrspurige Kraftfahrzeuge" mit Schriftsatz vom 7. November 1997 am 10. November 1997 Verfahrenskostenhilfe sowie die Beiordnung eines Patentanwalts beantragt. Dazu hat er eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben sowie - auf eine entsprechende Aufforderung des Deutschen Patentamts vom 20. Februar 1998 - einen Patentanwalt seiner Wahl benannt. Die ebenfalls angeforderte Erklärung des benannten Patentanwalts über dessen Einverständnis mit der Beiordnung wurde beigebracht und der benannte Patentanwalt hat die Vertretung unmittelbar übernommen und eine Vollmacht des Antragstellers vorgelegt.
Auf Grund der vom Antragsteller vorgelegten Erklärung über seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse hat die Patentabteilung 1.11 des Deutschen Patentamts seine Bedürftigkeit als nachgewiesen angesehen. Mit Zwischenbescheid vom 2. September 1998 sowie mit ergänzendem Bescheid vom 8. April 1999 hat sie dem Antragsteller mitgeteilt, daß mit einer Zurückweisung seines Antrags wegen Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) zu rechnen sei. Er habe bis zum Anmeldetag 72 Schutzrechtsanmeldungen aus den verschiedensten technischen Gebieten eingereicht, für welche 46 mal Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden sei. Durch die Verfahrenskostenhilfe solle ein bedürftiger Anmelder beim Zugang zum gewerblichen Rechtsschutz und im Rechtsstreit einem vermögenden Anmelder gleichgestellt werden, jedoch solle ihm nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine Prozeßführung ermöglicht werden, von der ein Vermögender bei vernünftiger Einschätzung seiner Sach- und Rechtslage absehen würde. Die Unterstützung und Hilfe des Staates dürfe nur sorgfältig und abgewogen, nicht aber mutwillig oder gar im Abonnement in Anspruch genommen werden. Es sei darauf abzustellen, ob ein besser bemittelter Bürger in gleicher Weise so viele Neuerungen auf verschiedenen technischen Gebieten getätigt hätte, wenn er dabei alle anfallenden Kosten hätte selbst tragen müssen. Es sei nicht Aufgabe der Allgemeinheit, im großen Umfang wirtschaftlich nicht verwertbare Erfindungen zu finanzieren. Bislang gebe es keine Hinweise, daß auch nur eine der Erfindungen des Antragstellers bisher wirtschaftlich verwertet worden sei.
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 2. September 1998 u. a. geltend gemacht, seine Erfindungen stießen durchaus auf Interesse in der Industrie. Hierzu verweist er auf Schreiben, die von ihm zur Vermarktung eines von ihm erfundenen "Abbrechklingen-Messers" veranlaßt wurden.
Mit Beschluß vom 20. Juli 1999 hat die Patentabteilung den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung verweist sie auf die Bescheide vom 2. September 1998 und 8. April 1999.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der sinngemäß den Antrag stellt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben, ihm die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu gewähren sowie einen Patentanwalt als Vertreter beizuordnen.
Zur Begründung verweist der Antragsteller u. a. auf die Schwierigkeiten bei der Vermarktung von Erfindungen, die üblicherweise mehr Zeit in Anspruch nehme als die Patentabteilung zugestehe. Ernsthafte Lizenzverhandlungen würden seitens der Industrie häufig erst im Anschluß an die Patenterteilung geführt. Der Antragsteller ist außerdem der Auffassung, das Deutsche Patentamt habe dadurch, daß es mit seinem Schreiben vom 20. Februar 1998 zur Benennung eines zur Übernahme bereiten Patenanwalts aufgefordert habe, bereits sein Einverständnis mit der Beiordnung zum Ausdruck gebracht. Darin liege praktisch eine Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe, die nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden dürfe.
Mit Zwischenbescheid des juristischen Beisitzers des Senats vom 25. April 2000 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, daß nach vorläufiger Einschätzung des Senats gravierende, gegen eine wirtschaftliche Verwertbarkeit der verfahrensgegenständlichen Erfindung sprechende Anhaltspunkte vorliegen, was nach der Rechtsprechung des Senats zu einer Zurückweisung der Beschwerde führen müsse. Eine Antwort des Antragstellers auf diesen Bescheid ist nicht eingegangen.
II.
Die zulässige Beschwerde erweist sich als unbegründet, da die Versagung der beantragten Verfahrenskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts im Ergebnis rechtens war.
Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. § 114 ZPO erhält im Verfahren zur Erteilung eines Patents jeder Anmelder, der die Kosten für eine Patentanmeldung nicht aufbringen kann, auf Antrag Verfahrenskostenhilfe, wenn hinreichende Aussicht auf Patenterteilung besteht und die beabsichtigte Rechtsverfolgung (d. h. das Erteilungsbegehren) nicht mutwillig erscheint.
Aus dem Schreiben des Deutschen Patentamts vom 20. Februar 1998 kann der Antragsteller keinen Anspruch herleiten. Dieses Schreiben entspricht der gesetzlichen Regelung (§ 133 PatG i. V. m. § 121 Abs. 4 ZPO), wonach es in erster Linie Sache des Antragstellers ist, vor der Entscheidung über seinen Antrag auf Beiordnung eines Patentanwalts einen zur Übernahme der Vertretung bereiten Patentanwalt zu benennen. Eine Bewilligung der Beiordnung (oder der Verfahrenskostenhilfe insgesamt) kann darin nicht gesehen werden.
Die Patentabteilung hat im Ergebnis zu Recht - wenn auch mit unzutreffender Begründung - angenommen, daß die Inanspruchnahme der Verfahrenskostenhilfe im vorliegenden Fall mutwillig erscheint.
1. Der Senat hat sich in seinem Beschluß vom 20. Dezember 1999 (GRUR 2000, 306 ff.) ausführlich zu den von der angefochtenen Entscheidung der Patentabteilung aufgeworfenen, die Auslegung des Merkmals "Mutwilligkeit" betreffenden Rechtsfragen geäußert. An seinen damals vertretenen Auffassungen hält der Senat auch im vorliegenden Zusammenhang fest. Danach können zwar mangelnde Aussichten für die wirtschaftliche Verwertung eines Patents im Einzelfall die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung begründen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn gravierende, gegen eine wirtschaftliche Verwertung sprechende Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Ergebnis nicht entkräftet werden können. Bloße Zweifel an der Verwertbarkeit sind für eine Versagung nicht ausreichend. Ebenso wie für die Annahme von Mutwilligkeit die Gewinnaussichten nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden müssen, bedarf es umgekehrt für den Ausschluß der Mutwilligkeit nicht eines exakten Nachweises, daß das angestrebte Patent wirtschaftlich verwertbar sein wird.
2. Nach Auffassung der Patentabteilung verhält sich der Antragsteller mutwillig, weil es keine Hinweise gebe, daß auch nur eine seiner bisherigen Erfindungen wirtschaftlich verwertet worden sei. Soweit danach die Ablehnung der Verfahrenskostenhilfe ausschließlich auf Umstände gestützt wird, die nicht das jetzige Verfahren, vielmehr andere Erfindungen bzw. Anmeldungen des Antragstellers betreffen, kann dem nicht zugestimmt werden.
Zwar kann für die Prüfung, ob die Rechtsverfolgung im konkret vorliegenden Fall mutwillig ist, durchaus von Bedeutung sein, daß ein Antragsteller mit seinen zahlreichen bisherigen Anmeldungen keinen wirtschaftlichen Erfolg erzielen konnte. Dies kann nach der Lebenserfahrung ein Indiz dafür sein, daß auch mit der konkreten verfahrensgegenständlichen Anmeldung keine Verwertungsaussichten verbunden sind.
Die von der Patentabteilung vollzogene automatische Schlußfolgerung von dem bisherigen Anmeldeverhalten des Antragstellers und von seiner wirtschaftlichen Erfolglosigkeit auf die Mutwilligkeit der jetzigen Anmeldung ist jedoch mit dem im Verfahren der Prozeß- und Verfahrenskostenhilfe geltenden Amtsermittlungsgrundsatz nicht vereinbar. Die Patentabteilung durfte sich daher nicht mit der bloßen Feststellung begnügen, der Antragsteller habe bislang, trotz seiner zahlreichen Schutzrechtsanmeldungen und trotz der ihm bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe, noch keine Verwertungserfolge gehabt. Wie der Senat in seinem zitierten Beschluß vom 20. Dezember 1999 ausgeführt hat, kann die Verfahrenskostenhilfe auch in solchen Fällen nur mit Gründen abgelehnt werden, die den Schluß rechtfertigen, daß auch der aktuellen Anmeldung voraussichtlich kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein wird. Diese Gründe können sich aus dem Erfindungsgegenstand ebenso ergeben wie aus der Person oder dem Verhalten des Antragstellers oder aus objektiven Gegebenheiten des Marktes. Die Patentabteilung muß aber auch den Gesichtspunkten nachgehen, die geeignet sind, das sich aus der bisherigen wirtschaftlichen Erfolglosigkeit ergebende Indiz zu entkräften. Bei offensichtlich besonders erfolgversprechenden Anmeldungen ist die Annahme von Mutwilligkeit z. B. stets fehl am Platz.
3. Im Ergebnis wurde dem Antragsteller die beantragte Verfahrenskostenhilfe jedoch zu Recht versagt, da sich aus dem der jetzigen Anmeldung zugrunde liegenden Erfindungsgegenstand gravierende Anhaltspunkte im Sinne mutwilligen Verhaltens ergeben.
In den Anmeldungsunterlagen wird ein Sicherheitssystem für mehrspurige Kraftfahrzeuge beschrieben, welches sowohl bei Frontal- als auch bei Heckaufprallunfällen entweder für sich allein oder zusätzlich zu den bereits vorhandenen passiven KFZ-Insassenschutzvorrichtungen (Sicherheitslenksäule, Airbag usw.) Anwendung findet, jedoch in jedem Fall das Anlegen der Sicherheitsgurte im vorderen Fahrgastzellenbereich sowie das Vorhandensein von Sitzlehnen-Kopfstützen voraussetzt. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, die vorderen Fahrgastzellen-Insassen beim Crash in gegenläufiger Richtung von der "Auf-Anprallrichtung/-energie" zu distanzieren, da hierbei insbesondere beim Kollidieren mit Nutzfahrzeugen abstehende bzw. aufprallkinematisierte Fremdkörper durch die Sichtverglasung ins Cockpit eindringen und speziell beim Frontalaufprall diesen konventionell sitzlehnenstatuierten Frontinsassen zum Teil tödliche Verletzungen zufügen. Gelöst wird diese Aufgabe im wesentlichen durch ein Sitzverschubsystem, das abhängig davon, ob ein Frontal- oder Heckaufprall stattfindet und wie die hinteren Sitze belegt sind, die vorderen Fahrer-/Beifahrersitze in die der jeweiligen Stoßbeschleunigungsrichtung entgegengesetzte Richtung verschiebt.
Nach Auffassung des Senats leidet der Vorschlag des Antragstellers unter dem Nachteil, daß in allen in der Patentschrift genannten Ausführungsbeispielen die durch den Aufprall verursachte Beschleunigung des Fahrzeuginsassen durch das Sitzverschubsystem zusätzlich vergrößert wird, wodurch dessen Belastung noch zusätzlich steigt. Wenn z. B. die Sitzgurte mit einem Ende an einem oberen Bereich des Fahrzeugrahmens festgelegt sind und die Vordersitze bei einem Frontalaufprall nach hinten katapultiert werden, scheint es unwahrscheinlich, daß dadurch die Insassen auf den Vordersitzen entgegen der auf sie wirkenden Trägheitskräfte nach hinten mitgenommen werden. Statt dessen, so scheint es, verlieren sie die Sitzunterstützung, wenn sie nach dem Ende der Vorwärtsbewegung wieder zurückgeschleudert werden. Bei zusätzlichem Wegschwenken der Rückenlehne wird in diesem Fall der ganze Oberkörper bis in die Horizontale zurückgeschleudert, wodurch sich die Verletzungsgefahr zusätzlich erhöht.
Wenn die Sitzgurte insgesamt an den Vordersitzen und ein Teil davon an den oberen Bereichen der Rückenlehnen festgemacht sind, können möglicherweise die Sitzbenutzer bei einem Frontalaufprall entgegen der auf sie wirkenden Trägheitskräfte durch die Sicherheitsgurte und die vom Sitzverschubsystem nach hinten bewegten Vordersitze ebenfalls nach hinten bewegt werden. In diesem Fall werden die Sitzbenutzer noch zusätzlich durch die Kräfte belastet, durch die sie nach hinten bewegt werden. Auch dies scheint nicht ganz unproblematisch zu sein. Wenn die Rückenlehne nicht nach hinten abgeklappt wird, wird der Abstand von der Windschutzscheibe nur verhältnismäßig wenig vergrößert und damit die Gefahr von Verletzungen durch eindringende Fremdkörper nur geringfügig verringert werden können.
Bei einem Heckaufprall ergibt sich wiederum der Nachteil, daß die Belastungen der Vordersitzbenutzer durch die Kräfte, die durch das Sitzverschubsystem auf sie ausgeübt werden, noch zusätzlich erhöht werden. Auch hier wird der Abstand zu eventuell eindringenden Fremdkörpern nur geringfügig vergrößert.
Angesichts der genannten Nachteile sowie unter Berücksichtigung des großen konstruktiven Aufwands, der mit einer Umsetzung des vorgeschlagenen Sitzverschubsystems verbundenen wäre, erscheinen die dadurch allenfalls erzielbaren Vorteile zu gering, als daß mit einer Verwertung der Erfindung ernsthaft gerechnet werden könnte. Nachdem der Antragsteller diesen Bedenken, die ihm durch den Zwischenbescheid vom 25. April 2000 bereits mitgeteilt wurden, nichts entgegengebracht hat, mußte der Senat daher zu der Schlußfolgerung kommen, daß die Inanspruchnahme der Verfahrenskostenhilfe im vorliegenden Fall mutwillig wäre.
Auch die Ausführungen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung sowie in seinen Einlassungen vor dem Deutschen Patent- und Markenamt vermögen die Annahme mutwilligen Verhaltens nicht zu entkräften. Insbesondere werden dort keinerlei Angaben zur Verwertung der hier verfahrensgegenständlichen Erfindung gemacht. Auch die Hinweise des Antragstellers auf Kontakte und - noch wenig konkrete - Lizenzgespräche bezüglich anderer Erfindungen sind nicht geeignet, seine Erfindertätigkeit und die mit ihr verbundenen Gewinnaussichten in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.
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BPatG:
Beschluss v. 21.06.2000
Az: 9 W (pat) 82/99
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