Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 19. Februar 2002
Aktenzeichen: I-20 U 127/01
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 19.02.2002, Az.: I-20 U 127/01)
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 7. August 2002 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wuppertal abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Beklagte, ein in R. niedergelassener Apotheker, warb in dem Anzeigenblatt "Allee-Center" vom 24./25.1.2001 für eine in seiner Apotheke durchzuführende Knochendichtemessung wie folgt (im Original farbig):
Abbildung
Die klagende Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs sah darin einen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz und forderte den Beklagten erfolglos auf, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und Abmahnkosten in Höhe von 315,65 DM zu zahlen.
Sie hat vorgetragen: Da der Beklagte nicht über die erforderliche Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde verfüge, habe er mit der Werbung gegen § 1 UWG in Verbindung mit § 1 Heilpraktikergesetz (HeilprG) verstoßen. Mit der Verwendung der Begriffe "Osteoporose-Früherkennung" und "Osteoporose-Messtage" verspreche er eine Diagnose in Form der Aussage darüber, ob die Messergebnisse auf eine Osteoporoseerkrankung schließen ließen. Dies stelle eine "Ausübung der Heilkunde" im Sinne des § 1 Abs. 2 HeilprG dar. Zudem spiegele der Beklagte wahrheitswidrig vor, zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten befugt zu sein. Die angegriffene Werbung sei geeignet, den Wettbewerb der Apotheker wesentlich zu beeinträchtigen. Der Ersatz der Abmahnkosten sei nach den Bestimmungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag gerechtfertigt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
es bei Meidung bestimmter Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken eine "Osteoporose-Früherkennung" und/oder "Osteoporose-Messtage" anzukündigen und anzubieten, insbesondere wenn dies in einem unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit einer Beschreibung des Krankheitsbilds der Osteoporose geschieht,
an sie, die Klägerin, 315,65 DM nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klageerhebung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Klagebefugnis der Klägerin in Abrede gestellt und in der Sache vorgetragen: Ein Verstoß gegen § 1 HeilprG liege nicht vor, weil nicht jede Mitteilung eines Messergebnisses eine "Diagnose" sei. Ähnlich wie bei der Blutdruckmessung gebe es für die Knochendichte einen Normwert, der sogar nur unterschritten werden könne. Nur auf die Messung selbst und Mitteilung des Messergebnisses, ob der Normwert unterschritten sei, erstrecke sich seine Betätigung. Mehr werde auch in der Werbung nicht angekündigt. Namentlich werde nicht versprochen, dass die Osteoporoseerkrankung erkannt und in diesem Sinne diagnostiziert werde.
Das Landgericht hat der Argumentation der Klägerin folgend einen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz bejaht und der Klage entsprochen.
Gegen die Verurteilung wendet sich der Beklagte mit der Berufung und macht unter Vertiefung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend, dass der Begriff "Osteoporose-Messtage" nur in einem redaktionellen Beitrag erschienen sei, für den er, der Beklagte, nicht verantwortlich sei.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend: In der Werbung des Beklagten werde eine Messung der Knochendichte lediglich zum Zwecke der Früherkennung angeboten. Die Vornahme einer Früherkennung kündige nach dem Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise die frühe Feststellung einer Krankheit an. Die "Osteoporose Früherkennung" sei daher gleichbedeutend mit einer möglichst frühen Diagnose dieser Erkrankung. In diesem Sinne erwarte der Verkehr eine heilkundliche Betätigung des Beklagten.
Wegen aller Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 1, 3 UWG nicht zu.
1. Die Klagebefugnis der Klägerin ist allerdings zu bejahen (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG). Zutreffend weist die Klägerin zuletzt in ihrer Berufungserwiderung darauf hin, dass die Apothekerkammer Nordrhein ihr, der Klägerin, die Klagebefugnis vermittle, weil sie selbst Mitglied in ihrem Verein sei, und sich die Klagebefugnis auch aus den Mitgliedschaften des Apothekerverbandes Nordrhein e.V. und der IHK Wuppertal-Solingen-Remscheid ergebe, denen zahlreiche Wettbewerber des Beklagten angehörten.
2. Die angegriffene Werbung verstößt jedoch nicht gegen § 1 UWG in Verbindung mit § 1 HeilprG. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte angekündigt hätte, sich heilkundlich betätigen zu wollen, ohne die hierfür der erforderliche Erlaubnis zu besitzen.
Nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist die nach Absatz 1 der Bestimmung erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde jede berufs- und gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten oder Körperschäden, auch wenn sie im Dienste eines anderen ausgeübt wird. Vorliegend kommt nur eine Betätigung des Beklagten in Form der Feststellung einer Krankheit (Osteoporose) in Betracht. Hierbei ist allerdings zwischen den Parteien zu Recht unstreitig, dass es einem Apotheker nicht verwehrt werden kann, in seiner Apotheke Messungen der Knochendichte vorzunehmen. Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. NJW 2000, 2736) und des Bundesgerichtshofs (GRUR 2001, 1170 - Optometrische Leistungen II), wonach es mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren wäre, wenn bei wörtlicher Auslegung des § 1 HeilprG zahlreiche heilkundliche Verrichtungen mehr handwerklicher oder technischer Art unter das prinzipielle Ausübungsverbot fielen. Zu solchen Verrichtungen zählt - ebenso wie z.B. das Blutdruckmessen und der Blutzuckertest - auch die Knochendichtemessung eines Apothekers, die von dem Beklagten - unangegriffen - mittels "Ultraschall schnell und schmerzfrei" erfolgt.
Die danach erlaubnisfreie Zulässigkeit der Knochendichtemessung umfasst auch die Mitteilung des Messergebnisses. Ohne eine solche Mitteilung an den Kunden wäre die Messung nahezu ohne Sinn, mithin ihre Vornahme praktisch doch verboten. Die von dem Beklagten angesprochenen Personen wollen selbstverständlich vom Apotheker etwas über ihren Gesundheitszustand erfahren, wenn sie ihn zu einer Messung aufgesucht haben. Es erscheint fernliegend, dass sie eine Knochendichtemessung lediglich um ihrer selbst willen "gewissermaßen zur Befriedigung einer nicht diagnostischen orientierten Neugierde" (so BGH a.a.O. 1173) vornehmen ließen. Dabei orientiert sich die Mitteilung des Messergebnisses - etwas anderes wird auch von der Klägerin nicht vorgetragen - an einem bestimmten Normalwert der Knochendichte, der - ebenfalls unstreitig - nur unterschritten werden kann. Der Kunde erfährt also und darf es vom Apotheker auch erfahren, ob die bei ihm gemessene Knochendichte den Normalwert unterschreitet. Eine diesbezügliche Information des Apothekers wäre nur bedenklich, wenn sie ihrerseits mit einer nicht nur geringen Wahrscheinlichkeit zu einer mittelbaren Gesundheitsgefährdung führen könnte, etwa weil dem Kunden eine Unbedenklichkeit vermittelt würde, die das frühzeitige Erkennen der Osteoporose verzögern würde (vgl. BGH a.a.O.). Dafür ist hier jedoch nichts ersichtlich. Die Knochendichtemessung, die Einordnung des Messergebnisses in die Normskala sowie die Feststellung, ob der Normwert unterschritten ist, werfen keine besonderen Schwierigkeiten auf. Gegenteiliges zeigt die Klägerin nicht auf. Soweit die Klägerin in der Senatssitzung pauschal auf die (nie ganz auszuschließende) Möglichkeit von Messfehlern verwiesen hat, ist zu deren (relevanter) Wahrscheinlichkeit nichts vorgetragen. Auch sonst sind liquide Gefährdungspotentiale bei der Messung oder der Vermittlung des Messergebnisses nicht ersichtlich. Liegt das Messergebnis im kritischen Bereich, erfolgt die Empfehlung des Beklagten an den Kunden, einen Arzt aufzusuchen. Liegt das Ergebnis im Normalbereich, erfährt der Kunde nur, dass beim ihm eine anormal verringerte Knochendichte nicht vorliegt. Dass in diesem Falle dennoch etwas in Bezug auf eine Osteoporoseerkrankung ärztlicherseits zu veranlassen wäre (wovon der Kunde nun abgehalten werden könnte), ist ebenfalls weder dargetan noch ersichtlich. Im Gegenteil: Die von der Klägerin eingereichte Internetinformation des Kuratoriums Knochengesundheit e.V. besagt, dass die Knochendichtemessung das einzige wissenschaftlich anerkannte Verfahren zur frühzeitigen Erkennung einer Verminderung der Knochendichte sei.
Letztlich hat auch die Klägerin gegen die bloße Mitteilung des Messergebnisses nichts einzuwenden. Sie beanstandet vielmehr, dass der Beklagte darüber hinaus eine Diagnose in Bezug auf eine akute oder sich in einem Frühstadium befindende Osteoporoseerkrankung ankündige. Tatsächlich, so die Klägerin weiter, sei eine Differentialdiagnose allein anhand einer Knochendichtemessung nicht möglich, weil eine verlässliche Beurteilung selbst bei einer kritischen oder insuffizienten Knochendichte die Auswertung aller in Betracht kommenden sonstigen Indikatoren (z.B. familiäre Vorschäden, längere Einnahme von Kortison, Ernährungsdefizite) erfordere. Letzteres mag durchaus richtig sein und zugunsten der Klägerin unterstellt werden. Im zu entscheidenden Streitfall kommt es darauf jedoch nicht an. Maßgebend ist vielmehr, wie die angegriffene Werbung in Bezug auf die angekündigten Nebenleistungen eines Apothekers nach dem Verständnis eines durchschnittlich informierten und aufgeklärten Durchschnittsverbrauchers auszulegen ist. Aus dessen Sicht wird eine umfassende Diagnosestellung aber nicht erwartet.
Allerdings bedeutet der Begriff der "Früherkennung" in Verbindung mit der Nennung einer bestimmten Krankheit nach seinem reinen Wortsinn auch die an sich vom Arzt zu stellende Diagnose, ob die Krankheit akut oder wenigstens in einem Frühstadium vorhanden ist. "Osteoporose Früherkennung" umfasst insoweit Knochendichtemessung, Erhebung sonstiger krankheitsrelevanter Befunde, Auswertung der Ergebnisse und Beurteilung über das Vorliegen der Krankheit in einem Frühstadium bzw. definitiven Ausschluss der Erkrankung. So gesehen enthält die Werbung des Beklagten bei isolierter Betrachtung des darin vorkommenden Begriffs der "Osteoporose Früherkennung" einen überschießenden Teil, der in die erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde hineinragt. Indes ist bei der Beurteilung des Verkehrsverständnisses das Umfeld der Werbung zu berücksichtigen. Hier ist namentlich von Bedeutung, dass sich das Leistungsspektrum der Apotheker in den letzten Jahren deutlich erweitert hat und der Verkehr daran gewöhnt ist, dass in einer Apotheke auch prophylaktische Messungen und Prüfungen durchgeführt werden, ohne dass die ärztliche Diagnose hierdurch ersetzt würde. Demgemäss erwarten die angesprochenen Personen etwa von einer Blutdruckmessung des Apothekers nur, dass dieser Krankheitsindikator geprüft und ihnen bekannt gegeben werde, um gegebenenfalls aus eigenem Antrieb oder auf Anraten des Apothekers einen Arzt aufzusuchen. Die Messtätigkeit des Apothekers wird insoweit dem Vorfeld eines Arztbesuches zugeordnet. Mit dieser Erfahrung und Einschätzung zur der Rolle des Apothekers bei der Krankheitsverhütung deutet der aufgeklärte Kunde auch die Werbung des Beklagten, was ihm einen Verständnisvorsprung bei der richtigen Einordnung verschafft. Obwohl von "Osteoporose-Früherkennung" die Rede ist, erwartet er mithin nicht eine dem Arztbesuch gleichwertige Prüfung und Diagnose, sondern eine Befunderhebung unterhalb dieser Schwelle, auch weil er weiß, dass die ärztliche Früherkennung einer Krankheit regelmäßig die umfassende Befundung aller einschlägigen und nicht nur eines einzelnen Indikators zum Gegenstand hat. Letzteres ist bei der Osteoporoseerkrankung gerade auch nach dem Vortrag der Klägerin, die auf andere Risikofaktoren und Indizien hinweist, nicht anders. In der Senatssitzung wurden insoweit angesprochen die Erhebung der Krankheitsgeschichte, familiäre Vorbelastungen, die längere Einnahme von Kortison und das allgemeine Ernährungsverhalten (vgl. den Fragebogen der o.a. Internetseite). Eine solch umfassende Erhebung erwartet der Verbraucher in einer Apotheke nicht. Demgemäss wird schon der Begriff der "Osteoporose Früherkennung" vom angesprochenen Publikum eher als Motto einer Aktion oder Gesundheitskampagne wahrgenommen und verstanden, wie sie etwa u. a. auch von den Krankenkassen veranstaltet werden. In dieser Einschätzung wird der Kunde bestätigt, indem direkt unter der Überschrift "Osteoporose Früherkennung" die Angabe "Wir messen Ihre Knochendichte" folgt, womit genügend klar beschrieben wird, was in der Apotheke des Beklagten tatsächlich (nur) stattfinden soll. Jedenfalls dieser Zusatz genügt auch für diejenigen Kunden, die trotz des o.a. Vorverständnisses noch zweifeln. Zwar wäre eine deutlichere Klarstellung möglich und wünschenswert gewesen, und es mag sich die Frage stellen, weshalb der Beklagte davon abgesehen hat. Dessen ungeachtet reicht der Zusatz in seiner konkreten Form jedoch angesichts des Vorverständnisses des Publikums ausnahmsweise aus, um genügend sicher auszuschließen, dass nicht unerhebliche Teile der angesprochenen Durchschnittsverbraucher einer Fehlvorstellung unterliegen. Schließlich ist auch hier darauf hinzuweisen, dass in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit in Gestalt eines Tätigkeitsverbots nur mit mittelbaren Gefahren für die Volksgesundheit begründet werden kann, Verbot und Schutzgut sich so weit voneinander entfernen, dass bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten ist, namentlich die Gefahren hinlänglich wahrscheinlich und die gewählten Mittel eindeutig erfolgversprechend sein müssen (vgl. BVerfG a.a.O.).
Nichts anderes gilt für den Anzeigenartikel, der mit "Osteoporose-Früherkennung" überschrieben ist und in dem der Begriff "Osteoporose-Messtage" vorkommt. Auch insoweit werden jedenfalls in keinem nennenswerten Umfang falsche Vorstellungen geweckt. Schon der Wortbestandteil "Messtage" enthält objektiv eine gewisse Focussierung auf den Messvorgang. Ferner wird ausgeführt, dass "eine Knochendichte-Bestimmung in der Apotheke hilft, das Risiko zu erkennen" und die "Besucher ihre Knochenqualität testen lassen" können. Damit wird nur die Prüfung eines Indikators angekündigt und nicht in Anspruch genommen, eine ärztliche Diagnose treffen zu wollen.
3. Für einen Unterlassungsanspruch nach § 3 UWG ist ebenfalls kein Raum. Da der Beklagte mit seiner Werbung nicht ankündigt, sich heilkundlich betätigen zu wollen, täuscht er auch nicht vor, eine entsprechende Erlaubnis zu besitzen.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil das Ergebnis durch die konkreten Umstände des Streitfalls bestimmt ist.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 15.539,- EUR.
Dr. Sch. W.
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 19.02.2002
Az: I-20 U 127/01
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https://www.admody.com/urteilsdatenbank/66aff0c61d00/OLG-Duesseldorf_Urteil_vom_19-Februar-2002_Az_I-20-U-127-01