Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 30. Oktober 2008
Aktenzeichen: 4b O 260/07

(LG Düsseldorf: Urteil v. 30.10.2008, Az.: 4b O 260/07)

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt,

1.

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,

Kindertrageschultergeschirre mit zwei miteinander verbun-denen Halteschlaufen zur Erstreckung um beide Schulterbereiche eines Trägers und einem Kinder-Tragelappen mit zwei Seiten, von denen jede lösbar an einer der Halteschlaufen sowohl am oberen als auch am unteren Ende der beiden Seiten befestigt ist, um einen Kinder-Tragebeutel zu bilden, wobei Befestigungsverbindungen zwischen den Halteschlaufen und einem oberen Teil des Kinder-Tragelappens an beiden Seiten des Tragelappens vollständig lösbar sind, um das Herablassen des Lappens um eine untere Verbindung des Lappens mit den Halteschlaufen zu ermöglichen,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen und/oder zu einem dieser Zwecke einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Verbindungen zwischen jeder Halteschlaufe und einem unteren Teil des Lappens lösbar sind, wobei der Lappen von den Halteschlaufen abnehmbar ist und bei denen die Halteschlaufen miteinander auf einer Rückseite des Geschirrs verbunden sind und ihre Schlaufenform sowohl beim Anlegen des Geschirrs als auch beim Lösen des Kinder-Tragelappens in eine geöffnete Position beibehalten;

2.

der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang er die unter Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 21. September 1996 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der einzelnen Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Kalendervierteljahren unter Angabe der Werbeträger, deren Auflagenhöhe, ihres Verbreitungszeitraums und Verbreitungsgebiets,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

- es dem Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern der Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

- der Beklagte die zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen oder Lieferscheine in Kopie) vorzulegen hat;

3.

die in seinem Eigentum und/oder unmittelbaren oder mittelbaren Besitz befindlichen Vorrichtungen gemäß Ziffer 1. zu vernichten oder an einen unabhängigen vereidigten Wirtschaftsprüfer zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten des Beklagten herauszugeben.

II. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die von dem Beklagten seit dem 21. September 1996 begangenen Handlungen unter Ziffer I. 1. entstanden ist und/oder zukünftig noch entstehen wird.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheits- leistung in Höhe von 250.000,00 €.

V. Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 17. Januar 1992 unter Inanspruchnahme einer schwedischen Priorität vom 18. Januar 1991 angemeldeten, in englischer Verfahrenssprache verfassten europäischen Patents EP 0 567 530 (nachfolgend: "Klagepatent", Anlage K 1, deutsche Übersetzung in Anlage K 1a) mit dem Titel "Kindertrageschultergeschirr", dessen Erteilung am 21. August 1996 veröffentlicht wurde. Das Klagepatent steht in Kraft.

Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Hauptanspruch 1 des Klagepatents hat in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

"Kindertrageschultergeschirr mit zwei miteinander verbundenen Halteschlaufen zur Erstreckung um beide Schulterbereiche eines Trägers und einem Kinder-Tragelappen mit zwei Seiten, von denen jede lösbar an einer der Halteschlaufen sowohl am oberen als auch am unteren Ende der beiden Seiten befestigt ist, um einen Kinder-Tragebeutel zu bilden, wobei Befestigungsverbindungen zwischen den Halteschlaufen und einem oberen Teil des Kinder-Tragelappens an beiden Seiten des Tragelappens vollständig lösbar sind, um das Herablassen des Lappens um eine untere Verbindung des Lappens mit den Halteschlaufen zu ermöglichen, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindungen zwischen jeder Halteschlaufe und einem unteren Teil des Lappens lösbar sind, wobei der Lappen von den Halteschlaufen abnehmbar ist; und dass die Halteschlaufen miteinander auf einer Rückseite des Geschirrs verbunden sind und ihre Schlaufe sowohl beim Anlegen des Geschirrs als auch beim Lösen des Kinder-Tragelappens in eine geöffnete Position beibehalten."

Nachfolgend eingeblendet sind die Figuren 1, 3 und 6 des Klagepatents, welche Zeichnungen zu einem bevorzugten Ausführungsbeispiel der Erfindung beinhalten. Die Figur 1 zeigt eine schematische Draufsicht auf den Vorderteil des Kinder-Schultertragegeschirrs, wobei das Geschirr mit getrennten Verbindungen zwischen seinen Hauptkomponenten dargestellt ist. Die Figur 3 enthält eine schematische Darstellung dazu, wie ein Kind in dem Geschirr angeordnet ist, während das Geschirr angelegt ist. Die Figur 6 zeigt ein erfindungsgemäßes Geschirr mit entlang einer seiner Seiten geöffnetem Tragelappen.

Der Beklagte vertreibt als eingetragener Kaufmann unter der Firma Nord-Ideen in Deutschland die Kindertrage "Lascal M1" (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform, siehe das als Anlage K6a vorgelegte Muster). Die Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aus der in der jeweiligen Produktverpackung befindlichen Gebrauchsanweisung (s. Anlage K 6, deutsche Übersetzung in Anlage B 1) mit entsprechenden Abbildungen, von denen nachfolgend die Seiten 60 und 61 der Anlage B 1 (= Seiten 6 und 7 der Anlage K 6) eingeblendet sind.

Die Klägerin meint, die angegriffene Ausführungsform stelle eine wortsinngemäße Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents dar. Sie nimmt den Beklagten daher auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung sowie Feststellung der Schadenersatzverpflichtung in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt dem Verletzungsvorwurf mit folgenden Argumenten entgegen: Bei der angegriffenen Ausführungsform sei nicht jede Seite des Kinder-Tragelappens auch am unteren Ende der jeweiligen Seite befestigt; insoweit werde der Kindertragelappen nicht um eine untere Verbindung herabgelassen. Bei der angegriffenen Ausführungsform werde bereits durch das Befestigen der Beinschlaufen an dem Schlaufenkopf - und nicht erst mit Befestigen der Halteschlaufen - ein Tragebeutel gebildet; an einem erfindungsgemäßen Kindertragebeutel fehle es bei der angegriffenen Ausführungsform, weil die Brust des Trägers und die Verbindungsmittel zwischen Lappen und Halteschlaufen an dessen Bildung nicht beteiligt seien. An einer Verwirklichung des Anspruchs 1 fehle es zudem deshalb, weil der Tragebeutel erst nach vollständiger Trennung der Halteschlaufen von dem Tragelappen vollständig geöffnet werde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst der jeweiligen Anlagen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise Gebrauch, weshalb der Klägerin gegen den Beklagten die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung sowie Feststellung der Schadenersatzverpflichtung zustehen.

I.

Das Klagepatent betrifft ein Kindertrageschultergeschirr. Die Ausgestaltung und die Funktion derartiger Kindertragegeschirre sind aus dem Stand der Technik bekannt. In seinen einleitenden Bemerkungen erwähnt das Klagepatent als Stand der Technik ein Kindertrageschultergeschirr, das eine taschenartige Aufnahme umfasst, die fest mit zwei separaten Schulterschlaufen verbunden ist. Eine Verbindung der beiden Halteschlaufen auf dem Rücken des Trägers ist dabei nicht vorgesehen. Die Tasche verfügt im Bodenbereich über Öffnungen für die Beine des Kindes und kann zur Auf- und Herausnahme des Kindes entlang einer ihrer Seitenkanten geöffnet werden. Daran kritisiert das Klagepatent, dass es beispielsweise kaum gelingen kann, ein schlafendes Kind aus der Tragevorrichtung in ein Bett zu legen, ohne es aufzuwecken. Weiter betrachtet das Klagepatent es bei dieser Lösung als problematisch, ein Kind in das Geschirr einzusetzen oder aus diesem herauszunehmen, während das Geschirr von dem Träger angelegt ist. Schließlich kritisiert das Klagepatent daran die relativ geringe Tragesicherheit, da die beiden Halteschlaufen dazu neigen, über die Schultern des Trägers zu rutschen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, ein Kindertrageschultergeschirr bereitzustellen, bei welchem gewährleistet wird, dass ein schlafendes Kind aus dem Geschirr mit einem Minimum an Störung in ein Bett gelegt werden kann. Dabei soll die Tragesicherheit des Geschirrs auf einem hohen Niveau verbleiben. Das Kind soll ohne weiteres in das Geschirr hineingesetzt und aus diesem herausgehoben werden können, während die Halteschlaufen des Geschirrs von dem Träger angelegt und intakt sind.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent ein Kindertrageschultergeschirr mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Klagepatents vor:

Kindertrage-Schultergeschirr

mit zwei miteinander verbundenen Halteschlaufen (1) zur Erstreckung um beide Schulterbereiche eines Trägers

und einem Kinder-Tragelappen (2) mit zwei Seiten.

Jede Seite des Kinder-Tragelappens (2) ist lösbar an einer der Halteschlaufen (1) sowohl am oberen als auch am unteren Ende der jeweiligen Seite befestigt,

um einen Kinder-Tragebeutel zu bilden,

wobei Befestigungsverbindungen (3, 11) zwischen den Halteschlaufen (1) und einem oberen Teil des Kinder-Tragelappens (2) an beiden Seiten des Tragelappens (2) vollständig lösbar sind, um das Herablassen des Lappens (2) um eine untere Verbindung (3, 21) des Lappens mit den Halteschlaufen (1) zu ermöglichen.

Die Verbindungen zwischen jeder Halteschlaufe (1) und einem unteren Teil des Lappens (2) sind lösbar.

Der Lappen (2) ist von den Halteschlaufen (1) abnehmbar.

Die Halteschlaufen (1) sind miteinander auf einer Rückseite des Geschirrs verbunden und behalten ihre Schlaufenform sowohl beim Anlegen des Geschirrs als auch beim Lösen des Kinder-Tragelappens (2) in eine geöffnete Position bei.

II.

Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise. Dies ist hinsichtlich der Merkmale 1, 2, 3, 4 und 5 zwischen den Parteien zu Recht unstreitig, so dass diesbezüglich nähere rechtliche Ausführungen der Kammer entbehrlich sind. Darüber hinaus macht die angegriffene Ausführungsform allerdings auch von der in den Merkmalen 3.1, 3.2, 3.3. und 6 enthaltenen technischen Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch.

1)

Das Merkmal 3.1 setzt unter anderem voraus, dass jede Seite des Kinder-Tragelappens lösbar an einer der Halteschlaufen am unteren Ende der jeweiligen Seite befestigt ist.

Der Fachmann erkennt in diesem Zusammenhang im Wege einer systematischen Auslegung der Merkmale 3.1 und 3.3, dass sich erfindungsgemäß beim Herablassen des Tragelappens eine Drehbewegung um die untere Verbindung ergibt, so dass das Klagepatent als "das untere Ende" denjenigen Bereich versteht, in welchem beim Herablassen des Lappens diese Drehbewegung abläuft. Zu widersprechen ist dem Vorbringen des Beklagten darin, dass es sich dabei um einen bloßen Punkt oder eine waagerechte Achse um diesen Punkt handeln müsse. Wenn das Klagepatent vom "unteren Ende" spricht, ist damit keine punktuelle Definition verbunden, sondern ersichtlich eine bloß ungefähre Bereichsangabe gemeint. In technischer Hinsicht entscheidend ist hierbei, dass bei angelegtem und verbundenem Tragegeschirr an dessen unterer Stelle das Gewicht des Kindes im Wesentlichen gehalten wird. Im Zusammenwirken mit der oberen Verbindung muss gewährleistet sein, dass ein Herausrutschen und Wegkippen des Kindes vom Körper des Trägers vermieden wird.

Dies berücksichtigend, befinden sich die Befestigungsvorrichtungen der angegriffenen Ausführungsform im "unteren Bereich" im Sinne des Klagepatents. Ohne Erfolg wendet der Beklagte ein, bei der angegriffenen Ausführungsform sei im angelegten Zustand kein mit dem Tragegeschirr verbundener unterer Bereich vorhanden. Bei der angegriffenen Ausführungsform bildet das "Front Piece" (vgl. Seite 6 der B 1) den zweiseitigen Kinder-Tragelappen im Sinne von Merkmal 3. Wie die Figuren 3, 4, 9 und 11 der Anlage B 1 zeigen, können beide Seiten dieses "Vorderteils", die über Stoßpolster am Rücken miteinander verbunden sind, an den Schultertragegurten (= Halteschlaufen i.S.d. Klagepatents) unter anderem auch am unteren Ende befestigt werden. Das höhenverstellbare vordere Verbindungsschloss befindet sich - selbst wenn man auf den Zeitpunkt nach Befestigung der Halteschlaufen des angelegten Tragegeschirrs abstellt - auch dann im unteren Bereich des Tragelappens, wenn es nach oben geschoben wird: Denn auch dann liegt es noch im Bereich der Falte, die der Tragelappen bei hochgeklapptem Windelfortsatz bildet und damit in jenem Bereich, in dem die Drehbewegung erfolgt. Dass es dabei nicht exakt im "Knickbereich" des angelegten Lappens verortet ist, ist unerheblich, da der bezweckte Vorteil - Erzielung einer hohen Tragesicherheit - erreicht wird. Im Falle des heruntergeschobenen Verbindungsschlosses befindet sich die Befestigung nach alledem erst recht im erfindungsgemäßen "unteren Bereich".

Soweit der Beklagte geltend macht, es fehle deshalb an einem Herablassen um eine untere Verbindung, weil das Kind unabhängig davon, ob es an den Halteschlaufen befestigt sei oder nicht, in einem Tragebeutel ("windelartiger Fortsatz") gehalten werde, wird auf die unmittelbar nachfolgenden Ausführungen zum Merkmal 3.2, bezüglich dessen der Beklagte dieses Argument hauptsächlich anführt, verwiesen.

2)

Nach Merkmal 3.2 sollen die in Merkmal 3.1 beschriebenen Voraussetzungen dazu dienen, einen Kinder-Tragebeutel zu bilden.

Es bedarf keiner Entscheidung der Kammer dazu, ob das Merkmal 3.2 gegebenenfalls eine reine Zweckangabe beinhaltet, deren Erfüllung im Hinblick darauf, dass Anspruch 1 des Klagepatents ein Erzeugnis schützt, für die Frage der Patentverletzung unerheblich wäre. Denn jedenfalls wird bei der angegriffenen Ausführungsform durch Verwirklichung des Merkmals 3.1 die Bildung eines erfindungsgemäßen Kinder-Tragebeutels erreicht.

Hinsichtlich der Ausgestaltung des Kinder-Tragebeutels erwähnt das Klagepatent im Merkmal 2 sowie in der Merkmalsgruppe 3 folgende Bestandteile, die an dessen Konstruktion beteiligt sind: zwei miteinander verbundene Halteschlaufen, die sich um beide Schulterbereiche des Trägers erstrecken, sowie ein zweiseitiger Kinder-Tragelappen. Aus diesen Elementen soll in der im Anspruch 1 näher definierten Weise eine Tasche gebildet werden, in welche ein Kind hineingesetzt und so getragen werden kann.

a)

Wie beispielsweise die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen 9, 10 und 11 der Anlage B 1 verdeutlichen, sind die genannten Elemente auch bei der angegriffenen Ausführungsform in erfindungsgemäßer Weise an der Bildung eines solchen Kinder-Tragebeutels beteiligt. Die - nachfolgend vergrößert wiedergegebenen - Abbildungen 9, 10 und 11 zeigen die Entstehung eines Kindertragebeutels durch Verbindung des "Front Pieces" mit den Halteschlaufen, in dem ein Kind am Oberkörper des Trägers getragen werden kann:

b)

Entgegen der Ansicht des Beklagten fehlt es der angegriffenen Ausführungsform auch nicht etwa deshalb an einem klagepatentgemäßen Kinder-Tragebeutel, weil das Kind unabhängig davon, ob es an den Halteschlaufen befestigt ist oder nicht, in einem Tragebeutel ("windelartiger Fortsatz") gehalten werde. Es mag zutreffen, dass durch das Befestigen der Beinschlaufen ("Legstraps") an dem Schlaufenkopf ("Leg Strap Button", vgl. Figur 7 der B 1, S. 63 der B 1) schon ein derartiger "windelartiger Fortsatz" entsteht. Ein patentgemäßer Kindertragebeutel entsteht aber erst durch die Befestigung des Tragelappens an den Halteschlaufen mittels der Verbindungsstücke, da erst dann die erforderliche Stabilität und funktionale Eignung gegeben ist, um in diesem ein Kind tragen zu können. Wie die Aufgabenstellung zeigt (S. 2, Z. 25 f. der Anlage K1a), soll nämlich insbesondere die Tragesicherheit des Geschirrs auf hohem Niveau bleiben. Der "windelartige Fortsatz" dient lediglich dem Zweck, das Hineinsetzen des Kindes in den Tragebeutel in der Weise zu erleichtern, dass das Kind auf einen Tragelappen gelegt wird und dessen unterer Teil windelartig um das Kind gelegt wird, wodurch insbesondere die richtige Positionierung der Beine des Kindes erleichtert wird.

c)

Schließlich ist darauf zu verweisen, dass - wie die Klägerin unwidersprochen vorgebracht hat - der "windelartige Fortsatz" für Babies bei einem Gewicht von 5 -14 kg nicht zur Anwendung kommt (vgl. S. 65 f. der B 1), so dass jedenfalls insoweit ein Verletzungsfall gegeben ist.

d)

Ohne Erfolg negiert der Beklagte die Existenz eines Kinder-Tragebeutels bei der angegriffenen Ausführungsform unter Verweis auf S. 6, Z. 17 - 19 der deutschen Übersetzung des Klagepatents, wonach der Tragelappen, die Brust des Trägers und die Verbindungsmittel zwischen Lappen und Halteschlaufen eine Kinder-Tragetasche bilden.

Dass die Mittel zur Verbindung der Halteschlaufen mit dem Tragelappen bei der angegriffenen Ausführungsform nicht Bestandteil des Tragebeutels seien und das Kind mit den Halteschlaufen nicht in Berührung komme, steht einer wortsinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 3.2 keineswegs entgegen.

Für die Verwirklichung der technischen Lehre des Merkmals 3.2 kommt es nicht darauf an, ob das Kind mit dem Verbindungsmittel (bei der angegriffenen Ausführungsform also das "vordere Verbindungsschloss", vgl. Seite 60, oben der Anlage B 1) in Kontakt gerät. Eine derartige Einschränkung des Merkmalsbegriffs "Kinder-Tragebeutel" ist im Anspruchswortlaut nicht niedergelegt, und zwar weder im Merkmal 3.2 selbst noch im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang mit den anderen Merkmalen. Mangels eines entsprechenden Anhaltspunktes im Anspruchswortlaut vermag die Figur 2 einschließlich ihres zugehörigen Beschreibungstextes (Seite 6, Z. 17 - 19 der deutschen Übersetzung) keine Grundlage für ein restriktives Verständnis des Merkmals 3.2 zu begründen; erforderlich wäre dafür vielmehr die Feststellung, dass sich unter Heranziehung der Beschreibung und der Figuren (vgl. Art. 69 Abs. 1 EPÜ,

§ 14 PatG) ergäbe, dass nur bei Befolgung dieses Ausführungsbeispiels derjenige technische Erfolg erzielt werden kann, der erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden soll (vgl. zuletzt BGH, GRUR 2008, 779 - Mehrgangnabe): Dies behauptet der Beklagte indes selbst nicht und dafür ist auch sonst nichts ersichtlich - die klagepatentgemäße Aufgabe kann auch mittels eines Tragegeschirrs gelöst werden, bei dem das Kind nicht notwendig mit den Verbindungsmitteln in Kontakt kommt.

e)

Der Verletzung des Klagepatents steht es aus entsprechenden Gründen auch nicht entgegen, dass die Tragetasche bei der angegriffenen Ausführungsform auch auf der Brustseite durch den Tragelappen begrenzt wird. Der Anspruchswortlaut gibt - auch unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen - nichts dafür her, dass die Brust des Trägers zwingend integraler Bestandteil des Kinder-Tragebeutels sein müsse. Ebenso wenig schließt das Klagepatent es aus, dass sich zwischen der Brust des Trägers und dem Kind andere Elemente befinden.

aa)

Das in diesem Zusammenhang vom Beklagten bemühte Argument, das Klagepatent wolle sich durch das Fehlen eines vollständig aus dem Tragelappen gebildeten Tragebeutels vom Stand der Technik abgrenzen, vermag nicht zu überzeugen. Dies gilt bereits im Hinblick darauf, dass das Merkmal 3.2 nicht zum kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 des Klagepatents, sondern zu dessen Oberbegriff gehört. Auch geben weder die Aufgabenstellung noch die in der Beschreibung enthaltenen Vorteilsangaben Anhaltspunkte für das Verständnis des Beklagten.

bb)

Soweit der Beklagte auch in diesem Zusammenhang nochmals auf das Vorhandensein des "windelförmigen Tragebeutels" Bezug nimmt, gelten die oben getroffenen Ausführungen unter b) entsprechend. Daher vermögen die nach Auffassung des Beklagten mit diesem - angeblich - einhergehenden Unterschiede zur klagepatentgemäßen Lösung bei (1) Anlegen des windelförmigen Tragebeutels, (2) bei Anlegen des gesamten Kindertragegeschirrs und (3) bei der Größeneinstellung im Beinbereich nicht aus der wortsinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 3.2 herauszuführen.

3)

Die Verwirklichung des Merkmals 3.3 stellt der Beklagte nur insoweit in Abrede, als dass es an einem Herablassen des Lappens um eine untere Verbindung des Lappens fehle. Da sich dieser Einwand mit dem Vortrag des Beklagten zum Merkmal 3.1 deckt, kann zwecks Begründung der wortsinngemäßen Verwirklichung auch dieses Merkmals auf die betreffenden Ausführungen unter 1) verwiesen werden.

4)

Laut Merkmal 6 sind die Halteschlaufen miteinander auf einer Rückseite des Geschirrs verbunden und behalten ihre Schlaufenform sowohl beim Anlegen des Geschirrs als auch beim Lösen des Kinder-Tragelappens in eine geöffnete Position bei.

Auch dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall, was anhand der Figur 5 der Anlage B 1 sowie anhand der Abbildung des Tragegeschirrs auf Seite 60 der Anlage B 1 deutlich wird. Wie die im Tatbestand abgelichtete Abbildung 1 der Anlage B 1 zeigt, kann das Gurtsystem bei der angegriffenen Ausführungsform separat angelegt werden, so dass die beiden Gurte/Halteschlaufen ihre Schlaufenform sowohl beim Anlegen des Geschirrs als auch beim Lösen des Kindertragelappens in eine geöffnete Position beibehalten.

Unbeachtlich ist der auf Seite 72, Abb. 28 und 29 der Anlage B 1 gestützte Einwand des Beklagten, der Tragebeutel werde erst nach vollständiger Trennung der Halteschlaufen von dem Tragelappen vollständig geöffnet. Richtigerweise führt die Klägerin dazu aus, dass es bezüglich Merkmal 6 nicht darum geht, ob und wann der Tragelappen einen Tragebeutel bildet. Dieses Merkmal beschäftigt sich vielmehr damit, dass die Verbindung zwischen den Halteschlaufen unabhängig davon beibehalten wird, ob und inwieweit der Tragelappen mit ihnen verbunden ist: Die Trageschlaufen sollen so ohne Hilfe einer weiteren Person angelegt werden können und in Position bleiben.

Auch der diesbezügliche Einwand des Beklagten verfängt nicht. Dass der Träger bei der angegriffenen Ausführungsform zuerst den gesamten Tragebeutel samt Kind löst und - bevor er das Kind entnimmt - das Geschirr abnehmen kann, besagt nichts über die Form der Halteschlaufen beim Lösen des Kinder-Tragelappens. Der betreffende Beklagtenvortrag schließt es nicht aus, dass die Halteschlaufen auch im Zeitpunkt des Lösens des Tragelappens weiterhin schlaufenförmig sind.

III.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung im aus Ziffer I. 1. des Urteilstenors näher ersichtlichem Umfang aus Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i.V.m. §§ 9, 139 Abs. 1 PatG. Mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform hat der Beklagte das Klagepatent zumindest in fahrlässiger Weise verletzt, so dass er der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i.V.m. §§ 9, 139 Abs. 2 PatG auch zum Schadenersatz verpflichtet ist. Da die konkrete Schadenshöhe derzeit noch nicht feststeht, ist ein berechtigtes Interesse der Klägerin daran anzuerkennen, die entsprechenden Verpflichtungen des Beklagten zunächst dem Grunde nach feststellen zu lassen (§ 256 ZPO). Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, diese Ansprüche zu beziffern, hat der Beklagte im zuerkannten Umfang über die Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen (§ 140b PatG, §§ 242, 259 BGB). Wie bereits im entsprechenden Klageantrag berücksichtigt, war dem Beklagten hinsichtlich der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 3,176 - Glasscheibenbefestiger). Im Umfang der nach §§ 242, 259 BGB geschuldeten Angaben steht der Klägerin auch ein Anspruch auf Vorlage der entsprechenden Rechnungen oder Lieferscheine zu (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE, 5, 249 - Faltenbalg). Der zuerkannte Vernichtungsanspruch findet seine rechtliche Grundlage in § 140 a PatG.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Voß Rinken Dr. Büttner RERRR






LG Düsseldorf:
Urteil v. 30.10.2008
Az: 4b O 260/07


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