Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Oktober 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 261/99

(BPatG: Beschluss v. 19.10.2000, Az.: 25 W (pat) 261/99)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung Neurovit ist am 21. September 1995 für in das Markenregister eingetragen worden und im Wege der Teillöschung noch für

"Vitaminpräparate mit Alpha-Liponsäure zur Behandlung von Niereninsuffizienz"

geschützt.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren, seit 1937 für

"Arzneimittel"

eingetragenen Marke 498 440 Eusovit, deren Benutzung nicht bestritten ist.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 26. Mai 1999 durch einen Beamten des höheren Dienstes die Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen.

Nach der maßgeblichen Registerlage könnten sich die Marken auch auf identischen Waren begegnen. Selbst bei danach an den Markenabstand zu stellenden strengen Anforderungen, die angesichts der etwas gesteigerten Aufmerksamkeit auch von Endverbrauchern gegenüber Kennzeichnungen von Arzneimitteln allerdings gemindert würden, bestehe - ausgehend von normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke - keine Verwechslungsgefahr. Die gemeinsame Endsilbe "-vit", die offenkundig auf den Begriff "Vitamine" hinweise und auch vielfach in Arzneimittelkennzeichnungen verwendet werde, stelle keinen besonders charakteristischen Zeichenbestandteil dar. Der Verkehr orientiere sich daher mehr an den ohnehin mehr beachteten Anfangsbestandteilen, deren konsonantische Abweichungen auch nach dem Gesamteindruck eine klangliche Verwechslungsgefahr ausschließen würden. Aufgrund der abweichenden Wortlängen und der deutlich unterschiedlichen Anfangsbuchstaben seien die Marken auch im Schriftbild nicht verwechselbar.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem Antrag, den Beschluß der Markenstelle vom 26. Mai 1999 aufzuheben, die Verwechslungsgefahr zu bejahen und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Die angegriffene Marke werde den aufgrund bestehender Warenidentität strengen Anforderungen an den Markenabstand nicht gerecht. Die Marken stimmten in der Silbenzahl, im Betonungsrhythmus und in der Vokalfolge überein. Die Abweichungen durch den klangschwachen Konsonanten "N" am Anfang der angegriffenen Marke und die eingeschobene Mittelsilbe "-ro-" führten bei den Übereinstimmungen im übrigen nicht zu einem eigenständigen Wortklang.

Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren bislang nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts sowie auf den Inhalt der Verfahrensakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Der nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobene Widerspruch ist von der Markenstelle zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG zurückgewiesen worden. Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Nach der hier maßgeblichen Registerlage stehen den "Vitaminpräparaten mit Alpha-Liponsäure zur Behandlung von Niereninsuffizienz" der angegriffenen Marke die "Arzneimittel" der Widerspruchsmarke gegenüber. Im Bereich der Waren der angegriffenen Marke können sich die Marken damit auch auf identischen Waren begegnen, da die speziellen "Vitaminpräparate" von dem Oberbegriff "Arzneimittel" umfaßt werden. Verwechslungsfördernd wirkt sich weiterhin aus, daß eine Rezeptpflicht auf beiden Seiten nicht zugrundezulegen ist, so daß allgemeine Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Auch insoweit ist allerdings davon auszugehen, daß grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).

Bei seiner Entscheidung geht der Senat trotz des in der Schlußsilbe "-vit" enthaltenen Sachhinweises im Sinne von "Vitamin" oder "vital" auf das entsprechende Indikationsgebiet "Vitaminpräparate", auf dem die Widerspruchsmarke nach der Roten Liste 2000 derzeit auch tatsächlich verwendet wird, von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus. Denn durch die Verbindung mit dem vorangehenden Wortteil "Euso-" ist sie als Gesamtwort noch hinreichend phantasievoll gebildet, so daß im Hinblick auf die im Bereich pharmazeutischer Erzeugnisse bestehende Übung, Marken in der Weise zu bilden, daß einzelne Bestandteile Indikation, Art der Zusammensetzung, Wirkung und dergleichen zumindest für Fachleute eindeutig erkennen lassen, hier keine ursprüngliche Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung anzunehmen ist.

Die Ähnlichkeit der Marken ist nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart ausgeprägt, daß unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der Warenlage die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen wäre. Dies gilt auch insoweit, als im Hinblick auf die Möglichkeit von Warenidentität eher strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen sind.

In klanglicher Hinsicht stimmen die Marken zwar in der Silbenzahl, Vokalfolge sowie im Sprech- und Betonungsrhythmus wie auch in der Endsilbe "vit" überein. Von Bedeutung ist dabei jedoch zunächst, daß die Übereinstimmung der Marken in dem Bestandteil "vit" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit nicht so stark ins Gewicht fällt, wie dies bei reinen Phantasiebestandteilen der Fall wäre. Diese Silbe ist in zahlreichen Marken der Klasse 5 enthalten und stellt insbesondere im Bereich der "Vitamine" einen verständlichen Indikationshinweis dar, dem infolge seines warenbeschreibenden Charakters für sich genommen im pharmazeutischmedizinischen Bereich nur eine geringe kennzeichnende Bedeutung zukommt. Auch wenn von den vielen eingetragenen "vit"-Marken nicht alle tatsächlich benutzt werden (vgl aber allein die in der Roten Liste 2000 Hauptgruppe 84/Vitamine eingetragenen Präparate wie Ascorvit, Biovit, Cernevit, Dreisavit, Evit, Soluvit, Sonosvit usw), kann die große Anzahl von eingetragenen Drittmarken schon für sich genommen nicht gänzlich unbeachtet bleiben (vgl dazu BGH GRUR 1967, 246, 250 reSp aE "Vitapur"; MarkenR 1999, 57 "Lions"). Dies führt dazu, daß die angesprochenen Verkehrskreise mehr auf die weiteren Markenbestandteile achten, so daß insoweit gegebene Unterschiede stärker in den Vordergrund treten. Dies ist auch vorliegend der Fall. Die Bezeichnungen unterscheiden sich in den ohnehin regelmäßig stärker beachteten Wortanfangsbestandteilen (vgl zB BGH GRUR 1995, 50 ff, 53 - Indorektal/Indohexal; MarkenR 1999, 154, 156 - Cefallone) "Neuro-" bzw "Euso-" hinsichtlich des Anfangsbuchstabens sowie der sich an entsprechender Wortstelle gegenüberstehenden klangverschiedenen Konsonanten "r" bzw "s" auffällig, wodurch sie sich auch im maßgeblichen Gesamteindruck deutlich voneinander abheben.

Entgegen der Ansicht der Widersprechenden kann hier auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Eingangslaut "N" der angegriffenen Marke in erheblichem Umfang überhört wird. Soweit die Widersprechende ausführt, daß die Lautfolge "ro" zur Verhinderung von Verwechslungen nicht geeignet sei, mag dies für sich allein zutreffend sein. Maßgeblich ist bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr jedoch auf den Gesamteindruck der Marken abzustellen, der durch die genannten Abweichungen der Bezeichnungen insgesamt noch hinreichend unterschiedlich gestaltet wird.

Im schriftbildlichen Vergleich ist ein Auseinanderhalten der Marken unter den genannten Umständen in allen üblichen Wiedergabeformen aufgrund der auffallend verschiedenen Anfangsbuchstaben, der figürlichen Abweichung in den Buchstaben "r" gegenüber "s" und der etwas unterschiedlichen Wortlängen auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Übereinstimmungen ebenfalls gewährleistet. Hierbei ist noch zu berücksichtigen, daß das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort.

Unter diesen Umständen kann hier für die Entscheidung letztlich dahingestellt bleiben, ob ein Teil der Verkehrskreise, vor allem wohl Fachleute, in dem Bestandteil "Neuro-" der angegriffenen Marke einen, im Hinblick auf die speziellen "Vitaminpräparate" allerdings nicht besonders nahegelegten, Hinweis auf mit diesem Wortelement gebildete Fachbegriffe wie "Neurologie" etc sehen und damit eine zusätzliche Unterscheidungshilfe haben.

Nach alledem war die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Engels Brandt Pü






BPatG:
Beschluss v. 19.10.2000
Az: 25 W (pat) 261/99


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