Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Januar 2005
Aktenzeichen: 23 W (pat) 311/03
(BPatG: Beschluss v. 11.01.2005, Az.: 23 W (pat) 311/03)
Tenor
Das Patent 100 65 833 wird widerrufen.
Gründe
I Die Prüfungsstelle für Klasse G 01 D des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf die am 28. Dezember 2000 eingegangene Patentanmeldung das am 14. November 2002 veröffentlichte Patent (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Parametrierbarer Sensor und Verfahren zur Parametrierung eines Sensors" erteilt.
Die Firma i... gmbh, Teichstraße in E..., hat mit Schriftsatz vom 14. Februar 2003, beim Patentamt als Fax eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben und beantragt, das Streitpatent gemäß § 59 Abs 1 Satz 3 iVm § 21 Abs 1 Nr. 1 PatG zu widerrufen. Als Widerrufsgrund hat sie mangelnde Patentfähigkeit nach den §§ 1 bis 5 PatG geltend gemacht, als Stand der Technik dazu die Druckschriften - Thomas Nolde "Erkennen, Rechnen, Schalten" in KEM, Sonderteil Sensoren, Mai 1999, Seiten 51 bis 53 (Druckschrift D1)
- "Lichtleiter-Sensoren: Einzug der Prozessor-Technik" in Elektronik, Heft 11 vom 26. Mai 1998, Seite 34 (Druckschrift D2)
- Prospekt "Lichtleiter-Steuergerät LVSR 325" der Firma Leuze electronic GmbH + Co., 73277 Owen-Teck, Druckvermerk 9804, 2 Seiten (Druckschrift D3)
- DE 198 42 351 C1 (Druckschrift D4)
- Bedienungsanleitung "Bubble-Jet-Drucker BJ-200" der Firma Canon Inc., Tokyo, Japan, Kapitel 3 "Betrieb des Druckers über das Bedienfeld", 1992, Seiten 46 und 47 (Druckschrift D5)
- EP 0 519 089 B1 (Druckschrift D6) und - DE 198 22 744 C1 (Druckschrift D7)
genannt und die Auffassung vertreten, daß der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 durch die vorgenannten Druckschriften D1 bis D3 jeweils neuheitsschädlich getroffen oder jedenfalls nahegelegt sei. Der Gegenstand des nebengeordneten erteilten Patentanspruchs 42 ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus einer Zusammenschau der Druckschrift D5 mit einer der Druckschriften D1 bis D4 - insbesondere der Druckschrift D4 - oder der Druckschrift D4 mit der Druckschrift D2 bzw. D3.
Im Prüfungsverfahren sind zum Stand der Technik zudem die Entgegenhaltungen - PCT-Offenlegungsschrift WO 00/77476 A1 (Druckschrift D8) und - US-Patentschrift 5 574 211 (Druckschrift D9)
in Betracht gezogen worden.
Die Einsprechende hat den Einspruch mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2004 zurückgenommen.
Die Patentinhaberin hat mit Schriftsatz vom 15. September 2003 beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, da die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1 und 42 durch den von der Einsprechenden genannten Stand der Technik weder bekannt noch nahegelegt seien.
Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2004 hat die Patentinhaberin ferner die Teilung des Streitpatents erklärt.
In der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2005 hat die Patentinhaberin das Streitpatent unverändert in der erteilten Fassung verteidigt.
Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten, Die geltenden erteilten nebengeordneten Patentansprüche 1 und 42 lauten:
"1. Parametrierbarer Sensor, umfassend eine Detektionseinrichtung (20) zur Detektion eines Beaufschlagungssignals, eine Auswerteeinrichtung (12) zur Erzeugung eines Ausgangssignals in Abhängigkeit des detektierten Beaufschlagungssignals, eine oder mehrere Eingabeeinrichtungen (26) und eine Energieversorgungseinrichtung (14), dadurch gekennzeichnet, daß der Sensor dadurch parametrierbar ist, daß eine Eingabeeinrichtung (26) bei einer Änderung in der Energieversorgung des Sensors aktiviert ist oder wird.
42. Verfahren zur Parametrierung eines Sensors mit einer Eingabeeinrichtung und einer Auswerteeinrichtung, bei welchem bei einer Änderung in der Energieversorgung des Sensors durch die Auswerteeinrichtung geprüft wird, ob die Eingabeeinrichtung aktiviert ist und bei aktivierter Eingabeeinrichtung der der bestimmten Änderung in der Energieversorgung zugeordnete Parameter eingestellt wird."
Wegen der geltenden erteilten Unteransprüche 2 bis 41, 43 und 44 sowie weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs 3 Satz 1 Nr 1 PatG. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Januar 2005 eingelegt worden ist. Nach Rücknahme des Einspruchs bleibt das Bundespatentgericht auch für das gemäß § 61 Abs 1 Satz 2 PatG regelmäßig von Amts wegen fortzusetzende Einspruchsverfahren zuständig. Die Verfahrensbeteiligung der Einsprechenden endet allerdings mit der wirksamen Einspruchsrücknahme (Schulte PatG, 6. Aufl, § 61 Rdn 21).
III Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl hierzu BGH Mitt 2003, 388, amtliche Leitsätze - "Basisstation"; Mitt 2002, 526, amtlicher Leitsatz - "Sammelhefter") hindert die Teilungserklärung nicht den Fortgang des Einspruchsverfahrens und eine abschließende Entscheidung über das Stammpatent. Begehrt die Patentinhaberin eine Entscheidung über das Stammpatent, so kommt es auf das Schicksal der Trennanmeldung nämlich in der Regel schon deshalb nicht an, weil durch die Teilung nichts abgetrennt werden muß. Maßgeblich ist alleine, ob die Rechtverfolgung der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren - wie vorliegend - eine abschließende Entscheidung zuläßt.
IV Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist auch begründet, denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung war das Streitpatent zu widerrufen.
1. Zulässigkeit des Einspruchs Gegen die Zulässigkeit des Einspruchs bestehen insofern keine Bedenken, als mit dem vorgenannten Einspruchsschriftsatz der erforderliche Zusammenhang insbesondere zwischen dem Stand der Technik nach der Druckschrift D1 und sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents im einzelnen hergestellt worden ist (vgl hierzu BGH BlPMZ 1988, 250 Leitsatz 2, 251 li Sp Abs 1 - "Epoxidation"; Mitt 2004, 18, Leitsatz - "Automatisches Fahrzeuggetriebe").
Im übrigen ist die Zulässigkeit des Einspruchs auch von der Patentinhaberin nicht in Frage gestellt worden.
2. Zulässigkeit der Patentansprüche Die erteilten Patentansprüche 1 bis 44 stimmen völlig mit den ursprünglichen Patentansprüchen 1 bis 44 überein und sind von daher zulässig.
3. Patentgegenstand Ein parametrierbarer - d.h. hinsichtlich seiner Betriebsparameter einstellbarer - Sensor mit sämtlichen Merkmalen nach dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist beispielsweise aus der Druckschrift D4 bekannt (vgl dort die Detektionseinrichtung zur Detektion eines Beaufschlagungssignals (Empfangslichtstrahlen 4 empfangendes Empfangselement 5), die Auswerteeinrichtung zur Erzeugung eines Ausgangssignals in Abhängigkeit von dem Beaufschlagungssignal (Auswerteeinheit 7 mit Schaltausgang 10), die Eingabeeinrichtung (externe Bedieneinheit 15) und die Energieversorgungseinrichtung (externe Spannungsquelle 9) im Anspruch 1 iVm den Fig 1 und 2 nebst der dazugehörigen Beschreibung).
Bei diesem bekannten gattungsgemäßen Sensor erfolgt die Parametrierung mittels der externen Bedieneinheit (15) (vgl die Ansprüche 1 bis 20 iVm Sp 3, Abs 4 bis Sp 7 Abs 1 zu den Fig 2 und 3).
Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatentgegenstand als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, einen parametrierbaren Sensor zu schaffen, welcher einfach ausgebildet ist und für den kein externes Programmiergerät vorgesehen werden muß (vgl die Streitpatentschrift, Sp 1, Abs [0006]).
Diese Aufgabe wird bei einem gattungsgemäßen parametrierbaren Sensor mit den Merkmalen nach dem kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs 1 gelöst.
Denn danach ist der Sensor dadurch parametrierbar, daß eine Eingabevorrichtung (26) bei einer Änderung in der Energieversorgung des Sensors aktiviert ist oder wird, wobei diese Eingabevorrichtung (26) Bestandteil des Sensors - d.h. eine beim Sensor ohnehin zu anderen Zwecken vorhandene Eingabevorrichtung - ist (vgl hierzu die vorstehende Aufgabe iVm der Streitpatentschrift, Sp 1, Abs [0008] bis Sp 4, Abs [0022] und Sp 5, Abs [0027] bis [0031] sowie den Fig 1 bis 5 mit zugehöriger Beschreibung).
Gemäß dem - detaillierteren - nebengeordneten Verfahrensanspruch 42 erfolgt die Parametrierung des Sensors dadurch, daß bei einer Änderung der Energieversorgung des Sensors durch die Auswerteeinrichtung geprüft wird, ob die Eingabeeinrichtung aktiviert ist, und bei aktivierter Eingabeeinrichtung der der betreffenden Änderung der Energieversorgung zugeordnete Parameter eingestellt wird.
Erfindungsgemäß wird demnach eine ohnehin vorhandene Eingabeeinrichtung des Sensors - beispielsweise ein Taster zur Durchführung eines Selbsteinstellvorgangs (vgl Sp 3, Abs [0018] der Streitpatentschrift) - jeweils dann in eine Parametriereinrichtung für den Sensor umfunktioniert (Doppelnutzung), wenn deren Aktivierung - d.h. Betätigung - mit einer Änderung in der Energieversorgung des Sensors zeitlich zusammenfällt (Koinzidenz), was mittels der Auswerteeinrichtung erfaßt wird. Die Änderung in der Energieversorgung kann dabei beispielsweise durch das Einschalten des Sensors bewirkt sein (vgl den erteilten Patentanspruch 5).
4. Patentfähigkeit Die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1 und 42 sind zwar neu, beruhen jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
A) Patentanspruch 1 Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist dem zuständigen Durchschnittsfachmann - einem mit der Entwicklung und Herstellung von Sensoren befaßten, berufserfahrenen Physiker oder Elektroingenieur mit Fachhochschulausbildung - durch die Druckschriften D4 und D5 nahegelegt.
Da die Parametrierung nichts Sensor-Spezifisches ist, d.h. nicht auf das Gebiet der Sensoren beschränkt ist, sondern in entsprechender Weise auch bei einer Vielzahl anderer elektronischer Geräte - beispielsweise Meßgeräte oder Geräte der Unterhaltungselektronik - üblich ist, wird der Sensor-Fachmann in die Recherche nach einer geeigneten Sensor-Parametrierung auch andere technische Gebiete einbeziehen, soweit diese eine Parametrierung vorsehen. Dabei stößt er aber auf die eine Bedienungsanleitung für einen Drucker betreffende Druckschrift D5, gemäß der zur Parametrierung des automatischen Zeilenvorschubs des Druckers bestimmte Tasten (ON LINE, LF/FF und PRINT MODE) des Drucker-Bedienfeldes zu betätigen sind und gleichzeitig der Drucker einzuschalten ist (Koinzidenz), wodurch diese - an sich anderen Zwecken dienenden - Tasten bei ihrer Betätigung und gleichzeitiger Änderung in der Energieversorgung des Druckers (dh dessen Einschalten) also zu einer Parametriervorrichtung umfunktioniert werden (Doppelnutzung).
Es beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn der Fachmann diese aus der Druckschrift D5 bekannte Art der Parametrierung um ihres offensichtlichen Vorteils willen (zusätzliche Nutzung einer vorhandenen Eingabeeinrichtung zu Parametrierzwecken) entsprechend bei dem bekannten gattungsgemäßen Sensor nach der Druckschrift D4 anwendet, d.h. diesen ebenfalls dadurch parametriert, daß eine Eingabeeinrichtung des Sensors bei einer Änderung in der Energieversorgung des Sensors aktiviert ist oder wird. Damit gelangt der Fachmann aber ohne erfinderisches Zutun bereits zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1.
Der parametrierbare Sensor nach dem erteilten Patentanspruch 1 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften D4 und D5 nicht patentfähig.
B) Patentanspruch 42 Die Parametrierung gemäß der Druckschrift D5 impliziert zwangsläufig eine Überprüfung der Betätigung besagter Tasten und des Einschaltens des Druckers hinsichtlich deren Gleichzeitigkeit. Da die Druckschrift D4 als Auswerteeinrichtung (Auswerteeinheit 7) einen Mikroprozessor (18) vorsieht, bietet es sich dem Fachmann folglich an, die Gleichzeitigkeit der Betätigung der Tasten und des Einschaltens des Sensors von dem Mikroprozessor (18) überwachen zu lassen, zumal dieser ohnehin bereits zu Parametrierungszwecken - nämlich zur Abspeicherung der Parameterwerte - herangezogen wird (vgl die Ansprüche 1 und 13 iVm Sp 6, Abs 2 und 3 zur Fig 2). Berücksichtigt man zu den weiteren Merkmalen des Patentanspruchs 42 die vorstehenden Ausführungen zu den entsprechenden Merkmalen des Patentanspruchs 1, so gelangt der Fachmann aufgrund des Standes der Technik nach den Druckschriften D4 und D5 also ohne erfinderisches Zutun auch bereits zu einem Verfahren zur Parametrierung eines Sensors mit sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 42, bei welchem bei einer Änderung der Energieversorgung des Sensors durch die Auswerteschaltung gleichfalls geprüft wird, ob die Eingabeeinrichtung aktiviert ist, und bei aktivierter Eingabeeinrichtung der der betreffenden Änderung der Energieversorgung zugeordnete Parameter eingestellt wird.
Das Verfahren zum Parametrieren eines Sensors nach dem erteilten nebengeordneten Patentanspruch 42 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften D4 und D5 ebenfalls nicht patentfähig.
b) Unteransprüche 2 bis 41, 43 und 44 Mit den erteilten Patentansprüchen 1 und 42 fallen wegen der Antragsbindung auch die darauf zurückbezogenen erteilten Unteransprüche 2 bis 41 bzw. 43 und 44.
Das Patent ist daher nicht rechtsbeständig.
Dr. Tauchert Dr. Gottschalk Knoll Dr. Häußler Be
BPatG:
Beschluss v. 11.01.2005
Az: 23 W (pat) 311/03
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