Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. März 2010
Aktenzeichen: 6 W (pat) 320/09
(BPatG: Beschluss v. 02.03.2010, Az.: 6 W (pat) 320/09)
Tenor
Das Patent 10 2004 059 843 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Patentansprüche 1 bis 4 vom 30. Juni 2006, übrige Unterlagen wie erteilt.
Gründe
I.
Gegen das am 8. Dezember 2005 veröffentlichte Patent 10 2004 059 843 mit der Bezeichnung "Türantrieb" ist am 6. März 2006 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand der erteilten Anspruchs 1 sei nicht neu.
In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende auf folgende Druckschriften:
(E1) EP 0 137 861 B1
(E2) EP 0 693 609 B1
(E3) DE 102 60 108 B3
(E4) DE 41 24 282 C2.
Die Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hat mit Schriftsatz vom 30. Juni 2006 neue Ansprüche 1 bis 4 eingereicht und beantragt, das angegriffene Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
Patentansprüche 1 bis 4 vom 30. Juni 2006, übrige Unterlagen wie erteilt.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sowohl neu sei als auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Der geltende Anspruch 1 lautet:
"Türantrieb für einen schwenkbar bewegbaren Türflügel (2) bestehend aus einem Motor (4), aus einem getriebemäßig mit dem Motor (4) verbundenen Schließerelement (6), das über ein Gestänge (7) freilaufend an den Türflügel (2) angelenkt ist, wobei eine Vorspannung einer in dem Schließerelement (6) befindlichen Schließerfeder im geschlossenen Zustand des Türflügels (2) motorisch aufgebracht wird, ein Öffnen des Türflügels (2) manuell erfolgt und ein Schließen des Türflügels (2) durch Aktivierung einer zeitverzögerten Abschaltung des Motorstromes und anschließender Entspannung der Schließerfeder erfolgt, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen dem Schließerelement (6) und dem Gestänge (7) eine Freilaufkupplung (8) mit einer Mitnehmerscheibe angeordnet ist und die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder (2) mittels Bestromens des Motors (4) aufrechterhalten wird."
Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 4 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt sind noch die DE 44 26 201 A1 und die DE 32 02 930 A1 berücksichtigt worden.
II.
1.
Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2009, 184 f. -Ventilsteuerung).
2.
Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und auch im Übrigen zulässig.
Dies ist seitens der Patentinhaberin nicht bestritten worden.
3.
Die geltenden Ansprüche sind zulässig.
Der geltende Anspruch 1 ergibt sich aus den erteilten Ansprüchen 1 und 3 i. V. m. Abs. [0018] der Patentschrift bzw. den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 3 i. V. m.
S. 4, Z. 23 bis 27 der Anmeldungsunterlagen. Die geltenden Ansprüche 2 bis 4 entsprechen den erteilten bzw. ursprünglichen Ansprüchen 2, 4 und 5.
Die Zulässigkeit der geltenden Ansprüche ist im Übrigen seitens der Einsprechenden nicht bestritten worden.
4. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
a. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu.
Der geltende Anspruch 1 weist nunmehr in seinem kennzeichnenden Teil die Merkmale auf, wonachzwischen dem Schließerelement und dem Gestänge eine Freilaufkupplung mit einer Mitnehmerscheibe angeordnet ist und die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten wird.
Eine solche Ausgestaltung ist im nachgewiesenen Stand der Technik nicht offenbart.
Der geltende Anspruch 1 geht in seinem Oberbegriff von der (E1) EP 0 137 861 B1 aus. Bei diesem Türantrieb ist keine Freilaufkupplung zwischen dem Schließerelement und dem Gestänge vorgesehen, dort besteht vielmehr eine drehfeste Verbindung zwischen diesen beiden Elementen (vgl. Sp. 4, Z. 43 bis 48). Zwar könnte man aufgrund der Tatsache, dass dort der Kolben 14 und das Stützglied 33 nicht fest miteinander verbunden sind, in gewisser Weise von einem Freilauf zwischen dem Kolben und dem Stützglied sprechen, jedoch wäre ein solcher Freilauf nicht -wie beansprucht -zwischen dem Schließerelement und dem Gestänge vorgesehen. Im Gegensatz zu den Ausführungen der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung bildet die Schließerfeder 34 nach der (E1) EP 0 137 861 B1 nämlich kein Schließerelement im erfindungsgemäßen Sinn. Denn nach dem Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 umfasst der Türantrieb einen Motor, ein getriebemäßig mit dem Motor verbundenes Schließerelement und eine in dem Schließerelement befindliche Schließerfeder. Dies bringt klar zum Ausdruck, dass unter dem erfindungsgemäßen Begriff "Schließerelement" nicht die Schließerfeder und/oder das Stützglied gemeint sein kann, sondern -bezogen auf die (E1) EP 0 137 861 B1 -nur das in Figur 1 links vom Getriebe 42 angeordnete Gehäuse 10.
Auch das Merkmal, wonach die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten wird, ist in der (E1) EP 0 137 861 B1 nicht verwirklicht. Vielmehr wird dort die Vorspannung der Schließerfeder dadurch aufrechterhalten, dass entweder nach Beendigung des Motorlaufs sofort die Bremse im Getriebe einfällt oder die Pumpe nach Stillstand des Motors kein Druckmittel mehr fördert (Sp. 6, Z. 61 bis Sp. 7, Z. 3). Mit anderen Worten wird in der (E1) EP 0 137 861 B1 die Vorspannung der Schließerfeder durch ein Stillsetzen des Motors erreicht.
Die Deutung der Einsprechenden, auch beim Türschließer nach der (E1) EP 0 137 861 B1 werde die Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten, widerspricht dem Wortlaut des geltenden Anspruchs 1. In der (E1) EP 0 137 861 B1 wird die Vorspannung der Schließerfeder sukzessive erhöht, indem der Motor das Stützglied 33 gegen die Schließerfeder 34 fährt (Sp. 6, Z. 24 bis 55). Somit wird die Vorspannung der Feder durch den Motor verändert. Dies ist aber nicht beansprucht. Beansprucht ist vielmehr, dass die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten wird. "Aufrechterhalten" ist aber etwas anderes als "Verändern".
Die (E2) EP 0 693 609 B1 offenbart ebenfalls keinen Türantrieb, bei dem eine Freilaufkupplung zwischen dem Schließerelement und dem Gestänge vorhanden ist. Dort ist zwar eine Kupplung vorgesehen (vgl. Anspruch 7), diese befindet sich jedoch nicht zwischen dem Schließerelement und dem Gestänge, sondern zwischen der Abtriebswelle und der Schließerfeder; sie ist darüber hinaus auch nicht als Freilaufkupplung ausgebildet.
Die (E3) DE 102 60 108 B3 offenbart einen Türantrieb mit einem Freilauf zwischen der Abtriebswelle 11 und dem Gestänge 4 (vgl. Anspruch 1). Dort wird allerdings die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder nicht mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten, sie erfolgt vielmehr durch eine Öffnungsbewegung des Türflügels (vgl. Abs. [0040]). Eine Aufrechterhaltung der Vorspannung der Schließerfeder kann dort auch schon allein deshalb nicht verwirklicht sein, da es sich bei dem in der DE 102 60 108 B3 erläuterten Türantrieb um einen rein mechanischen Antrieb handelt, der gänzlich ohne einen Motor auskommt.
Die (E4) DE 41 24 282 C2 offenbart einen Türantrieb, bei dem zwischen einem Getriebe 16 und einem Winkelgetriebe 6 eine schaltbare Kupplung 7 angeordnet ist (vgl. Sp. 5, Z. 2 bis 21 und Fig. 1). Diese Kupplung ist jedoch nicht als Freilaufkupplung ausgebildet und befindet sich auch nicht zwischen dem Schließerelement und dem Gestänge. Dort wird jedoch die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten (Sp. 3, Z. 34 bis 37).
b. Der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Türantrieb gemäß dem geltenden Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie bereits beim Neuheitsvergleich ausgeführt, offenbart weder die (E1) EP 0 137 861 B1, noch die (E2) EP 0 693 609 B1 noch die (E4) DE 41 24 282 C2 eine zwischen dem Schließerelement und dem Gestänge angeordnete Freilaufkupplung, so dass auch von keiner dieser Druckschriften eine entsprechende Anregung ausgehen kann.
Lediglich die (E3) DE 102 60 108 B3 offenbart eine Freilaufkupplung zwischen dem Antrieb und dem Gestänge, jedoch kann dort mangels Vorhandenseins eines Motors die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder nicht mittels Bestromens des Motors aufrechterhalten werden. Somit vermag auch dieser Stand der Technik keine Anregung dahingehend zu liefern, die aufgebrachte Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors aufrecht zu erhalten.
Zwar offenbart die (E3) DE 102 60 108 B3 eine zwischen dem Antrieb und dem Gestänge angeordnete Freilaufkupplung und die (E4) DE 41 42 282 C2 beschreibt die Aufrechterhaltung der Vorspannung der Schließerfeder mittels Bestromens des Motors, jedoch hatte der Fachmann, ein Maschinenbauingenieur mit langjähriger Erfahrung in der Konstruktion von Türschließern, keine Veranlassung, jeweils Einzelmerkmale aus verschiedenen Druckschriften zusammenzusetzen, um zum Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 zu gelangen. Denn jede dieser Druckschriften offenbart eine in sich geschlossene Lösung und bietet keine Anregung, die jeweils in sich abgeschlossenen Lösungen im Hinblick auf die erfindungsgemäße Ausgestaltung zu kombinieren.
Die Einsprechende hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sei eine reine Aggregation und somit nicht erfinderisch. Dies mag jedoch dahin stehen. Denn die Einsprechende übersieht bei ihrer Argumentation, dass auch eine Aggregation dann erfinderisch sein kann, wenn sie eine neue und erfinderische technische Gesamtwirkung erzielt (Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 1, Rdn. 237). Diese neue und erfinderische technische Gesamtwirkung ist in den Abs. [0006] und [0007] der Streitpatentschrift ausführlich erläutert, so dass -selbst unterstellt, es handle sich um eine Aggregation -diese im vorliegenden Fall als erfinderisch anzusehen ist.
Der übrige im Prüfungsverfahren berücksichtigte und im Einspruchsverfahren nicht mehr angezogene Stand der Technik liegt erkennbarerweise noch weiter ab als der vorstehend abgehandelte.
Somit offenbart der Stand der Technik zwar Teilmerkmale des geltenden Anspruchs 1, diese in der beanspruchten Art und Weise zu kombinieren, hat für den Fachmann mangels entsprechender Anregungen jedoch nicht nahe gelegen.
Der geltende Anspruch 1 ist somit gewährbar.
c. Zusammen mit dem Anspruch 1 sind auch die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche gewährbar, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des erfindungsgemäßen Türantriebes betreffen.
Lischke Guth Schneider Ganzenmüller Cl
BPatG:
Beschluss v. 02.03.2010
Az: 6 W (pat) 320/09
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